Verwaltungsgericht Göttingen
Urt. v. 11.02.2010, Az.: 2 A 35/09

Anrechnung; Ausbildungsförderung; Fachrichtungswechsel; Fachsemester; Schädlichkeit; Unschädlichkeit; zweites Studienfach

Bibliographie

Gericht
VG Göttingen
Datum
11.02.2010
Aktenzeichen
2 A 35/09
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2010, 48054
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Die Hinzunahme eines zweiten Studienfaches nach einem Fachrichtungswechsel unter Anrechnung von Fachsemestern auf das andere Fach ist förderungsrechtlich unschädlich.

Tatbestand:

1

Der Kläger begehrt von der Beklagten die Gewährung von Ausbildungsförderung für ein Bachelorstudium Rechtswissenschaften und Geschichte, welches er begonnen hat, nachdem er zuvor 4 Semester eines Studiums der Rechtswissenschaften mit dem Ziel 1. Staatsexamen absolviert hatte.

2

Der am xxx in E. geborene Kläger studierte seit dem Wintersemester 2006/2007 an der Beklagten in der oben beschriebenen Fachrichtung. Auf seine Anträge erhielt er vom Studentenwerk E., welches namens und im Auftrage der Beklagten handelt, zwischen Oktober 2006 und September 2008 Ausbildungsförderung. Er arbeitete neben dem Studium seit dem 01.11.2006 als freier Mitarbeiter bei dem Göttinger Tageblatt. Unter dem 03.07.2008 bot ihm die Chefredakteurin dieser Zeitung die Aufnahme als Volontär in der Redaktion nach Beendigung seines Studiums an. Daraufhin entschloss sich der Kläger, nicht mehr die Befähigung zum Richteramt, sondern eine breitere wissenschaftliche Grundlage für seine spätere Tätigkeit als Journalist zu erwerben. Seit dem Wintersemester 2008/2009 studiert er Rechtswissenschaft und Geschichte als 2-Fach-Bachelorstudium. Die juristische Fakultät der Beklagten rechnete auf das Bachelorstudium Rechtswissenschaften 3 Semester des zuvor absolvierten Studiengangs an, stufte den Kläger mithin zum Wintersemester 2008/2009 in das 4. Fachsemester Rechtswissenschaften und in das 1. Fachsemester Geschichte ein.

3

Am 07.01.2009 stellte der Kläger einen Wiederholungsantrag. Er teilte mit, bei ihm sei ein Neigungswandel eingetreten, nachdem er die Möglichkeit erhalten habe, nach Abschluss des Studiums eine weiterführende Ausbildung bei dem Göttinger Tageblatt zu absolvieren. Das Studentenwerk E. lehnte den Weiterförderungsantrag mit Bescheid vom 27.01.2009 mit der Begründung ab, da der Fachrichtungswechsel nach Beginn des 4. Fachsemesters vorgenommen worden sei, sei ein unabweisbarer Grund erforderlich; die Gründe des Klägers für den Wechsel der Ausbildung könnten wohl als wichtig gelten, seien aber keineswegs unabweisbar.

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Der Kläger hat am 27.02.2009 Klage erhoben, zu deren Begründung er ausführt: Die Alternative des Fachrichtungswechsels sei wohl einschlägig, evtl. liege sogar nur eine Schwerpunktverlagerung vor; infolge der Einstufung in das 4. Fachsemester Rechtswissenschaften sei eine Verlängerung der Studienzeit insgesamt nicht zu erwarten; der Studiengang Geschichte weise insgesamt eine kürzere Studienzeit auf als der Studiengang Rechtswissenschaften mit Abschluss Staatsexamen; da in Anwendung von § 7 Abs. 3 S. 5 BAföG bei der Feststellung der maßgeblichen Fachsemesterzahl 3 Semester abzuziehen seien, sei in seinem Falle nur ein wichtiger Grund erforderlich, welcher nach § 7 Abs. 3 S. 4 BAföG vermutet werde.

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Der Kläger beantragt,

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den Bescheid des Studentenwerks E. vom 27.01.2009 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, dem Kläger Ausbildungsförderung ab 01.01.2009 nach gesetzlichen Sätzen zu gewähren.

