Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 08.11.2022, Az.: 8 K 41/21

Keine verfassungswidrige Verletzung schutzwürdigen Vertrauens durch die rückwirkende Anwendung des § 5a Abs. 4 S. 5 bis 7 EStG in der Fassung des Gesetzes zur Modernisierung der Entlastung von Abzugssteuern und der Bescheinigung der Kapitalertragsteuer (AbzStEntModG) vom 02.06.2021 (BGBl. I 2021, 1259) gemäß § 52 Abs. 10 Satz 4 EStG

Bibliographie

Gericht
FG Niedersachsen
Datum
08.11.2022
Aktenzeichen
8 K 41/21
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2022, 58945
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE::2022:1108.8K41.21.00

Verfahrensgang

nachfolgend
BFH - AZ: IV R 31/22

Tatbestand

Streitig ist die Höhe der Beteiligungseinkünfte des Klägers an der A-KG (Schifffahrtsgesellschaft) im Veranlagungszeitraum (VZ) 2016.

Ursprünglich war der im Jahr 2004 verstorbene Vater des Klägers mit einer Kommanditeinlage in Höhe von 150.000 € an der Schifffahrtsgesellschaft beteiligt. Im Wege der Gesamtrechtsnachfolge traten an seiner Stelle der Kläger mit einer Einlage von 37.500 €, dessen Bruder mit einer Einlage von 37.500 € sowie die Mutter des Klägers mit einer Einlage von 75.000 € in die Schifffahrtsgesellschaft ein. Die Mutter des Klägers übertrug ihre Kommanditeinlage im Wege der Schenkung mit Wirkung zum 31.12.2007 je zur Hälfte auf den Kläger und dessen Bruder, sodass sich die Kommanditeinlage des Klägers auf 75.000 € belief.

Die Schifffahrtsgesellschaft ermittelte ihren Gewinn bis 2015 gemäß § 5a des Einkommensteuergesetzes (EStG). Ihren Antrag auf Gewinnermittlung nach § 5a EStG nahm die Schifffahrtsgesellschaft mit Wirkung vom 01.01.2016 zurück. Die in der Vergangenheit festgestellten Unterschiedsbeträge rechnete sie im Jahr 2016 in voller Höhe dem Gewinn nach § 5a Abs. 1 EStG hinzu. Der Beklagte führte die gesonderte und einheitliche Feststellung der Besteuerungsgrundlagen für 2016 mit gemäß § 164 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO) unter dem Vorbehalt der Nachprüfung ergangenem Bescheid erklärungsgemäß (Abgabe der Feststellungserklärung am 29.12.2017) durch. Dementsprechend stellte der Beklagte für den Kläger Einkünfte aus Gewerbebetrieb in Höhe von ./. 5.000 € fest, die sich aus einem hinzugerechneten Unterschiedsbetrag in Höhe von 12.000 € sowie laufenden Einkünften in Höhe von ./. 17.000 € zusammensetzten.

Im November 2018 stellte der Kläger einen Antrag auf Änderung des Feststellungsbescheides für 2016 mit dem Ziel, ihm den aufgelösten Unterschiedsbetrag in Höhe von 12.000 € nicht zuzurechnen. Zur Begründung führte er aus, dass der Unterschiedsbetrag nach § 5a Abs. 4 EStG ausweislich des Urteils des Finanzgerichts Hamburg vom 19.12.2017, 2 K 277/16, EFG 2018, 655 in einem sehr viel früheren VZ hätte versteuert werden müssen, nämlich im Zeitpunkt des Übergangs der Mitunternehmeranteile durch den Vater im VZ 2004 bzw. durch die Mutter im VZ 2007. Es könne nicht zu einer Hinzurechnung des auf den Erblasser bzw. des auf die Schenkerin entfallenden Anteils in einem späteren, auf das Erbe bzw. die Schenkung folgenden VZ kommen. Eine Berücksichtigung des Unterschiedsbetrages in einem sehr viel späteren Veranlagungsjahr sei nicht mehr möglich.

