Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 18.11.2022, Az.: 3 K 175/22
Anwaltspostfach; beA; Finanzgericht; GmbH; Klageerhebung; Steuerberatungsgesellschaft; Steuerberatungsgesellschaft mbH; Telefax; Nutzung des besonderen Anwaltspostfaches
Bibliographie
- Gericht
- FG Niedersachsen
- Datum
- 18.11.2022
- Aktenzeichen
- 3 K 175/22
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2022, 66454
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE::2022:1118.3K175.22.00
Verfahrensgang
- nachfolgend
- BFH - AZ: XI R 39/22
Rechtsgrundlagen
- BRAO § 31a
- BRAO § 31b
- EGVP
- FGO § 52a
- FGO § 52d
- FGO § 52d S. 1
- FGO § 52d S. 2
- FGO § 56
- FGO § 56 Abs. 1
- FGO § 76
- FGO § 76 Abs. 2
- Sicherer Übermittlungsweg
- VwGO § 55d S. 1
Amtlicher Leitsatz
Rechtsanwälte, die sich mit Steuerberatern zu einer Steuerberatungsgesellschft mbH zusammengeschlossen haben, unterlagen bereits am dem 1. Januar 2022 der Nutzungspflicht hinsichtlich ihres bestehenden besonderen Anwaltspostfaches (beA).
Tatbestand
Streitig ist (vorrangig), ob die Klage ordnungsgemäß erhoben worden und damit zulässig ist. In der Sache begehrt die Klägerin die Änderung eines auf geschätzten Besteuerungsgrundlagen ergangenen Umsatzsteuerbescheides.
Die Klägerin gab ihre Steuererklärungen für das Streitjahr (2019) zunächst nicht ab. Deshalb schätzte das FA mit Bescheid vom 11. März 2022 u.a. die festzusetzende Umsatzsteuer nach § 162 der Abgabenordnung (AO) in Höhe von 167.977,70 €. Da die Klägerin ihre Einsprüche gegen die Schätzbescheide nicht begründete, wies das FA die Einsprüche mit Einspruchsbescheid vom Freitag, den 10. Juni 2022 als unbegründet zurück. Der Einspruchsbescheid ging der steuerlichen Beraterin der Klägerin, einer Steuerberatungsgesellschaft mbH, am 14. Juni 2022 zu.
Die Klägerin beauftragte die Steuerberatungsgesellschaft mit einer Klage gegen den Umsatzsteuerbescheid 2019. Der Rechtsanwalt A, der nicht zugleich auch als Steuerberater zugelassen ist, erhob als einer der Gesellschafter-Geschäftsführer der "B Steuerberatungsgesellschaft mbH" mit Schriftsatz vom 12. Juli 2022 Klage gegen den Umsatzsteuerbescheid. Die Klageschrift unterzeichnete der Rechtsanwalt und übermittelte die Klageschrift am gleichen Tag per Telefax an das Gericht.
Nach der Erfassung der Klageschrift in der EDV des Gerichts und Anlage einer Gerichtsakte fertigte der Berichterstatter (bzw. dessen geschäftsplanmäßiger Vertreter) nach Vorlage der Akte unter dem 18. Juli 2022 die Eingangsverfügung, mit der u.a. der Prozessbevollmächtigten der Klägerin der Eingang der Klage bestätigt worden ist. Ab dem 14. September 2022 kommunizierte der Rechtsanwalt parallel per Telefax und erstmals per beA (besonderes Anwaltspostfach) mit dem Gericht.
Bereits mit richterlichem Hinweis vom 16. September 2022 wies der Berichterstatter die prozessbevollmächtigte Steuerberatungsgesellschaft und den dort tätigen Rechtsanwalt auf die Regelung des § 52d der Finanzgerichtsordnung (FGO) und die mögliche Unzulässigkeit der Klage hin. Der Richterbrief wurde am 21. September 2022 elektronisch übersandt. Die Prozessbevollmächtigte der Klägerin machte anschließend geltend, dass sie als Steuerberatungsgesellschaft in der Rechtsform einer GmbH im Jahr 2022 noch nicht verpflichtet sei, die Klage gemäß § 52d FGO elektronisch anzubringen und berief sich dazu auf eine Stimme in der Literatur (Brandis in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 52d Rn. 1). In einem ausführlichen telefonischen Rechtsgespräch zwischen dem Berichterstatter und den beiden Geschäftsführern der Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 14. Oktober 2022 erläuterte der Berichterstatter den Gesprächspartnern nochmals, dass er die Klage zurzeit als unzulässig ansehe und dies am 9. November 2022 im Senat noch beraten wolle. Falls die Klage nach Auffassung des Senats unzulässig sei, werde voraussichtlich ein Gerichtsbescheid mit Zulassung der Revision ergehen. Falls der Senat die Klage nach Beratung doch als zulässig einstufe, werde ein entsprechender Hinweis an die Beteiligten ergehen. Der Berichterstatter informierte anschließend das FA über den Inhalt des Telefonats.
