Verwaltungsgericht Osnabrück
Beschl. v. 03.09.2024, Az.: 3 A 224/22

Bundesverfassungsgericht; Corona; einrichtungsbezogene Impfpflicht; Impfpflicht; Verfassungsmäßigkeit; Verfassungswidrigkeit; Vorlagefrage; Aussetzungs- und Vorlagebeschluss betreffend die Verfassungsmäßigkeit der einrichtungsbezogenen Impfpflicht (§ 20a IfSG) im Jahr 2022

Bibliographie

Gericht
VG Osnabrück
Datum
03.09.2024
Aktenzeichen
3 A 224/22
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2024, 22424
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE::2024:0919.3A224.22.00

Amtlicher Leitsatz

  1. 1.

    Bei dem Robert Koch-Institut hat es sich entgegen der gesetzgeberischen Konstruktion - jedenfalls in den Jahren 2021 und 2022 nicht um eine in Bezug auf die Pandemieentwicklung und -bewertung wissenschaftlich tätige, politischen Einflüssen auf ihre Forschung und deren Ergebnisse nicht zugängliche Forschungseinrichtung gehandelt, deren Äußerungen ein einem Sachverständigengutachten vergleichbarer Erkenntniswert zukam.

  2. 2.

    Diese Erkenntnis lag zum Zeitpunkt der Entscheidung des BVerfG zur einrichtungsbezogenen Impfpflicht noch nicht vor; sie macht eine erneute Befassung des BVerfG mit der Verfassungsmäßigkeit der Regelung notwendig.

  3. 3.

    Die Norm des § 20a InfSchG ist im Lauf des Jahres 2022 in die Verfassungswidrigkeit hineingewachsen, da der Zweck der einrichtungsbezogenen Impfpflicht, vulnerable Personengruppen zu schützen, aufgrund der gleichwertigen Virusübertragung durch geimpfte Personen im Jahr 2022 nicht mehr erreicht werden konnte. Die Impfung war daher nicht mehr geeignet, wesentlich zum Schutz vor Ansteckung beizutragen, jedenfalls war sie aufgrund der gleichrangig schützenden Testung nicht mehr das mildeste Mittel. Die mit der Anwendung der Norm verbundenen Eingriffe in die körperliche Unversehrtheit und in die Berufsfreiheit waren daher nicht mehr verhältnismäßig und nicht mehr verfassungsrechtlich gerechtfertigt.

  4. 4.

    Der Gesetzgeber hätte daher im Laufe des Jahres 2022 und damit jedenfalls für die streitgegenständlichen Monate November und Dezember des Jahres 2022 die Regelung evaluieren und aus ihrer Unverhältnismäßigkeit Konsequenzen ziehen müssen. 5. Etwaige Kommunikationsdefizite zwischen Exekutive und Legislative gehen nicht zu Lasten der Grundrechtsträgerinnen und träger.

[Gründe]

I.

Die Klägerin wendet sich gegen ein Tätigkeitsverbot auf der Grundlage der Vorschrift des § 20a Abs. 5 Satz 3 IfSG in der Fassung vom 18. März 2022 (BGBl. I S. 466).

Die Klägerin war im maßgeblichen Zeitraum im Jahr 2022 als Pflegehelferin im Christlichen Krankenhaus A-Stadt beschäftigt. Am 25. März 2022 teilte das Christliche Krankenhaus A-Stadt dem Beklagten mit, dass sie - die Klägerin - einen Immunitätsnachweis gegen das Coronavirus SARS-COV 2 nicht beigebracht habe.

Unter dem 13. Juni 2022 forderte der Beklagte die Klägerin auf der Grundlage des § 20a Abs. 5 Satz 1 IfSG auf, bis zum 30. Juni 2022 einen Immunitätsnachweis vorzulegen, und zwar entweder einen Impfnachweis nach § 22a Abs. 1 IfSG, einen Genesenennachweis nach § 22a Abs. 2 IfSG oder ein ärztliches Zeugnis darüber, dass sie - die Klägerin - sich im ersten Schwangerschaftsdrittel befinde, oder einen ärztlichen Nachweis, dass sie - die Klägerin - aufgrund einer medizinischen Kontraindikation nicht gegen das Coronavirus SARS-COV 2 geimpft werden könne.

Auf dieses Schreiben erfolgte keine Reaktion der Klägerin.

Durch Schreiben vom 8. Juli 2022 wurde die Klägerin daraufhin erneut aufgefordert, einen Impfnachweis oder eine vergleichbare Bescheinigung vorzulegen, und sie wurde zum Ausspruch eines Betretungs- und Tätigkeitsverbotes angehört.

Durch weitere Schreiben vom 8. Juli 2022 und vom 27. Juli 2022 wurde auch der Arbeitgeber der Klägerin, das Christliche Krankenhaus A-Stadt, zu einem Betretungs- und Tätigkeitsverbot für die Klägerin angehört. Auf die Anhörung erklärte der Arbeitgeber der Klägerin, dass diese für den Betrieb seiner Einrichtung verzichtbar sei.

Durch den hier streitgegenständlichen Bescheid vom 7. November 2022 wurde der Klägerin untersagt, in der Einrichtung / in dem Unternehmen Christliches Krankenhaus A-Stadt Servicegesellschaft mbH in A-Stadt oder in einer anderen Einrichtung, die dem Geltungsbereich des § 20 a Abs. 1 IfSG unterfalle, als Pflegehilfe tätig zu sein. Die Regelung wurde bis zum 31. Dezember 2022 befristet, und es wurde darauf hingewiesen, dass die ausgesprochene Anordnung kraft Gesetzes sofort vollziehbar sei. Ferner wurde ein Widerrufsvorbehalt für den Fall einer späteren Vorlage eines Immunitätsnachweises verfügt.

Zur Begründung der Ermessensentscheidung wurde wie folgt ausgeführt:

"In Ihrem Fall ist diese Abwägung zugunsten eines Tätigkeitsverbotes ausgefallen. Dem liegen folgende Ermessungserwägungen zugrunde:

Die Anordnung eines Tätigkeitsverbotes ist zunächst geeignet, den Schutz vulnerabler Personen zu gewährleisten. Aufgrund der Tatsache, dass Sie keinen Immunitätsnachwies nachweisen können, stellen Sie - in Bezug auf die Infektiosität - eine potenzielle Gefahr für die besonders schützenswerte Personengruppe dar.

Die Aussprache des Tätigkeitsverbotes ist auch erforderlich. Ein milderes Mittel in Form eines Betretungsverbotes ist nicht gleich wirksam in Bezug auf die Verwirklichung des o. g. Schutzzieles. Bei der Aussprache lediglich eines Betretungsverbotes für bestimmte Räumlichkeiten kann nicht ausgeschlossen werden, dass Sie sich örtlich anderweitig weiterhin als Pflegehilfe betätigen.

Schließlich ist die Anordnung des Tätigkeitsverbotes auch angemessen. Dabei ist berücksichtigt worden, dass die hier ausgesprochene Untersagung einen massiven Eingriff in die durch Art. 12 Abs. 1 Grundgesetz garantierte Berufsfreiheit darstellt. Bei Eingriffen in die Berufsfreiheit sind zur Rechtfertigung prinzipiell vernünftige Erwägungen des Gemeinwohls als Rechtfertigung ausreichend, soweit im Übrigen der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt wird (Dürig/Herzog/Scholz: GG Kommentar, Art. 12 GG Rn. 242). Demgegenüber war auf der anderen Seite die staatliche Verpflichtung zur Aufrechterhaltung und Gewährleistung des öffentlichen Gesundheitsschutzes und das Recht auf körperliche Unversehrtheit dritter - vulnerabler - Personen zu berücksichtigen. Das Tätigkeitsverbot dient dem Schutz von Leib und Leben der von Ihnen betreuten vulnerablen Personen nach Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG. In der Einrichtung/dem Unternehmen, in dem Sie tätig sind, hält sich typischerweise eine Vielzahl von besonders vulnerablen Personen auf. Diese sind regelmäßig aufgrund ihrer gesundheitlichen Verfassung im Hinblick auf eine Infektion mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 besonders gefährdet und tragen unter Umständen ein erhöhtes Risiko für schwere Verläufe. Diese Personen können die Anzahl und die Qualität ihrer Kontakte nur schwer beeinflussen. Durch eine gemeinsame räumliche Unterbringung, die Teilnahme an gemeinsamen Aktivitäten und/oder häufig länger andauerndem nahem physischen Kontakt bei Betreuungstätigkeiten durch wechselndes Personal ist das Risiko einer Infektion zusätzlich erhöht.

In Abwägung dieser schützenswerten Positionen fällt diese zulasten Ihrer Berufsfreiheit aus. Der Zweck, vulnerable Personen vor einer schwerwiegenden oder sogar tödlich verlaufenden Covid-19-Erkrankung zu schützen, ist ein besonders gewichtiger und hier überwiegender Belang. Sie stehen aufgrund der Natur Ihrer beruflichen Tätigkeit regelmäßig in intensivem und engem Kontakt zu vulnerablen Personen, wodurch das durch die fehlende Impfung oder Genesung erhöhte Transmissionsrisiko akut wird und die Schutzbedürftigkeit vulnerabler Personen ungleich steigt. Diese Gefährdungslage kann daher nicht hingenommen werden, ein Tätigkeitsverbot ist daher auszusprechen."

Der Bescheid war mit einer Rechtsbehelfsbelehrung über eine Klage zum Verwaltungsgericht Osnabrück versehen.

Gegen diese Verfügung hat die Klägerin am 6. Dezember 2022 Klage erhoben.

Die Klage sei nach dem Außerkrafttreten des § 20a IfSG als Fortsetzungsfeststellungsklage zulässig, da sie die Absicht habe, aufgrund der seitens ihres Arbeitgebers geltend gemachten Rückforderungsansprüche bezüglich ihres Gehalts für die Monate November und Dezember 2022 Amtshaftungsansprüche gegenüber dem Beklagten geltend zu machen.

Die Klage sei auch begründet. Der Bescheid sei bereits formell rechtswidrig, da sie, die Klägerin, vor dessen Erlass nicht ordnungsgemäß angehört worden sei. Auch in materieller Hinsicht sei der Bescheid rechtswidrig, da dessen Ermächtigungsgrundlage, § 20a IfSG, verfassungswidrig sei. Die Vorschrift verletze sie, die Klägerin, in ihren Rechten aus Art. 2 Satz 1,12 und 3 des Grundgesetzes. Der Eingriff in diese Grundrechte sei mit Blick auf die aktuelle Entwicklung der Impfwirksamkeit auch nicht mehr gerechtfertigt. Der Gesetzgeber habe seine Entscheidung für die Einführung einer einrichtungs- und unternehmensbezogenen Nachweispflicht nicht an medizinischen Fakten ausgerichtet, sondern sich zu diesen in Widerspruch gesetzt. Sicherheit und Wirksamkeit der verfügbaren Impfstoffe seien nicht ausreichend nachgewiesen. Auch bei der Frage, wie lange nach einer Infektion ein relevanter Immunitätsschutz bestehe, sei die wissenschaftliche Erkenntnislage ausgeblendet worden. Vielfach bestehe bei Personen, deren Infektion sogar länger als sechs Monate zurückliege, eine ausreichende Immunität durch natürliche Antikörper- bzw. T-Zellen. Dies stehe in offensichtlichem Widerspruch zu dem auf höchstens 90 Tage begrenzten Genesenenschutz. Daher müsse es Genesenen zumindest als milderes Mittel gestattet sein, auf eigene Kosten Antikörper- und T-Zellenimmunitätsnachweise vorlegen zu können.

Auch die Tatsache, dass sie, die Klägerin, ausweislich des der Klageschrift beigefügten Nachweises Ende Juli 2022 an Corona erkrankt sei, sei von dem Beklagten bei der Verhängung des Betretungs- und Tätigkeitsverbots völlig außer Acht gelassen worden. So sei ihr gerade nicht gestattet worden, als milderes Mittel auf eigene Kosten Antikörper- und T-Zellenimmunitätsnachweise vorzulegen. Die zum Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 27. April 2022 (1 BvR 2649/21) zur Verfügung stehende Tatsachengrundlage sei inzwischen überholt. Das Bundesverfassungsgericht habe in seiner Entscheidung insbesondere betont, dass eine rechtmäßige Vorschrift in die Rechtswidrigkeit hineinwachsen könne, wenn sich die Sach- und Rechtslage ändere, wenn die ursprünglichen Annahmen des Gesetzgebers nicht mehr trügen. Dies sei mittlerweile ganz offensichtlich der Fall. Das Bundesverfassungsgericht habe seinerzeit eine Schutzwirkung der Impfung im Bereich von 40 % bis 70 % als "relevant erachtet" und seine Entscheidung darauf gestützt. Bereits im Monatsbericht vom 7. Juli 2022 habe das E. die Schutzwirkung der Impfung gegen das Virus SARS-CoV 2 als "gering" bezeichnet. Im Bericht vom 3. Juni 2022 sei von einer Transmissionsreduktion nach zweifacher Impfung im Bereich von 6 bis 21 % die Rede, was keinen "verlässlichen" Schutz darstelle, sondern eine sogar sehr geringe Restwirksamkeit bedeute. Die vom E. angeführten internationalen Studien wiesen sogar im Verlauf von mehreren Monaten nach einer Impfung negative Impfeffektivitäten gegenüber Infektionen auf, was erstens ein bedeutsames Sicherheitssignal in Bezug auf bekannte Langfristfolgen der Impfung darstelle und zweitens die Eignung der gesamten Regelung in § 20a IfSG zur Verhütung von Infektionen wissenschaftlich infrage stelle. Eine höhere Infektionsgefahr durch Ungeimpfte sei gerade nicht gegeben, weshalb ein Verstoß gegen das Gleichbehandlungsgebot vorliege. Die Impfeffektivität in Bezug auf die Omikron-Variante sei verschwindend gering. Durch eine Impfung könne der Sinn und Zweck der einrichtungsbezogenen Impfpflicht, nämlich der Schutz von Personen vor Ansteckung, nicht erreicht werden.

Sie, die Klägerin, sei bis auf die Zeit ihrer eigenen Infektion mit dem Coronavirus durchgängig bis zum Ausspruch des Betretungs- und Tätigkeitsverbotes bei dem Christlichen Krankenhaus beschäftigt bzw. eingesetzt worden, obwohl man Kenntnis darüber gehabt habe, dass sie nicht geimpft gewesen sei. Mit Blick darauf und mit Blick auf die Tatsache, dass die Regelung zum Impfnachweis Ende Dezember 2022 ausgelaufen sei, sei es unverhältnismäßig gewesen, weniger als zwei Monate vor dem Auslaufen der Regelung überhaupt noch ein Betretungs- und Tätigkeitsverbot auszusprechen und in ihre, der Klägerin, Grundrechte einzugreifen. In diesem Zusammenhang sei nicht ersichtlich, dass der Beklagte sein Ermessen fehlerfrei ausgeübt habe. Er habe es über einen langen Zeitraum hinweg hingenommen, dass sie, die Klägerin, trotz fehlender Impfung ihrer Tätigkeit im Krankenhaus nachgegangen sei. Vor diesem Hintergrund stelle sich der weniger als zwei Monate vor Auslaufen der Regelung erfolgte erhebliche Grundrechtseingriff, der mit dem Betretungs- und Tätigkeitsverbot verbunden sei, weder als erforderlich noch als verhältnismäßig im engeren Sinne dar. Man könne sie, die Klägerin, auch nicht darauf verweisen, dass sie ja schließlich nur für einen kurzen Zeitraum von dem Betretungs- und Tätigkeitsverbot betroffen gewesen sei. Auch den Aspekt der Versorgungssicherheit habe der Beklagte bei der Anordnung des Betretungs- und Tätigkeitsverbotes nicht hinreichend in den Blick genommen. Gerade im pflegerischen Bereich gehe auch der Ausfall von nur einigen wenigen Beschäftigten mit der Gefahr eines Versorgungsengpasses einher, zumal auch für geimpfte bzw. genesene Beschäftigte stets das Risiko eines Ausfalls durch Quarantäneverpflichtung oder eigene Erkrankungen bestehe.

Die Klägerin hat ursprünglich die Aufhebung des Bescheides vom 7. November 2022 beantragt. Nach dem Außerkrafttreten des § 20a IfSG a.F. hat sie die Klage umgestellt.

Die Klägerin beantragt nunmehr,

festzustellen, dass der Bescheid vom 7. November 2022 zum Aktenzeichen J. rechtswidrig gewesen ist.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er hält die Klage für zulässig, aber unbegründet. Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 20a IfSG seien erfüllt gewesen. Er, der Beklagte, sei als Verwaltungsbehörde auch zur Anwendung dieser Vorschrift verpflichtet - unabhängig davon, ob er sie für verfassungswidrig halte. Der Regelfall des § 20a IfSG sei das Tätigkeitsverbot. Der Einsatz von Personal, das nicht gegen das Coronavirus geimpft sei, komme nur in Ausnahmefällen in Betracht. In erster Linie sei dabei an einrichtungsbezogene Einzelfälle, die zum Beispiel in personellen Engpässen begründet sein könnten, zu denken. In diesem Fall habe die Arbeitgeberin der Klägerin ihm, dem Beklagten, mitgeteilt, dass es durch die Abwesenheit der Klägerin zu keiner Versorgungsgefährdung kommen werde. Die Einschätzung der Einrichtungsleitung könne er, der Beklagte, nur dann in Zweifel ziehen, sofern diese nicht plausibel erscheine, was jedoch nicht der Fall gewesen sei. Die Einrichtungsleitung habe überdies jederzeit die Möglichkeit, bei wider Erwarten auftretenden personellen Engpässen Kontakt zu ihm, dem Beklagten, aufzunehmen und auf die zumindest zeitweilige Aufhebung eines Betretungs- und Tätigkeitsverbotes hinzuwirken. Die Vorlage von Antikörper- und T-Zellenimmunitätsnachweisen stelle hingegen keine Ausnahme und auch kein milderes Mittel im Verhältnis zu einem derartigen Verbot dar. Solche Verfahren stellten aus wissenschaftlicher Sicht kein Äquivalent zur Impfung dar. Abgesehen davon stelle sich eine solche Frage in diesem Fall nicht, da die Klägerin auch einen derartigen Nachweis nicht vorgelegt habe. Auch den Genesenennachweis habe die Klägerin ihm, dem Beklagten, nie vorgelegt. Dessen Vorlage hätte jedoch auch nichts an dem Betretungs- und Tätigkeitsverbot geändert, da der Nachweis im Zeitpunkt der Aussprache dieses Verbots keine Rechtswirkung mehr entfaltet habe. Die Klägerin sei auch in ausreichendem Maße angehört worden. Von ihrem Recht, eine Stellungnahme abzugeben, habe sie keinen Gebrauch gemacht. Hilfsweise werde die Anhörung im Rahmen des Gerichtsverfahrens nachgeholt, womit ein eventueller, jedoch ausdrücklich bestrittener, Formfehler geheilt werde. Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung spiele es auch keine Rolle, wann das Betretungs- und Tätigkeitsverbot ausgesprochen worden sei. Die Ermessensausübung beziehe sich allein auf die Frage, ob die Versorgungssicherheit gefährdet gewesen sei. Zudem habe das zuständige Gesundheitsamt während der Coronazeit bekanntermaßen ein extremes Arbeitsaufkommen zu bewältigen gehabt und deshalb seien Verzögerungen in der Sachbearbeitung einzelner Fälle nicht auszuschließen gewesen. Daraus könne die Klägerin jedoch nichts für sich herleiten. Die im Bescheid angestellten Ermessenserwägungen habe das erkennende Gericht bereits in einem Parallelverfahren zum Aktenzeichen 3 A 182/22 als ausreichend angesehen.

In der mündlichen Verhandlung hat die Kammer zu den Fragen,

1. ob und welche Erkenntnisse zu welchem Zeitpunkt des Jahres 2022 zu der Möglichkeit einer Übertragung des neuartigen Virus SARS-CoV-2 (sogenanntes Coronavirus) trotz einer Impfung gegen dieses Virus vorlagen,

2. wie die sich ggf. aus der Frage zu 1. ergebenden Erkenntnisse mit der Aufsichtsbehörde und/oder dem Gesetzgeber kommuniziert wurden und

3. wie einzelne Textpassagen der sogenannten "RKI-Protokolle" (abrufbar unter https://rki-transparenzbericht.de/) zu verstehen sind,

Beweis erhoben durch die Einvernahme des seinerzeitigen Leiters des Corona-Krisenstabes und heutigen Präsidenten des E.s, , als Zeuge. Dieser wurde dabei von Rechtsanwalt K. als Zeugenbeistand begleitet. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Niederschrift verwiesen.

II.

Das Verfahren ist gemäß Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG auszusetzen, um dem Bundesverfassungsgericht die Frage vorzulegen, ob § 20a des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) in der Fassung vom 18. März 2022 (BGBl. I, S. 466) mit Art. 2 Abs. 2 Satz 1 und Art. 12 Abs. 1 GG im Zeitraum vom 07.11.2022 bis zum 31.12.2022 vereinbar gewesen ist. Die Kammer ist davon überzeugt, dass die genannte Vorschrift im Jahr 2022 in die Verfassungswidrigkeit hineingewachsen ist, ohne dass der Gesetzgeber hierauf reagiert hat.

A. Zum rechtlichen Rahmen

§ 20a IfSG in der Fassung vom 18. März 2022 hatte folgenden Wortlaut:

(1) Folgende Personen müssen ab dem 15. März 2022 über einen Impf- oder Genesenennachweis nach § 22a Absatz 1 oder Absatz 2 verfügen:

1. Personen, die in folgenden Einrichtungen oder Unternehmen tätig sind:

a) Krankenhäuser,

b) Einrichtungen für ambulantes Operieren,

c) Vorsorge- oder Rehabilitationseinrichtungen,

d) Dialyseeinrichtungen,

e) Tageskliniken,

f) Entbindungseinrichtungen,

g) Behandlungs- oder Versorgungseinrichtungen, die mit einer der in den Buchstaben a bis f genannten Einrichtungen vergleichbar sind,

h) Arztpraxen, Zahnarztpraxen,

i) Praxen sonstiger humanmedizinischer Heilberufe,

j) Einrichtungen des öffentlichen Gesundheitsdienstes, in denen medizinische Untersuchungen, Präventionsmaßnahmen oder ambulante Behandlungen durchgeführt werden,

k) Rettungsdienste,

l) sozialpädiatrische Zentren nach § 119 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch,

m) medizinische Behandlungszentren für Erwachsene mit geistiger Behinderung oder schweren Mehrfachbehinderungen nach § 119c des Fünften Buches Sozialgesetzbuch,

n) Einrichtungen der beruflichen Rehabilitation nach § 51 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch und Dienste der beruflichen Rehabilitation,

o) Begutachtungs- und Prüfdienste, die auf Grund der Vorschriften des Fünften Buches Sozialgesetzbuch oder des Elften Buches Sozialgesetzbuch tätig werden,

2. Personen, die in voll- oder teilstationären Einrichtungen zur Betreuung und Unterbringung älterer, behinderter oder pflegebedürftiger Menschen oder in vergleichbaren Einrichtungen tätig sind,

3. Personen, die in ambulanten Pflegediensten und weiteren Unternehmen, die den in Nummer 2 genannten Einrichtungen vergleichbare Dienstleistungen im ambulanten Bereich anbieten, tätig sind; zu diesen Unternehmen gehören insbesondere:

a) ambulante Pflegeeinrichtungen gemäß § 72 des Elften Buches Sozialgesetzbuch sowie Einzelpersonen gemäß § 77 des Elften Buches Sozialgesetzbuch,

b) ambulante Pflegedienste, die ambulante Intensivpflege in Einrichtungen, Wohngruppen oder sonstigen gemeinschaftlichen Wohnformen erbringen,

c) Unternehmen, die Assistenzleistungen nach § 78 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch erbringen,

d) Unternehmen, die Leistungen der interdisziplinären Früherkennung und Frühförderung nach § 42 Absatz 2 Nummer 2 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch und § 46 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch in Verbindung mit der Frühförderungsverordnung oder heilpädagogische Leistungen nach § 79 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch erbringen,

e) Beförderungsdienste, die für Einrichtungen nach Nummer 2 dort behandelte, betreute, gepflegte oder untergebrachte Personen befördern oder die Leistungen nach § 83 Absatz 1 Nummer 1 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch erbringen, und

f) Leistungsberechtigte, die im Rahmen eines Persönlichen Budgets nach § 29 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch Personen für die Erbringung entsprechender Dienstleistungen beschäftigen.