Mit Bescheid vom ...01.2019 lehnte der Beklagte die Änderung des Feststellungsbescheides für 2016 vom ....04.2018 ab. Hiergegen legte der Kläger fristgerecht Einspruch ein und beantragte das Ruhen des Einspruchsverfahrens bis zur höchstrichterlichen Entscheidung in dem unter dem Aktenzeichen IV R 4/18 vor dem Bundesfinanzhof (BFH) anhängigen Revisionsverfahren.

Im Februar 2020 beantragte der Kläger die Wiederaufnahme des Einspruchsverfahrens, da der BFH mit Urteil vom 28.11.2019, IV R 28/19 entschieden hatte, dass der Begriff des Ausscheidens in § 5a Abs. 4 Satz 3 Nr. 3 EStG jedes Ausscheiden eines Gesellschafters umfasse, unabhängig davon, ob der Gesellschafter unentgeltlich oder entgeltlich, im Wege der Einzel- oder Gesamtrechtsnachfolge ausscheide. Demzufolge könnten in einem Gewinnfeststellungsbescheid nur solchen Mitunternehmern aufgelöste Unterschiedsbeträge zugerechnet werden, für die in dem Feststellungsbescheid nach § 5a Abs. 4 Satz 2 EStG auch entsprechende Unterschiedsbeträge festgestellt worden seien. Wenn für einen Mitunternehmer -wie vorliegend für den Kläger- in diesem Bescheid kein Unterschiedsbetrag festgestellt worden sei, könne ihm in einem späteren Gewinnfeststellungsbescheid kein Betrag aus der Auflösung eines Unterschiedsbetrages zugerechnet werden. Im Falle des Ausscheidens eines Mitunternehmers aus der Gesellschaft, ohne dass im Jahr seines Ausscheidens der für ihn im Feststellungsbescheid nach § 5a Abs. 4 Satz 2 EStG festgestellte Anteil am Unterschiedsbetrag aufgelöst und seinem Gewinn hinzugerechnet worden sei, könne die unterbliebene Auflösung und Zurechnung nicht in einem späteren Jahr nachgeholt werden.

Über den Einspruch des Klägers gegen die Ablehnung seines Antrags auf Änderung des Feststellungsbescheides für 2016 hat der Beklagte bisher nicht entschieden. Bei der Schifffahrtsgesellschaft finde derzeit eine Außenprüfung (Ap) statt, sodass eine Entscheidung über den Einspruch erst nach Beendigung der Ap im Rahmen der Vorbehaltsaufhebung erfolgen solle. Diese Erwägungen wurden dem Kläger jedoch nicht mitgeteilt.

Der Beklagte wies darauf hin, dass er an die bisherige Verwaltungspraxis gebunden sei und die Urteile des BFH vom 28.11.2019, IV R 28/19, vom 29.04.2020, IV R 17/19 und vom 01.10.2020, IV R 4/18 über den entschiedenen Einzelfall hinaus nicht anwendbar seien.

Den Antrag auf Fortsetzung des Einspruchsverfahrens wiederholte der Kläger im Januar 2021. Im März 2021 erhob er Untätigkeitsklage i.S.d. § 46 Abs. 1 FGO mit dem Begehren, den streitbefangenen Unterschiedsbetrag in Höhe von 12.000 € nicht beim Kläger aufzulösen. Zur Begründung beruft er sich auf die Ausführungen des BFH in seinem Urteil vom 28.11.2019, IV R 28/19, BFH/NV 2020, 412. Die entgegenstehende Gesetzesänderung sei verfassungswidrig und nicht zu berücksichtigen. Insoweit liege eine echte Rückwirkung vor.

Der Kläger beantragt,

den Beklagten zu verpflichten, den Bescheid für 2016 über die gesonderte und einheitliche Feststellung von A-KG vom .... 04.2018 unter Aufhebung des Ablehnungsbescheids vom ... 01.2019 dahingehend zu ändern, dass dem Kläger die Auflösung eines Unterschiedsbetrages i.S.d. § 5a Abs. 4 EStG i.H.v. 12.000 € nicht mehr zugerechnet wird.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er verweist darauf, dass dem Klageantrag nach Inkrafttreten des Gesetzes zur Modernisierung der Entlastung von Abzugssteuern und der Bescheinigung der Kapitalertragsteuer (AbzStEntModG) vom 02.06.2021 (BGBl. I 2021, S. 1259) nicht mehr entsprochen werden könne.