Mit Schriftsatz vom 7. November 2022 wiederholte und vertiefte die Prozessbevollmächtigte der Klägerin ihre Rechtsansicht zu § 52d FGO. Als Steuerberatungsgesellschaft sei sie nicht verpflichtet gewesen, die Klageschrift elektronisch anzubringen. Bevollmächtigte sei nicht der Rechtsanwalt, sondern eine eigenständige juristische Person, nämlich eine Steuerberatungsgesellschaft. Dies ergäbe sich auch aus der Vollmacht der Klägerin. Für Steuerberatungsgesellschaften in der Rechtsform einer GmbH habe im Zeitpunkt der Klageerhebung im Juli 2022 noch kein sicherer Übermittlungsweg bestanden und die Gesellschaft sei deshalb nicht verpflichtet gewesen, die Klageschrift als elektronisches Dokument zu übermitteln. Deshalb habe Brandis zutreffend in seiner Kommentierung darauf hingewiesen, dass sich nach dem Wortlaut des § 52d FGO diese Verpflichtung nicht auf "Steuerberater oder Wirtschaftsprüfer bzw. vereidigte Buchprüfer (und Steuerbevollmächtigte oder Steuerberatungsgesellschaften) beziehe" (Brandis, aaO.). Insoweit könne zugleich nicht der gleiche Maßstab angelegt werden wie bei beruflichen Zusammenschlüssen in der Rechtsform von Personengesellschaften. Zwar habe die Rechtsprechung insoweit inzwischen mehrfach entschieden, dass ein Rechtsanwalt in einer solchen Konstellation das besondere Anwaltspostfach nutzen müsse (BFH, Beschluss vom 23. August 2022 VIII S 3/22, BFH/NV 2022, 1248 und Finanzgericht Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 12. Juli 2022 4 V 1340/22, EFG 2022, 1547). Diese Rechtsprechung sei auf Steuerberatungsgesellschaften in der Rechtsform einer GmbH wegen der eigenen Rechtspersönlichkeit der Gesellschaft nicht übertragbar. Nur die Gesellschaft könne in Vollmacht handeln. Eine unmittelbare Bevollmächtigung des hier tätig gewordenen Rechtsanwalts habe daneben nicht bestanden.
Das von der Prozessbevollmächtigten genutzte Programm zur Bearbeitung der Fälle lasse zurzeit eine Übermittlung per beA für dort tätige Rechtsanwälte noch gar nicht zu. Schriftsätze müssten - falls eine Verpflichtung zur Nutzung des beA bestanden haben sollte - vielmehr aus dem geschlossenen System der Prozessbevollmächtigten exportiert und in das eigenständige System des Rechtsanwalts übertragen werden, um von dort beA nutzen zu können. Dies sei im Ergebnis nicht zumutbar.
Die Gesellschafter der Prozessbevollmächtigten seien im Juli 2022 beide der festen Überzeugung gewesen, dass die Klage zulässigerweise per Telefax habe übermittelt werden dürfen und eine Nutzung des beA nicht in dieser Konstellation notwendig gewesen sei.
Die Vorschrift des § 52d FGO sei - auch nach Ansicht des Hessischen Finanzgerichts (Beschluss vom 2. Juni 2022 4 K 214/22, Stbg 2022, 356) - nicht eindeutig.
