Oberlandesgericht Celle
Urt. v. 13.03.1996, Az.: 2 U 53/95
Voraussetzungen für die Zulassung einer Berufung; Anforderungen an die Darlegung von Zulassungsgründen; Wirksamwerden einer fristlosen Kündigung wegen Zahlungsverzuges
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 13.03.1996
- Aktenzeichen
- 2 U 53/95
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1996, 23731
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGCE:1996:0313.2U53.95.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Lüneburg - 01.02.1995 - AZ: 2 O 391/94
Rechtsgrundlagen
- § 537 Abs. 1 BGB
- § 554 BGB
- § 92 Abs. 1 ZPO
Fundstellen
- EWiR 1996, 975-976 (Volltext mit red. LS u. Anm.)
- NJW-RR 1996, 1099-1100 (Volltext mit red. LS)
In dem Rechtsstreit
hat der 2. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle
auf die mündliche Verhandlung vom 23. Februar 1996
für Recht erkannt:
Tenor:
Auf die Berufung des Beklagten wird das am 1. Februar 1995 verkündete Urteil der 2. Zivilkammer des Landgerichts Lüneburg unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels teilweise geändert und insgesamt wie folgt neu gefaßt:
Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 33.640,42 DM nebst 10 % Zinsen auf 17.505 DM seit dem 27. Juli 1994 und weitere 10 % Zinsen auf jeweils 5.175 DM seit dem 6. August, 6. September und 6. Oktober 1994 zu zahlen.
Im übrigen wird die Klage abgewiesen.
Von den Kosten des Rechtsstreits tragen die Klägerin 4 % und der Beklagte 96 %.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Beschwer der Klägerin beträgt 1.416 DM, diejenige des Beklagten 33.640,42 DM.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung hat in der Sache nur zu einem geringen Teil Erfolg.
Mit Recht hat das Landgericht den Beklagten zur Zahlung des Mehrwertsteuerdifferenzbetrages von monatlich 45 DM auf den Bruttomietzins für die Zeit von Januar 1993 bis einschließlich Februar 1994 (14 × 45 DM = 630 DM) sowie der monatlichen Bruttomietzinsen für die Zeit von März 1994 bis Juli 1994 (5 × 5.175 DM - 25.875 DM) und der per 27.07.1994 aufgelaufenen Verzugszinsen auf die rückständigen Mietzinsen und Nebenkostenvorauszahlungen (610,42 DM), unter Anrechnung der zu diesem Zeitpunkt (durch Inanspruchnahme der gestellten Bankbürgschaft) verwerteten Mietkaution, verurteilt.
Darüber hinaus hat das Landgericht der Klägerin zutreffend für die Monate August 1994 bis Oktober 1994, also für die Zeit nach dem Wirksamwerden der fristlosen Kündigung wegen Zahlungsverzuges gemäß § 554 BGB, Nutzungsentschädigung in Höhe des vertraglich vereinbarten Bruttomietzinses von 5.175 DM zugesprochen.
Die Klage ist jedoch unbegründet, soweit die Klägerin über den Gesamtbetrag der vorbezeichneten Forderungen (630 DM + 25.875 DM + 610,42 DM - 9.000 DM - 18.115,42 DM + 15.525 DM) in Höhe von 33.640,42 DM zusätzlich monatliche Nebenkostenvorauszahlungen für die Monate März 1994 bis Oktober 1994 in Höhe von insgesamt 1.416 DM (8 × 177 DM) beansprucht.
Unter Berücksichtigung des Sach- und Streitstandes im ersten Rechtszug stand der Klägerin zwar auch der geltend gemachte Anspruch auf Nebenkostenvorauszahlung für den vorgenannten Zeitraum gemäß § 5 des Mietvertrages vom 13.09.1989 zu. Indessen ist hinsichtlich der vereinbarten Betriebskostenvorauszahlungen in Höhe von monatlich 177 DM spätestens mit Ablauf des Jahres 1995 Abrechnungsreife eingetreten. Gemäß § 5 Ziffer 2 des Mietvertrages war die Klägerin verpflichtet, jährlich über die Betriebskosten abzurechnen. Nach Eintritt der Abrechnungsreife kann sie allein einen etwa verbleibenden Saldo aus der Nebenkostenabrechnung zu ihren Gunsten beanspruchen. Auf die fehlende Schlüssigkeit des Vorbringens zu dem Anspruch auf Nebenkostenvorauszahlungen in Höhe von 1.416 DM (8 × 177 DM) ist die Klägerin mit Verfügung vom 08.12.1995 hingewiesen worden. Sie hat überdies im Termin klargestellt, daß sie auch zu einem etwaigen Nebenkostennachzahlungsbetrag für 1994 nicht weiter vortragen könne.