Das Gericht hat die A-KG mit Beschluss vom ... gemäß § 60 Abs. 3 FGO zum Klageverfahren beigeladen. Diese hat keinen Antrag gestellt.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist unbegründet.

I. Die Klage ist als Untätigkeitsklage nach § 46 Abs. 1 Satz 1 FGO zulässig, da der Beklagte über den Einspruch des Klägers gegen die Ablehnung seines Antrags auf Änderung des Feststellungsbescheides für 2016 nicht innerhalb von 6 Monaten und damit in angemessener Frist sachlich entschieden hat, ohne einen zureichenden Grund hierfür zu benennen.

Zwar hat das Einspruchsverfahren zunächst mit Zustimmung des Klägers gemäß § 363 Abs. 2 AO geruht, jedoch ist diese Zustimmung spätestens im Februar 2020, in dem der Kläger die Wiederaufnahme des Einspruchsverfahrens unter Bezugnahme auf das Urteil des BFH vom 28.11.2019, IV R 28/19, BFH/NV 2020, 412 beantragte, widerrufen worden. Da zwischen dem Antrag des Klägers auf Wiederaufnahme des Einspruchsverfahrens und der Erhebung der Untätigkeitsklage durch den Kläger im März 2021 mehr als ein Jahr liegt, fehlt es an einer Sachentscheidung innerhalb einer angemessenen Frist. Der Beklagte hat zudem keinen zureichenden Grund für die unterbliebene Entscheidung mitgeteilt. Denn er hat die von ihm angestellten Zweckmäßigkeitserwägungen, über den Einspruch des Klägers so lange nicht zu entscheiden, wie die Ap bei der Schifffahrtsgesellschaft läuft, dem Kläger weder schriftlich noch im Rahmen der Ap mündlich mitgeteilt.

II. Die Klage ist jedoch unbegründet.

Der Beklagte hat die vom Kläger begehrte Änderung des Bescheides für 2016 über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen für 2016 zu Recht abgelehnt. Er hat im Streitjahr den aufgelösten, auf den Kläger entfallenden Unterschiedsbetrag in Höhe von 12.000 € gem. § 5a Abs. 4 Satz 3 Nr. 1 EStG in der Fassung des AbzStEntModG vom 02.06.2021 zu Recht dem Gewinn aus Gewerbebetrieb des Klägers hinzugerechnet.

1. Über die Höhe des dem Kläger grundsätzlich zuzurechnenden Unterschiedsbetrages besteht zwischen den Beteiligten Einvernehmen. Der Unterschiedsbetrag wurde nach Maßgabe des § 5a Abs. 4 Satz 1 EStG ermittelt und nach § 5a Abs. 4 Satz 2 EStG gesondert und einheitlich festgestellt. Da sich weder aus den Akten noch aus anderen Unterlagen insoweit Zweifel ergeben, legt auch der Senat diesen Wert zu Grunde.

2. Mit dem streitgegenständlichen Feststellungsbescheid für 2016 hat der Beklagte anlässlich des Ausstiegs der Schiffsgesellschaft zum 01.01.2016 aus der Tonnagesteuer den anteiligen Unterschiedsbetrag rechtlich zutreffend nach § 5a Abs. 4 Satz 3 Nr. 1 EStG in der Fassung des AbzStEntModG vom 02.06.2021 (BGBl. I 2021, S. 1259) aufgelöst und in Höhe von 12.000 € dem Kläger zugerechnet.

a. Gemäß § 5a Abs. 4 Satz 3 Nr. 1 EStG in der Neufassung ist ein nach Maßgabe des § 5a Abs. 4 Satz 1 EStG ermittelter und nach § 5a Abs. 4 Satz 2 EStG gesondert und einheitlich festgestellter Unterschiedsbetrag in den dem letzten Jahr der Anwendung des § 5a Abs. 1 EStG folgenden fünf Wirtschaftsjahren jeweils in Höhe von mindestens einem Fünftel hinsichtlich des auf ihn entfallenden Anteils aufzulösen und dem Gewinn hinzuzurechnen. Nach § 5a Abs. 4 Satz 5 und 6 EStG geht der Unterschiedsbetrag im Falle der Übertragung eines Mitunternehmeranteils zum Buchwert auf den Rechtsnachfolger über.

