Verwaltungsgericht Stade
Urt. v. 29.11.2004, Az.: 6 A 1694/03

Deckungsgleichheit der Voraussetzungen für die Gewährung eines Anspruchs auf politisches Asyl und für die Gewährung des Schutzes vor Abschiebung; Asylrechtliche Beurteilung einer fremden Werteordnung nach einem objektiven Maßstab; Vorliegen von Abschiebungshindernissen bei einer angestrebten Abschiebung nach Afghanistan; Erfordernis einer konkreten Prognose im Hinblick auf eine individuelle Gefährdung des betroffenen Ausländers; Anforderungen an die "Gefahr" bei Feststellung eines Abschiebungshindernisses nach § 53 Absatz 6 Ausländergesetz (AuslG); Zulässigkeit einer positiven Individualentscheidung außerhalb des § 54 Ausländergesetz; Bestehen einer extremen Gefahrenlage im Kabuler Raum

Bibliographie

Gericht
VG Stade
Datum
29.11.2004
Aktenzeichen
6 A 1694/03
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2004, 25695
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGSTADE:2004:1129.6A1694.03.0A

Verfahrensgegenstand

Asyl, §§ 51 Abs. 1, 53 AuslG, Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung

Prozessführer

1. Herr A.

2. Frau B.

3. C.
vertreten durch die Kläger zu 1. und 2.,

D.

Proz.-Bev. zu 1-3: Rechtsanwalt E.

Prozessgegner

Bundesrepublik Deutschland,
vertreten durch das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge - Außenstelle Oldenburg -,
Klostermark 70-80, 26135 Oldenburg

Sonstige Beteiligte

Der Bundesbeauftragte für Asylangelegenheiten,
Rothenburger Straße 29, 90513 Zirndorf

Redaktioneller Leitsatz

  1. 1.

    Die Voraussetzungen für die Gewährung eines Anspruchs auf politisches Asyl gemäß Art. 16 a Abs. 1 Grundgesetz - GG - und für die Gewährung des Schutzes vor Abschiebung gemäß § 51 Abs. 1 AuslG sind deckungsgleich, soweit es um die Verfolgungshandlung, das geschützte Rechtsgut, den politischen Charakter der Verfolgung sowie den Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit und dessen Herabstufung bei bereits vor der Ausreise aus dem Heimatstaat verfolgten Asylsuchenden geht. Hinsichtlich ihrer Anwendbarkeit unterscheiden sich die Vorschriften lediglich danach, dass Abschiebungsschutz gemäß § 51 Abs. 1 AuslG auch dann zu gewähren ist, wenn einem Betroffenen aus Gründen, die er erst nach der Ausreise aus dem Heimatstaat geschaffen hat, politische Verfolgung droht oder ein Asylanspruch nach der sog. Drittstaatenregelung gemäß Art. 16 a Abs. 2 GG i.V.m. § 26 a AsylVfG ausgeschlossen ist.

  2. 2.

    Ausgangspunkt für die Gewährung von Abschiebungsschutz nach § 51 Abs. 1 AuslG ist - ebenso wie für die Gewährung politischen Asyls - die in die Zukunft gerichtete Prüfung der Frage, ob der Flüchtling im Fall seiner Rückkehr - erstmals oder erneut - politischer Verfolgung ausgesetzt sein würde, durch die der hiervon Betroffene in eine die Gewährung des Schutzes vor Abschiebung rechtfertigende Notlage geriete.

  3. 3.

    Nach dem Sturz des Taliban-Regimes in Afghanistan kann ein Anspruch auf politisches Asyl nicht mehr auf eine Verfolgung durch dieses Regime gestützt werden.

In der Verwaltungsrechtssache
hat das Verwaltungsgericht Stade - 6. Kammer -
auf die mündliche Verhandlung vom 29. November 2004
durch
den Richter am Verwaltungsgericht Wermes als Einzelrichter
für Recht erkannt:

Tenor:

Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Die Kläger tragen die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens zu je 1/3.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Die Kläger können die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

1

Die Kläger stammen nach eigenen Angaben aus Afghanistan. Sie besitzen die pashtunische Volkszugehörigkeit und die muslimische Religionszugehörigkeit. Der Kläger zu 1) und die Kl. zu 2) sind die Eltern des Klägers im Verfahren 6 A 1695/03.