Entgegen der Ansicht des Beklagten stand der Klägerin bis zu Beendigung des Mietverhältnisses durch fristlose Kündigung vom 13.07.1994 der vertraglich vereinbarte Mietzins in Höhe von 4.500 DM zuzüglich Mehrwertsteuer zu. Soweit in § 5 des Mietvertrages bei der Angabe der Höhe der Mehrwertsteuer auf den Nettomietzins der damals gültige Mehrwertsteuersatz (14 %) angegeben ist, läßt sich daraus nicht herleiten, daß die Parteien den Mehrwertsteuersatz auch im Falle einer gesetzlichen Änderung unverändert fortschreiben wollten.
Ohne Erfolg macht der Beklagte geltend, daß er in der Zeit seit dem 1. Juni 1993 wegen der in der Innenstadt ... vorgenommenen Verkehrsberuhigungsmaßnahmen lediglich zur Entrichtung der Hälfte des vereinbarten Nettomietzinses verpflichtet gewesen sei.
a)
Eine Minderung des Mietzinses gemäß § 537 Abs. 1 BGB scheidet aus, weil durch die Einrichtung eines verkehrsberuhigten Innenstadtbereiches die an den Beklagten vermieteten Räume nicht nachträglich mit einem Fehler behaftet waren, der die Tauglichkeit des Mietobjekts zur der vereinbarten Nutzung als Gaststätte beeinträchtigte. Insoweit fehlt es nämlich an der unmittelbaren Beeinträchtigung der Tauglichkeit der Mietsache durch die tatsächlichen Umstände und rechtlichen Verhältnisse (vgl. BGH NJW 1981, 2405). Die Gebrauchsmöglichkeit und Funktionsfähigkeit eines Gaststättenlokals wird durch bauplanerische und bauausführende Maßnahmen in der näheren Umgebung des Ladenlokals nur dann im Sinne eines Fehlers gemäß § 537 Abs. 1 BGB berührt, wenn die Möglichkeit, das Ladenlokal beschwerdefrei, gefahrlos und bequem betreten zu können, nachhaltig beeinträchtigt wird (vgl. BGH a.a.O.). Die seit Ende Mai 1993 fehlende Möglichkeit, in unmittelbarer Nähe des Gaststättenlokals Kraftfahrzeuge zu parken und die von dem Beklagten gerügte relativ weite Entfernung des für den verkehrsberuhigten Bereich in der Innenstadt geschaffenen Parkplatzes schränken die Funktionstauglichkeit der angemieteten Räume zu dem vertraglich vereinbarten Zweck hingegen nicht unmittelbar ein. Besondere Zusicherungen der Klägerin im. Hinblick auf die Erreichbarkeit des Gaststättenobjektes für den Kraftfahrzeugverkehr im Sinne von § 537 Abs. 2 BGB behauptet der Beklagte ebenfalls nicht.
b)
Mit zutreffenden Erwägungen hat das Landgericht auch angenommen, daß eine Herabsetzung des Mietzinses auf die Hälfte nach den Grundsätzen der Änderung und des Wegfalls der Geschäftsgrundlage nicht in Betracht komme.
aa)
Es braucht nicht entschieden zu werden, ob das bestrittene Vorbringen des Beklagten zur Entwicklung des Umsatzes der Gaststätte genügt, die Kausalität der Einrichtung des verkehrsberuhigten Bereichs für den geltend gemachten Umsatzrückgang darzulegen. Immerhin fällt auf, daß die Umsätze bis Dezember 1993 nach den von dem Beklagten vorgelegten Unterlagen nicht wesentlich von dem monatlichen Umsatz vor Einführung der Verkehrsberuhigung abwichen (27.000 DM bis 31.000 DM in der Zeit von Mai bis Dezember 1993 gegenüber vorher monatlich 31.000 DM).
bb)
Der Beklagte verkennt, daß die Anwendbarkeit der Grundsätze über die Änderung und den Wegfall der Geschäftsgrundlage nach den konkreten Umständen des Einzelfalls durch das Prinzip; der Vertragstreue eingeschränkt sind, das nur durchbrochen Werden darf, wenn ein Festhalten am Vertrag zu untragbaren, mit Recht und Gerechtigkeit nicht zu vereinbarenden Ergebnissen führt und deshalb einer Vertragspartei nach den Grundsätzen von Treu und Glauben nicht zuzumuten ist (vgl. BGH NJW 1985, 314 [BGH 10.10.1984 - VIII ZR 152/83]). Verwirklicht sich dagegen ein vertraglich übernommenes Risiko oder tritt lediglich eine vorhersehbare Entwicklung ein, schließt der Grundsatz der Vertragstreue regelmäßig eine Korrektur des Vertragsinhalts unter dem Gesichtspunkt des Wegfalls der Geschäftsgrundlage aus.