Der streitbefangene Unterschiedsbetrag ist gemäß § 5a Abs. 4 Satz 5 und 6 EStG in der Fassung des AbzStEntModG in Höhe von 50% auf den Kläger übergegangen, als dieser im Jahr 2004 von seinem Vater die Mitunternehmeranteile an der Schifffahrtsgesellschaft im Wege der Gesamtrechtsnachfolge erworben hat. Der streitbefangene Unterschiedsbetrag in Höhe von weiteren 50% ist dann im Jahr 2007 auf den Kläger übergegangen, als diesem von seiner Mutter die Mitunternehmeranteile unentgeltlich im Wege der Schenkung übertragen wurden. Beim Vater des Klägers als Erblasser und der Mutter des Klägers als Übertragende hatte dementsprechend keine Hinzurechnung mehr zu erfolgen.

Folgerichtig hat der Beklagte dem Kläger den streitbefangenen Unterschiedsbetrag von 12.000 € in voller Höhe im Feststellungszeitraum 2016 aufgrund des Ausstiegs der Schiffsgesellschaft aus der Tonnagesteuer zugerechnet.

b. Die Neuregelung des § 5a Abs. 4 EStG in der Fassung des AbzStEntModG vom 02.06.2021 (BGBl. I 2021, S. 1259) ist auch auf den Streitfall anzuwenden. Die gemäß § 52 Abs. 10 Satz 4 EStG rückwirkende Anwendung des § 5a Abs. 4 Satz 5 bis 7 EStG auf das Streitjahr 2016 führt nicht zu einer verfassungswidrigen Verletzung schutzwürdigen Vertrauens. Ein Verstoß gegen das verfassungsrechtliche Rückwirkungsverbot liegt nicht vor.

aa. Nach der Anwendungsregelung des § 52 Abs. 10 Satz 4 EStG ist § 5a Absatz 4 Sätze 5 bis 7 EStG erstmals auf Wirtschaftsjahre anzuwenden, die nach dem 31.12.1998 beginnen. Das für das Streitjahr maßgebliche Wirtschaftsjahr begann nach dem 31.12.1998. § 5a Absatz 4 Sätze 5 bis 7 EStG ist anwendbar.

bb. Der in § 52 Abs. 10 Satz 4 EStG enthaltene Anwendungsbefehl verstößt -jedenfalls im zu beurteilenden Klageverfahren- nicht gegen das verfassungsrechtliche Rückwirkungsverbot.

(1) Nach der Rechtsprechung des BVerfG ist hinsichtlich der Zulässigkeit rückwirkender Gesetzesänderungen zwischen Gesetzen mit echter Rückwirkung, die grundsätzlich nicht mit der Verfassung vereinbar sind, und solchen mit unechter Rückwirkung, die grundsätzlich zulässig sind, zu unterscheiden (Beschluss des BVerfG vom 17.12.2013, 1 BvL 5/08, BVerfGE 135, 1). Eine Rechtsnorm entfaltet echte Rückwirkung, wenn sie nachträglich in einen abgeschlossenen Sachverhalt ändernd eingreift. Das ist insbesondere der Fall, wenn ihre Rechtsfolge mit belastender Wirkung schon vor dem Zeitpunkt ihrer Verkündung für bereits abgeschlossene Tatbestände gelten soll. Im Steuerrecht liegt eine echte Rückwirkung nur vor, wenn der Gesetzgeber eine bereits entstandene Steuerschuld nachträglich abändert. Ändert der Gesetzgeber die Rechtsfolge eines der Vergangenheit zugehörigen Verhaltens nachträglich belastend, bedarf dies einer besonderen Rechtfertigung vor dem Rechtsstaatsprinzip und den Grundrechten des Grundgesetzes, unter deren Schutz Sachverhalte "ins Werk gesetzt" worden sind. Es würde Einzelne in ihrer Freiheit erheblich gefährden, dürfte die öffentliche Gewalt an ihr Verhalten oder an sie betreffende Umstände ohne Weiteres im Nachhinein belastende Rechtsfolgen knüpfen, als sie zum Zeitpunkt ihres rechtserheblichen Verhaltens galten (Beschluss des BVerfG vom 25.03.2021, 2 BvL 1/11, BVerfGE 157, 177 bis 223, Rn. 51).