Satz 1 gilt nicht für Personen, die auf Grund einer medizinischen Kontraindikation nicht gegen das Coronavirus SARS-CoV-2 geimpft werden können.

(2) Personen, die in den in Absatz 1 Satz 1 genannten Einrichtungen oder Unternehmen tätig sind, haben der Leitung der jeweiligen Einrichtung oder des jeweiligen Unternehmens bis zum Ablauf des 15. März 2022 folgenden Nachweis vorzulegen:

1. einen Impfnachweis nach § 22a Absatz 1,

2. einen Genesenennachweis nach § 22a Absatz 2,

3. ein ärztliches Zeugnis darüber, dass sie sich im ersten Schwangerschaftsdrittel befinden, oder

4. ein ärztliches Zeugnis darüber, dass sie auf Grund einer medizinischen Kontraindikation nicht gegen das Coronavirus SARS-CoV-2 geimpft werden können.

Wenn der Nachweis nach Satz 1 nicht bis zum Ablauf des 15. März 2022 vorgelegt wird oder wenn Zweifel an der Echtheit oder inhaltlichen Richtigkeit des vorgelegten Nachweises bestehen, hat die Leitung der jeweiligen Einrichtung oder des jeweiligen Unternehmens unverzüglich das Gesundheitsamt, in dessen Bezirk sich die jeweilige Einrichtung oder das jeweilige Unternehmen befindet, darüber zu benachrichtigen und dem Gesundheitsamt personenbezogene Daten zu übermitteln. Die oberste Landesgesundheitsbehörde oder die von ihr bestimmte Stelle kann bestimmen, dass

1. der Nachweis nach Satz 1 nicht der Leitung der jeweiligen Einrichtung oder des jeweiligen Unternehmens, sondern dem Gesundheitsamt oder einer anderen staatlichen Stelle gegenüber zu erbringen ist,

2. die Benachrichtigung nach Satz 2 nicht durch die Leitung der jeweiligen Einrichtung oder des jeweiligen Unternehmens, sondern durch die nach Nummer 1 bestimmte Stelle zu erfolgen hat,

3. die Benachrichtigung nach Satz 2 nicht gegenüber dem Gesundheitsamt, in dessen Bezirk sich die jeweilige Einrichtung oder das jeweilige Unternehmen befindet, sondern gegenüber einer anderen staatlichen Stelle zu erfolgen hat.

(3) Personen, die in den in Absatz 1 Satz 1 genannten Einrichtungen oder Unternehmen ab dem 16. März 2022 tätig werden sollen, haben der Leitung der jeweiligen Einrichtung oder des jeweiligen Unternehmens vor Beginn ihrer Tätigkeit einen Nachweis nach Absatz 2 Satz 1 vorzulegen. Wenn Zweifel an der Echtheit oder inhaltlichen Richtigkeit des vorgelegten Nachweises bestehen, hat die Leitung der jeweiligen Einrichtung oder des jeweiligen Unternehmens unverzüglich das Gesundheitsamt, in dessen Bezirk sich die jeweilige Einrichtung oder das jeweilige Unternehmen befindet, darüber zu benachrichtigen und dem Gesundheitsamt personenbezogene Daten zu übermitteln. Absatz 2 Satz 3 gilt entsprechend. Eine Person nach Satz 1, die keinen Nachweis nach Absatz 2 Satz 1 vorlegt, darf nicht in den in Absatz 1 Satz 1 genannten Einrichtungen oder Unternehmen beschäftigt werden. Eine Person nach Satz 1, die über keinen Nachweis nach Absatz 2 Satz 1 verfügt oder diesen nicht vorlegt, darf nicht in den in Absatz 1 Satz 1 genannten Einrichtungen oder Unternehmen tätig werden. Die oberste Landesgesundheitsbehörde oder die von ihr bestimmte Stelle kann allgemeine Ausnahmen von den Sätzen 4 und 5 zulassen, wenn das Paul-Ehrlich-Institut auf seiner Internetseite einen Lieferengpass zu allen Impfstoffen mit einer Komponente gegen das Coronavirus SARS-CoV-2, die für das Inverkehrbringen in Deutschland zugelassen oder genehmigt sind, bekannt gemacht hat; parallel importierte und parallel vertriebene Impfstoffe mit einer Komponente gegen das Coronavirus SARS-CoV-2 bleiben unberücksichtigt.

(4) Soweit ein Nachweis nach Absatz 2 Satz 1 ab dem 16. März 2022 seine Gültigkeit auf Grund Zeitablaufs verliert, haben Personen, die in den in Absatz 1 Satz 1 genannten Einrichtungen oder Unternehmen tätig sind, der Leitung der jeweiligen Einrichtung oder des jeweiligen Unternehmens einen neuen Nachweis nach Absatz 2 Satz 1 innerhalb eines Monats nach Ablauf der Gültigkeit des bisherigen Nachweises vorzulegen. Wenn der neue Nachweis nach Satz 1 nicht innerhalb dieses Monats vorgelegt wird oder wenn Zweifel an der Echtheit oder inhaltlichen Richtigkeit des vorgelegten Nachweises bestehen, hat die Leitung der jeweiligen Einrichtung oder des jeweiligen Unternehmens unverzüglich das Gesundheitsamt, in dessen Bezirk sich die jeweilige Einrichtung oder das jeweilige Unternehmen befindet, darüber zu benachrichtigen und dem Gesundheitsamt personenbezogene Daten zu übermitteln. Absatz 2 Satz 3 gilt entsprechend.

(5) Die in Absatz 1 Satz 1 genannten Personen haben dem Gesundheitsamt, in dessen Bezirk sich die jeweilige Einrichtung oder das jeweilige Unternehmen befindet, auf Anforderung einen Nachweis nach Absatz 2 Satz 1 vorzulegen. Bestehen Zweifel an der Echtheit oder inhaltlichen Richtigkeit des vorgelegten Nachweises, so kann das Gesundheitsamt eine ärztliche Untersuchung dazu anordnen, ob die betroffene Person auf Grund einer medizinischen Kontraindikation nicht gegen das Coronavirus SARS-CoV-2 geimpft werden kann. Das Gesundheitsamt kann einer Person, die trotz der Anforderung nach Satz 1 keinen Nachweis innerhalb einer angemessenen Frist vorlegt oder der Anordnung einer ärztlichen Untersuchung nach Satz 2 nicht Folge leistet, untersagen, dass sie die dem Betrieb einer in Absatz 1 Satz 1 genannten Einrichtung oder eines in Absatz 1 Satz 1 genannten Unternehmens dienenden Räume betritt oder in einer solchen Einrichtung oder einem solchen Unternehmen tätig wird. Widerspruch und Anfechtungsklage gegen eine vom Gesundheitsamt nach Satz 2 erlassene Anordnung oder ein von ihm nach Satz 3 erteiltes Verbot haben keine aufschiebende Wirkung.

(6) Die Absätze 1 bis 5 gelten nicht für die in den Einrichtungen oder von den Unternehmen behandelten, betreuten, gepflegten oder untergebrachten Personen.

(7) Die in Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 genannten voll- und teilstationären Einrichtungen, die zugelassene Pflegeeinrichtungen im Sinne von § 72 des Elften Buches Sozialgesetzbuch sind, sind verpflichtet, dem E. monatlich Angaben zum Anteil der Personen, die gegen das Coronavirus SARS-CoV-2 geimpft sind, jeweils bezogen auf die Personen, die in der Einrichtung beschäftigt sind oder behandelt, betreut oder gepflegt werden oder untergebracht sind, in anonymisierter Form zu übermitteln. Soweit es zur Erfüllung der Pflichten aus Satz 1 erforderlich ist, darf die Leitung der in Satz 1 genannten Einrichtungen zu diesem Zweck personenbezogene Daten einschließlich Daten zum Impfstatus in Bezug auf die Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19) verarbeiten. Die Daten nach Satz 2 dürfen auch zur Beurteilung der Gefährdungslage in der Einrichtung im Hinblick auf die Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19) verarbeitet werden, solange und soweit dies erforderlich ist. § 22 Absatz 2 des Bundesdatenschutzgesetzes gilt entsprechend. Bestehen zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieser Regelung bereits landesrechtliche Meldeverfahren, die auf bisherigem Bundesrecht beruhen und die zu den durch das E. nach Satz 1 zu erhebenden Daten anschlussfähig sind, bleiben die landesrechtlichen Meldeverfahren von der Änderung unberührt, wenn die Länder nach Kreisen und kreisfreien Städten aufgeschlüsselte Daten direkt an das E. übermitteln; insoweit entfällt die Meldepflicht nach Satz 1. Das E. führt die ihm übermittelten Daten zusammen und übermittelt sie monatlich in anonymisierter Form dem Bundesministerium für Gesundheit sowie den Ländern bezogen auf Länder- und Kreisebene. Die nach den Sätzen 2 und 3 erhobenen Daten sind spätestens am Ende des sechsten Monats nach ihrer Erhebung zu löschen; die Bestimmungen des allgemeinen Datenschutzrechts bleiben unberührt.

(8) Durch die Absätze 1 bis 5 wird das Grundrecht der körperlichen Unversehrtheit (Artikel 2 Absatz 2 Satz 1 des Grundgesetzes) eingeschränkt.

§ 22a IfSG, auf den § 20a in seinen Absätzen 1 und 2 verweist, hat in seiner hier maßgeblichen Fassung vom 19. März 2022 (BGBl. I, S. 466) - soweit hier von Relevanz - folgenden Wortlaut:

(1) Ein Impfnachweis ist ein Nachweis hinsichtlich des Vorliegens eines vollständigen Impfschutzes gegen das Coronavirus SARS-CoV-2 in deutscher, englischer, französischer, italienischer oder spanischer Sprache in verkörperter oder digitaler Form. Ein vollständiger Impfschutz gegen das Coronavirus SARS-CoV-2 liegt vor, wenn

1. die zugrundeliegenden Einzelimpfungen mit einem oder verschiedenen Impfstoffen erfolgt sind, die

a) von der Europäischen Union zugelassen sind oder

b) im Ausland zugelassen sind und die von ihrer Formulierung her identisch mit einem in der Europäischen Union zugelassenen Impfstoff sind,

2. insgesamt drei Einzelimpfungen erfolgt sind und

3. die letzte Einzelimpfung mindestens drei Monate nach der zweiten Einzelimpfung erfolgt ist.

Abweichend von Satz 2 Nummer 2 liegt ein vollständiger Impfschutz bis zum 30. September 2022 auch bei zwei Einzelimpfungen vor und ab dem 1. Oktober 2022 bei zwei Einzelimpfungen nur vor, wenn

1. die betroffene Person einen bei ihr durchgeführten spezifischen positiven Antikörpertest in deutscher, englischer, französischer, italienischer oder spanischer Sprache in verkörperter oder digitaler Form nachweisen kann und dieser Antikörpertest zu einer Zeit erfolgt ist, zu der die betroffene Person noch keine Einzelimpfung gegen das Coronavirus SARS-CoV-2 erhalten hatte,

2. die betroffene Person mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 infiziert gewesen ist, sie diese Infektion mit einem Testnachweis über einen direkten Erregernachweis nachweisen kann und die dem Testnachweis zugrundeliegende Testung

a) auf einer Labordiagnostik mittels Nukleinsäurenachweis (PCR oder weitere Methoden der Nukleinsäureamplifikationstechnik) beruht sowie

b) zu einer Zeit erfolgt ist, zu der die betroffene Person noch nicht die zweite Impfdosis gegen das Coronavirus SARS-CoV-2 erhalten hat, oder

3. die betroffene Person sich nach Erhalt der zweiten Impfdosis mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 infiziert hat, sie diese Infektion mit einem Testnachweis über einen direkten Erregernachweis nachweisen kann und die dem Testnachweis zugrundeliegende Testung

a) auf einer Labordiagnostik mittels Nukleinsäurenachweis (PCR oder weitere Methoden der Nukleinsäureamplifikationstechnik) beruht sowie

b) seit dem Tag der Durchführung der dem Testnachweis zugrundeliegenden Testung 28 Tage vergangen sind.

Abweichend von Satz 3 liegt in den in Satz 3 Nummer 1 bis 3 genannten Fällen ein vollständiger Impfschutz bis zum 30. September 2022 auch bei einer Einzelimpfung vor; an die Stelle der zweiten Einzelimpfung tritt die erste Einzelimpfung.

(2) Ein Genesenennachweis ist ein Nachweis hinsichtlich des Vorliegens eines durch vorherige Infektion erworbenen Immunschutzes gegen das Coronavirus SARS-CoV-2 in deutscher, englischer, französischer, italienischer oder spanischer Sprache in verkörperter oder digitaler Form, wenn

1. die vorherige Infektion durch einen Nukleinsäurenachweis (PCR, PoC-NAAT oder weitere Methoden der Nukleinsäureamplifikationstechnik) nachgewiesen wurde und

2. die Testung zum Nachweis der vorherigen Infektion mindestens 28 Tage und höchstens 90 Tage zurückliegt.

(3) [...]

(4) Die Bundesregierung wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates nach dem aktuellen Stand der Wissenschaft und Forschung von den Absätzen 1 bis 3 abweichende Anforderungen an einen Impf-, einen Genesenen- und einen Testnachweis zu regeln. 2In der Rechtsverordnung darf die Bundesregierung

1. hinsichtlich des Impfnachweises abweichend von Absatz 1 regeln:

a) die Intervallzeiten,

aa) die nach jeder Einzelimpfung für einen vollständigen Impfschutz abgewartet werden müssen und

bb) die höchstens zwischen den Einzelimpfungen liegen dürfen,

b) die Zahl und mögliche Kombination der Einzelimpfungen für einen vollständigen Impfschutz und

c) Impfstoffe, deren Verwendung für einen Impfnachweis im Sinne des Absatzes 1 anerkannt wird,

2. hinsichtlich des Genesenennachweises abweichend von Absatz 2 regeln:

a) Nachweismöglichkeiten, mit denen die vorherige Infektion nachgewiesen werden kann,

b) die Zeit, die nach der Testung zum Nachweis der vorherigen Infektion vergangen sein muss,

c) die Zeit, die die Testung zum Nachweis der vorherigen Infektion höchstens zurückliegen darf,

3. [...]

(5) - (8) [...]

Der Zulässigkeit der Vorlage an das Bundesverfassungsgericht gem. Art. 100 GG steht dabei nicht entgegen, dass das Bundesverfassungsgericht bereits mit Beschluss vom 27. April 2022 (1 BvR 2649/21) eine Verfassungsbeschwerde gegen § 20a IfSG zurückgewiesen hat; auch die Tatsache, dass § 20a IfSG mit Ablauf des 31. Dezember 2022 außer Kraft getreten ist, führt nicht zur Unzulässigkeit der Vorlage (B.). Auf die Gültigkeit von § 20a IfSG (in der Fassung vom 18. März 2022) kommt es für die Entscheidung der Kammer an (C.). Die Kammer ist davon überzeugt, dass § 20a IfSG mit Art. 2 Abs. 2 Satz 1 und Art. 12 Abs. 1 GG unvereinbar gewesen ist. (D.). Eine verfassungskonforme Auslegung von § 20a IfSG ist nicht möglich (E.).

B. Zur Zulässigkeit einer erneuten Vorlage an das Bundesverfassungsgericht trotz dessen Beschlusses vom 27. April 2022 und trotz des Außerkrafttretens der streitgegenständlichen Vorschrift

Der Zulässigkeit der Vorlage an das Bundesverfassungsgericht gem. Art. 100 GG steht die Tatsache, dass das Bundesverfassungsgericht bereits mit Beschluss vom 27. April 2022 (1 BvR 2649/21, juris) eine Verfassungsbeschwerde gegen § 20a IfSG zurückgewiesen hat, nicht entgegen (1.). Auch die Tatsache, dass die Regelung mit Ablauf des 31. Dezember 2022 außer Kraft getreten ist, führt nicht zur Unzulässigkeit des Normenkontrollverfahrens (2.).

1.

Wenn sich das Bundesverfassungsgericht - wie hier - bereits mit der Verfassungsmäßigkeit der fraglichen Norm beschäftigt und eine entsprechende Entscheidung gefällt hat, ist für eine erneute Befassung grundsätzlich kein Raum mehr. Eine erneute Vorlage wäre als unzulässig zu verwerfen. Wenn sich allerdings neue Tatsachen ergeben haben oder neue rechtliche Gesichtspunkte auftreten, ist eine Ausnahme möglich (BVerfGE 94, 315 (323) = NJW 1996, 2717 [BVerfG 13.05.1996 - 2 BvL 33/93]). Diese Änderungen müssen allerdings im entsprechenden Vorlagebeschluss detailliert dargetan werden (BeckOK GG/Morgenthaler, 58. Ed. 15. Juni 2024, GG Art. 100 Rn. 16).

Hier haben sich seit dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 27. April 2022 (1 BvR 2649/21, juris) neue Tatsachen ergeben, die eine erneute Vorlage im Rahmen dieses Normenkontrollverfahrens ausnahmsweise zulässig machen. Dazu im Einzelnen:

a.

In seinem Beschluss hatte das Bundesverfassungsgericht maßgeblich darauf abgestellt, dass die vom Gesetzgeber ermächtigte Bundesregierung den für eine sachgerechte Bewältigung dieser Herausforderungen - die Beurteilung der wesentlichen Fragen im Zusammenhang mit der einrichtungs- und unternehmensbezogenen Nachweispflicht - erforderlichen Sach- und Fachverstand bündele. Auch könne sie durch auf gesetzlicher Grundlage installierte sachverständige Beratung besonders schnell beurteilen, welche Anforderungen im Sinne eines ausreichenden Immunschutzes an einen Impf- oder Genesenennachweis zu stellen seien. Denn mit dem E. und dem L. seien ihr mit spezifisch wissenschaftlicher Fachkompetenz ausgestattete selbstständige Bundesoberbehörden im Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit zugeordnet, die insoweit besonders geeignet seien, hochdynamische Veränderungsprozesse nachzuvollziehen und zu bewerten. Bei dem E. handele es sich um das Bundesinstitut für Infektionskrankheiten und nicht übertragbare Krankheiten. Zu seinen wichtigsten Arbeitsbereichen gehörten die Bekämpfung von Infektionskrankheiten und die Analyse langfristiger gesundheitlicher Trends in der Bevölkerung. Die dort tätigen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler erforschten die vielschichtigen Einfluss auf Gesundheit und Krankheit, erarbeiteten und überprüften evidenzbasierte Empfehlungen und entwickelten neue Methoden für den Gesundheitsschutz (BVerfG, Beschluss vom 27. April 2022, a.a.O., Rn. 137 f.). Der Gesetzgeber habe auf die Belastbarkeit des vom E. und der Ständigen Impfkommission erhobenen und bewerteten Datenmaterials vertrauen dürfen. Beide verfügten hierfür über die notwendigen personellen und sachlichen Ressourcen, seien in ihren Beurteilungen unabhängig und international vernetzt (Beschluss vom 27. April 2022, a.a.O., Rn. 160).

Dies ergibt sich aus Folgendem:

Zur Frage der wissenschaftlichen Unabhängigkeit des E.s liegen mittlerweile neue, eine abweichende Bewertung verlangende Erkenntnisse vor. Am 30. Mai 2024 hat das E. die Protokolle seines COVID-19-Krisenstabs von Januar 2020 bis April 2021 weitestgehend ungeschwärzt auf seiner Internetseite zur Verfügung gestellt (vgl. www.rki.de/covid-19-krisenstabsprotokolle). Zeitgleich hat das E. angekündigt, die Protokolle von Mai 2021 bis Juli 2023, dem Ende der Krisenstabs-Sitzungen, nach entsprechender Prüfung und Drittbeteiligung so schnell wie möglich zu veröffentlichen. Seit dem 23. Juli 2024 wird u.a. der angeblich "komplette Datensatz aller Sitzungsprotokolle des RKI-Krisenstabs von 2020 bis 2023, ungeschwärzt" von externer Stelle zum Download angeboten (vgl. https://rki-transparenzbericht.de/). Auch wenn das E. auf seiner Internetseite angibt, die Datensätze weder geprüft noch verifiziert zu haben, und angekündigt hat, die verbleibenden Protokolle bis zum Ende der Krisenstabs-Sitzungen im Juli 2023 so schnell wie möglich zu veröffentlichen (vgl. E., "Stellungnahme zu von extern veröffentlichten Datensätzen mit RKI-Krisenstabsprotokollen, 2020-2023" vom 23. Juli 2024, https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/C/COVID-19-Pandemie/Stellungnahme-Protokolle-2024-07-23.html, zuletzt abgerufen am 2. August 2024), hat die Kammer keinen Zweifel an der Echtheit der Protokolle, zumal sich auch aus den vom E. bereits veröffentlichten Protokollen im Zeitraum bis April 2021 hinreichende Anhaltspunkte für neue Tatsachen hinsichtlich der Frage der Verfassungsmäßigkeit des § 20a IfSG ergeben.

Darüber hinaus hat auch das E. mittlerweile durch den auf seiner Homepage veröffentlichten Hinweis auf den seiner Ansicht nach durch die Veröffentlichung der ungeschwärzten Protokolle begangenen Verstoß gegen datenschutzrechtliche Vorschriften mittelbar die Echtheit der Protokolle bestätigt (vgl. "Benachrichtigung der von einer Verletzung des Schutzes personenbezogener Daten betroffenen Personen nach Art. 34 Abs. 3 lit. c) Datenschutz-Grundverordnung: Rechtswidrige Veröffentlichung der RKI-Krisenstabsprotokolle sowie weiterer Dokumente (07.08.2024)", abrufbar unter https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/C/COVID-19-Pandemie/Protokolle_DSGVO.html, zuletzt abgerufen am 26. August 2024).

Schließlich hat auch der als Zeuge geladene M. , dem einzelne Passagen aus den veröffentlichten Protokollen vorgehalten wurden, deren Echtheit zu keinem Zeitpunkt in Frage gestellt.