Jedenfalls sei das Gericht nach § 76 FGO verpflichtet gewesen, die Klägerin bzw. ihre Prozessbevollmächtigte bereits beim Eingang der Klage auf den evtl. Mangel der Klage hinzuweisen. Die Klage sei bereits am Dienstag, den 12. Juli 2022 eingegangen und die Klagefrist sei erst am Donnerstag, den 14. Juli 2022 abgelaufen. Dies habe sich aus dem mit der Klageschrift übersandten Einspruchsbescheid mit dem Eingangsstempel der Prozessbevollmächtigten unmittelbar ergeben. Es habe deshalb genügend Zeit für einen solchen Hinweis gegeben.
Im Übrigen sei bisher im Streitfall überhaupt noch nicht geklärt, ob die Klage unzulässig gewesen sei. Der Senat wolle dies noch diskutieren.
Rein vorsorglich werde Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Eine Begründung werde auf einen entsprechenden Hinweis des Gerichts eingereicht. Dann werde die Klageschrift auch ein zweites Mal - nunmehr über beA - übermittelt werden.
An einer Rechtsfortbildung bestehe angesichts der kurzen Zeit bis zur Änderung der Rechtslage auch für Steuerberater usw. zum 1. Januar 2023 wohl kein großes Interesse. Deshalb sei es eher angebracht, dass der Senat für eine materiell-rechtlich zutreffende Entscheidung Sorge trage als knifflige Fragen der beA-Nutzungspflichten über den BFH diskutieren zu wollen. Hier werde versucht, ein Exempel am Falschen zu statuieren. Der Rechtsanwalt schätze die Vorteile der elektronischen Kommunikation seit vielen Jahren.
In der Sache müsse die inzwischen vorliegende Umsatzsteuererklärung, die inhaltlich unstreitig sei, nunmehr in einem Änderungsbescheid umgesetzt werden.
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
den Umsatzsteuerbescheid 2019 vom 10. Februar 2022 in Gestalt des Einspruchsbescheides vom 14. Juni 2022 dahingehend zu ändern, dass die Umsatzsteuer 2019 nach Maßgabe der am 12. Juli 2022 elektronisch eingereichten Umsatzsteuerjahreserklärung geändert und die festgesetzte Umsatzsteuer auf 134.175,76 € ermäßigt wird.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen
und verweist darauf, dass der Rechtsanwalt seine Berufsausübungspflichten nicht beachtet habe, die allein an seine persönliche Zulassung als Rechtsanwalt anknüpften. Dies habe die dazu bisher vorliegende Rechtsprechung ebenfalls bestätigt.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist unzulässig.
Die Klage ist entgegen §§ 52a, 52d FGO von dem bei der Prozessbevollmächtigten der Klägerin tätigen zugelassenen Rechtsanwalt nicht innerhalb der Klagefrist als elektronisches Dokument übermittelt worden. Wiedereinsetzungsgründe bestehen nicht.
1. Gemäß § 52d Satz 1 FGO sind vorbereitende Schriftsätze und deren Anlagen sowie schriftlich einzureichende Anträge und Erklärungen, die durch einen Rechtsanwalt, durch eine Behörde oder durch eine juristische Person des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihr zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse eingereicht werden, als elektronisches Dokument zu übermitteln. Dies hat der im Streitfall tätig gewordene Rechtsanwalt nicht beachtet.
Nach § 31a der Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO) hatte die Bundesrechtsanwaltskammer für jede im Gesamtverzeichnis der Rechtsanwälte eingetragene natürliche Person ein besonderes elektronisches Anwaltspostfach empfangsbereit eingerichtet, das ab dem 1. Januar 2022 funktionsfähig war. Nach der ursprünglichen Konzeption des Gesetzes, die bis zum 1. August 2022 galt, sollten ausschließlich natürliche Personen ein persönliches Anwaltspostfach erhalten. Für Rechtsanwaltsgesellschaften oder andere Zusammenschlüsse von Berufsträgern (Rechtsanwälten, Steuerberatern, Wirtschaftsprüfern usw.) waren zunächst in der Bundesrechtsanwaltsordnung in der im Zeitraum vom 1. Januar bis 31. Juli 2022 geltenden Fassung keine elektronischen Anwaltspostfächer vorgesehen. Erst durch das Gesetz zur Neuregelung des Berufsrechts der anwaltlichen und steuerberatenden Berufsausübungsgesellschaften sowie zur Änderung weiterer Vorschriften im Bereich der rechtsberatenden Berufe vom 7. Juli 2022 (BGBl I 2022, 2363) sind mit Wirkung zum 1. August 2022 besondere elektronische Postfächer für Berufsausübungsgesellschaften der Rechtsanwälte (§ 31b BRAO), elektronische Postfächer für Steuerberater u.a. (§ 86d des Steuerberatungsgesetzes (StBerG)) und für Berufsausübungsgesellschaften von Steuerberatern u.a. (§ 86e StBerG) eingeführt. Berufsausübungsgemeinschaften erhielten ihre besonderen elektronischen Postfächer unabhängig von der Rechtsform (Personen- oder Kapitalgesellschaft).