Soweit belastende Rechtsfolgen einer Norm erst nach ihrer Verkündung eintreten, tatbestandlich aber von einem bereits ins Werk gesetzten Sachverhalt ausgelöst werden ("tatbestandliche Rückanknüpfung"), liegt eine unechte Rückwirkung vor. Eine solche unechte Rückwirkung ist nicht grundsätzlich unzulässig.

(2) In Anwendung dieser Grundsätze auf den Streitfall ist festzustellen, dass vorliegend kein Fall einer echten Rückwirkung vorliegt.

(a) Mittels des neu gefassten § 5a Abs. 4 Satz 5 bis 7 und des § 52 Abs. 10 Satz 4 EStG stellt der Gesetzgeber nunmehr sicher, dass die bereits über Jahrzehnte geübte Verwaltungspraxis formal in Gesetzesform gegossen wird und für alle Wirtschaftsjahre nach dem 31.12.1998 anwendbar ist.

(aa) In der Vergangenheit war es jahrzehntelang geltende Verwaltungsauffassung und -praxis, dass der Unterschiedsbetrag bei einer Buchwertfortführung auf den Rechtsnachfolger überging. Entsprechend erfolgte beim Rechtsvorgänger keine Hinzurechnung (BMF-Schreiben vom 12.06.2002, IV A 6 -S 2133a- 11/02, BStBl. I 2002, 614 Rn. 28 in der Fassung des BMF-Schreibens vom 31.08.2008 -IV C 6- S 2133-a/07/10001, BStBl. I 2008, 956). Diese sich im Widerspruch zum Gesetzeswortlaut befindliche Anwendungspraxis hatte ihren Hintergrund in einer sachlichen Billigkeit (vgl. Urteil des Schleswig-Holsteinischen Finanzgerichts vom 27.04.2022, 5 K 46/21, EFG 2022, 1438 m.w.N.). Der sog. Fußstapfentheorie folgend (§ 7 EStDV, ab 1999: § 6 Abs. 3 EStG) sollten die vor dem Übergang zur Tonnagebesteuerung entstandenen stillen Reserven "eingefroren" und erst dann der Besteuerung zugeführt werden, wenn die Tonnagebesteuerung beendet wird (vgl. auch BR Drs. 50/21 (Beschluss) vom 05.03.2021, Seite 7).

Diese Rechtsauffassung lag dem streitgegenständlichen Feststellungsbescheid für 2016 zugrunde. Weder durch den Übergang der Kommanditanteile des Vaters des Klägers auf den Kläger im Wege der Gesamtrechtsnachfolge im Jahr 2004 noch durch die unentgeltliche Übertragung der Kommanditanteile durch die Mutter des Klägers auf den Kläger im Jahr 2007 kam es zur Aufdeckung stiller Reserven durch Hinzurechnung des Unterschiedsbetrages i.S.d. § 5a Abs. 4 EStG beim Erblasser bzw. der Übertragenden. Hiernach wurde der Unterschiedsbetrag dem Kläger als Rechtsnachfolger zugerechnet.