Zum Inhalt der Protokolle im Einzelnen:

Dem Ergebnisprotokoll vom 13. März 2020 der Krisenstabssitzung "Neuartiges Coronavirus COVID-19" (Aktenzeichen 4.06.02/0024 #0014), Seite 7, ist hinsichtlich der Frage der Schulschließungen folgende Notiz zu entnehmen:

"Herr Spahn hat angeordnet, dass eine Passage zu Schulschließungen in die Kriterien für die Risikoeinschätzung von Großveranstaltungen eingefügt wird". In der Folge heißt es dann: "To Do: Einführung der Passage in die Risikoeinschätzung für Großveranstaltungen, FG32."

Das Ergebnisprotokoll der Sitzung vom 5. Mai 2020 enthält auf Seite 9 folgende Ausführungen:

"Indikatoren bereitzustellen wird aus fachlicher Sicht weitgehend abgelehnt, jedoch werden diese nachdrücklich von politischer Seite eingefordert (eine diesbezügliche Weisung ist jedoch nicht erfolgt). Die genannte Inzidenz kommt aus einer Diskussion zwischen BM Braun und BM Spahn. Kommt das RKI der politischen Forderung nicht nach, besteht das Risiko, dass politische Entscheidungsträger selbst Indikatoren entwickeln und/oder das RKI bei ähnlichen Aufträgen nicht mehr einbindet. Gleichzeitig besteht auch die Möglichkeit, gegenüber der Politik die lokalen Bedingungen stärker zu kommunizieren und mehr Transparenz herzustellen, um dadurch oberen Entscheidungsträgern im Bund und in den Bundesländern Sicherheit zu geben, dass sie erfahren, ob die Lage vor Ort unter Kontrolle ist oder nicht. Bei fehlender fachlicher Grundlage für die Entwicklung der gewünschten Indikatoren müsse dies klar kommuniziert werden, um die Glaubwürdigkeit des Instituts nicht zu gefährden. Ziel ist grundsätzlich eine Virussuppression zu erreichen, so dass klassische Infektionsschutzmaßnahmen ausreichen."

Im Ergebnisprotokoll vom 29. Juni 2020 wird auf Seite 10 ausgeführt:

"Die Testung sollte in eine bestimmte Richtung gelenkt werden. Wie kann dem politischen Wunsch nach verstärkter Testung entgegengekommen werden?"

Das Protokoll vom 10. September 2021 enthält auf Seite 6 folgende Passage:

"Am Donnerstag erfolgte vor Veröffentlichung der Aktualisierung des Kontaktnachverfolgungsmanagement-Papiers eine ministerielle Weisung zur Ergänzung. Diese beinhaltete die Berücksichtigung der AG-Tests für die Freitestung auch schon nach 5 Tagen. Es wurde von RKI-Seite die Notwendigkeit der Seriellen Testung im Anschluss an die Freitestung ergänzt, damit das Sicherheitsniveau erreicht wird und so umgesetzt. Der neue Passus sorgte für Irritation auf Seiten der Länder. Eine derartige Einflussnahme seitens des BMG in RKI-Dokumente ist ungewöhnlich. Die Weisungsbefugnis des Ministers bei technischen Dokumenten des RKI wird derzeit von L1 rechtlich geprüft. Aktuelle Einschätzung der RKI-Leitung ist, dass die Empfehlungen durch das RKI in der Rolle einer Bundesbehörde ausgesprochen werden, und einer ministeriellen Weisung zur Ergänzung dieser Empfehlung nachgekommen werden muss, da das BMG die Fachaufsicht über das RKI hat und sich als Institut nicht auf Freiheit der Wissenschaft berufen kann. Die wissenschaftliche Unabhängigkeit des RKI von der Politik ist insofern eingeschränkt."

Dem Protokoll vom 7. Januar 2022 ist auf Seite 9 folgende Passage zu entnehmen:

"BMG möchten vermutlich Ausnahmen für Geboosterte für 3 Monate, Geimpfte müssen irgendwelche Privilegien erhalten, dies muss in Einreiseregelung enthalten sein."

Im Protokoll vom 9. Februar 2022 (S. 6) heißt es:

"Risikobewertung: Der Zeitpunkt der Veröffentlichung ist abhängig von der Zustimmung des BMG, voraussichtlich nicht vor der MPK am 16.02.2022. Eine Herabstufung vorher würde möglicherweise als Deeskalationssignal interpretiert, daher politisch nicht gewünscht. Inhaltliche Überarbeitung und Diskussion werden auf nächste Woche vertagt."

Das Protokoll vom 25. Februar 2022 (S. 8) enthält folgende Ausführungen:

"Reduzierung des Risikos von sehr hoch auf hoch wurde vom BMG abgelehnt. Text der Risikobewertung ist nicht mehr auf aktuellem Stand."

Im Protokoll vom 30. März 2022 (S. 11) findet sich folgende Passage:

"Anpassung des Papiers der RKI-Strategie zur Empfehlung von Quarantäne und Isolation liegt dem BMG seit Donnerstag vor. Wurde mit Modifikationen ans RKI zurückgespielt."

Im Protokoll vom 20. April 2022 (S. 8) heißt es:

"Diskussion der überarbeiteten Version zur Risikobewertung

In Hinblick auf das BMG sollte die Herabstufung aus strategischen Gründen zunächst auf hoch und nicht moderat erfolgen."

Im Protokoll vom 25. April 2022 wird auf Seite 4 ausgeführt:

"Diskussion der Änderungsvorschläge zur Risikobewertung, Warten auf Rückmeldung des BMG

Grundsätzlich ist Minister einverstanden, meldet sich aber noch einmal"

Die soeben wiedergegebenen Passagen aus den Ergebnisprotokollen des E.s belegen zu Überzeugung der Kammer, dass das E. entgegen der Annahme des Bundesverfassungsgerichts in seinem Beschluss vom 27. April 2022 (a.a.O., Rn. 137 f., Rn. 160) zumindest im hier relevanten Zeitraum der sog. Coronapandemie gerade keine unabhängige wissenschaftliche Institution war, sondern regelmäßig in seiner Funktion als der Fachaufsicht des Bundesministeriums für Gesundheit (vgl. § 5 des Gesetzes über Nachfolgeeinrichtungen des Bundesgesundheitsamtes vom 24. Juni 1994 (BGBl. I S. 1416), zuletzt geändert durch Artikel 2 des Gesetzes vom 22. März 2024 (BGBl. 2024 I Nr. 102) unterstellte oberste Bundesbehörde (Art. 87 Abs. 3 GG) auf Weisungen und "Wünsche" des Bundesministeriums für Gesundheit, insbesondere des jeweiligen Ministers, gehandelt hat. Insofern hat auch der seinerzeitige Leiter des Corona Krisenstabes, der als Zeuge vernommene M. , gegenüber der Kammer bekundet, dass sein Selbstverständnis der Wissenschaftsfreiheit des Instituts seinerzeit sich auf die Methodik bezogen habe, mit der Forschung betrieben worden sei, dass man aber selbstverständlich Weisungen entgegengenommen habe. Er hat zudem erklärt, dass aus seiner, jedenfalls damaligen, Sicht die wissenschaftliche Rechtfertigbarkeit von Grundrechtseingriffen nicht mehr Teil der Wissenschaft, sondern als von ihm so bezeichnete "Managementgröße" Teil der Politik sei. Diese aus Sicht der Kammer mit der umfassend dargelegten gesetzlichen Konzeption des E.s nicht vereinbare tatsächliche Kompetenzverlagerung auf die Exekutive war als Tatsache zum Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts im April 2022 noch nicht bekannt. Erst durch die mittlerweile veröffentlichten Protokolle wird deutlich, dass die verfassungsgerichtliche Grundannahme, dass sich die Bundesregierung mit dem E. einer sachlich unabhängigen Institution bedient hat, fehlgeht. Angesichts dieser Entwicklungen ist eine ausnahmsweise erneute Befassung des Bundesverfassungsgerichts mit der Frage der Verfassungsmäßigkeit des § 20a IfSG dringend geboten.

b.

Neue Erkenntnisse liegen anhand der mittlerweile veröffentlichten Ergebnisprotokolle des E.s auch zur Einschätzung der Impfstoffwirkung, insbesondere des durch eine Impfung vermittelten Fremdschutzes, durch das Institut vor.

Ausweislich der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 20/188, S. 28 ff.) war der Schutz vulnerabler Personen vor einer Ansteckung durch ungeimpftes Personal ein tragendes Motiv für die Einführung der einrichtungs - und unternehmensbezogenen Impfpflicht. Hierzu heißt es in der Begründung:

"Zur Prävention stehen gut verträgliche, hochwirksame Impfstoffe zur Verfügung. Impfungen gegen COVID-19 schützen nicht nur die geimpfte Person wirksam vor einer Erkrankung und schweren Krankheitsverläufen (Individualschutz), sondern sie reduzieren gleichzeitig die Weiterverbreitung der Krankheit in der Bevölkerung (Bevölkerungsschutz). Bei geimpften Personen sinkt also sowohl das Risiko einer asymptomatischen Infektion als auch das Übertragungsrisiko in den Fällen, in denen es trotz Impfung zu einer Infektion kommt. Von einem reduzierten Übertragungsrisiko profitieren insbesondere vulnerable Personen, da eine Schutzimpfung gerade bei älteren und immunsupprimierten Personen nicht immer eine Erkrankung verhindert." (S. 28)

"Aus medizinisch-epidemiologischer Sicht ist eine sehr hohe Impfquote in Situationen, in denen Beschäftigte Kontakt zu vulnerablen Personengruppen haben, essenziell. Die Impfung reduziert das Risiko, sich mit SARS-CoV-2 zu infizieren und SARS-CoV-2 an andere Menschen zu übertragen, substantiell. Beschäftigte in den genannten Einrichtungen können durch eine Impfung dazu beitragen, das Risiko einer COVID-19- Erkrankung für sich selbst und die vulnerablen Personen so weit wie möglich zu reduzieren." (S. 30).

"Geimpfte und genesene Personen werden seltener infiziert und werden somit auch seltener zu Überträgern des Coronavirus SARS-CoV-2. Zudem sind sie, wenn sie trotz Impfung infiziert werden sollten, weniger bzw. für einen kürzeren Zeitraum infektiös. Das Risiko, das von Geimpften oder Gelesenen ausgeht, ist somit deutlich geringer als bei Personen, die über keine Immunisierung aufgrund eines vollständigen Impfschutzes oder einer durchgemachten Infektion verfügen." (S. 37).

Diese auf den Empfehlungen des E.s beruhende Einschätzung, deren Eignung und Belastbarkeit das Bundesverfassungsgericht nicht infrage gestellt hat (vgl. Beschluss vom 27. April 2022, Rn. 160, 173 f.), wird durch die folgenden Ausführungen in den nun veröffentlichten Protokollen des Instituts massiv erschüttert. Dazu im Einzelnen:

Im Ergebnisprotokoll der Krisenstabssitzung vom 8. Januar 2021 wird auf Seite 11 ausgeführt:

"Evidenzlage

o Impfstoffwirkung ist noch nicht bekannt

o Dauer des Schutzes ist ebenfalls unbekannt

o Evidenz ist aktuell nicht genügend bezüglich Reinfektion und Ausscheidung (für Genesene und Geimpfte)

o es sind keine Ausbrüche bekannt, die von Reinfizierten ausgehen, diese scheinen nicht den gleichen Beitrag zur Gesamtausbreitung zu haben wie Erstinfizierte

! Wir müssen noch Erfahrungen mit Geimpften sammeln"

Im Protokoll vom 8. Februar 2021 heißt es auf Seite 4:

"Es ist zu erwarten, dass durch die Impfung zwar schwere Verläufe vermieden werden können, nicht jedoch die lokale Vermehrung der Viren."

Das Protokoll vom 5. März 2021 enthält auf Seite 8 die folgende Passage:

"! Diskussion

o Frage: Gilt die bisherige Haltung des RKI, keine Ausnahmen für Geimpfte und Gelesene zu machen weiter?

o (...)

o Das Impfzertifikat soll die Erfassung von Impfwirkung, Spätfolgen etc. ermöglichen, nicht Grundlage für Kategorien und Vorrechte sein

o WHO befürwortet die Zertifikate nicht: Lack of data, keine Fälschungssicherheit, ethische Gründe (Diskriminierung)."

Weitere Ausführungen zur Einschätzung eines wirksamen Übertragungsschutzes und den Nutzen von Impfzertifikaten enthält das Protokoll vom 7. Mai 2021 auf Seite 8. Dort heißt es:

"Impfpass/Zertifikat/Immunitätszertifikat

Auf internationaler Ebene viel Diskussion (HSC) hierüber

Auf europäischer Ebene ist diese in Arbeit

Aufwändige Abstimmung, es geht nicht um Evidenz in Bezug auf Schutz vor Transmission, sondern um Ermöglichen von Urlaubsreisen, Länder erkennen Dinge verschieden an."

Zur Wirksamkeit von "2G-Maßnahmen" heißt es im Protokoll vom 27. August 2021 auf Seite 6:

o "Der eigentliche Effekt von 2G ist nicht ein größerer Fremdschutz, sondern ein größerer Selbstschutz.

o Fremdschutzwirkung von Impfung und Testung vermutlich im ähnlichen Bereich, bei ca. 60-70 %. 2G wird wegen Schutz vor schweren Erkrankungen überlegen sein."

In einem weiteren Protokoll vom 5. November 2021 sind zwei für die Frage der Einschätzung der Impfwirksamkeit durch das E. relevante Passagen enthalten. So heißt es zum einen auf Seite 8:

"In den Medien wird vor einer Pandemie der Ungeimpften gesprochen. Aus fachlicher Sicht nicht korrekt, Gesamtbevölkerung trägt bei. Soll das in Kommunikation aufgegriffen werden?

(...)

o Sagt Minister bei jeder Pressekonferenz, vermutlich bewusst, kann eher nicht korrigiert werden."

Im selben Protokoll heißt es auf Seite 10 f.:

"Bezugnehmend auf grundlegende Aspekte und Besonderheiten der Immunität gegen Infektionen des Respirationstrakt wird auf folgende Punkte hingewiesen:

- Unmittelbar nach der Impfung hat man ein hohes Level an neutralisierenden Antikörpern, diese transsudieren in die Schleimhaut, woraus hohe lokale (= mukosale) Immunität im Nasenrachenraum resultiert. Deswegen besteht in den ersten 2 Wochen - 2 Monaten nach Impfung sehr guter Schutz vor jeglicher (auch asymptomatischer) Infektion. Mit dem Abfall neutralisierender Antikörper sinkt lokale Immunität wieder, so dass im Anschluss an dieses 2-8 Wochen-Zeitfenster der Schutz vor Infektion deutlich geringer ist. Dementsprechend können sich Geimpfte >2 Monate nach Impfung auch wieder leichter infizieren.

- Die Erwartung ist, dass die meisten Geimpften nicht oder nur leicht symptomatisch sind, dass sie aber durchaus hohe Viruskonzentrationen im Nasen-/ Rachenraum aufweisen und kontagiös sind.

Die Ergebnisse der UK Haushaltskontaktstudie (Lancet Infectious Diseases) reflektieren das, was anhand der grundlegenden Erkenntnisse zur Immunität gegen Infektionen des Respirationstrakts zu erwarten ist: Der Schutz vor Infektion nimmt ca. >2 Monate nach Impfung erheblich ab.

Zwar ist die Fallzahl dieser Studie eher klein, die methodische Stärke liegt aber in der engmaschigen (täglichen) Beprobung enger Kontaktpersonen, unabhängig vom Symptomstatus. So wurden auch asymptomatische Infektionen zuverlässig erfasst, die in Beobachtungsdaten sonst unterschätzt werden (da die Beprobung in größeren Zeitabständen bzw. vorwiegend bei symptomatischen Personen erfolgt).

Man sollte dementsprechend sehr vorsichtig mit der Aussage sein, dass Impfungen vor jeglicher (auch asymptomatischer) Infektion schützen. Mit zunehmendem zeitlichen Abstand zur Impfung trifft dies immer weniger zu. Dies gilt umso mehr, weil eine fortlaufende Adaptation des Virus an den Immunselektionsdruck in der Population anzunehmen ist, welche zukünftig ebenfalls die Schutzwirkung der Impfung gegen Infektion herabsetzen könnte."

Weitere Erkenntnisse zur Einschätzung des E.s folgen aus einem Ergebnisprotokoll der "Lage-AG-Sitzung zu COVID-19" vom 12. Oktober 2022. Darin heißt es auf Seite 11:

"Auch das Dokument zum Entlassmanagement wurde infrage gestellt. Es gibt keine Anzeichen, dass Impfungen an Ausscheidungen etwas ändern. Keine Evidenz für Änderungen."

In einem weiteren Protokoll der "Lage-AG-Sitzung zu COVID-19" vom 26. Oktober 2022 heißt es auf Seite 6:

"Aus Altenheim-Ausbrüchen (Exposition für alle gleich) weiß man, dass Wirkung der Impfung eher überschätzt wird. Schwieriges Thema, sollte nicht im Impfbericht formuliert werden."

Diesen Feststellungen und Ausführungen, die die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des E.s im Rahmen ihrer Besprechungen getätigt und dokumentiert haben, lässt sich zur Überzeugung der Kammer eindrucksvoll und zweifelsfrei entnehmen, dass die seitens der Bundesregierung suggerierte und auch vom Bundesverfassungsgericht seiner Entscheidung zugrunde gelegte Annahme, dass die Impfungen in jedem Fall einen wirksamen Fremdschutz darstellten, tatsächlich falsch war. Die Annahme, dass die Impfung zuverlässig vor einer Ansteckung vulnerabler Personen schütze, da das Übertragungsrisiko geimpfter Personen im Falle einer Infektion sinke, ist ausweislich der sich aus den Protokollen ergebenden Erkenntnisse in dieser Absolutheit unzutreffend. Dem E. war offenkundig bereits vor Erlass des § 20a IfSG, aber in jedem Fall auch im Verlauf von dessen Gültigkeitszeitraum bekannt, dass dem nicht so war. Eine Korrektur dieser Einschätzung gegenüber bzw. seitens der Bundesregierung unterblieb jedoch aus welchen Gründen auch immer. Wie nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme bekannt ist, fand nicht einmal ein Monitoring der Effektivität der implementierten Maßnahme bezogen auf die bezweckte Reduzierung der Infektionsfälle vulnerabler Personen in Pflegeeinrichtungen statt. Der Zeuge M. hat dazu ausgesagt, dass lediglich die Impfquote in den Einrichtungen beobachtet worden sei - diese hat jedoch keine Aussagekraft hinsichtlich des Schutzzwecks der Norm, der Reduzierung der Zahl der Infektionen bei vulnerablen Personen. Die Tragfähigkeit der auf die Eignung der Maßnahme bezogenen gesetzgeberischen Einschätzungsprärogative (vgl. BVerfG, Beschluss vom 27. April 2022, a.a.O., Rn. 184) war zur Überzeugung der Kammer im Verlauf des Jahres 2022, spätestens aber im Oktober 2022, nachweislich erschüttert. Eine entsprechende Korrektur ist nicht erfolgt, sodass davon auszugehen ist, dass die Einschätzungsprärogative der Bundesregierung die einrichtungs- und unternehmensbezogene Impfpflicht im Laufe des Jahres 2022 und damit zwingend im hier entscheidungserheblichen Zeitraum nicht mehr getragen hat. Diese neuen Erkenntnisse geben einen hinreichenden Anlass, die Verfassungsmäßigkeit des § 20a IfSG erneut zu überprüfen.

2.

Außer Kraft getretenes Recht kann dem Bundesverfassungsgericht nur dann zum Zwecke der Normenkontrolle vorgelegt werden, wenn es für das Ausgangsverfahren entscheidungserheblich bleibt (BVerfGE 47, 46 (64) = NJW 1978, 807). Die objektive, auf Rechtsklärung und Befriedung ausgerichtete Funktion der Normenkontrolle kann es rechtfertigen, ausnahmsweise auch nach einem erledigenden Ereignis die vorgelegte Frage nach der Gültigkeit einer Norm zu beantworten, wenn ein hinreichend gewichtiges, grundsätzliches Klärungsbedürfnis besteht. Für nicht mehr geltendes Recht besteht allerdings in aller Regel kein über den Einzelfall hinausgreifendes Interesse, seine Verfassungsmäßigkeit auch nach seinem Außerkrafttreten zu klären (Huber/Voßkuhle/Kessal-Wulf, 8. Aufl. 2024, GG Art. 100 Rn. 68).

Gemessen an diesen Grundsätzen ist die konkrete Normenkontrolle in diesem Fall trotz der Tatsache, dass § 20a IfSG mit Ablauf des 31. Dezember 2022 außer Kraft getreten ist, zulässig. Die mit dieser Norm eingeführte einrichtungsbezogene Impfflicht stellt - wie bereits vom Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung vom 27. April 2022 festgestellt - einen direkten Grundrechtseingriff dar. Die Impfpflicht war Gegenstand umfassender und kontrovers geführter gesellschaftlicher Diskussionen, im Rahmen derer die Glaubwürdigkeit und Funktionsfähigkeit des Staates und der handelnden Personen von Menschen aus allen Teilen der Gesellschaft massiv infrage gestellt worden sind. Die zahlreichen, inhaltlich höchst unterschiedlichen Reaktionen in Presse und Sozialen Medien, aber auch innerhalb der Bevölkerung, die die Kammer auf die in diesem Verfahren durchgeführte mündliche Verhandlung und deren Ergebnis erfahren hat, belegen nochmals eindrücklich, dass die einrichtungs- und unternehmensbezogene Impfpflicht ein Thema ist, das die Gesellschaft auch knapp zwei Jahre nach ihrem Außerkrafttreten immer noch tief bewegt und spaltet - wie das staatliche Handeln während der Coronapandemie insgesamt.

Auf Grundlage des § 20a IfSG wurden in vielen Fällen entsprechende Verbote mit den daraus resultierenden Einkommensverlusten ausgesprochen und auch Bußgelder verhängt, auch wenn viele Gesundheitsämter offenkundig - aus welchen Gründen auch immer - von einer Anwendung des § 20a IfSG abgesehen haben. Den knapp 270.000 Verstößen gegen das von März bis Ende Dezember 2022 geltende Gesetz stehen rund 8250 Bußgeldverfahren oder Tätigkeitsverbote gegenüber, davon 6975 Bußgeldverfahren (vgl. Tagesschau, Bericht vom 8. Januar 2023, "Impfpflicht-Verstöße offenbar kaum geahndet", abrufbar unter https://www.tagesschau.de/inland/einrichtungsbezoegene-impfflicht-101.html, zuletzt abgerufen am 2. August 2024).

Aufgrund der kontrovers geführten Diskussion um die einrichtungsbezogene Impfpflicht und der insgesamt in der Bevölkerung bestehenden Unsicherheit bezüglich der Rechtmäßigkeit der Coronamaßnahmen ist eine Überprüfung der Verfassungsmäßigkeit des § 20a IfSG auch nach dessen Außerkrafttreten erforderlich, um gerade mit Blick auf die mittlerweile veröffentlichten Protokolle des E.s und die daraus resultierenden neuen Erkenntnisse über die wissenschaftlich nicht unabhängige Rolle dieses Instituts im Rahmen der Verhängung von Coronamaßnahmen und dessen tatsächliche Einschätzung der Wirksamkeit der Impfung (vgl. dazu die bereits erfolgen Ausführungen unter II.B.1.) eine grundsätzliche Klärung der Verfassungsmäßigkeit der im Jahr 2022 eingeführten einrichtungsbezogenen Impfpflicht herbeizuführen.

