Verwaltungsgericht Göttingen
Beschl. v. 25.02.2010, Az.: 4 B 10/10

Untersagung der Durchführung von Werbemaßnahmen für ein kommerzielles Repetitorium für alle von einer Universität genutzten Gebäude und Grundstücke; Werbung kommerzieller Repetitorien als Beeinträchtigung der Zweckbestimmung einer Universität

Bibliographie

Gericht
VG Göttingen
Datum
25.02.2010
Aktenzeichen
4 B 10/10
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2010, 34336
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGGOETT:2010:0225.4B10.10.0A

Verfahrensgang

vorgehend
11.09.2009 - AZ: 4 A 258/09

Fundstellen

  • JuS 2010, 13-14
  • NVwZ 2010, 7

Verfahrensgegenstand

Hochschulrecht (ohne NC-Verfahren) einschl. hochschulrechtliche Abgaben
- Werbe- und Hausverbot -
Antrag nach §80 Abs. 5 VwGO

In der Verwaltungsrechtssache
...
hat das Verwaltungsgericht Göttingen - 4. Kammer -
am 25. Februar 2010
beschlossen:

Tenor:

Die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragstellerin (4 A 258/09) gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 11.9.2009 wird wiederhergestellt bzw. angeordnet.

Die Kosten des Verfahrens hat die Antragsgegnerin zu tragen.

Der Wert des Streitgegenstands wird auf 5.000 EUR festgesetzt.

Gründe

1

I.

Die Antragstellerin bietet bundesweit Repetitorien zur Vorbereitung auf juristische Prüfungen an. Auf ihre Veranstaltungen wies sie u.a. durch Handzettel, Plakate und persönliche Ansprachen in den Räumlichkeiten der Antragsgegnerin hin.

2

Mit Bescheid vom 11.9.2009 untersagte die Antragsgegnerin der Antragstellerin für alle von der Antragsgegnerin genutzten Gebäude und Grundstücke Werbemaßnahmen für ihr kommerzielles Repetitorium durchzuführen und erteilte der Antragstellerin sowie ihren Hilfspersonen ein Hausverbot, soweit der räumliche Bereich der Antragsgegnerin zu Werbezwecken betreten wird. Darüber hinaus ordnete die Antragsgegnerin die sofortige Vollziehung der Maßnahme an und drohte der Antragstellerin für den Fall der Zuwiderhandlung gegen das Werbe- und Hausverbot ein Zwangsgeld in Höhe von 2.500 EUR an. Zur Begründung führte die Antragsgegnerin aus: Im Rahmen von Ortsbesichtigungen am 13.7.2009 und am 14.8.2009 sei festgestellt worden, dass Plakate kommerzieller Repetitorien im Juridicum aufgehängt worden seien. Teilweise seien offizielle Mitteilungen überklebt worden. Darüber hinaus seien im Zentralen Hörsaalgebäude Flugblätter verteilt worden. Im Rahmen ihres Hausrechts sei sie zu Hausverboten und Nutzungsuntersagungen berechtigt. Die Werbemaßnahmen beeinträchtigten sie in der Durchführung ihrer Aufgaben. Ihr aus Vorlesungen, Klausurenkursen, Seminaren, Übungen und Universitäts-Repetitorien sowie Wiederholungs- und Vertiefungskursen bestehendes Lehrangebot ermögliche jedem Studierenden bei entsprechender Eignung ohne zusätzlichen finanziellen Aufwand zu einem Studienabschluss zu gelangen. Werbung für kommerzielle Repetitorien in den Räumen der Universität erwecke bei den Studierenden den Eindruck, als sei sie selbst nicht davon überzeugt, dass ihr Angebot ausreiche. Die Universität sei kein für die allgemeine Öffentlichkeit gewidmeter Bereich, Werbemaßnahmen gehörten nicht zum Betriebszweck. Der Antragstellerin blieben trotz des Werbeverbotes zahlreiche andere Möglichkeiten, Interessenten anzusprechen. Durch das auf Betreten zu Werbezwecken beschränkte Hausverbot sei sichergestellt, dass die Räumlichkeiten zu anderen Zwecken, z.B. zum Studium, betreten werden könnten. Der Sofortvollzug werde angeordnet, weil sich während der Dauer eines evtl. Rechtsmittelverfahrens bei den Studierenden der Eindruck verfestigen würde, die Universität sei von der Qualität ihres Angebots nicht überzeugt. Der dadurch entstehende Vertrauens- und Reputationsschaden sei nicht wiedergutzumachen.