(bb) Nach dem Urteil des FG Hamburg vom 19.12.2017, 2 K 277/16, EFG 2018, 655, geht der Unterschiedsbetrag bei steuerneutralen Anteilsübertragungen zu Buchwerten (§ 6 Abs. 3 EStG, § 24 UmwStG) nicht auf den Rechtsnachfolger des Gesellschafters über. Der BFH hat mit seinen Urteilen vom 28.11.2019, IV R 28/19, BFH/NV 2020, 412 und vom 29.04.2020, IV R 17/19, BFH/NV 2020, 1058 die vom FG Hamburg vertretene Auffassung bestätigt und entschieden, dass der in § 5a Abs. 4 Satz 3 Nr. 3 EStG angeführte Tatbestand des Ausscheidens eines Gesellschafters auch Übertragungen nach § 6 Abs. 3 EStG umfasse: Der Begriff des Ausscheidens in § 5a Abs. 4 Satz 3 Nr. 3 EStG umfasse jedes Ausscheiden eines Gesellschafters, d.h. jeden Verlust der (unmittelbaren) Mitunternehmerstellung, unabhängig davon, ob der Gesellschafter unentgeltlich oder entgeltlich, im Wege der Einzel- oder der Gesamtrechtsnachfolge ausscheide (Urteil des BFH vom 29.04.2020, IV R 17/19, BFH/NV 2020, 1058). Danach scheide auch derjenige i.S.d. § 5a Abs. 4 Satz 3 Nr. 3 EStG aus, der seinen Anteil unentgeltlich auf einen anderen übertrage, sei es im Wege der Einzel- oder der Gesamtrechtsnachfolge (Urteil des BFH vom 01.10.2020, IV R 4/18, Rn. 27, BFH/NV 2021, 581).

In Anwendung dieser Rechtsauffassung des BFH wäre der Unterschiedsbetrag in Höhe von 12.000 € nicht dem Kläger zuzurechnen und mit dem Feststellungsbescheid für 2016 aufzulösen gewesen. Die Auflösung des Unterschiedsbetrages hätte bereits in voller Höhe zum Zeitpunkt des Eintritts der Gesamtrechtsnachfolge des Klägers nach seinem Vater im Feststellungszeitraum 2004 für den Vater erfolgen müssen.

(cc) Die Verwaltung war der Auffassung, dass diese Rechtsprechung des BFH eine Jahrzehnte geltende Verwaltungsauffassung und -praxis ändere, an der sich auch die Steuerpflichtigen orientiert hätten (BR Drs. 50/21 (Beschluss) vom 05.03.2021, Seite 7; BT Drs. 19/28925 vom 22.04.2021, Seite 71). Als Reaktion fasste der Gesetzgeber § 5a Abs. 4 EStG durch das AbzStEntModG vom 02.06.2021 (BGBl. I 2021, S. 1259) neu. In den neu eingefügten Sätzen 5 und 6 des § 5a Abs. 4 EStG wird nunmehr für unentgeltliche Übertragungen nach § 6 Abs. 3 EStG geregelt, dass in Fällen einer Übertragung eines Betriebes, Teilbetriebes oder Anteil eines Mitunternehmers an einem Betrieb zum Buchwert der Unterschiedsbetrag insoweit auf den Rechtsnachfolger übergeht und beim Übertragenden entsprechend keine Hinzurechnung erfolgt. Damit ist die bisherige Verwaltungsauffassung und -praxis in Gesetzesform gegossen worden. Unter Bezugnahme auf § 182 Abs. 2 Satz 1 AO wird klargestellt, dass ein gegenüber dem Rechtsvorgänger festgestellter Unterschiedsbetrag in den Fällen, in denen er beim Rechtsvorgänger nicht hinzuzurechnen ist, ohne gesonderten Verwaltungsakt gegenüber dem Rechtsnachfolger wirkt (Urteil des Schleswig-Holsteinischen Finanzgerichts vom 27.04.2022, 5 K 46/21, EFG 2022, 1438 m.w.N.).

(b) Hiernach handelt es sich bei der streitgegenständlichen Regelung im Hinblick auf die vom BFH vertretene Auffassung um ein "rückwirkendes Nichtanwendungsgesetz" als gesetzgeberische Gegenreaktion auf die erstmalige höchstrichterliche Klärung einer offenen Rechtsfrage. Die rückwirkende Außer-Kraft-Setzung einer von der Finanzverwaltung nicht geteilten Entscheidung kommt in Betracht, wenn der Steuerpflichtige aufgrund der früher für ihn ungünstigen Auslegung kein Vertrauen in eine für ihn günstigere Behandlung hat bilden können (Urteil des Schleswig-Holsteinischen Finanzgerichts vom 27.04.2022, 5 K 46/21, EFG 2022, 1438 m.w.N.).

(3) Ein überwiegendes schutzwürdiges Vertrauen des Klägers in die Fortgeltung der durch den BFH vertretenen Auffassung steht der rückwirkenden Anwendung des § 5a Abs. 4 Satz 5 bis 7 EStG auf das Streitjahr nicht entgegen.