C. Zur Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefrage

§ 20a IfSG ist für die Entscheidung über die Klage entscheidungserheblich im Sinne von Art. 100 Abs. 1 GG, § 80 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG.

Der Beklagte hat der Klägerin gegenüber für den Zeitraum vom 7. November 2022 bis zum 31. Dezember 2022 ein Betretens- und Tätigkeitsverbot auf Grundlage des § 20a Abs. 5 Satz 3 IfSG ausgesprochen. Wie sich aus den folgenden Ausführungen ergibt, wäre die Klage bei Anwendbarkeit des § 20a IfSG zulässig, aber unbegründet (1.). Wäre § 20a IfSG nichtig, hätte die Klage Erfolg (2.).

1.

Der Klageantrag ist als Fortsetzungsfeststellungsantrag gemäß § 113 Abs. 1 Satz 4 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) statthaft, denn der bis zum 31. Dezember 2022 befristete Bescheid hat sich erledigt in dem Sinne des § 43 Abs. 1 VwVfG in Verbindung mit § 1 NdsVwVfG.

Es liegt auch ein besonderes Feststellungsinteresse im Sinne des § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO vor. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts kann auch bei einem tiefgreifenden Grundrechtseingriff zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz (GG) ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse anzunehmen sein. Dies setzt allerdings voraus, dass die begehrte Feststellung die Position des Klägers verbessern kann oder dass Eingriffe dieser Art sich typischer Weise so kurzfristig endgültig erledigen, dass sie sonst nicht gerichtlich in einem Hauptsacheverfahren überprüft werden könnten (BVerwG, Urteil vom 16. Mai 2013 - 8 C 14.12 -, juris Rn. 32; BVerfG, Beschluss vom 3. März 2004 - 1 BvR 461/03 -, juris, m. w. N.).

Gemessen daran ist der mit dem angegriffenen Bescheid einhergehende Grundrechtseingriff geeignet, ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse zu begründen. Denn die Anordnung eines Betretungs- und Tätigkeitsverbotes stellt einen erheblichen Grundrechtseingriff in die Berufsausübungsfreiheit des Art. 12 Abs. 1 GG dar. Es war nicht möglich, spätestens bis zum Außerkrafttreten der Regelung am 31. Dezember 2022 gerichtlichen Rechtsschutz in einem Hauptsacheverfahren zu erlangen. Überdies hat die Klägerin geltend gemacht, es bestehe ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse zur Vorbereitung eines Amtshaftungs- bzw. Schadensersatzanspruchs. Dies stellt in den Fällen, in denen sich - wie hier - das ursprüngliche Begehren zeitlich nach Klageerhebung erledigt hat, grundsätzlich ein anerkanntes Fortsetzungsfeststellungsinteresse (Präjudizinteresse) dar (vgl. BVerwG, Urteil vom 20. Januar 1989 - BVerwG 8 C 30.87 -, juris Rn. 9). Ein etwaiger Amtshaftungs- oder Schadensersatzprozess erscheint auch nicht als offensichtlich aussichtslos (vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 22. Januar 1998 - BVerwG 2 C 4.97 -, juris Rn. 21), so dass auch unter diesem Gesichtspunkt ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse besteht.

Die Klage wäre jedoch bei Anwendbarkeit des § 20a IfSG unbegründet. Der Bescheid des Beklagten wäre rechtmäßig gewesen und hätte die Klägerin nicht in ihren Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO).

Der verfassungskonforme § 20a Abs. 5 Satz 3 IfSG wurde von dem Beklagten im angefochtenen Bescheid auch im Einzelfall rechtsfehlerfrei angewandt.

(1) Der Bescheid des Beklagten war formell rechtmäßig. Die Klägerin und ihr Arbeitgeber wurden vor Erlass des Verwaltungsaktes ordnungsgemäß angehört im Sinne des § 28 VwVfG in Verbindung mit § 1 NdsVwVfG. Beiden wurde Gelegenheit gegeben, sich zum beabsichtigten Erlass eines Betretungs- und Tätigkeitsverbots zu äußern. Entgegen der Ansicht der Klägerin kennt das Gesetz keine "besonders intensive" Anhörung, etwa abgestuft nach - empfundenen - Eingriffsintensitäten. Ist man - wie hier - den gesetzlichen Vorgaben genügend angehört worden, dann ist man eben angehört worden. Rechtsstaatlichen Vorgaben ist dann hinreichend genügt.

(2) Der Bescheid war auch materiell rechtmäßig. Der Anwendungsbereich des § 20a IfSG war eröffnet. Die Klägerin war in einer Einrichtung im Sinne des § 20a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 IfSG als Pflegehelferin tätig.

Die tatbestandlichen Voraussetzungen für das Betretungs- und Tätigkeitsverbot nach § 20a Abs. 5 Satz 3 IfSG lagen vor. Voraussetzung war danach, dass eine Person trotz der Anforderung nach Satz 1 keinen Nachweis innerhalb einer angemessenen Frist vorlegte oder der Anordnung einer ärztlichen Untersuchung nach Satz 2 nicht Folge leistete. Hinreichende Unterlagen hat die Klägerin nicht vorgelegt. Einen sie im Zeitpunkt des Bescheiderlasses noch begünstigenden Genesenenstatus hatte die Klägerin nicht; der im Klageverfahren vorgelegte Genesenennachweis aus Juli 2022 hatte zum Zeitpunkt des Bescheiderlasses keine Gültigkeit mehr.

Die Anordnung des Beklagten unter Ziffer 1, nach der die Klägerin die Einrichtung bis zum 31. Dezember 2022 nicht mehr betreten und dort nicht tätig werden durfte, war von der Rechtsfolge des § 20a Abs. 5 Satz 3 IfSG gedeckt. Danach konnte das Gesundheitsamt untersagen, dass die Person die dem Betrieb einer Einrichtung oder eines Unternehmens dienenden Räume betritt oder dort tätig wird.

Ermessensfehler sind nicht ersichtlich.

Die umfangreiche Ermessensprüfung des Beklagten wurde oben wörtlich wiedergegeben.

Soweit die Verwaltungsbehörde - wie hier - ermächtigt war, nach ihrem Ermessen zu handeln, prüft das Gericht nach § 114 Satz 1 VwGO, ob der Verwaltungsakt oder die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsaktes rechtswidrig war, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten wurden oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht wurde. Die Verwaltungsbehörde konnte ihre Ermessenserwägungen hinsichtlich des Verwaltungsaktes auch noch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren ergänzen.

Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Erlass einer Anordnung nach § 20a Abs. 5 Satz 3 IfSG bei Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen in der Regel nahe lag und vorbehaltlich besonders gelagerter Einzelfälle für das Gesundheitsamt kein relevanter Spielraum bestand (BVerfG, Beschluss vom 27. April 2022 - 1 BvR 2649/21 -, juris Rn. 85).

Gemessen daran war die hier getroffene Ermessensentscheidung des Beklagten nicht zu beanstanden. Er hatte zunächst das ihm zustehende Ermessen erkannt und ausgeübt ("Unter Ausübung pflichtgemäßen Ermessens (...)").

Die Ermessensentscheidung des Beklagten war auch nicht vor dem Hintergrund der Versorgungssicherheit zu beanstanden. Die Klägerin kann die Versorgungssicherheit nicht anstelle des alleine dazu berufenen Einrichtungsträgers beurteilen.

Testungen oder aber auch Immunitätsnachweise waren kein gleich geeignetes Mittel zum Schutz (vgl. VG Gelsenkirchen, Urteil vom 2. März 2023, - 2 K 2643/22 -, juris).

Angebliche Vollzugsdefizite der gesetzlichen Regelung durch andere Hoheitsträger begründen keine mögliche Rechtsverletzung der Klägerin im Verhältnis zu dem hier Beklagten.

Der Hinweis der Klägerin auf die nur noch kurze verbleibende Zeitspanne zwischen dem Erlass des Betretungs- und Tätigkeitsverbots und dem Auslaufen der Regelung des § 20a IfSG vermag ebenfalls keinen Ermessensfehler zu begründen. In Anbetracht des Schutzzwecks des § 20a IfSG ist auch die Anordnung eines entsprechenden Verbots für einen kurzen Zeitraum verhältnismäßig und damit ermessensgerecht.

2.

Käme man zur Nichtigkeit des § 20a IfSG aufgrund seiner Verfassungswidrigkeit, hätte die Klage gegen den auf dieser Grundlage erlassenen Bescheid Erfolg. § 20a IfSG ist damit entscheidungserheblich.

D. Zum Hineinwachsen in die Verfassungswidrigkeit des § 20a InfSchG im Laufe des Jahres 2022

Die Kammer ist davon überzeugt, dass § 20a IfSG jedenfalls ab Mitte des Jahres 2022 und damit im hier entscheidungserheblichen Zeitraum mit dem Recht auf körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 (I.) und der Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG (II.) unvereinbar gewesen ist, da es der einrichtungs- und unternehmensbezogenen Nachweispflicht einer Impfung an ihrer Eignung zum Erreichen des gesetzgeberischen Zwecks fehlte und die Grundrechtseingriffe damit nicht gerechtfertigt waren.

I.

1.

Es lag - wie bereits vom Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss vom 27. April 2022 (a.a.O., Rn. 110 ff.) festgestellt - ein Eingriff in Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG vor. Das Bundesverfassungsgericht hat dazu ausgeführt:

"a) Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG schützt die körperliche Integrität des Grundrechtsträgers und damit auch das diesbezügliche Selbstbestimmungsrecht (vgl. BVerfGE 128, 282 [BVerfG 23.03.2011 - 2 BvR 882/09] <300>; 129, 269 <280>; 146, 294 <310 Rn. 26>; 158, 131 <152 f. Rn. 56>). Es bleibt vom Grundsatz her dem freien Willen der Grundrechtsträger überlassen, ob und welche medizinischen Maßnahmen sie für sich in Anspruch nehmen wollen. Das Selbstbestimmungsrecht umfasst auch - eigenverantwortlich getroffene - medizinisch unvernünftige Entscheidungen (vgl. BVerfGE 142, 313 [BVerfG 26.07.2016 - 1 BvL 8/15] <339 Rn. 74>).

b) Dieser Gewährleistungsgehalt des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG wird durch die einrichtungs- und unternehmensbezogene Pflicht, insbesondere eine Impfung nachzuweisen, verkürzt, auch wenn § 20a IfSG die Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit von der Impfentscheidung der Betroffenen als notwendigem Zwischenschritt abhängig macht.

Grundrechtsschutz ist nicht auf unmittelbar adressierte Eingriffe beschränkt. Auch staatliche Maßnahmen, die eine mittelbare oder faktische Wirkung entfalten, können in ihrer Zielsetzung und Wirkung einem normativen und direkten Eingriff als funktionales Äquivalent gleichkommen und müssen dann wie ein solcher behandelt werden (vgl. BVerfGE 148, 40 [BVerfG 21.03.2018 - 1 BvF 1/13] <51 Rn. 28>; 153, 182 <265 Rn. 215>; jeweils m.w.N.). Als Abwehrrecht schützt Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG den Einzelnen daher grundsätzlich auch vor staatlichen Maßnahmen, die lediglich mittelbar zu einer Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit (vgl. dazu BVerfGE 66, 39 [BVerfG 16.12.1983 - 2 BvR 1160/83] <60>) und des diesbezüglichen Selbstbestimmungsrechts führen. Dies kann insbesondere dann der Fall sein, wenn ein Gesetz eine nachteilige Folge an die Wahrnehmung einer grundrechtlich geschützten Freiheit knüpft, um dieser Grundrechtswahrnehmung entgegen zu wirken (vgl. BVerfGE 110, 177 [BVerfG 17.03.2004 - 1 BvR 1266/00] <191>; vgl. auch EGMR <GK>, Vavricka and others v. the Czech Republic, Urteil vom 8. April 2021, Nr. 47621/13, § 263 f.).

Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe liegt hier ein zielgerichteter mittelbarer Eingriff in die körperliche Unversehrtheit vor. Zwar setzt die COVID-19-Impfung die vorherige, nach ärztlicher Aufklärung erteilte Einwilligung der Nachweisverpflichteten voraus. Eine Entscheidung gegen die Impfung ist jedoch mit nachteiligen Konsequenzen verbunden (vgl. dazu auch EGMR <GK>, Vavricka and others v. the Czech Republic, Urteil vom 8. April 2021, Nr. 47621/13, § 263). Die an sich selbstbestimmt zu treffende Impfentscheidung, also die Entscheidung über das Einbringen eines Stoffes in den Körper, wird damit von äußeren, faktischen und rechtlichen Zwängen bestimmt. Wer ungeimpft bleiben will, muss bei Fortsetzung der Tätigkeit mit einer bußgeldbewehrten Nachweisanforderung (vgl. § 20a Abs. 5 Satz 1, § 73 Abs. 1a Nr. 7h IfSG) und einem ebenfalls bußgeldbewehrten Betretungs- oder Tätigkeitsverbot in den in § 20a Abs. 1 Satz 1 IfSG genannten Einrichtungen und Unternehmen rechnen (vgl. § 20a Abs. 5 Satz 3, § 73 Abs. 1a Nr. 7f IfSG). Alternativ bleibt nur die Aufgabe des ausgeübten Berufs, ein Wechsel des Arbeitsplatzes oder jedenfalls der bislang ausgeübten Tätigkeit. § 20a IfSG kommt damit in seiner mittelbar faktischen Wirkung einem direkten Eingriff als funktionales Äquivalent gleich; die Konfrontation mit den erwähnten Nachteilen soll auch nach der gesetzgeberischen Zielsetzung zu einer Entscheidung zu Gunsten einer Impfung bewegen. Von daher ist eine Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit nicht nur ein bloßer Reflex der gesetzlichen Regelung (vgl. dazu BVerfGE 106, 275 <299>; 116, 202 <222>), sondern die gewollte Folge des staatlichen Handelns und damit eine zielgerichtete mittelbare Beeinträchtigung des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG.

c) Dieser Eingriff bedarf verfassungsrechtlicher Rechtfertigung. Grundsätzlich können Eingriffe in das hier betroffene Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit gerechtfertigt werden; es steht nach Art. 2 Abs. 2 Satz 3 GG unter einem einfachen Gesetzesvorbehalt. Die verfassungsrechtliche Rechtfertigung setzt voraus, dass die angegriffene Regelung formell und materiell verfassungsgemäß ist (vgl. grundlegend BVerfGE 6, 32 [BVerfG 16.01.1957 - 1 BvR 253/56] <41>).

2. Das angegriffene Gesetz ist formell verfassungsgemäß.

a) Dem Bundesgesetzgeber stand die Gesetzgebungskompetenz zu. Die in § 20a IfSG geregelte und durch § 22a IfSG konkretisierte Nachweispflicht ist nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG als "Maßnahme gegen übertragbare Krankheiten bei Menschen" diesem Kompetenztitel zuzuordnen (vgl. dazu BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 19. November 2021 - 1 BvR 781/21 u.a. -, Rn. 123 ff.).

b) Das Gesetz zur Stärkung der Impfprävention gegen COVID-19 und zur Änderung weiterer Vorschriften im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie vom 10. Dezember 2021, mit dem die einrichtungs- und unternehmensbezogene Nachweispflicht als solche eingeführt wurde, ist mit Zustimmung des Bundesrats wirksam zustande gekommen. Das Gesetz zur Änderung des Infektionsschutzgesetzes und anderer Vorschriften vom 18. März 2022 (BGBl I S. 466), mit dem insbesondere § 20a Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 IfSG geändert und der in Bezug genommene § 22a IfSG eingeführt wurde, bedurfte hingegen nicht der Zustimmung des Bundesrats und ist daher auch ohne dessen Zustimmung wirksam zustande gekommen.

§ 20a Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 und § 22a IfSG selbst enthalten keine möglicherweise zustimmungspflichtigen Inhalte. Entgegen der Ansicht der Beschwerdeführenden regelt § 20a IfSG lediglich allgemeine Rechtspflichten und keine spezifischen Rechte und Pflichten insbesondere von Landes- oder Gemeindebeamten, die deren Statusverhältnis beträfen und deshalb nach Art. 74 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 74 Abs. 1 Nr. 27 GG eine Zustimmungspflicht auslösten. Auch § 20a Abs. 7 IfSG begründet keine Zustimmungsbedürftigkeit. Der Vorschrift lassen sich keine Regelungen zum Verwaltungsverfahren entnehmen (vgl. auch BVerfGE 55, 274 [BVerfG 10.12.1980 - 2 BvF 3/77] <320 f.>; 75, 108 <152>; 105, 313 <331>).

Ungeachtet der Frage, ob ein Gesetz als Ganzes zustimmungsbedürftig ist, wenn es auch nur eine Vorschrift enthält, die die Zustimmungsbedürftigkeit anordnet (sog. Einheitsthese, vgl. BVerfGE 55, 274 [BVerfG 10.12.1980 - 2 BvF 3/77] <319>; 112, 226 <253 f.>; 142, 268 <284>; offenhaltend BVerfGE 105, 313 <339>), ist das Gesetz zur Änderung des Infektionsschutzgesetzes und anderer Vorschriften vom 18. März 2022 auch nicht aufgrund anderer Tatbestände zustimmungsbedürftig gewesen. Insbesondere die neugefassten § 28a und § 28b IfSG regeln weder beamtenrechtliche Statusverhältnisse noch die Staatshaftung oder das Verwaltungsverfahren.

c) Das Zitiergebot (Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG) ist gewahrt. Der Gesetzgeber hat Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG als ein durch § 20a Abs. 1 bis 5 IfSG eingeschränktes Grundrecht in § 20a Abs. 8 IfSG benannt. Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführenden musste § 20a Abs. 8 IfSG nicht auch Absatz 6 nennen. Insoweit wird das Grundrecht der körperlichen Unversehrtheit im Hinblick auf die in den in § 20a Abs. 1 Satz 1 IfSG genannten Einrichtungen und Unternehmen Tätigen nicht eingeschränkt.

Eine Verletzung des Zitiergebots folgt auch nicht daraus, dass das Gesetz zur Änderung des Infektionsschutzgesetzes und anderer Vorschriften vom 18. März 2022, mit dem insbesondere § 20a Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 IfSG geändert und § 22a IfSG neu eingeführt wurden, nicht erneut auf eine Einschränkung des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG hinweist. Die Warn- und Besinnungsfunktion des Zitiergebots betrifft zwar nicht nur eine erstmalige Grundrechtseinschränkung, sondern wird bei jeder erheblichen Veränderung der Eingriffsvoraussetzungen bedeutsam, die zu neuen Grundrechtseinschränkungen führt. Die insoweit geänderten oder neu eingeführten Vorschriften betreffen aber keine solche erhebliche Veränderung, sondern wiederholen nur bereits geltende Grundrechtseinschränkungen mit geringen Abweichungen (vgl. auch BVerfGE 129, 208 <237> m.w.N.). Bereits in seiner ursprünglichen Fassung vom 10. Dezember 2021 begründete § 20a IfSG die Pflicht zum Nachweis insbesondere einer Impfung und den dadurch maßgebend vermittelten Eingriff in Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG. Soweit die Anforderungen an den beizubringenden Impf- oder Genesenennachweis nun unmittelbar in § 22a IfSG geregelt werden, werden dadurch keine weiterreichenden Grundrechtseinschränkungen hervorgerufen, die die Warn- und Besinnungsfunktion des verfassungsrechtlichen Zitiergebots betreffen könnten."

2.

Der Eingriff in das Recht auf körperliche Unversehrtheit durch die angegriffenen Vorschriften stand in materieller Hinsicht nicht mit dem Grundgesetz in Einklang. Die Regelungen genügten zwar dem Vorbehalt des Gesetzes (a) und waren hinreichend bestimmt sowie normenklar (b). Sie waren jedoch zur Überzeugung der Kammer und unter Berücksichtigung der sich aus den mittlerweile veröffentlichten Protokollen des E.s ergebenden neuen Erkenntnisse nach Maßgabe der Verhältnismäßigkeit unter Berücksichtigung der damit einhergehenden Belastungen nicht gerechtfertigt (c).

Zum Vorbehalt des Gesetzes und zur Frage der hinreichenden Bestimmtheit hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss vom 27. April 2022 (a.a.O., Rn. 124 bis 148) ausgeführt:

"a) Der Gesetzgeber ist den aus dem Grundsatz des Gesetzesvorbehalts erwachsenen Anforderungen gerecht geworden. Er hat in § 20a IfSG selbst alle wesentlichen Entscheidungen getroffen. Die in § 20a Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 in Verbindung mit § 22a Abs. 1 und 2 IfSG gewählte Regelungstechnik zur Definition des Impf- und Genesenennachweises begegnet auch insoweit keinen Bedenken, als gemäß § 22a Abs. 4 IfSG die Bundesregierung ermächtigt wird, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrats nach dem aktuellen Stand der Wissenschaft und Forschung von den Absätzen 1 bis 2 abweichende Anforderungen an einen Impf- und Genesenennachweis zu regeln.

aa) Demokratie- (Art. 20 Abs. 1 und 2 GG) und Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) gebieten, dass der Gesetzgeber die wesentlichen Fragen selbst regelt. "Wesentlich" bedeutet zum einen "wesentlich für die Verwirklichung der Grundrechte". Eine Pflicht des Gesetzgebers, die für den fraglichen Lebensbereich erforderlichen Leitlinien selbst zu bestimmen, kann etwa dann bestehen, wenn miteinander konkurrierende Freiheitsrechte aufeinandertreffen, deren Grenzen fließend und nur schwer auszumachen sind. Der Gesetzgeber ist zum anderen zur Regelung der Fragen verpflichtet, die für Staat und Gesellschaft von erheblicher Bedeutung sind (vgl. BVerfGE 139, 19 [BVerfG 21.04.2015 - 2 BvR 1322/12] <45 f. Rn. 52>; 150, 1 <97 Rn. 194>).