Die Rechtsprechung hat seit der Einführung des besonderen elektronischen Anwaltspostfaches und der Nutzungsverpflichtung zum 1. Januar 2022 relativ schnell erste Schriftsätze und Anträge von Rechtsanwälten, die nicht über das besondere Anwaltspostfach (beA) übermittelt worden sind, verfahrensrechtlich als unbeachtlich bewertet und ggf. Verfahren als unzulässig zurückgewiesen (vgl. BFH-Beschlüsse vom 23. August 2022, aaO und vom 27. April 2022, XI B 8/22, BFH/NV 2022, 1057; Finanzgericht Münster, Beschluss vom 22. Februar 2022 8 V 2/22, EFG 2022, 592; Finanzgericht Köln, Urteil vom 19. Mai 2022 6 K 1883/21, EFG 2022, 1389) Das Finanzgericht Berlin-Brandenburg hat bei einem Rechtsanwalt, der auch als Steuerberater und Wirtschaftsprüfer zugelassen war, einen per Telefax übermittelten AdV-Antrag ebenso als nicht formgerecht zurückgewiesen (Beschluss vom 8. März 2022 8 V 8020/22, Stbg 2022, 193). Die Gerichte haben auch entschieden, dass die verpflichtende Nutzung des beA gemäß § 52d FGO auch für Rechtsanwälte gilt, wenn sie Rechtsanwaltsgesellschaften in der Rechtsform einer juristischen Person angehören (Finanzgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 6. Juli 2022 9 K 9009/22, juris; ebenso: Sächsisches Oberverwaltungsgericht, Beschluss vom 9. August 2022 3 A 364/22.A, juris zur entsprechenden Vorschrift in der Verwaltungsgerichtsordnung (§ 55d Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung). Allerdings sei ein Rechtsanwalt, der zusammen mit Steuerberatern u.ä. an einer Partnerschaftsgesellschaft mit beschränkter Berufshaftung beteiligt ist, nicht verpflichtet, quasi als Poststelle die gerichtlichen Schriftsätze aller Steuerberater der Gesellschaft über sein besonderes persönliches Anwaltspostfach zu übermitteln; vielmehr könne und dürfe jeder dort in der Gesellschaft tätige Steuerberater weiterhin etwa das Telefax zur Übermittlung von Schriftsätzen nutzen (Hessisches Finanzgericht, Beschluss vom 2. Juni 2022, aaO.). Soweit allerdings der in einer interprofessionellen Berufsausübungsgesellschaft tätige Rechtsanwalt für eine Wirtschaftsprüfungsgesellschaft ("X & Partner mbH Wirtschaftsprüfungsgesellschaft - Steuerberater - Rechtsanwalt") tätig werde, bestehe der umfassende beA-Nutzungszwang (Finanzgericht Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 12. Juli 2022, aaO.).
Im Zeitpunkt der Klageerhebung (12. Juli 2022) bestand die Nutzungspflicht des beA-Postfaches für alle natürlichen Personen, die als Rechtsanwälte zugelassen waren. Das Gesetz sah daneben noch keine Nutzungsmöglichkeiten für Berufsausübungsgesellschaften vor. Der für die Prozessbevollmächtigte der Klägerin tätige Rechtsanwalt, der auch die Klageschrift unterzeichnet hatte, war daher verpflichtet, das besondere Anwaltspostfach (beA) zur Erhebung der Klage zu nutzen. Die Übersendung per Telefax reichte nicht aus. Die Berufsausübungspflichten dieses Rechtsanwalts waren nicht teilbar. Er unterlag als Rechtsanwalt in einer Einzelpraxis ebenso wie als Gesellschafter-Geschäftsführer der Prozessbevollmächtigten, einer Steuerberatungsgesellschaft mbH, der Nutzungspflicht des beA (ebenso bereits Finanzgericht Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 12. Juli 2022, aaO.).