2

Der Kläger zu 1) reiste eigenen Angaben zufolge am 13./14. Februar 1998 auf dem Luftweg von Islamabad kommend über den Flughafen Frankfurt/Main in die Bundesrepublik Deutschland ein. Die Klägerin zu 2) erklärte, sie sei 1995 zusammen mit ihren Eltern von Islamabad nach Frankfurt/Main geflogen, nachdem sie Afghanistan verlassen hätten. Am 14. Januar 1999 haben die Klägerin zu 2) und der Kläger zu 1) geheiratet.

3

Am 12. Juli 2001 meldeten sie sich in Hamburg als Asylsuchende.

4

Bei ihrer Anhörung vor dem Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge am 31. Juli 2001 führte der Kläger zu 1) im Wesentlichen aus, dass er von 1984 bis 1990 in Russland in der Stadt Rostow studiert habe. Am 5. Februar 1992 sei er nach Afghanistan zurückgekehrt und habe anschließend seinen Wehrdienst abgeleistet. Nach der Machtübernahme durch die Mudjaheddin sei er aus der Armee entlassen worden. Als ziviler Angestellter habe er jedoch zunächst für die Armee weitergearbeitet. Als seine früheren Tätigkeiten bekannt geworden seien, sei er vom 16. 07.bis 02.09.1373 inhaftiert gewesen. Nachdem sein Vater seine Freilassung durch Zahlung von Bestechungsgeld erreicht hatte, habe er Kabul zusammen mit seinen Eltern verlassen und sich in die Provinz Samangan begeben, wo er sich bis zum August/September 1996 aufgehalten habe. Über einen vierwöchigen Aufenthalt bei seinem Cousin in Kabul und über Jalalabad sei er zu seinem Onkel mütterlicherseits nach Laghman gelangt, wo er sich ein Jahr und vier Monate aufgehalten habe. Im Januar 1998 sei ihm dann die Ausreise nach Peshawar gelungen. Als Mitglied der DVPA sei er von den Taliban verfolgt worden. Die Mitgliedschaft in der DVPA und die Tatsache, dass er in Russland Journalismus studiert habe, hätten ausgereicht, um von den Taliban getötet zu werden. Seine Familie sei in Afghanistan bekannt gewesen. Sein ältester Bruder sei in Kabul Staatsanwalt gewesen. Sein Vater sei in verschiedenen Gemeinden in unterschiedlichen Provinzen Bürgermeister gewesen. Bei einer Rückkehr befürchte er, dass man ihn entdecken und festnehmen würde, um ihn letztendlich zu töten.

5

Die Klägerin zu 2) berichtete, dass sie vor der Ausreise aus Afghanistan noch minderjährig gewesen sei und selbst keine Schwierigkeiten gehabt habe. Ihre Eltern aber hätten Probleme mit den Mudjaheddin gehabt. Nach der Machtübernahme der Mudjaheddin sei die Situation für sie unerträglich gewesen. Sie hätten Kabul verlassen und sich zu den Großeltern nach Kandahar begeben. Eines Tages hätten sie die kranke Tante ihrer Mutter besucht. Nach der Rückkehr zu den Großeltern hätten sie die Leichen ihres Cousins, ihrer Großmutter und ihres Großvaters entdeckt. Mudjaheddin hätten sie auf der Suche nach ihrem Vater, der als Stellvertreter des Abteilungsleiters in einem Ministerium gearbeitet habe, getötet.

6

Als Frau, die jahrelang im Ausland gelebt habe, könne sie sich bei einer eventuellen Rückkehr nach Afghanistan dort nicht mehr zurechtfinden. Sie dürfe keinen Beruf ausüben und nicht arbeiten.