Schutzwürdiges Vertrauen und damit gesteigerte Anforderungen sind zu Gunsten des Steuerpflichtigen dann anzunehmen, wenn der Betroffene zum Zeitpunkt der Verkündung der Neuregelung nach der alten Rechtslage eine verfestigte Erwartung auf Vermögenszuwächse erlangt und realisiert hatte oder hätte realisieren können (Urteil des BFH vom 25.03.2021, VIII R 16/18, BStBl. II 2021, 814 m.w.N.). Den Regelungsadressaten vor jeder Enttäuschung zu bewahren, ist indessen nicht Aufgabe des verfassungsrechtlichen Vertrauensschutzes (Beschluss des BVerfG vom 10.12.2012, 1 BvL 6/07, BStBl. II 2012, 932, BVerfGE 132, 302 [BVerfG 10.10.2012 - 1 BvL 6/07]). Eine allgemeine Erwartung, das geltende Recht werde zukünftig unverändert fortbestehen, genießt keinen besonderen verfassungsrechtlichen Schutz.

Schutzwürdiges Vertrauen kann sich grundsätzlich auch auf eine bestimmte Rechtslage aufgrund höchstrichterlicher Entscheidungen beziehen. Dem schutzwürdigen Vertrauen auf solche Rechtsprechung steht nicht entgegen, dass Entscheidungen oberster Gerichte, die vornehmlich zur grundsätzlichen Auslegung und Weiterentwicklung des Rechts berufen sind, über den entschiedenen Einzelfall hinaus nur als richtungweisendes Präjudiz für künftige Fälle wirken. Allerdings bedarf es zur Begründung schutzbedürftigen Vertrauens in diesen Fällen in der Regel dem Hinzutreten weiterer Umstände, die insbesondere aufgrund einer gefestigten und langjährigen Rechtsprechung entstehen (Beschluss des BVerfG vom 25.03.2021, 2 BvL 1/11, BVerfGE 157, 177 bis 223, Rn. 72).

Solche Umstände sind vorliegend nicht gegeben.

Bis zum Urteil des FG Hamburg vom 19.12.2017, 2 K 277/16, EFG 2018, 655 hatte sich die finanzgerichtliche Rechtsprechung nicht mit dem Begriff des Ausscheidens i.S.d. § 5a Abs. 4 Satz 3 Nr. 3 EStG auseinandergesetzt. Die Verwaltungsauffassung war mit Zustimmung von weiten Teilen der Literatur seit Jahrzehnten gefestigt. Die Steuerpflichtigen und die Beratungspraxis haben sich an dieser Praxis orientiert. Auch der Kläger orientierte sich an dieser langjährigen Verwaltungspraxis. Die Idee, eine Änderung des Feststellungsbescheides 2016 ohne Berücksichtigung des auf ihn entfallenden Unterschiedsbetrages zu beantragen, ergab sich für ihn erst nach dem Urteil des FG Hamburg vom 19.12.2017, 2 K 277/16, EFG 2018, 655. Deshalb entschloss er sich zur Stellung eines entsprechenden Änderungsantrags nach § 164 Abs. 2 AO im November 2018. Zu diesem Zeitpunkt dürfte für das Jahr 2004 bereits Feststellungsverjährung eingetreten sein, sodass eine Zurechnung des Unterschiedsbetrags beim Vater des Klägers als Erblasser im Jahr 2004 ausschied. Würde man der vom Kläger vertretenen Rechtsauffassung folgen, könnte der streitbefangene Unterschiedsbetrag jedoch niemandem mehr zugerechnet werden.