Entgegen der Darstellung der Prozessbevollmächtigten der Klägerin handelte es sich im Streitfall beim Finanzgericht Rheinland-Pfalz nicht um eine Berufsausübungsgesellschaft in der Rechtsform einer Personengesellschaft, sondern wie hier um eine Kapitalgesellschaft, wenn auch um eine Wirtschaftsprüfungsgesellschaft mbH während es sich im Streitfall dem Namen nach um eine Steuerberatungsgesellschaft mbH und inhaltlich um eine Steuerberatungs- und Rechtsanwaltsgesellschaft handelt, der auch ein Rechtsanwalt als Berufsträger angehört. Eine abweichende rechtliche Beurteilung ergibt sich in Bezug auf § 31a BRAO mit § 52d Satz 1 FGO nicht.
Soweit sich die Prozessbevollmächtigte der Klägerin auf eine vermeintlich abweichende Kommentierung von Brandis in Tipke/Kruse (§ 52d FGO Rn. 1) beruft und daraus für sich ableitet, dass die Klageerhebung per Telefax formgerecht gewesen sei, folgt der Senat dem nicht. Der Kommentator betont, dass es bei Doppel-/Mehrfachqualifikationen für die Nutzungspflicht ausreiche, dass die handelnde Person auch Rechtsanwalt sei. Weiter vertritt er nach dem Verständnis des Gerichts wohl nur die Rechtsauffassung, dass nach § 52d Satz 2 FGO Personen, die nach § 62 Abs. 2 FGO vertretungsberechtigt sind - also etwa Steuerberater und (reine) Steuerberatungsgesellschaften ohne Rechtsanwälte - nicht der Nutzungspflicht unterlägen, auch wenn sie statt eines beA etwa über ein De-Mail-Konto verfügen würden. Dies steht der hier vertretenen Rechtsauffassung im Ergebnis nicht entgegen.
2. Der Klägerin ist wegen der Versäumung der Klagefrist nicht von Amts wegen Wiedereinsetzung in die versäumte Klagefrist zu gewähren, weil das Gericht - so die Klägerin - seine Hinweispflichten aus § 76 Abs. 2 FGO verletzt habe.
Grundsätzlich kann ein Prozessbeteiligter erwarten, dass offenkundige Versehen, wie das Fehlen einer zur Fristwahrung erforderlichen Unterschrift, von dem angerufenen Gericht in angemessener Zeit bemerkt und als Folge der prozessualen Fürsorgepflicht innerhalb eines ordnungsgemäßen Geschäftsgangs die notwendigen Maßnahmen getroffen werden, um eine drohende Fristversäumung zu vermeiden (BVerfG-Beschluss in NJW 2005, 814 [BVerfG 22.10.2004 - 1 BvR 894/04], unter II.2.b bb; dort war der maßgebende Schriftsatz - ebenso wie in einem Fall des BFH (Beschluss vom 12. Juli 2017 X B 16/17, BFHE 257, 523, BFH/NV 2017, 1204) - acht Tage vor Fristablauf beim zuständigen Gericht eingereicht worden).
Nach ständiger Rechtsprechung der obersten Gerichtshöfe des Bundes und des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) ist ein Gericht auch verpflichtet, einen Schriftsatz, der eindeutig als fehlgeleitet erkennbar ist, im Rahmen des ordnungsgemäßen Geschäftsgangs ohne schuldhaftes Zögern an die zuständige Stelle weiterzuleiten. Bei einer schuldhaft verzögerten Weiterleitung ist dem Verfahrensbeteiligten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren (grundlegend BVerfG-Beschluss vom 20. Juni 1995 1 BvR 166/93, BVerfGE 93, 99, unter C.II.). Dies gilt nach dieser Rechtsprechung unabhängig davon, auf welchen Gründen der Fehler bei der Einreichung des bestimmenden Schriftsatzes beruht (BVerfG-Beschluss in BVerfGE 93, 99, unter C.II.2.b; vgl. auch BVerfG-Beschluss vom 2. September 2002 1 BvR 476/01, BStBl II 2002, 835). Für ein bereits vorher mit der Sache befasstes Gericht entspricht das Unterbleiben einer Weiterleitung, obwohl bis zum Fristablauf noch eine Spanne von fünf Arbeitstagen zur Verfügung stand, nicht mehr einem ordentlichen Geschäftsgang (vgl. Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 3. Juli 2006 II ZB 24/05, NJW 2006, 3499). Demgegenüber besteht keine Pflicht zur sofortigen Prüfung und Weiterleitung noch am Tage des Eingangs des Schriftsatzes oder zu einer beschleunigten Weiterleitung per Telefax (BFH-Beschluss vom 27. Oktober 2004 XI B 130/02, BFH/NV 2005, 563).