7

Mit Bescheid vom 29. September 2003 lehnte das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge den Asylantrag der Kläger ab und stellte fest, dass weder die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG vorliegen noch Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG gegeben sind. Ferner wurden die Kläger zur Ausreise aufgefordert und für den Fall der Nichtbefolgung wurde ihnen die Abschiebung nach Afghanistan angedroht.

8

Dagegen haben die Kläger mit einem am 16. Oktober 2003 bei Gericht eingegangenen Schriftsatz Klage erhoben, mit der sie geltend machen, dass der Kläger zu 1) weiterhin aktives Mitglied der DVPA sei und im Rat der afghanischen Flüchtlinge e.V. mitarbeite. Bei den Mitgliedern des afghanischen Flüchtlingsrates handele es sich überwiegend um Intellektuelle und ehemalige DVPA - Mitglieder. Zu den Aufgaben des Rates zähle es, die im Ausland lebenden Afghanen über die Verbrechen der Mudjaheddin aufzuklären.

9

Sie hätten in Afghanistan keinerlei Verwandte mehr. Nach dem Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 6. August 2003 würden Auslandsafghanen und Rückkehrer typischerweise Opfer von Menschenrechtsverletzungen, Willkür, Plünderung und Gelderpressung. Für die Kläger bestehe daher landesweit eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit im Sinne von § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG.

10

Die Kläger beantragen,

den Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 29. September 2003 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, die Kläger als Asylberechtigten im Sinne des Art. 16 a Abs.1 GG anzuerkennen und festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG, hilfsweise Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG vorliegen.

11

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

12

Am 29. November 2004 hat eine mündliche Verhandlung stattgefunden. Diesbezüglich wird auf die Niederschrift vom Verhandlungstag verwiesen.

13

Wegen des weiteren Sachverhalts wird auf die Gerichtsakten zu diesem Verfahren sowie auf die beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Bundesamtes und des Landkreises Osterholz Bezug genommen.

Gründe

14

Die Klage hat keinen Erfolg.

15

Der Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 29. September 2003 ist rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten, wie es für eine erfolgreiche Klage erforderlich wäre.

16

Den Klägern steht weder ein Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigter gemäß Art. 16 a Abs. 1 des GrundgesetzesGG zu noch haben sie einen Anspruch auf Feststellung von Abschiebungshindernissen gemäß § 51 Abs.1 AuslG.

17

Die Voraussetzungen für die Gewährung eines Anspruchs auf politisches Asyl gemäß Art. 16 a Abs. 1 Grundgesetz - GG - und für die Gewährung des Schutzes vor Abschiebung gemäß § 51 Abs. 1 AuslG sind deckungsgleich, soweit es um die Verfolgungshandlung, das geschützte Rechtsgut, den politischen Charakter der Verfolgung sowie den Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit und dessen Herabstufung bei bereits vor der Ausreise aus dem Heimatstaat verfolgten Asylsuchenden geht (BVerwG, Urteil vom 18. Januar 1994, NVwZ 1994, 497; Urteil vom 5. Juli 1994, NVwZ 1995, 391). Hinsichtlich ihrer Anwendbarkeit unterscheiden sich die Vorschriften lediglich danach, dass Abschiebungsschutz gemäß § 51 Abs. 1 AuslG auch dann zu gewähren ist, wenn einem Betroffenen aus Gründen, die er erst nach der Ausreise aus dem Heimatstaat geschaffen hat (subjektiver Nachfluchtgrund), politische Verfolgung droht oder ein Asylanspruch nach der sog. Drittstaatenregelung gemäß Art. 16 a Abs. 2 GG i.V.m. § 26 a AsylVfG ausgeschlossen ist.

18

Ausgangspunkt für die Gewährung von Abschiebungsschutz nach § 51 Abs. 1 AuslG ist - ebenso wie für die Gewährung politischen Asyls - die in die Zukunft gerichtete Prüfung der Frage, ob der Flüchtling im Fall seiner Rückkehr - erstmals oder erneut - politischer Verfolgung ausgesetzt sein würde, durch die der hiervon Betroffene in eine die Gewährung des Schutzes vor Abschiebung rechtfertigende Notlage geriete.