Anhaltspunkte für ein schutzwürdiges Vertrauen des Klägers aufgrund der höchstrichterlichen Rechtsprechung des BFH in seinen Entscheidungen vom 28.11.2019, IV R 28/19, BFH/NV 2020, 412, vom 29.04.2020, IV R 17/19, BFH/NV 2020, 1058 und vom 01.10.2020, IV R 4/18, BFH/NV 2021, 581 liegen nicht vor. Es ist nicht erkennbar, dass der Kläger gerade im Vertrauen auf diese Rechtsprechung des BFH vermögensrechtliche Dispositionen getroffen hat. Diese Rechtsprechung des BFH (Urteile vom 28.11.2019, IV R 28/19, BFH/NV 2020, 412; vom 29.04.2020, IV R 17/19, BFH/NV 2020, 1058 und vom 01.10.2020, IV R 4/18, BFH/NV 2021, 581) fügt sich zudem nicht in eine Reihe von höchstrichterlichen Urteilen zur steuerrechtlichen Behandlung dieses Aspektes ein und stellt keine systematisch konsequente Fortführung einer langjährigen und gefestigten Rechtsprechung im Hinblick auf eine bislang nur noch nicht ausdrücklich entschiedene Rechtsfrage dar (Beschluss des BVerfG vom 25.03.2021, 2 BvL 1/11, BVerfGE 157, 177, Rn. 74). Die Finanzrechtsprechung hat sich vielmehr seit dem Urteil des FG Hamburg erstmalig mit dem Begriff des Ausscheidens i.S.d. § 5a Abs. 4 Satz 3 Nr. 3 EStG auseinandergesetzt.

Die Verwaltungspraxis agierte auch nicht vollständig contra legem, sondern war von dem Grundsatz des Ertragsteuerrechts geleitet, dass Erbfall und vorweggenommene Erbfolge grundsätzlich keine Veräußerung darstellen (vgl. zu den weiteren Erwägungen BR Drs. 50/21, Beschluss vom 05.03.2021, Seite 7).

Umgekehrt ist zu beachten, dass in den Fällen, in denen der Rechtsvorgänger bereits einen Hinzurechnungstatbestand (ggfs. auch mehrere) nach § 5a Abs. 4 EStG verwirklicht hat, sich angesichts der langjährigen Verwaltungspraxis und des insoweit eindeutigen Wortlauts der Rn. 28 des BMF-Schreibens vom 12.06.2002, IV A 6 - S 2133a - 11/02, BStBl. I 2002, 614, Rn. 28 in der Fassung des BMF-Schreibens vom 31.08.2008 - IV C 6 - S 2133-a/07/10001, BStBl. I 2008, 956 kein schutzwürdiges Vertrauen des Rechtsnachfolgers dahingehend hat bilden können, dass der Unterschiedsbetrag dem Rechtsvorgänger zuzurechnen gewesen wäre (BR Drs. 50/21 (Beschluss) vom 05.03.2021, Seite 9).

Der erkennende Senat vertritt daher die Auffassung, dass es dem Gesetzgeber im Rahmen der Abwägung zwischen den Interessen der Allgemeinheit, die mit der Regelung verfolgt werden, und dem Vertrauen des Einzelnen in den Fortbestand der Rechtslage nach der Entscheidung des FG Hamburg vom 19.12.2017, 2 K 277/16, EFG 2018, 655 und der nachfolgenden BFH-Rechtsprechung in diesem Fall nicht verwehrt war, eine Rechtslage rückwirkend festzuschreiben, die vor dem Aufgreifen durch die Finanzrechtsprechung jahrelang einer gefestigten und einheitlichen Rechtspraxis entsprach. Ein schützenswertes Vertrauen des Klägers als Rechtsnachfolger, dass die Unterschiedsbeträge nicht auf ihn übergehen, bestand nicht (so auch: Urteil des Schleswig-Holsteinischen Finanzgerichts vom 27.04.2022, 5 K 46/21, EFG 2022, 1438).

Die Klage ist daher abzuweisen.

III. Die Kostenentscheidung ergeht nach § 135 Abs. 1 FGO.

Eine Kostenerstattung der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen (§ 139 Abs. 4 FGO) kommt nicht in Betracht, da die Beigeladene weder einen eigenen Sachantrag gestellt noch das Verfahren wesentlich gefördert hat.

IV. Die Revision wird gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 FGO wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache sowie zur Fortbildung des Rechts zugelassen. Bisher fehlt es an einer höchstrichterliche Rechtsprechung zum Anwendungsbefehl des § 52 Abs. 10 Satz 4 EStG für die Anwendung des § 5a Abs. 4 Satz 5 bis 7 EStG.

Neutralisiert
Strauß