Dementsprechend stellt es einen Verfahrensmangel (Verletzung der Verfahrensförderungspflicht des § 76 Abs. 2 FGO) dar, wenn ein FG bei einer weit vor Ablauf der Klagefrist eingereichten Klage zwar noch innerhalb der Klagefrist auf bestimmte formale Mängel hinweist, aber erst nach drei Jahren ergänzend beanstandet, dass die Klageschrift lediglich mit einer Paraphe versehen sei, und aus diesem Grund die Klage als unzulässig verwirft (BFH-Beschluss vom 30. Januar 1996 V B 89/95, BFH/NV 1996, 683, unter II.3.b).
Im Streitfall handelte es sich nicht um ein solches offenkundiges Versehen der Prozessbevollmächtigten der Klägerin, das eine Hinweispflicht hätte auslösen können. Diese erhob vielmehr bewusst durch ihren Gesellschafter-Geschäftsführer, der als Rechtsanwalt zugelassen ist und der über ein besonderes Anwaltspostfach verfügt, die Klage per Telefax statt über beA. Die Vorgehensweise entsprach einer (unzutreffenden) Rechtsansicht des handelnden Rechtsanwaltes, der als Berufsträger diese Rechtsfrage selbst vor der Klageerhebung umfassend hätte prüfen müssen und ggf. die Klage vorsichtshalber doppelt (per beA und Telefax) hätte erheben können. Er muss für seine Mandantin den sichersten Weg wählen. Daneben war dieser "Fehler" nicht einmal offenkundig, da die streitentscheidende Rechtsfrage zu § 52d FGO einer intensiven rechtlichen Prüfung durch den Berichterstatter bedurft hätte.
Überdies liegt auch deshalb kein Verfahrensmangel vor, weil das Gericht Innerhalb des ordnungsgemäßen Geschäftsgangs im Streitfall einen entsprechenden Hinweis nicht rechtzeitig hätte erteilen können. Die Klage ist am Dienstag, den 12. Juli 2022 nach Kanzleischluss per Telefax um 16:40 Uhr bei Gericht eingegangen. Sie wurde von der Geschäftsstelle am folgenden Arbeitstag ausgedruckt und der für die Erfassung neuer Klagen zuständigen Geschäftsstelle zugeleitet. Die Klage wurde dort (neben Klagen aus anderen Senaten) am Freitag erfasst und am Montag dem Berichterstatter zur Erstellung der Eingangsverfügung vorgelegt. Diese Verfahrensweise entspricht einem ordnungsgemäßen Geschäftsgang. Seit dem Eingang bzw. dem ersten Ausdruck der Klage am Mittwoch standen innerhalb des Gerichts nur zwei volle Arbeitstage für einen evtl. Hinweis des Berichterstatters zur Verfügung. Bei einer solch kurzfristigen Klageerhebung besteht kein Anspruch auf eine verfahrensrechtliche Vorabprüfung eines Berichterstatters noch vor Ablauf der Klagefrist.
Bei den richterlichen Hinweispflichten nach § 76 Abs. 2 FGO geht es weniger um die Sachaufklärung durch das Gericht als darum, Schutz und Hilfestellung für die Beteiligten zu geben, deren Eigenverantwortlichkeit dadurch aber nicht eingeschränkt oder beseitigt wird. Liegt die rechtliche Bedeutung bestimmter Tatsachen und die daraus folgende Erforderlichkeit, diese Tatsachen bei Gericht vorzubringen und zu substantiieren, auf der Hand, so stellt ein unterlassener Hinweis jedenfalls dann keine gegen § 76 Abs. 2 FGO verstoßende Pflichtverletzung dar, wenn die Kläger steuerlich beraten und im Prozess entsprechend vertreten waren (BFH-Beschlüsse vom 4. August 1999 VIII B 51/98, BFH/NV 2000, 204; vom 7. Oktober 2015 VI B 49/15 und vom 20. September 2022 VI B 1/22, juris).