19

Die Kläger haben im Falle seiner Rückkehr nach Afghanistan keine abschiebungsschutzrelevante politische Verfolgung zu befürchten. Dabei kann offen bleiben, ob dem Begehren der Kläger auf Anerkennung als Asylberechtigten bereits wegen der Vorschriften dargelegt Art. 16 a Abs. 1 Satz 1 GG, § 26 a Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 AsylVfG nicht entsprochen werden kann, weil ihre Einreise auf dem Luftweg in das Bundesgebiet lediglich pauschal und ohne jegliche Konkretisierung behauptet und nicht nachvollziehbar und substantiiert dargelegt und gelegt wird (vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 29. Juni 1999 - 9 C 36/98 -).

20

Ferner kann dahingestellt bleiben, ob der Kläger zu 1) vorverfolgt ausgereist ist, mithin im Zeitpunkt seiner Ausreise von politischer Verfolgung betroffen war oder diese ihm zumindest unmittelbar drohte oder ob er sein Heimatland unverfolgt verlassen hat, denn der Kläger zu 1) ist wie die Klägerinnen zu 2) und 3) im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung jedenfalls im Raum Kabul - ihrer Heimatstadt- vor politischer Verfolgung auf Grund der veränderten politischen und militärischen Verhältnisse hinreichend sicher.

21

Die politische Situation in Afghanistan hat sich seit dem 11. September 2001 grundsätzlich und drastisch verändert. Nach Ablehnung der US-Forderungen nach Auslieferung Osama Bin Ladens durch die Taliban, der für Rädelsführerschaft des internationalen Terrorismus und insbesondere für die Attentate in den USA am 11. September 2001 verantwortlich gemacht wird, haben die USA seit dem 7. Oktober 2001 gezielte Luftschläge gegen militärische und logistische Stützpunkte der Taliban und terroristischer Netzwerke vorgenommen. In der Folgezeit sind die Taliban im November/Dezember 2001 aus ihren Machtpositionen in Kabul und in den sonstigen von ihnen zuvor in Afghanistan kontrollierten Gebieten vertrieben worden. Das Taliban-Regime ist gestürzt (vgl. die Ad hoc-Berichte des Auswärtigen Amtes - AA - vom 18. Oktober 2001, 16. November 2001, 10. Januar 2002 und 4. Juni 2002 sowie die Auskunft des AA an das VG Schleswig vom 6. Dezember 2001). Zwar hat sich im Laufe des Jahres 2003 das Wiedereinsickern islamistischer Kräfte (u.a. Taliban, Al Qaida) aus dem pakistanischen Paschtunengürtel, die während der "heißen Phase" von Enduring Freedom aus Afghanistan im Jahr 2002 geflohen waren, verstärkt (vgl. die Ad hoc-Information des AA zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in Afghanistan - Landesweite Sicherheitslage - Stand: 5. Mai 2003 und die Berichte des AA über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Afghanistan (Stand: Juli 2003) vom 6. August 2003, 22. April 2004 (Stand: März 2004), 3. November 2004 (Stand: Oktober 2004); Dr. Danesch, Gutachten vom 13. November 2003 und Stellungnahmen vom 7. November 2003, 18. November 2003 und 12. Dezember 2003 an das VG Wiesbaden; Fischer-Weltalmanach 2004, Sp. 75 f). Es gibt jedoch keine Anhaltspunkte dafür, dass die Taliban in den Regionen Afghanistans, in denen sie aktiv sind, quasi-staatliche Gewalt ausüben. Vielmehr bekämpft die Antiterrorkoalition die islamistischen Kräfte vor allem im Osten, Südosten und Süden von Afghanistan. Wegen der Reinfiltration von Taliban/Islamisten ist davon auszugehen, dass Kräfte der Antiterrorkoalition noch für längere Zeit in Afghanistan gebunden sein werden (vgl. die Lageberichte des AA vom 6. August 2003, 22. April 2004 und 3. November 2004).