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Die Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Sie trägt vor, der Kläger habe einen Fachrichtungswechsel durchgeführt, nicht nur eine Schwerpunktverlagerung, weil er einen anderen berufsqualifizierenden Abschuss anstrebe; im Fach Geschichte habe er das Studium völlig neu begonnen, weshalb § 7 Abs. 3 S. 5 BAföG nicht anzuwenden sei; ein unabweisbarer Grund für den Fachrichtungswechsel sei nach wie vor nicht ersichtlich.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die zwischen ihnen gewechselten Schrittsätze und auf den Verwaltungsvorgang des Studentenwerks E. Bezug genommen. Die Unterlagen sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage ist begründet. Der Kläger hat einen Anspruch auf Förderung seines Bachelorstudiums Rechtswissenschaften und Geschichte ab 01.01.2009, und zwar bis zum Ende des Wintersemesters 2009/2010.

12

Im Grundsatz wird Ausbildungsförderung (eine staatliche Sozialleistung) gemäß § 7 Abs. 1 und 2 BAföG für eine Erstausbildung bis zu einem daran abschließenden berufsqualifizierenden Abschluss und unter Umständen für eine darauf aufbauende einzige weitere Ausbildung geleistet. Hat der Auszubildende aus wichtigem Grund oder aus unabweisbarem Grund die Ausbildung abgebrochen oder die Fachrichtung gewechselt, so wird Ausbildungsförderung nach § 7 Abs. 3 S. 1 BAföG für eine andere Ausbildung geleistet, wobei ein unabweisbarer Grund vorliegen muss, wenn bei Auszubildenden an höheren Fachschulen, Akademien und Hochschulen der Wechsel nicht bis zum Beginn des 4. Fachsemesters stattgefunden hat. Nach der Legaldefinition des § 7 Abs. 3 S. 3 BAföG wechselt ein Auszubildender die Fachrichtung, wenn er einen anderen berufsqualifizierenden Abschluss oder ein anderes bestimmtes Ausbildungsziel eines rechtlich geregelten Ausbildungsganges an einer Ausbildungsstätte derselben Ausbildungsstättenart anstrebt. Beim erstmaligen Fachrichtungswechsel oder Abbruch der Ausbildung wird nach § 7 Abs. 3 S. 4 in der Regel vermutet, dass die Voraussetzungen nach Nr. 1 erfüllt sind; bei Auszubildenden an höheren Fachschulen, Akademien und Hochschulen gilt dies nur, wenn der Wechsel oder Abbruch bis zum Beginn des 3. Fachsemesters erfolgt. Bei der Bestimmung des nach den Sätzen 1 und 4 maßgeblichen Fachsemesters wird die Zahl der Semester abgezogen, die nach Entscheidung der Ausbildungsstätte aus der ursprünglich betriebenen Fachrichtung auf den neuen Studiengang angerechnet werden (§ 7 Abs. 3 S. 5 BAföG).

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Der Kläger hat zum Wintersemester 2008/2009 die Fachrichtung gewechselt, denn er strebt jetzt nicht mehr das Staatsexamen als berufsqualifizierenden Abschluss an, sondern eine Bachelorprüfung. Von einer Schwerpunktverlagerung - die der Kläger in Erwägung gezogen hat - wäre nur auszugehen, wenn die bisher von ihm absolvierten Semester in vollem Umfange auf den neuen Studiengang angerechnet worden wären (vgl. Rothe/Blanke, BAföG, 5. Auflage, § 7, Rn 47.5 unter Hinweis auf TZ 7.3.4 der BAföG VwV), was hier nicht der Fall ist. Da die juristische Fakultät der Beklagten 3 Semester des bisherigen Studienganges auf den nunmehr beschriebenen Studiengang angerechnet hat, studierte der Kläger im Wintersemester 2008/2009 in Anwendung von § 7 Abs. 3 S. 5 BAföG im 2. Fachsemester Rechtswissenschaften. Die damit verbundene Privilegierung wird ihm nicht dadurch genommen, dass er nach dem Fachrichtungswechsel das Studienfach Geschichte zusätzlich gewählt und im 1. Fachsemester begonnen hat. Das Gesetz äußert sich zu dieser Fragestellung zwar nicht unmittelbar; sein Zweck, öffentliche Fördermittel sinnvoll für solche Auszubildenden einzusetzen, die ihre Ausbildung zielstrebig betreiben, wird durch die Hinzunahme eines weiteren Faches, welches von Anfang an studiert wird, jedoch nicht beeinträchtigt. § 7 Abs. 3 BAföG gestattet es Studierenden, zunächst 2 Semester in einer Fachrichtung und danach in einer anderen Fachrichtung bis zum Erreichen der Förderungshöchstdauer im Sinne von §§ 15, 15 a BAföG zu studieren (BVerfG, Beschluss vom 24.08.2005 - 1 BVR 309/03 - NVwZ 2005, 1416). Da die Förderungshöchstdauer für das Bachelorstudium des Klägers sechs Semester beträgt (vgl. die Homepage des Prüfungsamtes der juristischen Fakultät der Beklagten) könnte das Studium des Klägers danach insgesamt für acht Semester gefördert werden. Allerdings werden alle angerechneten Semester des Erststudiums nach § 15 a Abs. 2 Nr. 2 BAföG wieder von der Förderungshöchstdauer. Mithin wird das Studium der Rechtswissenschaften hier insgesamt für 7 Semester, also bis zum Ende des derzeit laufenden Wintersemesters, gefördert. Auf eine Weiterförderung nach Ablauf dieses Zeitraums - die dann ausschließlich für das Studium der Geschichte erfolgen würde - hat der Kläger hingegen keinen Anspruch, denn das Betreiben dieses Studienganges hätte mangels Anrechnung früherer Semester für sich betrachtet seine Weiterförderung über das 4. Fachsemester hinaus nicht gerechtfertigt. Deshalb ist die Hinzunahme dieses Faches förderungsrechtlich unschädlich.