Die Anforderungen des Wesentlichkeitsgrundsatzes werden durch Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG näher konkretisiert (vgl. BVerfGE 150, 1 <99 Rn. 199>), der die mit einer Delegation auf den Verordnungsgeber verbundenen Bestimmtheitsanforderungen ausdrücklich normiert. Danach kann die Bundesregierung durch Gesetz nur dann ermächtigt werden, Rechtsverordnungen zu erlassen, wenn Inhalt, Zweck und Ausmaß der erteilten Ermächtigung im Gesetz bestimmt werden. Wann und inwieweit es einer Regelung durch den Gesetzgeber bedarf, lässt sich nur mit Blick auf den jeweiligen Sachbereich und auf die Eigenart des betroffenen Regelungsgegenstandes bestimmen. Der Grad der dabei jeweils zu fordernden Bestimmtheit einer Regelung hängt auch davon ab, in welchem Umfang der zu regelnde Sachbereich einer genaueren begrifflichen Umschreibung überhaupt zugänglich ist und wie intensiv die Auswirkungen der Regelung für die Betroffenen sind. Insoweit berührt sich das Bestimmtheitsgebot mit dem Verfassungsgrundsatz des Vorbehalts des Gesetzes, der fordert, dass der Gesetzgeber die entscheidenden Grundlagen des zu regelnden Rechtsbereichs, die den Freiheits- und Gleichheitsbereich wesentlich betreffen, selbst festlegt und dies nicht dem Handeln der Verwaltung überlässt (vgl. BVerfGE 56, 1 <13>; 141, 143 <170 Rn. 59>; 147, 253 <309 f. Rn. 116>; 150, 1 <99 ff. Rn. 199 ff.>). Das Grundgesetz kennt allerdings keinen Gewaltenmonismus in Form eines umfassenden Parlamentsvorbehalts. Die in Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG normierte organisatorische und funktionelle Trennung und Gliederung der Gewalten zielt auch darauf ab, dass staatliche Entscheidungen möglichst richtig, das heißt von den Organen getroffen werden, die dafür nach ihrer Organisation, Zusammensetzung, Funktion und Verfahrensweise über die besten Voraussetzungen verfügen. Vor diesem Hintergrund kann auch die Komplexität der zu regelnden Sachverhalte den Umfang der Regelungspflicht des Gesetzgebers begrenzen (BVerfGE 150, 1 <99 Rn. 197>; 157, 30 <172 f. Rn. 260>).

Sollen Regelungen ergehen, die Freiheits- und Gleichheitsrechte der Betroffenen wesentlich betreffen, ist daher die Einbindung des Verordnungsgebers in die Regelungsaufgabe nicht schlechthin ausgeschlossen (vgl. BVerfGE 147, 310 [BVerfG 19.12.2017 - 1 BvL 3/14] <311 f. Rn. 120>). Insbesondere in Rechtsbereichen, die ständig neuen Entwicklungen und Erkenntnissen unterworfen sind und in denen es darum geht, zum Schutz der Grundrechte regulatorisch mit diesen Entwicklungen und Erkenntnissen Schritt zu halten, kann die gesetzliche Fixierung starrer Regelungen dem Grundrechtsschutz auch abträglich und damit kontraproduktiv sein; insoweit kann im Sinne eines "dynamischen Grundrechtsschutzes" das Gesetzeserfordernis zurücktreten (vgl. BVerfGE 49, 89 [BVerfG 08.08.1978 - 2 BvL 8/77] <137>; 157, 30 <174 Rn. 262>).

bb) Diesen verfassungsrechtlichen Vorgaben wird der Gesetzgeber in § 20a und § 22a IfSG gerecht.

(1) Mit der in § 20a Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 IfSG geregelten einrichtungs- und unternehmensbezogenen Nachweispflicht hat der Gesetzgeber selbst die für den fraglichen Lebensbereich erforderlichen Leitlinien festgelegt und die hier miteinander konkurrierenden Freiheitsrechte gegeneinander abgewogen. Er hat das Erfordernis einer Impfung oder Genesung derjenigen Personen bestimmt, die in einer in § 20a Abs. 1 Satz 1 IfSG genannten Einrichtung oder einem dort genannten Unternehmen tätig sind, und davon nur Personen mit einer medizinischen Kontraindikation ausgenommen (vgl. § 20a Abs. 1 Satz 2 IfSG). Damit werden der grundlegende Pflichtenumfang und der Adressatenkreis der Regelung bestimmt. § 20a Abs. 2 Satz 1 IfSG regelt zudem die Verpflichtung zur Vorlage eines entsprechenden Nachweises. Das Gesetz sieht auch selbst vor, dass ein Nachweis durch Zeitablauf seine Gültigkeit verlieren und dann die Vorlage eines neuen Nachweises erforderlich werden kann (vgl. § 20a Abs. 4 IfSG). Die konkreten Anforderungen an den vorzulegenden Impf- oder Genesenennachweis werden in § 22a Abs.1 und 2 IfSG geregelt und damit die Voraussetzungen dafür, wann dem Zweck des Gesetzes entsprechend von einer ausreichenden Immunität der Betroffenen auszugehen ist.

(2) Dabei begegnet es keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, dass die Bundesregierung in § 22a Abs. 4 IfSG ermächtigt wird, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrats nach dem aktuellen Stand der Wissenschaft und Forschung von § 22a Abs. 1 und 2 IfSG abweichende Anforderungen an einen Impf- und Genesenennachweis zu regeln.

(a) Hinsichtlich des Impfnachweises kann der Verordnungsgeber abweichend von § 22a Abs. 1 IfSG die Intervallzeiten regeln, die nach jeder Einzelimpfung für einen vollständigen Impfschutz abgewartet werden müssen und die höchstens zwischen den Einzelimpfungen liegen dürfen, sowie die Zahl und mögliche Kombination der für einen vollständigen Impfschutz erforderlichen Einzelimpfungen und die nach Absatz 1 anerkannten Impfstoffe. Hinsichtlich des Genesenennachweises kann die Bundesregierung abweichend von § 22a Abs. 2 IfSG die Art des Nachweises regeln, mit der die vorherige Infektion nachgewiesen werden kann, die Zeit, die nach der Testung zum Nachweis der vorherigen Infektion vergangen sein muss, sowie die Zeit, die die Testung höchstens zurückliegen darf.

(b) Damit können zwar fast alle im Gesetz geregelten Anforderungen an einen Impf- oder Genesenennachweis durch den Verordnungsgeber abweichend geregelt werden. Gleichwohl werden Inhalt und Reichweite und die erforderliche Begrenzung des Spielraums für den ausfüllenden Verordnungsgeber durch das ermächtigende Gesetz selbst klar vorgegeben. Die Ermächtigung betrifft ein eng umrissenes Feld und lässt hinreichend klar erkennen, worauf sie sich bezieht. Die abweichenden Anforderungen sind nach dem aktuellen Stand der Wissenschaft und Forschung zu regeln, womit der Gesetzgeber den erforderlichen Schutzstandard selbst vorgibt. Die Anknüpfung an den Status als geimpft oder genesen lässt erkennen, dass der Gesetzgeber nur bei solchen Personen von einem ausreichenden Immunschutz gegen das Coronavirus SARS-CoV-2 ausgeht. Dem entsprechen Sinn und Zweck der Regelung, denen die Annahme des Gesetzgebers zugrunde liegt, dass das Risiko, das von Geimpften oder Genesenen ausgeht, deutlich geringer ist als dasjenige von Personen, die über keine ausreichende Immunisierung aufgrund eines vollständigen Impfschutzes oder einer durchgemachten Infektion verfügen (vgl. BTDrucks 20/188, S. 37). Entsprechend lässt auch die amtliche Überschrift des § 20a IfSG "Immunitätsnachweis gegen COVID-19" erkennen (vgl. dazu BVerfGE 78, 249 <274 f.>; 107, 104 <124>; BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 19. November 2021 - 1 BvR 781/21 u.a. -, Rn. 129), dass es dem Gesetzgeber darauf ankam, solche Personen zu erfassen, die über einen ausreichenden Immunschutz verfügen. Insofern ist aufgrund der Ermächtigung auch vorhersehbar, in welchen Fällen und mit welcher Tendenz von ihr Gebrauch gemacht werden kann und welchen Inhalt die aufgrund der Ermächtigung erlassenen Verordnungen grundsätzlich haben können, so dass sich die Normunterworfenen mit ihrem Verhalten darauf einstellen können (vgl. dazu BVerfGE 139, 19 [BVerfG 21.04.2015 - 2 BvR 1322/12] <47 Rn. 55>; stRspr).

(c) Durch die Verordnungsermächtigung hat der Gesetzgeber aber auch der Komplexität des in Rede stehenden Sachbereichs Rechnung getragen, weshalb seine eigene Regelungspflicht insoweit von vornherein begrenzt ist (vgl. dazu BVerfGE 150, 1 <99 Rn. 197>).

(aa) Die Einführung einer einrichtungs- und unternehmensbezogenen Nachweispflicht betrifft einen komplexen und ständigen tatsächlichen Veränderungen unterworfenen Sachbereich. Seit Ausbruch der COVID-19-Pandemie hat das Infektionsgeschehen einen dynamischen, in Infektionswellen eingeteilten Verlauf genommen, wobei verschiedene Virusvarianten das jeweilige Infektionsgeschehen geprägt haben und weiterhin prägen. Schon zum Zeitpunkt der Verabschiedung des hier angegriffenen Gesetzes hat sich der Gesetzgeber steigenden Infektionszahlen mit der damals vorherrschenden Deltavariante des Virus gegenübergesehen und musste mit einem für Januar/Februar 2022 erwartbaren steilen Anstieg von Infektionen mit der neuartigen, bis dato kaum erforschten Omikronvariante des Virus rechnen. Im Februar und März 2022 erreichten die Infektionszahlen jeweils Höchststände.

Mit dieser fortlaufend nicht sicher einschätzbaren tatsächlichen Situation geht einher, dass ständig neue wissenschaftliche Erkenntnisse aus dem In- und Ausland zu erfassen, auszuwerten und zu bewerten sind. Vor diesem Hintergrund sind auch die Anforderungen an einen ausreichenden Immunschutz gegen das Coronavirus SARS-CoV-2 einzuordnen. Diese müssen mit Blick auf die weitere Pandemieentwicklung, insbesondere mit Blick auf neuartige Virusvarianten, fortlaufend hinterfragt und erforderlichenfalls angepasst werden. Mithin kann etwa jede neu auftretende Virusvariante, jede neue wissenschaftliche Erkenntnis und jeder neu auf den Markt gebrachte Impfstoff gebieten, die Anforderungen an den erforderlichen Nachweis einer Impfung oder Genesung zu modifizieren.

Es handelt sich daher um einen Sachbereich, der zur Beurteilung der wesentlichen Fragen eine hohe fachliche Kompetenz auf den Gebieten der Medizin, der Infektionsbiologie, der Epidemiologie sowie weiterer wissenschaftlicher Disziplinen erfordert. Hinzu kommt, dass dieser Sachbereich von einer außergewöhnlichen, teilweise fast tagesaktuellen Dynamik geprägt ist. Dabei besteht regelmäßig ein besonderer Handlungsdruck, weil nur ein schnelles Handeln ein dynamisches Infektionsgeschehen verhindern oder jedenfalls entsprechend begrenzen kann.

(bb) Die insoweit vom Gesetzgeber ermächtigte Bundesregierung bündelt den für eine sachgerechte Bewältigung dieser Herausforderungen erforderlichen Sach- und Fachverstand. Auch kann sie durch auf gesetzlicher Grundlage installierte sachverständige Beratung besonders schnell beurteilen, welche Anforderungen im Sinne eines ausreichenden Immunschutzes an einen Impf- oder Genesenennachweis zu stellen sind. Denn mit dem E. und dem Paul-Ehrlich-Institut sind ihr mit spezifisch wissenschaftlicher Fachkompetenz ausgestattete selbständige Bundesoberbehörden im Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit zugeordnet, die insoweit besonders geeignet sind, hoch dynamische Veränderungsprozesse nachzuvollziehen und zu bewerten.

Bei dem E. handelt es sich um das Bundesinstitut für Infektionskrankheiten und nicht übertragbare Krankheiten. Zu seinen wichtigsten Arbeitsbereichen gehören die Bekämpfung von Infektionskrankheiten und die Analyse langfristiger gesundheitlicher Trends in der Bevölkerung (vgl. § 2 Abs. 3 des Gesetzes über Nachfolgeeinrichtungen des Bundesgesundheitsamtes - BGA-Nachfolgegesetz vom 24. Juni 1994 <BGBl I S. 1416>, zuletzt geändert durch Art. 8 Abs. 1 des Gesetzes zum Erlass eines Tierarzneimittelgesetzes und zur Anpassung arzneimittelrechtlicher und anderer Vorschriften vom 27. September 2021 <BGBl I S. 4530, 4587>). Die dort tätigen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler erforschen die vielschichtigen Einflüsse auf Gesundheit und Krankheit, erarbeiten und überprüfen evidenzbasierte Empfehlungen und entwickeln neue Methoden für den Gesundheitsschutz. Das Paul-Ehrlich-Institut, das Bundesinstitut für Impfstoffe und biomedizinische Arzneimittel, ist die in Deutschland federführend zuständige Behörde im Zusammenhang mit der Entwicklung, Zulassung, Bewertung und Überwachung der Qualität, Wirksamkeit und Sicherheit von Impfstoffen (vgl. Gesetz über die Errichtung eines Bundesamtes für Sera und Impfstoffe vom 7. Juli 1972 <BGBl I S. 1163>, jetzt: BASIG, zuletzt geändert durch Art. 5a des Gesetzes vom 27. September 2021 <BGBl I S. 4530, 4583>; vgl. auch § 77 Abs. 2 AMG). Ihm obliegt insbesondere die Erfassung und Auswertung von impfinduzierten Risiken und die Koordination gegebenenfalls zu ergreifender Maßnahmen. Daneben ist das Paul-Ehrlich-Institut eine Forschungseinrichtung, um die Expertise zur Impfstoffbeurteilung einschließlich der Beurteilung von individuell auftretenden unerwünschten Impfreaktionen zu bündeln. Geforscht wird unter anderem auf den Gebieten der Immunologie, der Virologie und der Bakteriologie. Aufgrund dieser herausgehobenen Stellung ist das Paul-Ehrlich-Institut weltweit vernetzt und berät nationale, europäische und internationale Gremien im Zusammenhang mit Impfstoffen. Zuletzt kam es in Reaktion auf die COVID-19-Pandemie zu einer organisatorischen Erweiterung innerhalb des Paul-Ehrlich-Instituts durch Gründung eines Zentrums für Pandemie-Impfstoffe und -Therapeutika. Zu den Aufgaben des Instituts gehört es nach Art. 1 Abs. 2 Nr. 8 BASIG, die Pandemievorsorge und Pandemiebekämpfung mit Impfstoffen und anderen Arzneimitteln zu planen und durchzuführen.

Daneben kann die Bundesregierung auch auf die fachliche Expertise der Ständigen Impfkommission beim E. (STIKO) zurückgreifen. Bei ihr handelt es sich um ein politisch und weltanschaulich neutrales, 1972 gegründetes Expertengremium, das beim E. im Fachgebiet Impfprävention angesiedelt ist und einen optimalen Einsatz verfügbaren Impfstoffes gewährleisten soll. Seine Empfehlungen geltend als medizinischer Standard (vgl. auch BGH, Beschluss vom 3. Mai 2017 - XII ZB 157/16 -, Rn. 25). Die dort ehrenamtlich Tätigen sind Expertinnen und Experten aus unterschiedlichen Disziplinen der Wissenschaft und Forschung, aus dem Bereich des öffentlichen Gesundheitsdienstes und der niedergelassenen Ärzteschaft. Bei ihrer Tätigkeit sind sie nur ihrem Gewissen verantwortlich und zur unparteiischen Erfüllung ihrer Aufgaben verpflichtet (§ 2 Abs. 1 Satz 2 der Geschäftsordnung der STIKO). Bei ihrer Aufgabenerfüllung benutzt die Ständige Impfkommission Kriterien der evidenzbasierten Medizin, bezieht insbesondere die Bewertungen des Paul-Ehrlich-Instituts zur Sicherheit von Impfstoffen mit ein und bedient sich der - fachlichen und administrativen - Unterstützung des E.s. Dabei stehen weniger eine wirtschaftliche Kosten-Nutzen-Bewertung im Vordergrund, sondern die Wirksamkeitsangaben von Impfstoffen und Informationen zu möglichen Impfrisiken unter Einbeziehung der epidemiologischen Nutzen-Risiko-Abwägung. Demnach hat die Ständige Impfkommission nicht nur den Nutzwert einer Impfung für die Einzelnen, sondern auch für die Gesamtbevölkerung im Blick (vgl. § 1 Abs. 3 der Geschäftsordnung der STIKO).

(d) Die fortlaufende Konkretisierung der Anforderungen an den vorzulegenden Impf- und Genesenennachweis durch den Verordnungsgeber dient damit auch einem dynamischen Grundrechtsschutz und insoweit der bestmöglichen Verwirklichung des Schutzzwecks des § 20a IfSG (vgl. auch BVerfGE 49, 89 [BVerfG 08.08.1978 - 2 BvL 8/77] <137>; dazu auch BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 10. November 2009 - 1 BvR 1178/07 -, Rn. 39). Eine gesetzliche Fixierung der Anforderungen an die für eine Impfung oder Genesung zu führenden Nachweise durch die Aufstellung starrer gesetzlicher Regeln würde vor dem Hintergrund fortlaufend neuer Entwicklungen und Erkenntnisse in der Pandemiebekämpfung eine diesen Entwicklungen und Erkenntnissen entsprechende, angemessene Sicherung der Grundrechte eher hemmen als fördern (vgl. dazu BVerfGE 157, 30 [BVerfG 24.03.2021 - 1 BvR 2656/18] <174 Rn. 262>).

b) Die in § 20a IfSG geregelte Nachweispflicht genügt den allgemeinen Anforderungen an Bestimmtheit und Klarheit von Grundrechtseingriffe regelnden Normen.

aa) Die Grundsätze der Bestimmtheit und Normenklarheit dienen der Vorhersehbarkeit von Eingriffen für die Bürgerinnen und Bürger, einer wirksamen Begrenzung der Befugnisse gegenüber der Verwaltung sowie der Ermöglichung einer effektiven Kontrolle durch die Gerichte (vgl. BVerfGE 156, 11 <44 f. Rn. 85>) und stellen - auch als Ausprägung des Wesentlichkeitsgrundsatzes - zugleich sicher, dass Regierung und Verwaltung im Gesetz steuernde und begrenzende Maßstäbe vorfinden (vgl. BVerfGE 145, 20 [BVerfG 07.03.2017 - 1 BvR 1314/12; 1 BvR 1630/12; 1 BvR 1694/13; 1 BvR 1874/13] <69 f. Rn. 125>; 150, 1 <98 Rn. 196>; 156, 11 <45 Rn. 86>). Der Grad der verfassungsrechtlich gebotenen Bestimmtheit hängt dabei von den Besonderheiten des in Rede stehenden Sachbereichs und von den Umständen ab, die zu der gesetzlichen Regelung geführt haben. Dabei sind die Bedeutung des Regelungsgegenstandes und die Intensität der durch die Regelung oder aufgrund der Regelung erfolgenden Grundrechtseingriffe ebenso zu berücksichtigen wie der Kreis der Anwender und Betroffenen der Norm sowie deren konkretes Bedürfnis, sich auf die Normanwendung einstellen zu können (BVerfGE 150, 1 <98 Rn. 196; stRspr). Es reicht aus, wenn sich im Wege der Auslegung der einschlägigen Bestimmung mit Hilfe der anerkannten Auslegungsregeln feststellen lässt, ob die tatsächlichen Voraussetzungen für die in der Rechtsnorm ausgesprochene Rechtsfolge vorliegen (vgl. BVerfGE 156, 11 [BVerfG 10.11.2020 - 1 BvR 3214/15] <45 Rn. 86>).

bb) Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe bestehen keine Zweifel an der Wahrung dieser Anforderungen.

§ 20a Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 IfSG beschreibt die einrichtungs- und unternehmensbezogene Nachweispflicht in einer Weise, die es den in den genannten Einrichtungen und Unternehmen tätigen Personen als Rechtsunterworfenen ermöglicht, die Rechtslage zu erkennen und ihr Verhalten danach auszurichten. Der für das Bestehen der Nachweispflicht zentrale Begriff des Tätigseins in einer der in § 20a Abs. 1 Satz 1 IfSG genannten Einrichtungen oder Unternehmen ist zwar ein unbestimmter Rechtsbegriff. Dieser ist jedoch mit Rücksicht auf Sinn und Zweck der Regelung auslegungsfähig. Der mit der Nachweispflicht verfolgte Zweck, vulnerable Personen vor einer Infektion mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 zu schützen, legt insoweit - auch aus Gründen der Angemessenheit (dazu Rn. 214) - ein enges Verständnis dahin nahe, nur auf solche Tätigkeiten abzustellen, bei denen auch ein nur mittelbarer Kontakt zu vulnerablen Personen nicht sicher ausgeschlossen werden kann. Die Auslegungsbedürftigkeit nimmt § 20a IfSG aber nicht die rechtsstaatlich gebotene Bestimmtheit. Es ist Aufgabe der Rechtsanwendungsorgane, Zweifelsfragen zu klären. Die Regelung ist weder insgesamt noch in Teilen oder in einzelnen Begriffen derart ungenau, dass sie für die Betroffenen zu einer unerträglichen Unsicherheit führen müsste und die Gerichte nicht in der Lage wären, das Gesetz in rechtsstaatlicher Weise anzuwenden (vgl. auch BVerfGE 31, 255 <264>).

Die hinreichende Bestimmtheit des § 20a IfSG wird - entgegen der Auffassung der Beschwerdeführenden - auch nicht durch die in § 20a Abs. 1 Satz 2 IfSG vorgesehene Ausnahme bei einer medizinischen Kontraindikation infrage gestellt. Schon nach seinem Wortlaut ("nicht geimpft werden können") und dem gesetzgeberischen Regelungsanliegen lässt sich § 20a Abs. 1 Satz 2 IfSG entnehmen, dass hiermit Fälle erfasst werden, in denen an sich Nachweisverpflichtete aus medizinischen Gründen durch die COVID-19-Schutzimpfung ein konkretes Risiko der Eigengefährdung eingehen würden. Es ist der Eigenart des hiermit angesprochenen Sachgebiets geschuldet, dass der Gesetzgeber mögliche medizinische Kontraindikationen - abgesehen von einer frühen Schwangerschaft (vgl. § 20a Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 IfSG) - nicht aufführt, da diese nur anhand der jeweiligen individuellen medizinischen Vorgeschichte und Konstitution und den danach bestehenden Risiken beurteilt werden können.

Entgegen dem Beschwerdevorbringen fehlt es § 20a Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 in Verbindung mit § 22a Abs. 1 Nr. 1 IfSG auch nicht deshalb an hinreichender Bestimmtheit, weil die Regelungen nicht selbst die zugelassenen Impfstoffe konkret benennen, mit denen die für einen vollständigen Impfschutz erforderlichen Einzelimpfungen erfolgen müssen. Soweit der Gesetzgeber in § 22a Abs. 1 Nr. 1 IfSG darauf abstellt, dass die Impfungen entweder mit einem in der Europäischen Union zugelassenen Impfstoff oder mit einem von seiner Formulierung her identischen, im Ausland zugelassenen Impfstoff erfolgen müssen, verwendet er auslegungsfähige unbestimmte Rechtsbegriffe. Deren Verwendung schließt selbst das Bestimmtheitsgebot für das Strafrecht nicht aus (vgl. BVerfGE 153, 310 [BVerfG 11.03.2020 - 2 BvL 5/17] <341 Rn. 77> m.w.N. - Knorpelfleisch; stRspr). Dies gilt erst recht für unbestimmte Rechtsbegriffe, die - wie hier - auf einen hoheitlichen Zulassungsakt Bezug nehmen, da insoweit objektiv feststeht, welche Impfstoffe zugelassen wurden und welche ihnen in ihrer Formulierung - mithin ihrer Zusammensetzung - entsprechen.