22

Als staatliche oder quasi - staatliche Herrschaftsgewalt im Raum Kabul kommt insoweit nur die durch die internationalen Streitkräfte (ISAF) gestützte Regierung unter dem Präsidenten Karzai in Betracht, in der alle wichtigen Volksgruppen Afghanistans vertreten sind (vgl. Lageberichte des Auswärtigen Amtes vom 6. August 2003, 22. April 2004 und 3. November 2004).

23

Auch wenn man davon ausgeht, dass die Übergangsregierung unter dem gewählten Präsidenten Hamid Karzai gegenwärtig in Afghanistan - jedenfalls im Raum Kabul - staatliche Gewalt ausübt, gibt es keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür, dass insbesondere der Kläger zu 1) politische Verfolgung oder eine unmenschliche Behandlung durch die afghanische Übergangsregierung unter Hamid Karzai ernsthaft zu befürchten hätte.

24

Dem Kläger zu 1). drohen gegenwärtig und in absehbarer Zukunft allein wegen seiner früheren Mitgliedschaft in der DVPA - zuletzt Watan-Partei - keine asyl- bzw. abschiebungsschutzerhebliche Repressalien durch die Übergangsregierung.

25

Über eine Verfolgung ehemaliger Kommunisten seit Zusammentritt der Übergangsregierung ist nichts bekannt geworden (vgl. die Lageberichte des AA vom 4. Juni 2002, 2. Dezember 2002, 6. August 2003 und 3. November 2004). Der bloßen Mitgliedschaft in der DVPA wird keine gesteigerte Bedeutung mehr beigemessen, auch wenn eine Abscheu gegenüber Kommunisten nach wie vor auch in der Übergangsregierung besteht (Deutsches Orient Institut an OVG Bautzen vom 23. September 2004) . Auch in der neueren Zeit, nach dem Sturz des Talibanregimes, gebe es keine Belege für eine systematische nachwirkende Verfolgung ehemaliger Regime-Anhänger durch die staatliche Gewalt - soweit sie existiere - (Deutsches Orient Institut an OVG Bautzen vom 23. September 2004).

26

In den Erkenntnismitteln werden für eine generelle Gefährdung früherer Angehöriger des kommunistischen Regimes weder Referenzfälle angeführt noch sonstige nachprüfbare tatsächliche Grundlagen genannt.

27

Allerdings kann eine Gefährdung - auch an Leib und Leben - hochrangiger früherer Repräsentanten der DVPA (Parcham-wie Khalq-Flügel) bzw. herausragender Militärs und Polizeirepräsentanten sowie des Geheimdienstes Khad der kommunistischen Zeit durch Teile der Bevölkerung als mögliche Reaktion auf frühere Menschenrechtsverletzungen nicht ausgeschlossen werden (vgl. die Lageberichte des AA vom 2. Dezember 2002 und 6. August 2003 und 3. November 2004; Dr. Danesch, Stellungnahmen vom 5. August 2002 an das VG Schleswig, vom 9. Oktober 2002 an das VG Wiesbaden, vom 18. Februar 2003 an das VG Gießen, vom 1. Oktober 2003, vom 13. November 2003 und vom 18. November 2003 an das VG Frankfurt (Oder); Dr. Glatzer, Stellungnahmen vom 26. August 2002 an das VG Hamburg und vom 3. Juli 2003 an das VG Braunschweig; Deutsches Orient Institut an OVG Bautzen vom 23. September 2004, Schweizerische Flüchtlingshilfe, Stellungnahme vom 10. März 2003; UNHCR, Aktualisierte Darstellung der Lage in Afghanistan, September 2003; OVG Münster, Urteil vom 15. Mai 2003 - 20 A 3328/97.A -). Auch für Personen, die an exponierter Stelle innerhalb des kommunistischen Regimes tätig waren, besteht die Gefahr, dass ehemalige Mudjaheddin - Kommandanten, die zu einem großen Teil auch im Kabinett Karzai vertreten sind, auf sie aufmerksam werden und ihnen mit Repressalien drohen (Danesch an OVG Bautzen vom 24. Juli 2004). Es bestünden Hinweise darauf, dass einzelne Regierungsmitglieder in eigener Verantwortung Verfolgung, Repression und auch Tötung ehemaliger Feinde gutheißen. Private Racheakte gegen hochrangige ehemalige Repräsentanten des kommunistischen Systems könnten nicht ausgeschlossen werden (Lagebericht des AA vom 3. November 2004).