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Da der Kläger zum Wintersemester 2008/2009 erstmals die Fachrichtung gewechselt hat, wird in Anwendung von § 7 Abs. 3 S. 4 und 5 vermutet, dass ein wichtiger Grund für diesen Wechsel vorlag. Diese gesetzliche Vermutung wird hier nicht widerlegt. Als wichtiger Grund gilt unter anderem ein Neigungswandel des Auszubildenden (vgl. Rothe/Blanke, a.a.O., § 7, Rn 42 m.w.N.). Diesen hat der Kläger hinreichend glaubhaft gemacht, indem er dargelegt hat, dass er nach der Zusage der Geschäftsführung des Göttinger Tageblattes, ihn nach Abschluss des Studiums ein Volontariat absolvieren zu lassen, nicht mehr die Befähigung zum Richteramt angestrebt hat, sondern sich eine breitere wissenschaftliche Grundlage für seine zukünftige Tätigkeit als Journalist verschaffen wollte. Die Beklagte hat dem im übrigen nichts entgegengesetzt. Der Kläger hat den Fachrichtungswechsel auch unverzüglich vorgenommen, nachdem er im Juli 2008 die entsprechende schriftliche Zusage erhalten hatte (vgl. zu diesem zusätzlichen Erfordernis BVerwG, Urteil vom 27.03.1980 - 5 C 52.78 -, Buchholz 436.36 § 7 BAföG Nr. 15).

15

Das Gericht verpflichtet die Beklagte zur Gewährung von Ausbildungsförderung an den Kläger ab dem 01.01.2009. Das kann nach § 15 Abs. 1 BAföG nämlich frühestens von Beginn des Antragsmonats an geschehen; der Kläger hat den Weiterförderungsantrag am 07.01.2009 beim Studentenwerk E. gestellt. Wie bereits oben ausgeführt worden ist, kann der Kläger dem Grunde nach Förderungsleistungen bis zum Ende des Wintersemesters 2009/2010 erhalten, wobei die Förderung als Zuschuss und Darlehen gemäß § 17 Abs. 2 BAföG nur bis zum Ende des Sommersemesters 2009 erfolgt. Nach § 17 Abs. 3 Nr. 2 BAföG erhält der Auszubildende nämlich bei dem Besuch von höheren Fachschulen, Akademien und Hochschulen Ausbildungsförderung (lediglich) als Bankdarlehen nach § 18 c des Gesetzes für eine andere Ausbildung nach § 7 Abs. 3, soweit die Semesterzahl der hierfür maßgeblichen Förderungshöchstdauer, die um die Fachsemester der vorangegangenen, nicht abgeschlossenen Ausbildung zu kürzen ist, überschritten wird. Für den Fall des Klägers bedeutet das, dass die 6-semestrige Förderungshöchstdauer für sein Bachelorstudium um das eine, auf diesen Studiengang nicht angerechnete Fachsemester des ursprünglich von ihm betriebenen Studiums gekürzt wird. Da der Kläger lediglich die Verpflichtung der Beklagten zur Weiterförderung dem Grunde nach beantragt hat, rechtfertigt dieser Gesichtspunkt keine Teilabweisung der Klage.

16

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 188 S. 2 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.