Die Rüge der Beschwerdeführenden, der Gesetzgeber habe nicht geregelt, nach welchen Kriterien das Gesundheitsamt sein in § 20a Abs. 5 Satz 3 IfSG eröffnetes Ermessen künftig ausüben solle, übersieht, dass es in der Natur einer Ermessensvorschrift liegt, der Verwaltung Spielräume für eine am Einzelfall orientierte Entscheidung zu belassen. Dabei ist das Gesundheitsamt nicht nur durch allgemeine verwaltungsrechtliche Vorgaben eingeschränkt; es muss sein Ermessen auch (rechtmäßig) ausüben und darf seine Grenzen nicht über- oder unterschreiten. Darüber hinaus muss sich das Gesundheitsamt des Eingriffs seiner Maßnahmen in Art. 12 Abs. 1 GG bewusst sein und dies insbesondere bei der zeitlichen Bemessung eines auszusprechenden Verbots berücksichtigen (vgl. insoweit auch BTDrucks 20/188, S. 42). Eine Untersagung soll nach der gesetzgeberischen Entwurfsbegründung auch nicht ausgesprochen werden, wenn das Paul-Ehrlich-Institut auf seiner Internetseite einen Engpass bei der Lieferung von Impfstoff bekannt gemacht hat (vgl. BTDrucks 20/188, S. 42).

Auch greift weder aus Gründen der Bestimmtheit noch der Normenklarheit die Rüge durch, § 20a Abs. 4 IfSG lasse nicht erkennen, wer die Entscheidung darüber treffe, ob und unter welchen Voraussetzungen ein bisheriger Impfnachweis ungültig werde. Tatsächlich hat der Gesetzgeber in § 20a Abs. 4 Satz 1 IfSG ausdrücklich auf § 20a Abs. 2 Satz 1 IfSG Bezug genommen, der insoweit auf § 22a Abs. 1 und 2 IfSG verweist. Obgleich der Verordnungsgeber hiervon abweichende Regelungen treffen kann (vgl. § 22a Abs. 4 IfSG), ist § 20a Abs. 4 Satz 1 IfSG hinreichend bestimmt und auch normenklar. Zwar können lange und intransparente Verweisungsketten gegen das Gebot der Normenklarheit verstoßen (vgl. BVerfGE 110, 33 [BVerfG 03.03.2004 - 1 BvF 3/92] <57 f., 62 f.>, 156, 11 <45 Rn. 87>), was unübersichtliche Verweisungskaskaden ausschließen kann (vgl. BVerfGE 154, 152 [BVerfG 19.05.2020 - 1 BvR 2835/17] <266 Rn. 215>). Davon kann hier aber keine Rede sein. Die Verweisungen sind auf wenige Schritte begrenzt und führen auch in der Praxis zu keinen erkennbar übermäßigen Schwierigkeiten. Dabei begegnet auch eine Bezugnahme auf eine Rechtsverordnung aus Gründen der Bestimmtheit und Normenklarheit keinen durchgreifenden Bedenken."

Auch wenn die Kammer die Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts zur Unabhängigkeit des E.s nicht (mehr) teilt, ist sie nicht der Überzeugung, dass § 20a IfSG gegen den Wesentlichkeitsgrundsatz verstoßen hat. Sie ist jedoch davon überzeugt, dass der Eingriff in Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG durch § 20a IfSG nicht gerechtfertigt war, da die Maßnahme schon nicht geeignet war.

3.

Der Eingriff in das Recht auf körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG war nicht gerechtfertigt. Er diente zwar einem legitimen Zweck (aa), war zur Erreichung dieses Zwecks aber weder geeignet (bb) noch - insoweit selbstständig tragend - erforderlich (cc).

aa)

Die Kammer ist davon überzeugt, dass die einrichtungs- und unternehmensbezogene Impfpflicht einem legitimen Zweck diente. Insoweit hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss vom 27. April 2022 (a.a.O., Rn. 150 ff.) bereits ausgeführt:

"aa) Die in § 20a IfSG angeordnete einrichtungs- und unternehmensbezogene Nachweispflicht dient einem legitimen Zweck.

(1) Durch gesetzliche Regelungen erfolgende Eingriffe in Grundrechte können lediglich dann gerechtfertigt sein, wenn der Gesetzgeber damit verfassungsrechtlich legitime Zwecke verfolgt. Ob legitime Zwecke verfolgt werden, unterliegt der Prüfung durch das Bundesverfassungsgericht. Es ist dabei nicht auf die Berücksichtigung solcher Zwecke beschränkt, die der Gesetzgeber selbst ausdrücklich benannt hat. Jedenfalls bei Gesetzen, mit denen der Gesetzgeber von ihm angenommenen Gefahrenlagen für die Allgemeinheit oder für Rechtsgüter Einzelner begegnen will, erstreckt sich die Prüfung auch darauf, ob die dahingehende Annahme des Gesetzgebers hinreichend tragfähige Grundlagen hat. Gegenstand verfassungsgerichtlicher Überprüfung ist also sowohl die Einschätzung des Gesetzgebers zum Vorliegen einer solchen Gefahrenlage als auch die Zuverlässigkeit der Grundlagen, aus denen er diese abgeleitet hat oder ableiten durfte (vgl. BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 19. November 2021 - 1 BvR 781/21 u.a. -, Rn. 169 f.).

Allerdings belässt ihm die Verfassung für beides einen Spielraum, der vom Bundesverfassungsgericht lediglich in begrenztem Umfang überprüft werden kann. Die Einschätzung und die Prognose der dem Einzelnen oder der Allgemeinheit drohenden Gefahren sind verfassungsrechtlich darauf zu überprüfen, ob sie auf einer hinreichend gesicherten Grundlage beruhen. Je nach Eigenart des in Rede stehenden Sachbereichs, der Bedeutung der auf dem Spiel stehenden Rechtsgüter und den Möglichkeiten des Gesetzgebers, sich ein hinreichend sicheres Urteil zu bilden, kann die verfassungsgerichtliche Überprüfung dabei von einer bloßen Evidenz- über eine Vertretbarkeits- bis hin zu einer intensivierten inhaltlichen Kontrolle reichen. Geht es um schwerwiegende Grundrechtseingriffe, dürfen Unklarheiten in der Bewertung von Tatsachen grundsätzlich nicht ohne Weiteres zu Lasten der Grundrechtsträger gehen. Jedoch kann sich - wie hier - auch die Schutzpflicht des Staates auf dringende verfassungsrechtliche Schutzbedarfe beziehen. Sind wegen Unwägbarkeiten der wissenschaftlichen Erkenntnislage die Möglichkeiten des Gesetzgebers begrenzt, sich ein hinreichend sicheres Bild zu machen, genügt es daher, wenn er sich an einer sachgerechten und vertretbaren Beurteilung der ihm verfügbaren Informationen und Erkenntnismöglichkeiten orientiert. Dieser Spielraum gründet auf der durch das Grundgesetz dem demokratisch in besonderer Weise legitimierten Gesetzgeber zugewiesenen Verantwortung dafür, Konflikte zwischen hoch- und höchstrangigen Interessen trotz ungewisser Lage zu entscheiden (vgl. zum Ganzen BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 19. November 2021 - 1 BvR 781/21 u.a. -, Rn. 171 m.w.N.).

(2) Daran gemessen verfolgt der Gesetzgeber mit der hier angegriffenen Vorschrift den legitimen Zweck, vulnerable Menschen in besonderem Maße vor einer Infektion mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 zu schützen (a). Seine Annahme, es bestehe insoweit eine erhebliche Gefahrenlage für gewichtige Schutzgüter, die gesetzgeberisches Handeln erforderlich macht, beruht auf hinreichend tragfähigen tatsächlichen Erkenntnissen (b).

(a) Die in § 20a IfSG bis zum 31. Dezember 2022 befristet eingeführte Pflicht, insbesondere eine COVID-19-Impfung oder eine Genesung von der COVID-19-Krankheit nachzuweisen, dient ausweislich der Begründung des Gesetzentwurfs dem Schutz der öffentlichen Gesundheit und der als besonders vulnerabel eingeschätzten Personengruppen vor einer COVID-19-Erkrankung (vgl. BTDrucks 20/188, S. 4, 30). Zwar wird damit in allgemeiner Form auch der "Schutz der öffentlichen Gesundheit" als Gesetzeszweck genannt. Aus der weiteren Begründung wird aber deutlich, dass es dem Gesetzgeber insoweit allein um den Schutz solcher Personen geht, die er als besonders vulnerabel beschreibt: Während für die meisten Menschen die Erkrankung mit COVID-19 mild verlaufe, bestehe für bestimmte Personen aufgrund ihres Gesundheitszustands und/oder ihres Alters nicht nur ein erhöhtes Risiko für einen schweren oder sogar tödlichen COVID-19-Krankheitsverlauf (vulnerable Personengruppen). Gerade bei älteren und immunsupprimierten Personen bestehe auch ein erhöhtes Risiko für eine Infektion, da sie auf eine Schutzimpfung weniger gut ansprächen (vgl. BTDrucks 20/188, S. 1 f., 28; 20/250, S. 49). Neben pflegebedürftigen Personen, insbesondere den Bewohnerinnen und Bewohnern von Pflegeheimen, gehörten auch die wegen Behinderungen und sonstiger Beeinträchtigungen betreuten Personen typischerweise aufgrund ihres Alters und/oder des Vorliegens von Vorerkrankungen zu den vulnerablen Personengruppen. Sie hätten einen erhöhten Unterstützungs- und Betreuungsbedarf und könnten ihre Kontakte nur schwer beeinflussen. Durch eine gemeinsame räumliche Unterbringung, die Teilnahme an gemeinsamen Aktivitäten und/oder häufig länger andauernden nahen physischen Kontakt bei Betreuungstätigkeiten durch wechselndes Personal sei das Risiko einer Infektion zusätzlich erhöht. Seit Beginn der Pandemie stellten zudem Krankenhäuser, Altenpflegeheime und Einrichtungen für Menschen mit Behinderungen immer wieder Orte dar, in denen es zu COVID-19-Ausbrüchen mit teilweise hohen Todesfallzahlen gekommen sei. Insbesondere Menschen mit geistigen oder psychischen Behinderungen hätten aufgrund ihrer kognitiven Beeinträchtigungen ein grundsätzlich erhöhtes Infektionsrisiko, wenn sie Zeit in Einrichtungen verbrächten (vgl. BTDrucks 20/188, S. 1 f., 37).

Der Gesetzgeber wollte mit Einführung der einrichtungs- und unternehmensbezogenen Nachweispflicht erkennbar seine in Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG wurzelnde Schutzpflicht erfüllen. Lebens- und Gesundheitsschutz sind bereits für sich genommen überragend wichtige Gemeinwohlbelange und daher verfassungsrechtlich legitime Gesetzeszwecke. Die Schutzpflicht des Staates aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG greift nicht erst dann ein, wenn Verletzungen bereits eingetreten sind, sondern ist auch in die Zukunft gerichtet (BVerfGE 157, 30 [BVerfG 24.03.2021 - 1 BvR 2656/18] <111 Rn. 146>). Aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, der den Schutz Einzelner vor Beeinträchtigungen ihrer körperlichen Unversehrtheit und ihrer Gesundheit umfasst (vgl. BVerfGE 142, 313 [BVerfG 26.07.2016 - 1 BvL 8/15] <337 Rn. 69> m.w.N.), kann daher auch eine Schutzpflicht des Staates folgen, Vorsorge gegen Gesundheitsbeeinträchtigungen zu treffen (vgl. BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 19. November 2021 - 1 BvR 781/21 u.a. -, Rn. 176 m.w.N.; vgl. auch BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 28. Juli 1987 - 1 BvR 842/87 -). Dies umfasst den Schutz vulnerabler Personen vor sämtlichen mit einer SARS-CoV-2-Infektion einhergehenden Gesundheits- und Lebensgefahren, insbesondere vor schweren Krankheitsverläufen und Langzeitfolgen und gilt im besonderen Maße, wenn sich - wie hier - Betroffene weder selbst wirksam schützen (vgl. insoweit EGMR <GK>, Vavricka and others v. the Czech Republic, Urteil vom 8. April 2021, Nr. 47621/13, § 272) noch dem Kontakt ausweichen können, weil sie auf eine medizinische Behandlung, (dauerhafte) Pflege, Betreuung oder auf Unterstützungsleistungen angewiesen sind (vgl. dazu auch BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 16. Dezember 2021 - 1 BvR 1541/20 -, Rn. 109, 121, 130 - Benachteiligungsrisiken von Menschen mit Behinderung in der Triage).

(b) Die Beurteilung des Gesetzgebers, bei Verabschiedung des Gesetzes habe eine Gefahrenlage für Leben und Gesundheit vulnerabler Personen bestanden, beruht auf von ihm nach den hier maßgeblichen Anforderungen vertretbar als hinreichend tragfähig bewerteten Erkenntnissen.

(aa) Der Gesetzgeber konnte zum Zeitpunkt der Verabschiedung des Gesetzes von einer im Allgemeinen sich verschärfenden pandemischen Lage ausgehen. Nach Einschätzung des E.s und der Ständigen Impfkommission hatte die vierte Infektionswelle Deutschland mit seit Anfang November 2021 exponentiell ansteigenden Fallzahlen erfasst (vgl. etwa RKI, Epidemiologisches Bulletin 48/2021, S. 15 f.). Sie war dabei noch nicht auf ihrem Höhepunkt angelangt; mit einer Verschärfung der pandemischen Lage, insbesondere aufgrund einer anzunehmenden schnellen Verbreitung der erstmals Ende November 2021 festgestellten, von der Weltgesundheitsorganisation umgehend als besorgniserregend eingestuften Virusvariante Omikron, musste gerechnet werden (dazu Rn. 5).

Insgesamt war die Lage nach Einschätzung des E.s sehr besorgniserregend und ließ eine weitere Zunahme schwerer Erkrankungen und Todesfälle erwarten, was das Institut in seinen im Internet veröffentlichten Wöchentlichen Lageberichten zur Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19) vom 2., 9. und 16. Dezember 2021 für die Kalenderwochen 47 (22. bis 28. November), 48 (29. November bis 5. Dezember) und 49 (6. bis 12. Dezember) zusammengefasst und statistisch unterlegt hat. Danach waren die Infektionszahlen wieder deutlich angestiegen und betrugen in allen drei Kalenderwochen über 400 Infektionen pro 100.000 Einwohner. Auf Intensivstationen wurden 4.690 (Kalenderwoche 47), 4.897 (Kalenderwoche 48) und 4.805 Patientinnen und Patienten (Kalenderwoche 49) behandelt. Diese sich verschärfende Lage machte sich auch bei der wachsenden Anzahl derjenigen bemerkbar, die infolge einer Infektion mit SARS-CoV-2 schwer erkrankten und sogar verstarben. Die Todesfälle waren wieder deutlich angestiegen und lagen in den Kalenderwochen 47 bis 49 bei 1.294, 1.458 und circa 1.500, wobei berücksichtigt werden musste, dass Todesfälle meist erst zwei bis drei Wochen nach einer Infektion auftreten und von daher die Lebensgefahren, die sich aus ansteigenden Infektionszahlen ergeben, erst verspätet abbilden. Im Hinblick auf die Omikronvariante haben das E. und die Ständige Impfkommission ein großes Gefährdungspotential festgestellt. Trotz zunächst geringer Fallzahlen (vgl. RKI, Wöchentlicher Lagebericht vom 16. Dezember 2021, S. 3) und einer nur eingeschränkt möglichen Bewertung sei die Wahrscheinlichkeit einer Verbreitung in der Bevölkerung mit sehr großen Auswirkungen hoch (vgl. RKI, Wöchentliche Lageberichte vom 2. und 9. Dezember 2021, jeweils S. 29, und vom 16. Dezember 2021, S. 30; vgl. auch RKI, ControlCOVID - Strategie-Ergänzung zur Bewältigung der beginnenden pandemischen Welle durch die SARS-CoV-2-Variante Omikron, Stand: 21. Dezember 2021).

Diesen Daten einschließlich deren Bewertung durfte sich der Gesetzgeber nicht verschließen, sondern musste sie zur fachwissenschaftlichen Grundlage seines Handelns machen. Zu Gunsten eines sachlich fundierten Umgangs mit der durch das Coronavirus SARS-CoV-2 ausgelösten globalen Pandemie war er gehalten, solche wissenschaftlich aufbereiteten und bewerteten Daten zu berücksichtigen und auf dieser Grundlage auch bisherige Maßnahmen zu hinterfragen und gegebenenfalls anzupassen (vgl. auch BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 19. November 2021 - 1 BvR 781/21 u.a. -, Rn. 178).

Der Gesetzgeber durfte auch auf die Belastbarkeit des vom E. und der Ständigen Impfkommission erhobenen und bewerteten Datenmaterials vertrauen. Beide verfügen hierfür über die notwendigen personellen und sachlichen Ressourcen, sind in ihren Beurteilungen unabhängig und international vernetzt (dazu Rn. 138 f.). Zudem hat sich der Gesetzgeber in Anhörungen im zuständigen Ausschuss des Deutschen Bundestags mit den fachwissenschaftlichen Grundlagen seines Handelns befasst. Mehrere wissenschaftlichen Fachgesellschaften angehörende Sachverständige schätzten die Situation ähnlich wie das E. ein. Die Sachverständigen Priesemann (Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation), Karagiannidis (ECMO Zentrum Köln), Meyer-Hermann (Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung) und Nagel (Professur für Verkehrssystemplanung und Verkehrstelematik) haben die besondere Dringlichkeit infektionsschützender Maßnahmen, insbesondere vor dem Hintergrund der neu aufgetretenen Omikronvariante, die im Januar und Februar 2022 zu einem wahrscheinlich steilen Anstieg der Infektionszahlen führen werde - und letztlich auch geführt hat -, in den Vordergrund gestellt (vgl. Sitzung des Hauptausschusses vom 8. Dezember 2021, Stenographisches Protokoll 20/6, S. 8 ff., 22, 26).

(bb) Auch die gesetzgeberische Annahme einer besonderen Gefährdung vulnerabler Personen in der sich seinerzeit verschärfenden pandemischen Lage beruht auf tragfähigen Grundlagen.

Zum hier maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt Anfang Dezember 2021 war von einem breiten fachwissenschaftlichen Konsens auszugehen, dass die Risiken einer Infektion mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 mit zunehmendem Alter und mit Vorerkrankungen, insbesondere bei immunsupprimierten Personen, steigen (vgl. RKI, Epidemiologisches Bulletin 48/2021, S. 6, 9 ff.; RKI, Wöchentlicher Lagebericht vom 16. Dezember 2021, S. 11). Unter den Hospitalisierten war eine intensivmedizinische Behandlung am häufigsten bei über 60 Jahre alten Personen nötig; im Median waren Personen mit Beatmungsnotwendigkeit 73 Jahre alt. Die Sterblichkeitsrate von Hospitalisierten betrug für über 80-Jährige 40 % (vgl. RKI, Epidemiologischer Steckbrief zu SARS-CoV-2 und COVID-19, Stand: 26. November 2021). Von allen übermittelten Todesfällen seit der Kalenderwoche 10 in 2020 waren 85 % über 70 Jahre alt; der Altersmedian betrug 83 Jahre (vgl. etwa RKI, Wöchentlicher Lagebericht vom 16. Dezember 2021, S. 16).

Das E. stellte unmittelbar vor dem 10. Dezember 2021 zudem eine sich zuspitzende Gefährdungslage durch Infektionsausbrüche in Alten- und Pflegeeinrichtungen und Krankenhäusern fest und zwar sowohl in medizinischen Behandlungseinrichtungen (137 Ausbrüche in Kalenderwoche 47 mit 1.045 neuen COVID-19-Fällen; 110 in Kalenderwoche 48 mit 789 neuen Fällen; 121 in Kalenderwoche 49 mit 893 neuen Fällen) als auch in Alten- und Pflegeheimen (218 Ausbrüche in Kalenderwoche 47 mit 1.829 neuen COVID-19-Fällen; 202 in Kalenderwoche 48 mit 1.604 neuen Fällen; 243 in Kalenderwoche 49 mit 2.253 neuen Fällen). Damit erhöhte sich die Gesamtzahl der Ausbrüche seit Pandemiebeginn in medizinischen Behandlungseinrichtungen auf 7.427 und in Alten- und Pflegeheimen auf 7.401, was insgesamt 65.943 bzw. 172.662 COVID-19-Fälle und 6.343 bzw. 25.014 Todesfälle verursachte (vgl. RKI, Wöchentlicher Lagebericht vom 16. Dezember 2021, S. 7 f.). Eine übereinstimmende Einschätzung gaben auch die im Gesetzgebungsverfahren angehörten Sozialverbände ab (BAG Selbsthilfe, Bundesverband privater Anbieter sozialer Dienste, Sozialverband Deutschland, Bundesverband der Ärztinnen und Ärzte des Öffentlichen Gesundheitsdienstes und Deutscher Caritasverband). So sprach etwa der Deutsche Caritasverband von einer gegenwärtigen Phase hoher Belastungen der Einrichtungen durch Ausbrüche (vgl. Stellungnahme vom 7. Dezember 2021, S. 2 f.), und der Bundesverband privater Anbieter sozialer Dienste wies darauf hin, dass dramatisch steigende Infektionszahlen und erneute Infektionsgeschehen in Pflegeeinrichtungen festzustellen seien (vgl. Stellungnahme vom 8. Dezember 2021, S. 5).

(cc) Diese der gesetzgeberischen Zwecksetzung zugrundeliegenden Annahmen insbesondere zur Gefährdung vulnerabler Personen tragen nach wie vor. Die im hiesigen Verfahren angehörten Fachverbände haben der Sache nach übereinstimmend ausgeführt, dass die Omikronvariante unbeschadet eines im Durchschnitt milderen Krankheitsverlaufs an der Zusammensetzung der besonders gefährdeten Risikogruppen und dem grundsätzlichen Grad ihrer Gefährdung nichts geändert habe (dazu Rn. 50 ff.). Auch weiterhin häufige Ausbrüche in medizinischen Behandlungseinrichtungen sowie Alten- und Pflegeheimen mit hohen COVID-19-Fallzahlen und zahlreichen Todesfällen belegen ein nach wie vor bestehendes sehr hohes Infektionsrisiko für die Vulnerablen. So gab es etwa in der 15. Kalenderwoche im Jahr 2022 insgesamt 94 Ausbrüche in medizinischen Behandlungseinrichtungen und 314 in Alten- und Pflegeheimen mit 693 und 3.904 COVID-19-Fällen sowie einem Anstieg der Todesfälle gegenüber der Vorwoche um 14 und um 94 (vgl. RKI, Wöchentlicher Lagebericht vom 21. April 2022, S. 7 f.)."

Dem schließt sich die Kammer überzeugt an.

bb)

Die einrichtungs- und unternehmensbezogene Nachweispflicht war jedoch zur Überzeugung der Kammer im verfassungsrechtlichen Sinne jedenfalls im Jahr 2022 unter der Omikron-Variante des Corona-Virus nicht geeignet, den Gesetzeszweck zu erreichen.

Die Kammer hat keine Zweifel daran, dass dem Gesetzgeber ein Spielraum für die Beurteilung der Eignung der Nachweispflicht zum Schutz vulnerabler Personen zustand.