3. Der Klägerin ist auch nicht auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 56 FGO zu gewähren, da sie jedenfalls nicht innerhalb von zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses Wiedereinsetzung beantragt, die Gründe glaubhaft gemacht hat und vor allem die versäumte Handlung nicht nachgeholt hat.
Die Klägerin bzw. deren Prozessbevollmächtigte hat durch den richterlichen Hinweis vom 16. September 2022, der der Prozessbevollmächtigten am 21. September 2022 per EGVP in das beA des Rechtsanwalts übermittelt worden ist, von dem Mangel der Klageschrift Kenntnis erlangt. Unter dem 29. September 2022 bat der in der Kanzlei der Prozessbevollmächtigten tätige Steuerberater um ein telefonisches Rechtsgespräch mit dem Unterzeichner wegen der vermeintlichen nicht wirksamen Erhebung der Klage. Einen Wiedereinsetzungsantrag stellte der Unterzeichner nicht.
In einem ausführlichen telefonischen Rechtsgespräch zwischen dem Berichterstatter und den beiden Geschäftsführern der Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 14. Oktober 2022 erläuterte der Berichterstatter den Gesprächspartnern nochmals, dass er die Klage zurzeit für unzulässig halte und diese Frage dem Senat zur Entscheidung vorlegen werde.
Erstmals mit Schriftsatz vom 7. November 2022, also rund 3 1/2 Wochen später, beantragte die Prozessbevollmächtigte der Klägerin vorsorglich Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und kündigte an, im Falle einer ablehnenden Meinungsbildung im Senat den Wiedereinsetzungsantrag begründen und dann die versäumte Handlung nachholen zu wollen.
Überdies bestünde selbst bei fristgerechter Beantragung, einer weiteren Begründung und einer Nachholung der Klageerhebung in der gehörigen Form kein Anspruch auf Wiedereinsetzung nach § 56 FGO.
Nach § 56 Abs. 1 FGO ist Wiedereinsetzung zu gewähren, wenn jemand ohne Verschulden an der Einhaltung der gesetzlichen Frist gehindert war (§ 56 Abs. 1 FGO). Hiernach schließt jedes Verschulden - also auch einfache Fahrlässigkeit - die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand aus (BFH-Beschlüsse vom 11. Oktober 1991 VII R 32/90, BFH/NV 1994, 553; vom 25. April 2005 VIII B 42/02, BFH/NV 2005, 1821; vom 18. Januar 2007 III R 65/05, BFH/NV 2007, 945). Der Beteiligte muss sich ein Verschulden seines Prozessbevollmächtigten zurechnen lassen (§ 155 FGO i.V.m. § 85 Abs. 2 ZPO; vgl. BFH-Urteile vom 28. Oktober 2008 VIII R 36/04, BFHE 223, 166, BStBl II 2009, 190 und vom 28. Juli 2015 VIII R 50/13, juris).
Die Klägerin bzw. deren Prozessbevollmächtigte hat sich nach eigenen Angaben fahrlässig allein auf eine nicht ganz eindeutige Rechtsansicht in einem Kommentar zur FGO (Brandis in Tipke/Kruse, aaO.) gestützt statt den "sichereren Weg" einer doppelten Klageerhebung (per beA und Telefax) zu wählen. Sicher wäre auch eine Klageerhebung nur per beA gewesen, da der handelnde Rechtsanwalt jedenfalls dazu befugt und in der Lage war. Die Abweichung davon war mindestens leicht fahrlässig.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
5. Die Revision wird gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO zugelassen, da eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs zur Fortbildung des Rechts erforderlich ist. Die Frage, ob der in einer Steuerberatungsgesellschaft in der Rechtsform einer juristischen Person tätige Rechtsanwalt seit dem 1. Januar 2022 nach § 52d FGO verpflichtet war, die Klageschrift als elektronisches Dokument zu übermitteln, ist bisher höchstrichterlich nicht geklärt.