28

Eine besondere Gefährdungssituation ergibt sich hieraus für den Kläger zu 1) gegenwärtig und auch auf absehbare Zeit in Afghanistan nicht. Dem Vorbringen des Klägers zu 1) ist nichts dafür zu entnehmen, dass er vor seiner Ausreise aus Afghanistan vor der Machtübernahme der Mudjaheddin an Menschenrechtsverletzungen beteiligt war bzw. für solche die Verantwortung trug. Nach eigener Einlassung war der Kläger zu 1) lediglich einfaches Mitglied der DVPA. Er hat in der Zeit von 1984 bis 1990 in Russland Journalismus studiert und war dort Jugendsekretär der DVPA. Nach seiner Rückkehr war er in der afghanischen Armee einfacher Soldat, der mit Reportagen über Soldaten befasst und nicht in Kampfhandlungen verstrickt war. Nach Machtübernahme durch die Mudjaheddin und Entlassung aus der Armee hat er nach eigenen Angaben auf seiner Dienststelle als ziviler Angestellter weitergearbeitet. Nach seiner Freilassung aus der Haft hat der Kläger zu 1) sich nahezu zwei Jahre offensichtlich unbehelligt in der Provinz Samangan aufgehalten. Auch in der Zeit danach ab September 1996 bis zu seiner Ausreise aus Afghanistan im Januar 1998 hat der Kläger offensichtlich asyl- bzw. abschiebungsschutzerhebliche Verfolgungsmaßnahmen nicht erlitten.

29

Weder ist dem Vorbringen des Klägers zu entnehmen noch ist sonst wie ersichtlich, dass jemand durch den Kläger zu 1) zu Schaden gekommen ist, sodass ein Grund für persönliche Racheakte - geduldet durch die Regierung - nicht besteht. Der Kläger zu 1) hat auch nicht für den Geheimdienst KHAD gearbeitet.

30

Die Klägerinnen zu 2) und 3) sind in Afghanistan nicht wegen ihres weiblichen Geschlechts einer asylrelevanten politischen Verfolgung durch die afghanische Übergangsregierung ausgesetzt.

31

Von den Taliban gegen Frauen erlassene Verbote betreffend insbesondere die Freizügigkeit und Ausbildung sowie Arbeitsmöglichkeiten sind formal in Afghanistan nicht mehr in Kraft (vgl. den Lagebericht des AA vom 6. August 2003). Gleichwohl haben sich bisher nur begrenzte Verbesserungen ergeben. Dies liegt unter anderem an der weiterhin strengen Ausrichtung an Traditionen, fehlender Schulbildung sowie an den für viele unsicheren Zukunftsperspektiven (AA, wie vor.).

32

Außerhalb der Städte hat sich die Situation für die weibliche Bevölkerung seit langen Jahren insgesamt nur wenig geändert (AA, wie vor). In den Städten ist die Veränderung demgegenüber spürbar. Afghanische Frauen waren unter den Taliban seit 1996 von jeglicher Bildung ausgeschlossen. Die Analphabetenrate der Frauen liegt Schätzungen zufolge in der Größenordnung von 90 % (AA, wie vor). Im Sommer 2002 konnten zahlreiche Schulen für Mädchen eröffnet werden. Davon mussten lediglich einige nach Anschlägen wieder vorübergehend schließen, fünf Mädchenschule wurden vollständig niedergebrannt (AA, wie vor).