3

Am 9.10.2009 hat die Antragstellerin gegen diesen Bescheid Klage erhoben und am 19.1.2010 um vorläufigen Rechtsschutz nachgesucht. Sie trägt vor:

4

Die Antragsgegnerin verfolge mit dem Verbot bereits kein legitimes Ziel. Der betriebliche Ablauf der Antragsgegnerin werde durch die Werbetätigkeit nicht gestört. Sie könne ungehindert ihre Lehrveranstaltungen anbieten und durchführen. Offizielle Mitteilungen der Antragsgegnerin seien durch Plakate zu keinem Zeitpunkt verdeckt worden. Das Repetitorium stehe nicht in Konkurrenz zu den Angeboten der Antragsgegnerin, sondern ergänze diese. Zudem habe die Antragsgegnerin Mitbewerbern Werbemaßnahmen nicht untersagt.

5

Die Antragstellerin beantragt sinngemäß,

die aufschiebende Wirkung der Klage 4 A 258/09 gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 11.9.2009 wiederherzustellen bzw. anzuordnen.

6

Die Antragsgegnerin beantragt,

den Antrag abzulehnen.

7

Sie wiederholt und vertieft die Argumente des angegriffenen Bescheides.

8

Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten und des Sachverhalts im Übrigen wird auf die Gerichtsakte sowie die beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Antragsgegnerin in dem Parallelverfahren 4 A 259/09 verwiesen.

9

II.

Der Antrag ist gemäß §80 Abs. 5 S. 1, Abs. 2 S. 1 Nr. 3 u. 4 VwGO i.V.m. §64 Abs. 4 Nds. SOG zulässig und begründet.

10

Nach §80 Abs. 5 S. 1 VwGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung in den Fällen des Abs. 2 Nr. 1 bis 3 VwGO ganz oder teilweise anordnen, im Fall des Abs. 2 Nr. 4 ganz oder teilweise wiederherstellen. Das Gericht hat bei der Entscheidung über die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung abzuwägen zwischen dem von der Behörde geltend gemachten Interesse an der sofortigen Vollziehung des Bescheides und dem Interesse der Antragstellerin an der aufschiebenden Wirkung ihres Rechtsbehelfs. Erweist sich der Bescheid nach der im Verfahren nach §80 Abs. 5 VwGO allein möglichen summarischen Prüfung als offensichtlich rechtswidrig, besteht kein öffentliches Interesse an dessen sofortigen Vollziehung. Ist der Ausgang des Hauptsacheverfahrens dagegen nicht hinreichend absehbar, verbleibt es bei einer Interessenabwägung.

11

Im vorliegenden Fall wird die Klage der Antragstellerin nach gegenwärtigem Sachstand voraussichtlich erfolgreich sein. Denn es bestehen bereits erhebliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Untersagung von Werbetätigkeiten im räumlichen Bereich der Antragsgegnerin.

12

Rechtsgrundlage des Werbeverbots ist §37 Abs. 3 S. 1 NHG, nach dem das Präsidium die Ordnung in der Hochschule wahrt und das Hausrecht ausübt. §37 Abs. 3 S. 1 NHG stellt nicht nur eine Zuständigkeitsvorschrift sondern auch eine Befugnisnorm dar (zu vergleichbaren Vorschriften im Schul- und Hochschulrecht: BayVGH, Beschluss vom 23.6.2003 - 7 CE 03.1294 -, NVwZ-RR 2004, 185; VG Braunschweig, Urteil vom 10.3.2005 - 6 A 159/03 -, [...]).

13

Das Hausrecht umfasst das Recht, zur Wahrung der Zweckbestimmung einer öffentlichen Einrichtung und insbesondere zur Abwehr von Störungen des Dienstbetriebes Maßnahmen zu ergreifen.

14

Die Werbung kommerzieller Repetitorien stellt grundsätzlich eine Beeinträchtigung der Zweckbestimmung der Antragsgegnerin dar.