Das Bundesverfassungsgericht hat dazu in seinem Beschluss vom 27. April 2022 (a.a.O., Rn. 166 bis 170) ausgeführt:

"(1) Verfassungsrechtlich genügt für die Eignung bereits die Möglichkeit, durch die gesetzliche Regelung den Gesetzeszweck zu erreichen (vgl. BVerfGE 155, 238 [BVerfG 30.06.2020 - 1 BvR 1679/17] <279 Rn. 102>; 156, 63 <116 Rn. 192>; stRspr). Eine Regelung ist erst dann nicht mehr geeignet, wenn sie die Erreichung des Gesetzeszwecks in keiner Weise fördern kann oder sich sogar gegenläufig auswirkt (BVerfGE 158, 282 <336 Rn. 131> m.w.N. - Vollverzinsung). Bei der Beurteilung der Eignung einer Regelung steht dem Gesetzgeber ein Spielraum zu, der sich auf die Einschätzung und Bewertung der tatsächlichen Verhältnisse, auf die etwa erforderliche Prognose und auf die Wahl der Mittel bezieht, um die Ziele des Gesetzes zu erreichen. Dieser Spielraum reicht nicht stets gleich weit. Insoweit hängt sein Umfang vielmehr einzelfallbezogen etwa von der Eigenart des in Rede stehenden Sachbereichs, den Möglichkeiten, sich ein hinreichend sicheres Urteil zu bilden, und der Bedeutung der auf dem Spiel stehenden Rechtsgüter ab. Für Letzteres können auch das vom Eingriff betroffene Recht und das Eingriffsgewicht eine Rolle spielen. Auch hier gilt, dass bei schwerwiegenden Grundrechtseingriffen tatsächliche Unsicherheiten grundsätzlich nicht ohne Weiteres zulasten der Grundrechtsträger gehen dürfen. Erfolgt aber der Eingriff zum Schutz gewichtiger verfassungsrechtlicher Güter und ist es dem Gesetzgeber angesichts der tatsächlichen Unsicherheiten nur begrenzt möglich, sich ein hinreichend sicheres Bild zu machen, ist die verfassungsgerichtliche Prüfung auf die Vertretbarkeit der gesetzgeberischen Eignungsprognose beschränkt (vgl. BVerfGE 153, 182 [BVerfG 26.02.2020 - 2 BvR 2347/15] <272 f. Rn. 238> m.w.N. - Suizidhilfe; zum Ganzen BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 19. November 2021 - 1 BvR 781/21 u.a. -, Rn. 185 m.w.N.).

Liegen der gesetzlichen Regelung prognostische Entscheidungen zugrunde, kann die Eignung nicht nach der tatsächlichen späteren Entwicklung, sondern lediglich danach beurteilt werden, ob der Gesetzgeber aus seiner Sicht davon ausgehen durfte, dass die Maßnahme zur Erreichung des gesetzten Ziels geeignet, ob seine Prognose also sachgerecht und vertretbar war. Erweist sich eine Prognose nachträglich als unrichtig, stellt dies jedenfalls die ursprüngliche Eignung des Gesetzes nicht in Frage. Die Eignung setzt also nicht voraus, dass es zweifelsfreie empirische Nachweise der Wirkung oder Wirksamkeit der Maßnahmen gibt (vgl. BVerfGE 156, 63 [BVerfG 01.12.2020 - 2 BvR 916/11] <140 Rn. 264>). Allerdings kann eine zunächst verfassungskonforme Regelung später mit Wirkung für die Zukunft verfassungswidrig werden, wenn ursprüngliche Annahmen des Gesetzgebers nicht mehr tragen (BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 19. November 2021 - 1 BvR 781/21 u.a. -, Rn. 186 m.w.N.).

(2) Danach stand dem Gesetzgeber hier ein Spielraum für die Beurteilung der Eignung der Nachweispflicht zum Schutz vulnerabler Personen zu. Die gesetzgeberische Prognose über deren Wirkungen unterliegt daher einer verfassungsgerichtlichen Vertretbarkeitskontrolle. Das schließt die Prüfung ein, ob die gesetzgeberische Prognose hinreichend verlässlich ist (vgl. BVerfGE 152, 68 [BVerfG 05.11.2019 - 1 BvL 7/16] <119 Rn. 134>). Für eine strengere, darüber hinausgehende Prüfung der Eignung besteht kein Anlass.

Das Gewicht des Eingriffs der einrichtungs- und unternehmensbezogenen Nachweispflicht in das Recht auf körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) ist erheblich (dazu Rn. 209 ff.), wobei regelmäßig auch die durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Berufsfreiheit betroffen ist. Wollen Betroffene diesen Eingriff vermeiden, ist dies mit dem Wechsel des Berufs, des Arbeitsplatzes oder jedenfalls der bislang ausgeübten Tätigkeit verbunden. Kommen sie der Nachweispflicht auch auf Anforderung des Gesundheitsamts nicht nach, ist dies ebenso wie eine Fortsetzung der bislang ausgeübten Tätigkeit trotz eines angeordneten Betretungs- und Tätigkeitsverbots bußgeldbewehrt (vgl. § 73 Abs. 1a Nr. 7f und 7h IfSG); hinzu kommen mögliche arbeitsrechtliche Folgen, wie etwa eine Freistellung ohne Lohnfortzahlung oder eine Kündigung. Dem gegenüber steht aber der Zweck des § 20a IfSG, Leben und Gesundheit vulnerabler Personen und damit überragend wichtige Rechtsgüter zu schützen.

Daher bleibt die verfassungsrechtliche Prüfung angesichts der zum Zeitpunkt der Verabschiedung des Gesetzes fehlenden gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnisse über Einzelheiten der weiteren Verbreitung von COVID-19 und über die konkrete Wirksamkeit einzelner Impfstoffe auf die Vertretbarkeit der gesetzgeberischen Eignungsprognose beschränkt. Es liegt auch kein Grund für eine nachträgliche Beschränkung des gesetzgeberischen Einschätzungsspielraums vor; weder sind inzwischen besser gesicherte gegenteilige Erkenntnisse ersichtlich, noch hat es der Gesetzgeber versäumt, für eine Verbesserung der Erkenntnislage zu sorgen (vgl. auch BVerfG, Beschlüsse des Ersten Senats vom 19. November 2021 - 1 BvR 781/21 u.a. -, Rn. 189 f. und - 1 BvR 971/21 u.a. -, Rn. 177 f., jeweils m.w.N.)."

Die einrichtungs- und unternehmensbezogene Nachweispflicht erweist sich jedoch jedenfalls im Jahre 2022 zur Überzeugung der Kammer mit Blick auf die neuen Erkenntnisse aus den Protokollen des E.s und das Ergebnis der durchgeführten Beweisaufnahme nicht als geeignetes Mittel, um Leben und Gesundheit vulnerabler Personen zu schützen. Die Annahmen des Gesetzgebers zur Eignung der Nachweispflicht waren nicht vertretbar, da sie nicht auf hinreichend tragfähigen Grundlagen beruhten.

Soweit das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss vom 27. April 2022 (a.a.O., Rn. 173 ff.) diesbezüglich ausgeführt hat, dass der Gesetzgeber habe annehmen dürfen, dass der Nachweis einer Impfung oder Genesung der in den Einrichtungen und Unternehmen, in denen sich vulnerable Personen typischerweise aufhalten, tätigen Personen zum Schutz von Leben und Gesundheit dieser vulnerablen Menschen beitrage, ist die Kammer mit Blick auf die Erkenntnisse, die sich den nun veröffentlichten Protokollen des E.s und der durchgeführten Beweisaufnahme entnehmen lassen, davon überzeugt, dass diese Annahme unzutreffend war und der Gesetzgeber sich nicht uneingeschränkt auf die Einschätzungen des E.s hat verlassen dürfen. Die Annahme, dass zum Zeitpunkt der Verabschiedung des Gesetzes eine deutliche fachwissenschaftliche Mehrheit davon ausging, dass sich geimpfte und genesene Personen seltener mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 infizieren und auch das Virus seltener übertragen können als nicht geimpfte oder nicht genesene Personen, stellt die Kammer dabei nicht infrage. Anderes gilt für die auf Grundlage des Epidemiologischen Bulletins 48/2021, S. 25 f. sowie des Epidemiologischen Steckbriefes zu SARS-CoV-2 und COVID-19, Stand: 26. November 2021, jeweils veröffentlicht vom E., vom Gesetzgeber getroffene Annahme, dass Geimpfte im Falle einer Infektion weniger und nur für einen kürzeren Zeitraum als nicht Geimpfte infektiös seien.

Den bereits zitierten Auszügen aus den Protokollen der Krisenstab Sitzungen des E.s, die teilweise Ende Mai 2024 durch das Institut, teilweise erst Ende Juli 2024 durch Dritte veröffentlicht worden sind, lässt sich zur Überzeugung der Kammer entnehmen, dass die tatsächlichen Erkenntnisse und Einschätzungen des E.s von dieser offiziell gegenüber der Bundesregierung geäußerten Meinung abwichen.

Im Ergebnisprotokoll der Krisenstabssitzung vom 8. Januar 2021 wird auf Seite 11 ausgeführt (Hervorhebungen in Form von Unterstreichungen jeweils durch die Kammer):

"Evidenzlage

o Impfstoffwirkung ist noch nicht bekannt

o Dauer des Schutzes ist ebenfalls unbekannt

o Evidenz ist aktuell nicht genügend bezüglich Reinfektion und Ausscheidung (für Genesene und Geimpfte)

o es sind keine Ausbrüche bekannt, die von Reinfizierten ausgehen, diese scheinen nicht den gleichen Beitrag zur Gesamtausbreitung zu haben wie Erstinfizierte

! Wir müssen noch Erfahrungen mit Geimpften sammeln"

Im Protokoll vom 8. Februar 2021 heißt es auf Seite 4:

"Es ist zu erwarten, dass durch die Impfung zwar schwere Verläufe vermieden werden können, nicht jedoch die lokale Vermehrung der Viren."

Das Protokoll vom 5. März 2021 enthält auf Seite 8 die folgende Passage:

"! Diskussion

o Frage: Gilt die bisherige Haltung des RKI, keine Ausnahmen für Geimpfte und Gelesene zu machen weiter?

o (...)

o Das Impfzertifikat soll die Erfassung von Impfwirkung, Spätfolgen etc. ermöglichen, nicht Grundlage für Kategorien und Vorrechte sein

o WHO befürwortet die Zertifikate nicht: Lack of data, keine Fälschungssicherheit, ethische Gründe (Diskriminierung)."

Weitere Ausführungen zur Einschätzung eines wirksamen Übertragungsschutzes und den Nutzen von Impfzertifikaten enthält das Protokoll vom 7. Mai 2021 auf Seite 8. Dort heißt es:

"Impfpass/Zertifikat/Immunitätszertifikat

Auf internationaler Ebene viel Diskussion (HSC) hierüber

Auf europäischer Ebene ist diese in Arbeit

Aufwändige Abstimmung, es geht nicht um Evidenz in Bezug auf Schutz vor Transmission, sondern um Ermöglichen von Urlaubsreisen, Länder erkennen Dinge verschieden an."

Zur Wirksamkeit von "2G-Maßnahmen" heißt es im Protokoll vom 27. August 2021 auf Seite 6:

o "Der eigentliche Effekt von 2G ist nicht ein größerer Fremdschutz, sondern ein größerer Selbstschutz.

o Fremdschutzwirkung von Impfung und Testung vermutlich im ähnlichen Bereich, bei ca. 60-70 %. 2G wird wegen Schutz vor schweren Erkrankungen überlegen sein."

In einem weiteren Protokoll vom 5. November 2021 sind zwei für die Frage der Einschätzung der Impfwirksamkeit durch das E. relevante Passagen enthalten. So heißt es zum einen auf Seite 8:

"In den Medien wird vor einer Pandemie der Ungeimpften gesprochen. Aus fachlicher Sicht nicht korrekt, Gesamtbevölkerung trägt bei. Soll das in Kommunikation aufgegriffen werden?

(...)

o Sagt Minister bei jeder Pressekonferenz, vermutlich bewusst, kann er nicht korrigiert werden."

Im selben Protokoll heißt es auf Seite 10 f.:

"Bezugnehmend auf grundlegende Aspekte und Besonderheiten der Immunität gegen Infektionen des Respirationstrakt wird auf folgende Punkte hingewiesen:

- Unmittelbar nach der Impfung hat man ein hohes Level an neutralisierenden Antikörpern, diese transsudieren in die Schleimhaut, woraus hohe lokale (= mukosale) Immunität im Nasenrachenraum resultiert. Deswegen besteht in den ersten 2 Wochen - 2 Monaten nach Impfung sehr guter Schutz vor jeglicher (auch asymptomatischer) Infektion. Mit dem Abfall neutralisierender Antikörper sinkt lokale Immunität wieder, so dass im Anschluss an dieses 2-8 Wochen-Zeitfenster der Schutz vor Infektion deutlich geringer ist. Dementsprechend können sich Geimpfte >2 Monate nach Impfung auch wieder leichter infizieren.

- Die Erwartung ist, dass die meisten Geimpften nicht oder nur leicht symptomatisch sind, dass sie aber durchaus hohe Viruskonzentrationen im Nasen-/ Rachenraum aufweisen und kontagiös sind.

Die Ergebnisse der UK Haushaltskontaktstudie (Lancet Infectious Diseases) reflektieren das, was anhand der grundlegenden Erkenntnisse zur Immunität gegen Infektionen des Respirationstrakts zu erwarten ist: Der Schutz vor Infektion nimmt ca. >2 Monate nach Impfung erheblich ab.

Zwar ist die Fallzahl dieser Studie eher klein, die methodische Stärke liegt aber in der engmaschigen (täglichen) Beprobung enger Kontaktpersonen, unabhängig vom Symptomstatus. So wurden auch asymptomatische Infektionen zuverlässig erfasst, die in Beobachtungsdaten sonst unterschätzt werden (da die Beprobung in größeren Zeitabständen bzw. vorwiegend bei symptomatischen Personen erfolgt).

Man sollte dementsprechend sehr vorsichtig mit der Aussage sein, dass Impfungen vor jeglicher (auch asymptomatischer) Infektion schützen. Mit zunehmendem zeitlichen Abstand zur Impfung trifft dies immer weniger zu. Dies gilt umso mehr, weil eine fortlaufende Adaptation des Virus an den Immunselektionsdruck in der Population anzunehmen ist, welche zukünftig ebenfalls die Schutzwirkung der Impfung gegen Infektion herabsetzen könnte."

Weitere Erkenntnisse zur Einschätzung des E.s folgen aus einem Ergebnisprotokoll der "Lage-AG-Sitzung zu COVID-19" vom 12. Oktober 2022. Darin heißt es auf Seite 11:

"Auch das Dokument zum Entlassmanagement wurde infrage gestellt. Es gibt keine Anzeichen, dass Impfungen an Ausscheidungen etwas ändern. Keine Evidenz für Änderungen."

In einem weiteren Protokoll der "Lage-AG-Sitzung zu COVID-19" vom 26. Oktober 2022 heißt es auf Seite 6:

"Aus Altenheim-Ausbrüchen (Exposition für alle gleich) weiß man, dass Wirkung der Impfung eher überschätzt wird. Schwieriges Thema, sollte nicht im Impfbericht formuliert werden."

Diesen, von fachkundigen Mitarbeitenden des E.s im Rahmen vertraulicher Krisenstabsbesprechungen geäußerten Einschätzungen lässt sich entnehmen, dass der vom E. und auch dem Paul-Ehrlich-Institut in ihren jeweiligen Stellungnahmen gegenüber dem Gesetzgeber propagierte Fremdschutz, den Impfungen angeblich gewährleisteten, tatsächlich nicht bzw. spätestens nach Auftreten der Omikron-Variante des Coronavirus nur in geringem Ausmaß gegeben war und nicht signifikant höher war als der Schutz, den eine Testung gewährleistet hätte.

Die Kammer hat - wie bereits ausgeführt - keinen Zweifel an der Echtheit der vorgelegten Dokumente, zumal der seinerzeitige Leiter des Krisenstabes und heutige Präsident des E.s, M. , deren Echtheit in seiner Vernehmung in der heutigen mündlichen Verhandlung nicht in Abrede gestellt hat. Soweit der Zeuge darauf hingewiesen hat, dass den Protokollen keine zu große Bedeutung beigemessen werden solle und könne, da sie teilweise auch Meinungsäußerungen einzelner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter enthielten und damit nicht die Leitlinie des Instituts widerspiegelten und der Zeuge ihm nicht genehme Inhalte der Protokolle als die Äußerungen einzelner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ohne Erkenntniswert versucht hat darzustellen, vermag die Kammer dem nicht zu folgen. Schon der Begriffsinhalt des Wortes "Protokoll" - eine Urkunde, in der chronologisch bedeutende amtliche Angaben aufgezeichnet werden, um sie für die Zukunft festzuhalten und nutzbar zu machen (Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm, digitalisierte Fassung im Wörterbuchnetz des Trier Center for Digital Humanities, Version 01/23, <https://www.woerterbuchnetz.de/DWB>, abgerufen am 18.09.2024 "Protocoll") - lässt für die Kammer deutlich erkennen, dass die nachträglichen Relativierungen des Bedeutungsgehalts durch den Zeugen M. an der Realität vorbeigehen. Dass es sich bei den Protokollen um interne Dokumente handelt, ist bereits aus dem VS-Vermerk, mit dem sie versehen sind, ersichtlich; dieser spricht im Übrigen auch schon selbst für die Bedeutung der Protokolle: Denn gänzlich unbedeutende Papiere sind aus der Erkenntnispraxis der Kammer niemals mit einem VS-Vermerk versehen. Für bedeutungslos hält die Kammer die Inhalte der Protokolle daher gerade nicht - eine Einschätzung, die auch das Bundesministerium für Gesundheit in seiner dem Zeugen erteilten Aussagegenehmigung vom 12. August 2024 und auch das E. in einem Schreiben an die Kammer vom 2. August 2024 teilen; anders lassen sich die jeweiligen Hinweise auf die angeblich eingeschränkte Verwertbarkeit der rechtswidrig veröffentlichten Dokumente nicht verstehen. Der Vollständigkeit halber sei darauf hingewiesen, dass das deutsche Recht eine Fernwirkung im Sinne der im anglo-amerikanischen Recht bekannten "Fruit of the poisonous tree"-Doktrin gerade nicht kennt. Beweisverwertungsverboten kommt grundsätzlich keine Fernwirkung zu (vgl. nur BGH, Beschluss vom 7. März 2006 - 1 StR 316/05 -, juris Rn. 22). Im Übrigen wären in eine Abwägung einzustellende Grundrechtspositionen des E.s als Grundrechtsverpflichtetem und gerade nicht als Grundrechtsberechtigtem (Lüdemann, in: Stern/Sodan/Möstl, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland im europäischen Staatenverbund, 2. Auflage 2022 § 65 Rn. 12), nicht erkennbar.

Die offiziell getätigten Äußerungen des E.s, die offenkundig auch aufgrund entsprechender Einflussnahmen des Bundesministeriums für Gesundheit entstanden sind, wie sich den bereits zitierten Protokollen an verschiedenen Stellen entnehmen lässt, entsprechen damit nicht der tatsächlichen Erkenntnislage, sodass der Gesetzgeber - im Rahmen der ihm obliegenden Normbeobachtungspflicht, die beinhaltet, grundrechtseingreifende Normen auch in Bezug auf ihre Wirksamkeit für das angestrebte Ziel im Blick zu behalten -, seine Annahmen nicht auf diese Stellungnahmen und Äußerungen hätte stützen dürfen. Das E. stellte - zumindest seinerzeit - nämlich gerade keine unabhängige wissenschaftliche Institution dar, die den Gesetzgeber beraten hat, sondern war - auch nach eigener Wahrnehmung (vgl. Protokoll vom 10. September 2021, S. 6) - in seiner wissenschaftlichen Unabhängigkeit durch das Bundesministerium für Gesundheit eingeschränkt. Beim E. handelte es sich damit nicht um einen sachkundigen Dritten, sondern um eine weisungsabhängig vom Bundesministerium für Gesundheit handelnde Institution. Dies hat die Kammer bereits oben (II. B. 1. a)) umfassend dargelegt; hierauf wird Bezug genommen.

Ergänzend ist hierzu auszuführen, dass das E. zwar in seiner wissenschaftlichen Arbeit unabhängig war (und ist). Der Zeuge M. hat in der mündlichen Verhandlung ausgeführt, dass das Institut grundsätzlich freie Forschung betreibt und auch die Möglichkeit hat, eigene Projekte durchzuführen. Eine Abstimmung erfolge jedoch mit Blick darauf, dass für die Forschungsprojekte Steuergelder verwendet würden. Durch die Freiheit in der Wahl der Methoden sei die grundsätzliche Wissenschaftsfreiheit gewährleistet. An die Empfehlungen des Instituts sei die Politik nicht gebunden.

Gleichzeitig hat der Zeuge jedoch auch auf Vorhalt der bereits zitierten Passagen aus den veröffentlichten Protokollen der Krisenstabssitzungen ausgesagt, dass es durchaus Einflussnahmen seitens des Bundesministeriums für Gesundheit auf das E. gegeben hat, die für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des E.s auch nicht immer nachvollziehbar waren. Beispielhaft sei hier die Festlegung der maßgeblichen Inzidenz als Schwellenwert (Protokoll vom 5. Mai 2020) oder aber die Reduzierung des Risikos von sehr hoch auf hoch (Protokoll vom 25. Februar 2022) genannt. Auch Weisungen und Änderungswünsche habe es gegeben. Soweit der Zeuge darauf hingewiesen hat, dass es sich in diesen Fällen jeweils nicht um Fragen der wissenschaftlichen Forschung bzw. deren Auswertung, sondern um sogenannte Managemententscheidungen und Managementpapiere gehandelt habe und jeweils politische Entscheidungen getroffen worden seien (beispielsweise die Frage der Strategie zur Empfehlung von Quarantäne und Isolation, Protokoll vom 30. März 2022), teilt die Kammer diese Einschätzung nicht. Aus den Protokollen und auch aus den Aussagen des Zeugen geht hervor, dass die jeweils durch die Politik getroffenen Entscheidungen nicht immer für die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Instituts nachvollziehbar waren. Bei den hier betroffenen Entscheidungen, sei es die Festlegung der maßgeblichen Inzidenz, die Reduzierung des Risikos, Einreiseregeln und Empfehlungen zu Quarantäne und Isolation, handelt es sich keineswegs um bloße Managemententscheidungen, sondern um eine Bewertung des jeweiligen Risikos bzw. der aktuellen Situation auf Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse. Es mag zwar zutreffen, dass die Festlegung des relevanten Schwellenwerts auch für die Fachleute im E. mangels Erfahrungswerten nicht trennscharf möglich war; es läuft der Konzeption des E.s, wie sie sich aus den oben ausführlich dargelegten gesetzlichen Grundlagen ergibt, jedoch zuwider, wenn ein solcher Wert schlicht auf Wunsch oder auch Weisung eines fachfremden Ministers festgelegt wird. Dabei handelt es sich auch nicht um schlichte Fragen der Fachaufsicht über Bundesbehörden, sondern um eine gesetzeswidrige Einmischung in die wissenschaftliche Unabhängigkeit des E.s. Die oftmals grundrechtsrelevanten Entscheidungen, mit denen sich die Politik offenkundig eigenmächtig und ohne weitere wissenschaftliche Grundlage über die Empfehlungen des dazu berufenen Instituts hinweggesetzt bzw. diese durch Weisungen und Anmerkungen beeinflusst hat, entbehren einer unabhängigen und verlässlichen wissenschaftlichen Grundlage. Es handelt sich, wie der Zeuge zutreffend konstatiert hat, um politische Entscheidungen. Auch diese sollten jedoch trotz oder gerade während einer Ausnahmesituation wie der Coronapandemie auf wissenschaftlicher Grundlage und den entsprechenden Empfehlungen folgend getroffen werden - so offenkundig auch die Grundannahme des Bundesverfassungsgerichts in seinem Beschluss vom 27. April 2022. Dies ist zur Überzeugung der Kammer nicht der Fall gewesen - die Ansicht des Bundesministers für Gesundheit, der eine politische Einflussnahme auf das E. verneint (vgl. beispielhaft den Beitrag auf Spielgel Online vom 25. März 2024 "Lauterbach verneint politische Einmischung in RKI-Corona-Empfehlungen", abrufbar unter https://www.spiegel.de/politik/deutschland/corona-karl-lauterbach-verneint-politische-einmischung-in-rki-empfehlungen-a-c4fcf1e9-6072-414b-a86f-3047de307a51, zuletzt abgerufen am 10. September 2024), teilt die Kammer nicht.