33

Besonders für die wenigen hoch qualifizierten Afghaninnen hat sich der Zugang zu adäquaten Tätigkeiten bei der Regierung verbessert (AA, wie vor). Im Januar 2003 wurde die von UNICEF finanziell unterstützte "Afghan Women Judges Association" gegründet, deren Ziel es ist, eine aktive Beteiligung von Richterinnen und Anwältinnen in der Justiz zu sichern und gleichzeitig juristischen Beistand für afghanische Frauen bei der Durchsetzung ihrer Rechte bereitzustellen (AA, wie vor). In der neuen Verfassung, welche die Große Ratsversammlung - Loya Jirga - in Kabul Afghanistan Anfang Januar 2004 gegeben hat, werden Frauen und Männern die gleichen Rechte zugestanden (vgl. den Pressebericht in der Süddeutschen Zeitung - SZ - vom 6. Januar 2004).

34

Abschiebungsschutzrelevante Repressalien durch die afghanische Regierung drohen dem Kläger zu 1) nicht wegen seiner geltend gemachten Mitgliedschaft im "Rat der afghanischen Flüchtlinge e.V.".

35

Es ist nicht erkennbar, dass ein Einsatz des Klägers zu 1) in Deutschland für die Rechte von Flüchtlingen in Deutschland sowie von ehemaligen Mitgliedern der DVPA in Afghanistan bei einer Rückkehr in sein Heimatland zu abschiebungsschutzerheblichen Repressalien durch die Übergangsregierung führt.

36

Der Umstand, dass die Kläger als Muslime in Deutschland auch mit westlichen Lebensgewohnheiten in Berührung gekommen sind, führt im Falle einer Rückkehr bei zumutbarer Anpassung an die in Afghanistan weithin als allgemein gültig betrachteten Regeln nicht zu einer abschiebungsschutzrelevanten Gefährdung.

37

Nach der neuen Verfassung ist Afghanistan eine "Islamische Republik". Der Islam wird Staatsreligion. Gleichzeitig wird Anhängern anderer Religionen aber das Recht auf Ausübung ihres Glaubens zugestanden (vgl. Pressebericht in der SZ vom 6. Januar 2004). Es ist den Klägerinnen zu 2) und 3) als Musliminnen in Afghanistan zumutbar, sich dort weiterhin als allgemein gültig betrachteten Regeln - insbesondere Bekleidungsregeln für Frauen, aber auch etwaige Beschränkungen für Gesang und Tanz - wieder anzupassen, und zwar unabhängig davon, ob sie während ihrer Zeit in Deutschland auch von westlichen Idealen beeinflusst worden sind. Maßgeblich ist nämlich nicht die subjektive Sicht der einzelnen Frau bzw. des einzelnen Mädchens. Vielmehr muss hier ein objektiver Maßstab angelegt werden, der sich daran orientiert, was im Heimatland der Betroffenen als das herrschende Wertesystem anzusehen ist (OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 17. Mai 2002 - 6 A 10217/02.OVG -). Bei der asylrechtlichen Beurteilung einer fremden Rechtsordnung kann diese nicht am weltanschaulichen Neutralitäts- und Toleranzgebot des Grundgesetzes gemessen werden, denn es ist nicht Aufgabe des Asylrechts, die Grundrechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland in anderen Staaten durchzusetzen (BVerwG, Urteil vom 18. Februar 1996, BVerwGE 74, 31 <37>[BVerwG 18.02.1986 - 9 C 16/85]). Der Islam ist jedoch seit jeher die in Afghanistan vorherrschende Religion, deren Wertesystem insbesondere in den weit reichenden ländlichen Gebieten galt (OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 17. Mai 2002 - 6 A 10217/02.OVG -).

38

Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG liegen bei den Klägern nicht vor.

39

Einer Abschiebung der Kläger nach Afghanistan stehen Abschiebungshindernisse nach § 53 Abs. 1 AuslG bzw. nach § 53 Abs. 4 AuslG i.V.m. Art. 3 EMRK nicht entgegen. Nach diesen Vorschriften darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem für diesen Ausländer die konkrete Gefahr besteht, der Folter (§ 53 Abs. 1 AuslG) bzw. der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung (§ 53 Abs. 4 AuslG i.V.m. Art. 3 EMRK) unterworfen zu werden. Insoweit muss eine konkrete Prognose im Hinblick auf eine individuelle Gefährdung des betroffenen Ausländers angestellt werden. Eine unmenschliche Behandlung muss auf Grund tatsächlicher Anhaltspunkte ernsthaft zu befürchten sein. Im vorliegenden Fall droht den Klägern eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung in diesem Sinne in Afghanistan nicht.