15

Zur Zweckbestimmung der Antragsgegnerin gehört die Ausbildung und Hinführung der Studierenden zu einem berufsqualifizierenden akademischen Abschluss durch Bereitstellung eines entsprechenden Lehrangebots. Im Rahmen des juristischen Studiums bietet die Antragsgegnerin (neben den für den Studienabschluss notwendigen Lehrveranstaltungen) speziell zur Wiederholung und Examensvorbereitung für höhere Semester Repetitorien, Klausurenkurse und Probeexamina an. Die Antragstellerin wirbt für vergleichbare Veranstaltungen kommerzieller Art und richtet sich damit an dieselbe Zielgruppe. Die Werbung für solche Veranstaltungen im räumlichen Bereich der Antragsgegnerin ist geeignet, bei den Studierenden den Eindruck zu vermitteln, dass das universitäre Lehrangebot für einen erfolgreichen Examensabschluss nicht ausreicht und die Antragsgegnerin ihr Lehrangebot selbst nicht für ausreichend hält. Bereits diese Beeinträchtigung des Vertrauens in die Leistungsfähigkeit der Antragsgegnerin stellt eine Störung der Zweckbestimmung der Antragsgegnerin dar. Erst recht gilt dies, wenn der Lehrbetrieb unmittelbar, z.B. durch Überkleben offizieller Mitteilungen mit kommerziellen Plakaten, gestört wird. Die Antragsgegnerin ist deshalb grundsätzlich berechtigt, gegen Werbetätigkeiten kommerzieller Repetitorien vorzugehen (Im Ergebnis ebenso: OLG Hamm, Urteil vom 16.11.2000 - 5 U 2/00 -, [...]; OLG Karlsruhe, Urteil vom 13.5.2009 - 5 U 50/08 -, NJW 2009, 2143).

16

Die von der Antragsgegnerin verfügte Untersagung von Werbetätigkeiten stellt sich jedoch bei summarischer Prüfung als ermessensfehlerhaft dar. Nach gegenwärtigem Sachstand hat die Antragsgegnerin den Gleichheitssatz (Art. 3 GG) nicht hinreichend beachtet.

17

Die Antragsgegnerin ist letztlich gegen die Antragstellerin und einen Mitbewerber vorgegangen. Diese seien nach Angaben der Antragsgegnerin durch aggressive Werbung aufgefallen, die sie auch nach einer Abmahnung nicht unterlassen hätten. Gegenüber anderen gewerblichen Repetitorien habe sie keine Verfügung erlassen, weil diese nicht (mehr) oder nicht in derart aggressiver Weise würben.

18

Ein hinreichender Grund für die Differenzierung zwischen den einzelnen Anbietern kommerzieller Repetitorien ist hierin voraussichtlich nicht zu sehen.

19

Zum einen hat die Antragsgegnerin eine Abmahnung gegenüber der Antragstellerin nicht nachweisen können. In ihren Verwaltungsvorgängen (zum Verfahren 4 A 259/09) befindet sich zwar ein Schreiben vom 5.11.2008, die Antragstellerin hat den Zugang dieses Schreibens jedoch bestritten, so dass es der Antragsgegnerin obliegt, den Zugang nachzuweisen. Einen Zustellungsnachweis hat die Antragsgegnerin nicht vorgelegt.

20

Zum anderen ist der gegenüber der Antragstellerin erlassenen Verfügung nicht zu entnehmen, dass sie zwischen aggressiver und weniger aggressiver Werbung unterscheidet. In der Begründung der Verfügung wird zwar auf die nach Auffassung der Antragsgegnerin aggressive Werbung der Antragstellerin hingewiesen, der Antragstellerin werden jedoch sämtliche Werbetätigkeiten und nicht nur aggressive Werbemaßnahmen (was einer genaueren Bestimmung bedurft hätte) untersagt. Auch in ihrer Antragserwiderung stellt die Antragsgegnerin darauf ab, dass jegliche Werbung für kommerzielle Repetitorien in ihrem räumlichen Bereich untersagt ist. Mit ihrer Einlassung, sie sei gegen das Repetitorium "M." nicht vorgegangen, weil dieses nicht durch eine derart aggressive Werbung aufgefallen sei, setzt sie sich hierzu in Widerspruch.