Die Kammer stellt ebenfalls nicht in Abrede, dass zum Zeitpunkt der Verabschiedung des Gesetzes noch "relevante Impflücken" bei den in den betroffenen Einrichtungen und Unternehmen tätigen Personen bestanden (vgl. dazu auch BVerfG, Beschluss vom 27. April 2022, a.a.O., Rn. 176). Auch stellt die Kammer nicht in Abrede, dass dem Gesetzgeber bekannt war, dass die Schutzwirkung der verfügbaren COVID-19-Impfstoffe nach der Datenlage Anfang Dezember 2021 mit der Zeit abnahm und durch eine Auffrischimpfung wieder erhöht werden konnte, weshalb in der Folge nach § 20a Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 in Verbindung mit § 22a Abs. 1 Satz 2 Nr. 2, Satz 3 IfSG ab dem 1. Oktober 2022 grundsätzlich drei Einzelimpfungen für einen vollständigen Impfschutz gefordert wurden (vgl. BVerfG, Beschluss vom 27. April 2022, a.a.O., Rn. 177).

Die Einführung einer entsprechenden Nachweispflicht war jedoch nach den nun vorliegenden Erkenntnissen unabhängig von der Zahl der Einzelimpfungen und der Dauer des Genesenenstatus nicht dazu geeignet, das Ziel des Schutzes vulnerabler Personen zu erreichen, da nach der zunehmenden Verbreitung der Omikron-Variante des Coronavirus durch eine Impfung kein im Vergleich zur Testung verstärkter Schutz vor einer Infektion anderer Personen gewährleistet wurde. Der Impfnachweis oder auch der Nachweis über die Genesung trugen damit nicht in einer herausgehobenen bzw. verstärkten Weise zum Schutz vulnerabler Menschen bei, da eine Impfung den Erkenntnissen des E.s zufolge allenfalls in den ersten zwei Wochen nach ihrer Verabreichung einen wirksamen Fremdschutz bildete und die geimpften Personen ansonsten aufgrund einer vermehrten Virenkonzentration im Rachen weiterhin kontagiös waren (vgl. Protokoll vom 5. November 2021, S. 10 f.). Es gab keine Anzeichen dafür, dass Impfungen etwas an den Ausscheidungen änderten (vgl. E., Protokoll vom 10. Oktober 2022, S. 11). Die Wirkung der Impfung hielt man im E. für eher überschätzt (vgl. Protokoll vom 26. Oktober 2022, S. 6). Dass eine bloße Testung im Verhältnis zu einem Eingriff in die körperliche Unversehrtheit in dem Sinne des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG ein milderes Mittel ist, ist so offensichtlich, dass es keine näheren Ausführungen der Kammer bedarf.

Der Zeuge M. hat diesbezüglich in Ergänzung zu seinem Hinweis auf den seiner Einschätzung nach geringen Aussagegehalt der Protokolle ausgesagt, dass insbesondere die im Verlauf des Jahres 2022 vorherrschende Omikron-Variante den Schutz der Impfung weiter reduziert habe. Studien aus dem Jahre 2022 seien durchweg zu dem Ergebnis gekommen, dass unabhängig von der Variante die Übertragungswahrscheinlichkeit durch aufgefrischt geimpfte Personen um rund 20 % niedriger gewesen sei als diejenige von ungeimpften Personen. Aus einer Studie im November 2021 habe sich ergeben, dass ungeimpfte Personen zu Beginn der Infektion die gleiche Viruslast hätten wie geimpfte Personen, die geimpften Personen das Virus aber im weiteren Verlauf der Erkrankung schneller wieder verlören. Zum Zeitpunkt der Notfallzulassung des Corona-Impfstoffes im Dezember 2020 hätten keine gesicherten Daten des Herstellers Biontech/Pfizer zum Schutz der Impfung vor einer Übertragung des Virus durch eine geimpfte Person vorgelegen. Erste Studien dazu seien im April 2021 ausgewertet worden. Die Zulassungsstudie des Herstellers, in der ein Übertragungs- oder Fremdschutz des Impfstoffes nicht thematisiert worden sei, sei ihm auch bekannt gewesen. Allerdings sei die Zulassung des Impfstoffs nicht das Thema des Instituts gewesen, dafür sei das Paul-Ehrlich-Institut zuständig gewesen. Auch die Notfallzulassungsstudie von Biontech/Pfizer, die im New England Journal of Medicine vom 31. Dezember 2020 veröffentlicht worden war und nach deren Inhalt allein die Prävention einer symptomatischen Coronainfektion Ziel der Untersuchung gewesen sei, sei ihm bekannt gewesen.

Die Formulierung im bereits mehrfach zitierten Beschluss des Bundesverfassungsgerichts, wonach sich geimpfte und genesene Personen seltener mit dem Coronavirus infizierten und daher das Virus seltener übertragen könnten, sei aus seiner Sicht nicht vollständig zutreffend. Es komme diesbezüglich auf den Zeitpunkt an. Zu Beginn der Pandemie mit den ersten Varianten sei die Aussage richtig, aber nicht vollständig gewesen. Hinzu sei die Tatsache gekommen, dass die Viruslast bei geimpften Personen geringer sei und der Virusverlust früher stattfinde. Allein durch den Zeitablauf nehme die Effektivität der Impfung ab, könne jedoch durch eine Auffrischungsimpfung geboostert werden. Der Schutz vor einer schweren Erkrankung bleibe länger bestehen. Mit Omikron sei dies verloren gegangen. Die anderen genannten Komponenten hätten jedoch weiter gegolten. Es habe ohnehin nicht die eine präventive Maßnahme gegeben, um sicheren Infektionsschutz zu vermitteln. Jede der genutzten Maßnahmen - Masken tragen, Testen und Impfen - biete nur einen Teilschutz. Die Kumulation sei der entscheidende Faktor. Eine Impfung bewirke keine Transmissionsreduktion um 100 %, weshalb die AHA-Regeln auch durch geimpfte Personen hätten eingehalten werden sollen. Der Drittschutz sei während der Omikronvariante reduziert, aber noch vorhanden gewesen. Geimpfte Personen hätten sich jedoch wieder stärker infiziert. Da der Schutz mit der Zeit abnehmen, habe man auch stets Auffrischungsimpfungen empfohlen. Die Frage der Wirksamkeit der Impfungen sei immer wieder auf der Tagesordnung gewesen.

Diese Erkenntnisse lagen tatsächlich vor; bei unabhängiger und umfassender Information des Gesetzgebers - mithin während des Gültigkeitszeitraums des § 20a IfSG - hätte ihre Kommunikation ein gesetzgeberisches Tätigwerden ermöglicht und auch erfordert. Zu einem Zeitpunkt im Jahre 2022, der deutlich vor dem Zeitpunkt des Erlasses des hier streitgegenständlichen Bescheides im November 2022 lag, wäre ein Tätigwerden des Gesetzgebers möglich und erforderlich gewesen, um Grundrechtseingriffe zu vermeiden. Denn im Jahre 2022 hatte sich die Informationslage ausweislich der eben zitierten Protokolle aus Oktober 2022 und auch der Aussage des Zeugen bezüglich der verringerten Wirksamkeit der Impfungen gegen die seit Januar 2022 dominierende (vgl. https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Situationsberichte/Omikron-Faelle/Omikron-Faelle.html#:~:text=Die%20tagesaktuelle%20%C3%9Cbersicht%20zu%20den,Deutschland%20werden%20im%20Wochenbericht%20ver%C3%B6ffentlicht, zuletzt abgerufen am 9. September 2024) Omikronvariante des Coronavirus derart verdichtet, dass die dem Gesetzgeber zustehende Einschätzungsprärogative in ihrer Tragfähigkeit nachhaltig erschüttert war und es angesichts des mit der Einführung des § 20a IfSG verbundenen massiven Grundrechtseingriffs trotz der Tatsache, dass der Gültigkeitszeitraum der Norm bis auf den 31. Dezember 2022 befristet war, eines Tätigwerdens und Gegensteuerns des Gesetzgebers bedurft hätte. Dies ist jedoch - aus welchen Gründen auch immer - unterblieben. Dass Kommunikationsdefizite zwischen dem E. und dem Bundesgesundheitsministerium und/oder der Legislative nicht zulasten der Grundrechtsträger gehen können, ist für die Kammer offensichtlich.

Dem kann auch nicht entgegengehalten werden, dass das entscheidungserhebliche Gesetz im Spätsommer/Herbst 2022 ohnehin nur noch für wenige Wochen, nämlich bis zum 31. Dezember 2022, in Kraft war. Während der Coronapandemie war es dem Gesetzgeber stets möglich, teilweise mit massiven Grundrechtseingriffen verbundene gesetzliche Maßnahmen sehr kurzfristig, teilweise binnen weniger Tage, zu beschließen (vgl. beispielhaft die Pressemitteilung des Bundesrates zu dessen Sondersitzung am 18. November 2020, in der der Bundesrat explizit darauf hingewiesen hat, dass drei Verfassungsorgane am selben Tag tätig würden, um ein schnelles Handeln des Gesetzgebers zu ermöglichen; abrufbar unter https://www.bundesrat.de/SharedDocs/pm/2020/023.html, zuletzt abgerufen am 9. September 2024). Es ist nicht ersichtlich, weshalb dies nicht im umgekehrten Fall, in dem aufgrund neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse festgestellt wurde, dass eine Impfung den beabsichtigten Fremdschutz nicht (mehr) bietet, genauso möglich gewesen wäre. Dies gilt umso mehr, als der Impfstoff von Biontech/Pfizer - wie dem E. ausweislich der Einvernahme des Zeugen Professor Dr. XXX bekannt war - überhaupt nicht zum Fremdschutz zugelassen war und somit ohnehin ein Einsatz des Impfstoffs zu einem nicht von der Zulassung gedeckten Zweck erfolgte und eine Kommunikation der aufgrund der Studienlage im Jahr 2022 bekannten Tatsache, dass dieser Zweck nicht eintritt, allerdings nicht erfolgt war. Angesichts des Umstandes, dass der Zeuge in der mündlichen Verhandlung bezüglich der Maßnahmen zur Überwachung des Erfolgs der einrichtungsbezogenen Impfflicht nur auf die Kontrolle der Entwicklung der Impfquote in Pflegeeinrichtungen, nicht aber auf eine Überwachung der Erreichung des eigentlichen Schutzzwecks der Norm, nämlich des Schutzes vulnerabler Personen vor einer Ansteckung, verwiesen hat, ist die Kammer davon überzeugt, dass der Gesetzgeber seiner ihm vom Bundesverfassungsgericht auferlegten Überwachungspflicht nicht nachgekommen ist.

cc)

Darüber hinaus und insoweit selbständig tragend war die Impfpflicht mit Blick auf die eben wiedergegebenen Erkenntnisse aus der Wissenschaft, die im Spätsommer/Herbst 2022 spätestens bekannt waren, zur Erreichung des Schutzzwecks der Norm, des Schutzes vulnerabler Personen vor einer Ansteckung, nicht erforderlich. Angesichts der Dominanz der Omikron-Variante und der damit nur noch äußerst eingeschränkten diesbezüglichen Wirkung der Impfung, die ja ohnehin keine Zulassung für den Fremdschutz hatte, wäre eine regelmäßige Testung des Pflegepersonals ab diesem Zeitpunkt als offensichtlich milderes, weil keinen Eingriff in Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG darstellendes Mittel genauso geeignet gewesen, den Schutzzweck zu erreichen.

II.

Mangels Eignung der Maßnahme und damit Rechtfertigung des Eingriffs liegt auch ein Verstoß des § 20a IfSG gegen das Grundrecht der Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG vor.

Auch das Bundesverfassungsgericht geht in seinem Beschluss vom 27. April 2022 (a.a.O., Rn. 245 ff.) davon aus, dass § 20a IfSG, insbesondere die Nachweispflicht in § 20a Abs. 5 Satz 3 IfSG, in Art. 12 Abs. 1 GG eingreift.

Dazu führte das Bundesverfassungsgericht aus:

"1. Die in § 20a Abs. 5 Satz 3 IfSG geregelte Ermächtigung insbesondere des Gesundheitsamts, gegen Personen, die in den in § 20a Abs. 1 Satz 1 IfSG genannten Einrichtungen und Unternehmen tätig sind, ein Betretungs- oder Tätigkeitsverbot anzuordnen, greift in Art. 12 Abs. 1 GG ein.

a) aa) Art.12 Abs. 1 GG gewährleistet die Freiheit der beruflichen Betätigung. Unter Beruf ist dabei jede auf Dauer angelegte Tätigkeit zur Schaffung und Erhaltung einer Lebensgrundlage zu verstehen (vgl. BVerfGE 141, 121 [BVerfG 12.01.2016 - 1 BvR 3102/13] <130 f.>; 155, 238 <276>). Der Schutz dieses Grundrechts ist umfassend angelegt, wie die ausdrückliche Erwähnung von Berufswahl, Wahl von Ausbildungsstätte und Arbeitsplatz und Berufsausübung zeigt (vgl. BVerfGE 113, 29 [BVerfG 12.04.2005 - 2 BvR 1027/02] <48>). Umfasst ist nicht nur die Entscheidung über den Eintritt in den Beruf, sondern auch darüber, ob und wie lange der einmal ergriffene Beruf fortgesetzt werden soll (vgl. BVerfGE 44, 105 [BVerfG 02.03.1977 - 1 BvR 124/76] <117> m.w.N.). Neben der Entscheidung für eine konkrete Beschäftigung in dem gewählten Beruf ist auch der Wille der Einzelnen geschützt, einen Arbeitsplatz beizubehalten oder ihn aufzugeben. Das Grundrecht entfaltet seinen Schutz gegen alle staatlichen Maßnahmen, die diese Wahlfreiheit beschränken (vgl. BVerfGE 96, 152 <163>) und etwa zur Aufgabe eines bestimmten Arbeitsplatzes zwingen (vgl. BVerfGE 149, 126 [BVerfG 23.05.2018 - 1 BvR 97/14] <141 Rn. 38> m.w.N.).

bb) Bei den Tätigkeiten der Beschwerdeführenden im Gesundheits- und Pflegebereich handelt es sich um solche, die dem verfassungsrechtlichen Schutz des Art. 12 Abs. 1 GG unterstehen. Dem steht nicht entgegen, dass § 20a IfSG diese Tätigkeiten grundsätzlich nur noch denjenigen eröffnet, die einen Nachweis nach § 20a Abs. 2 Satz 1 IfSG vorlegen können. Für die Anerkennung einer auf Dauer angelegten und auf die Schaffung und Erhaltung der Lebensgrundlage ausgerichteten Tätigkeit als Beruf ist nicht ausschlaggebend, ob der Gesetzgeber ein entsprechendes Berufsbild vorgesehen hat (vgl. BVerfGE 141, 121 [BVerfG 12.01.2016 - 1 BvR 3102/13] <131 Rn. 35>).

b) § 20a Abs. 5 Satz 3 IfSG greift in die durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Berufsfreiheit der Beschwerdeführenden ein.

aa) Art. 12 Abs. 1 GG schützt insbesondere vor solchen Beeinträchtigungen, die gerade auf die berufliche Betätigung bezogen sind, indem sie eine Berufstätigkeit unmittelbar unterbinden oder beschränken (vgl. BVerfGE 113, 29 [BVerfG 12.04.2005 - 2 BvR 1027/02] <48>; 155, 238 <277 Rn. 95>). Als Eingriffe in die Berufsfreiheit sind danach etwa Vorschriften anzusehen, die eine berufliche Tätigkeit grundsätzlich verbieten und nur unter dem Vorbehalt behördlicher Einzelzulassung erlauben (vgl. BVerfGE 8, 71 [BVerfG 10.07.1958 - 1 BvF 1/58] <76>; 145, 20 <70 f. Rn. 129>).

bb) Die in § 20a Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 IfSG geregelte einrichtungs- und unternehmensbezogene Nachweispflicht beeinträchtigt nicht nur die Rahmenbedingungen der Berufsausübung der Beschwerdeführenden, sondern beschränkt in Verbindung mit § 20a Abs. 5 Satz 3 IfSG - auch ohne auf berufliche Tätigkeiten als solche gerichtet zu sein - die Berufstätigkeit der in den in § 20a Abs. 1 Satz 1 IfSG genannten Einrichtungen und Unternehmen tätigen Personen unmittelbar.

(1) Betretungs- und Tätigkeitsverbote nach § 20a Abs. 5 Satz 3 IfSG haben eine objektiv berufsregelnde Tendenz. § 20a IfSG erfasst zwar die in den genannten Einrichtungen und Unternehmen ausgeübten Tätigkeiten ohne Rücksicht darauf, ob sie berufsmäßig durchgeführt und übertragen werden. Dementsprechend sind nicht nur Berufstätige Adressaten des § 20a Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 IfSG, sondern zum Beispiel auch ehrenamtlich dort Tätige. Die angegriffenen Regelungen betreffen aber im Schwerpunkt Tätigkeiten, die typischerweise beruflich ausgeübt werden (vgl. dazu BVerfGE97, 228 <254>).

(2) § 20a Abs. 5 Satz 3 IfSG entfaltet auch unmittelbar berufsbeschränkende Wirkung. Nach der Regelungstechnik des § 20a IfSG müssen Grundrechtsträger, die ungeimpft bleiben wollen, bei Fortsetzung ihrer Tätigkeit mit der Anordnung eines Betretungs- oder Tätigkeitsverbots in den in § 20a Abs. 1 Satz 1 IfSG genannten Einrichtungen und Unternehmen rechnen (vgl. § 20a Abs. 5 Satz 3 IfSG).

Zwar droht weder als Folge einer individuellen Entscheidung gegen eine COVID-19-Impfung noch bei Nichtvorlage eines Nachweises bis zum 15. März 2022 (vgl. § 20a Abs. 2 Satz 1 IfSG) ein berufliches Betretungs- oder Tätigkeitsverbot unmittelbar kraft Gesetzes. Das Gesundheitsamt kann aber, wenn der Nachweis auch ihm gegenüber nicht auf entsprechende Anforderung (vgl. § 20a Abs. 5 Satz 1 IfSG) innerhalb einer angemessenen Frist vorgelegt wird, nach Maßgabe des § 20a Abs. 5 Satz 3 IfSG im Rahmen einer Ermessensentscheidung ein Betretungs- oder Tätigkeitsverbot anordnen. Insoweit kommt es nicht darauf an, dass der Gesetzgeber - dem Zweck der Regelung entsprechend - vorrangig eine zielgerichtete Beschränkung des Grundrechts auf körperliche Unversehrtheit verfolgt (dazu Rn. 114). Die Konfrontation mit möglichen beruflichen Nachteilen soll nach dem gesetzgeberischen Ziel nicht nur Einfluss auf die Impfentscheidung haben. Das Betretungs- und Tätigkeitsverbot hat vielmehr eine darüber hinaus gehende eigenständige Bedeutung und beeinträchtigt unmittelbar und zielgerichtet Art. 12 Abs. 1 GG."

[...]

"Die verfassungsrechtliche Rechtfertigung setzt voraus, dass die angegriffene Regelung formell und materiell verfassungsgemäß ist (vgl. grundlegend BVerfGE 6, 32 [BVerfG 16.01.1957 - 1 BvR 253/56] <41>). Gegen die formelle Verfassungsmäßigkeit bestehen keine Bedenken. Insbesondere folgt aus der fehlenden Nennung von Art. 12 GG in § 20a Abs. 8 IfSG keine Verletzung des Zitiergebots nach Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG. Berufsregelnde Gesetze begründen eine solche Zitierpflicht nicht (vgl. BVerfGE 64, 72 <80>). Die Regelung ist auch materiell verfassungsgemäß. Sie dient einem legitimen Zweck (a) und ist geeignet sowie erforderlich (b), um diesen Zweck zu erreichen. Die Grundrechtsträger werden auch nicht in unzumutbarer Weise belastet; insbesondere stehen Eingriffszweck und die Eingriffsintensität in einem angemessenen Verhältnis zueinander (c).

a) § 20a Abs. 5 Satz 3 IfSG dient einem legitimen Zweck. Betretungs- und Tätigkeitsverbote sollen vulnerable Personen auch dann schützen, wenn sich die von der Nachweispflicht Betroffenen gegen eine Impfung entscheiden und gleichwohl ihre Tätigkeit fortsetzen. Mit dem erstrebten Schutz von Gesundheit und Leben der besonders gefährdeten, vulnerablen Personen dient § 20a Abs. 5 Satz 3 IfSG überragend wichtigen Rechtsgütern (vgl. dazu auch BVerfGE 121, 317 <356>; 126, 122 <140>; BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 19. November 2021 - 1 BvR 781/21 u.a. -, Rn. 176 m.w.N.; vgl. dazu auch Conseil Constitutionnel, Décision n°2021-824 DC vom 5. August 2021, Rn. 123)."

Wie bereits soeben (D. I.) zum Eingriff in das Grundrecht der körperlichen Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG ausgeführt, ist die Kammer davon überzeugt, dass die angegriffene Regelung aufgrund der tatsächlichen Erkenntnisse zum durch eine Impfung vermittelten Fremdschutz und zur mangelnden Unabhängigkeit des E. während der Coronapandemie nicht geeignet war, den Gesetzeszweck zu erreichen. Die dem Gesetzgeber zustehende Einschätzungsprärogative war aufgrund dieser Umstände nachhaltig erschüttert bzw. erheblich verengt, woraus dieser jedoch während der Geltungsdauer der Vorschrift keine Konsequenzen gezogen hat. Darüber hinaus und insoweit selbständig tragend fehlte es der Maßnahme an der Erforderlichkeit, damit Testungen angesichts der verringerten Wirksamkeit der Impfung ein milderes Mittel zur Verfügung gestanden hat. Auch der Eingriff in die Berufsfreiheit war daher nicht gerechtfertigt.

E.

Eine verfassungskonforme Auslegung des § 20a IfSG ist aufgrund dessen eindeutigen und einer Auslegung nicht zugänglichen Wortlauts nicht möglich.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 146 Abs. 2 VwGO).