40

Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass die Kläger bei einem Aufenthalt im Raum Kabul eine unmenschliche Behandlung durch die afghanische Übergangsregierung unter Hamid Karzai ernsthaft zu befürchten haben.

41

Schließlich liegen bei den Klägern auch die Voraussetzungen für ein Abschiebungshindernis nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG nicht vor. Zur Feststellung eines Abschiebungshindernisses nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG reichen allgemeine Gefahren nicht aus (Amtliche Begründung, BT-Drs. 11/63231 S. 75). Es setzt vielmehr eine sich aus den besonderen Umständen des Einzelfalles ergebende erhebliche individuell-konkrete Gefahr voraus (BVerwG, Urteil vom 17. Oktober 1995 - BVerwG 9 C 9.95 - NVwZ 1996, 1999). Dafür ist bei den Klägern nichts ersichtlich.

42

Bei den Gefahren, die aus den aktuellen Lebensumständen in Afghanistan im Raum Kabul möglicherweise resultieren, handelt es sich um allgemeine Gefahren im Sinne von § 53 Abs. 6 Satz 2 AuslG, die bei Entscheidungen der obersten Landesbehörde nach § 54 AuslG berücksichtigt werden. Diese so genannte Sperrwirkung des § 53 Abs. 6 Satz 2 AuslG (vgl. BVerwG, Urteile vom 17. Oktober 1995, a.a.O., vom 27. April 1998 - BVerwG 9 C 13.97 -, NVwZ 1998, 973 = AuAS 1998, 243, und vom 8. Dezember 1998 - BVerwG 9 C 4.98 -, BVerwGE 108, 77, 80 f. [BVerwG 08.12.1998 - 9 C 4/98] = InfAuslR 1999, 266) lässt eine positive Individualentscheidung außerhalb des § 54 AuslG nur zu, wenn diese durch Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG deshalb geboten ist, weil der Ausländer in seinem Heimatstaat anderenfalls einer extremen Gefahrenlage dergestalt ausgesetzt wäre, dass er im Falle seiner Abschiebung dorthin gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert sein würde (BVerwG, Urteil vom 8. Dezember 1998, a.a.O.). Eine solche extreme Gefahrenlage, die ausnahmsweise eine Individualentscheidung auch außerhalb des § 54 AuslG zuließe, besteht jedenfalls im Kabuler Raum nicht (vgl. OVG Hamburg, Urteil vom 11. April 2003 - 1 Bf 104/01 A -; OVG Münster, Urteile vom 20. März 2003 - 20 A 4270/97.A und 20 A 4329/97.A - und 15. Mai 2003 - 20 A 3328/97.A -). Dies hat das Bundesamt in dem angefochtenen Bescheid zutreffend festgestellt. Auf diese Ausführungen wird Bezug genommen.

43

Auf dem gesamten Territorium Afghanistans - sind Ernährungsprobleme im Moment nicht vorhanden sind, die Läden sind mit Ware gefüllt, die Hilfslieferungen der westlichen Staaten gelangen ungehindert in die Stadt, auch wenn die Staatlichkeit und ihre Restitution noch sehr stark in den Anfängen steckt. Der Warentransfer wird nicht mehr behindert und ist auch durch Bürgerkrieg im Moment nicht in Frage gestellt. In Kabul wird gebaut, es gibt einen normalen Straßenverkehr, es gibt wiederum Läden und die sind mit Waren gefüllt (Deutsches Orient Institut an OVG Bautzen vom 23. September 2004).

44

Die Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung verletzen die Kläger nicht in ihren Rechten. Sie finden ihre Rechtsgrundlage in den §§ 34 Abs. 1, 38 Abs. 1 AsylVfG; 50 AuslG.

45

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 159 VwGO; 83 b AsylVfG.

46

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.