21

Ein Vorgehen gegenüber allen im Bereich der Antragsgegnerin werbenden kommerziellen Repetitorien ist darüber hinaus aus folgendem Grunde geboten:

22

Ein allgemeines Werbeverbot für den räumlichen Bereich der Antragsgegnerin besteht - soweit ersichtlich - nicht. Aus Nr. 4.2.1 der Anlage 1 zu §2 der Gebühren- und Entgeltordnung der Antragsgegnerin (AM 2008, S. 477) kann zwar geschlossen werden, dass die Antragsgegnerin das Aufstellen von Ständen oder Stellwänden sowie das Aufhängen von Plakaten in ihren Räumlichkeiten von dem Abschluss einer vertraglichen Vereinbarung und der Zahlung eines Entgelts abhängig macht. Sonstige Werbetätigkeiten, z.B. das Verteilen von Handzetteln oder die persönliche Ansprache, werden hierdurch jedoch nicht erfasst. Ein allgemeines (ungeschriebenes) Werbeverbot folgt auch nicht aus dem Hausrecht. Nach Kenntnis des Gerichts erfolgen Werbemaßnahmen kommerzieller Repetitorien seit vielen Jahren in den Räumlichkeiten der Antragsgegnerin, insbesondere im Juridicum. Den Verwaltungsvorgängen der Antragsgegnerin ist zu entnehmen, dass sie vor Erlass der hier streitigen Verfügung lediglich in einem Einzelfall - im November 2008 - auf die Genehmigungspflicht von Werbemaßnahmen hinwies. Die Antragsgegnerin hat so zumindest gegenüber denjenigen Repetitorien, die keinen schriftlichen Hinweis erhielten, den Eindruck erweckt, als dulde sie derartige Werbemaßnahmen. Will die Antragsgegnerin diese Praxis ändern, ist sie gehalten, gegen alle kommerziellen Repetitorien gleichermaßen vorzugehen, sofern sie nicht eine abstrakt-generelle Regelung oder eine Allgemeinverfügung erlässt. Mit einer gegenüber allen Anbietern erlassenen Untersagungsverfügung hätte die Antragsgegnerin hinreichend deutlich gemacht, dass sie die Werbung kommerzieller Repetitorien in Zukunft und entgegen ihrer bisherigen Praxis nicht mehr dulden werde.

23

Die Antragsgegnerin hat zudem keine hinreichenden Vorkehrungen dafür getroffen, dass bei künftigen Werbemaßnahmen von Konkurrenten der Antragstellerin zeitnah gegen diese vorgegangen wird. Die Antragsgegnerin hat auch auf Nachfrage des Gerichts nicht erläutert, wie sie in Zukunft ein zeitnahes Einschreiten sicherstellen wird. Auch den Verwaltungsvorgängen der Antragsgegnerin sind regelmäßige Überprüfungen nicht zu entnehmen. Das Hinweisschreiben an den Mitbewerber der Antragstellerin vom 5.11.2008 bezieht sich auf das Verteilen von Handzetteln in der 14. Kalenderwoche (31.3. bis 6.4.2008). Aus dem Bescheid vom 11.9.2009 gehen weitere Ortsbesichtigungen vom 13.7.2009 und vom 14.8.2009 hervor. Bei derart unregelmäßigen und teils in großen Abständen erfolgenden Kontrollen kann nicht davon ausgegangen werden, dass zeitnah gegen Werbetätigkeiten eingeschritten wird. Der Antragstellerin drohen hierdurch Wettbewerbsnachteile gegenüber ihren Mitbewerbern, denen Werbung bislang nicht untersagt worden ist.

24

Erweist sich damit die Untersagungsverfügung wegen des Verstoßes gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz bei summarischer Prüfung als rechtswidrig, gilt das gleiche für das verhängte Hausverbot. Die Antragsgegnerin hat insoweit auch eine Wiederholungsgefahr nicht dargelegt. Denn den Zugang der sog. Abmahnung vom 5.11.2008 hat sie nicht nachgewiesen.

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Entfaltet das Rechtsmittel gegen den zu vollstreckenden Verwaltungsakt aufschiebende Wirkung ist entsprechend die aufschiebende Wirkung der Androhung des Zwangsgeldes anzuordnen.

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Da die Antragsgegnerin unterliegt, hat sie gemäß §154 Abs. 1 VwGO die Kosten des Verfahrens zu tragen. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§53 Abs. 3 Nr. 2, 52 Abs. 2 GKG. Wegen der faktischen Vorwegnahme der Hauptsacheentscheidung ist der Auffangstreitwert für das vorläufige Rechtsschutzverfahren nicht zu reduzieren.

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Rechtsmittelbelehrung

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Gegen diesen Beschluss ist die Beschwerde an das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht in Lüneburg zulässig.

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