Im vorliegenden Fall sind nach der Darstellung des Beklagten durch die Einrichtung des verkehrsberuhigten Bereichs, also durch Umstände, die außerhalb der Sphäre der Vertragsparteien liegen und insbesondere nicht von dem Vermieter zu vertreten sind, die Umsatzerwartungen aus dem vermieteten Objekt negativ beeinträchtigt worden. Indessen hat der Beklagte mit seiner unternehmerischen Entscheidung, Geschäftsräume anzumieten, auch das Risiko eines finanziellen Fehlschlages übernommen (vgl. BGH NJW 1981, 2405, 2406) [BGH 01.07.1981 - VIII ZR 192/80]. Das Risiko, in den Mieträumen nicht die erwarteten Gewinne zu erzielen, sondern Verluste zu machen, trägt der Vermieter von Geschäftsräumen auch dann, wenn die Gewinnerwartungen bei Vertragsabschluß vom Vermieter geteilt werden (vgl. BGH NJW 1978, 1008). Kein Vermieter muß sich auf das Ansinnen des Mieters einlassen, den Bestand oder den Inhalt des Mietvertrages vom wirtschaftlichen Erfolg des Mieters abhängig zu machen, solange nicht eine Umsatzmiete ausdrücklich vereinbart wird. Umstände, die, wie das Ertragsrisiko, in den Risikobereich einer Partei fallen, geben dieser in aller Regel aber nicht das Recht, eine Änderung der Vertragspflichten zu ihren Gunsten herbeizuführen, weil anderenfalls die in der Vertragsgestaltung liegende Risikoverteilung in einer für den Vertragspartner nicht tragbaren Weise verändert würde (vgl. BGH a.a.O.). Bei dieser Risikoverteilung soll es nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung auch bleiben, wenn sich das Umfeld der Mieträume grundlegend ändert, z.B. ein Einkaufszentrum in einen Billigmarkt umgewandelt wird und sich hierdurch das Käuferpublikum grundlegend ändert (vgl. BGH NJW 1981, 2405, 2406) [BGH 01.07.1981 - VIII ZR 192/80]. Nichts anderes soll für die an konkrete Gesichtspunkte, wie z.B. den Ausbau einer Geschäftsstraße oder die Errichtung einer Fußgängerzone anknüpfende Erwartung des Mieters gelten, künftig Gewinne zu erzielen (vgl. BGH WM 1978, 1008, 1009). Vor diesem Hintergrund ist es nicht gerechtfertigt, durch die Anwendung der Grundsätze über die Änderung oder den Wegfall der Geschäftsgrundlage den Beklagten teilweise von dem mit der Anmietung übernommenen Ertragsrisiko zu entlasten, weil sich seine Erwartung nicht erfüllt hat, die Verkehrslage des Grundstücks würde sich während der Vertragsdauer nicht zu seinem Nachteil ändern. Es kann dahinstehen, ob eine andere Beurteilung gerechtfertigt ist, wenn das Festhalten am Vertrag die Existenz der Mietparteien gefährdet und die Änderung des tatsächlichen Umfeldes der Mieträume auf nicht vorhersehbaren Umständen beruht (vgl. Bub/Treier, Handbuch der Geschäfts- und Wohnrauznmiete, 2. Aufl., II Rdnr. 637). Der Beklagte muß sich nämlich entgegenhalten lassen, daß der Mietvertrag im Herbst 1989 geschlossen wurde und Gewerberäume in einem in der Altstadt von ... gelegenen Geschäftshaus betraf. Zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses war aber die Einrichtung von Fußgängerzonen und verkehrsberuhigten Bereichen bereits weit verbreitet. Dies gilt namentlich für enge Altstadtstraßen. Aus diesem Grunde mußte der Beklagte bei verständiger Würdigung damit rechnen, daß auch die Straße am Stintmarkt in der wegen ihres Gebäudebestandes (Backsteingotik) besonders attraktiven Altstadt ... von einer solchen Maßnahme während der Laufzeit des Mietvertrages betroffen würde. Die mit der Einrichtung eines verkehrsberuhigten Bereichs verbundene Erschwernis der Erreichbarkeit der Gaststätte mit Kraftfahrzeugen stellte sich daher für den Beklagten nicht als eine außergewöhnliche Entwicklung dar.
cc)
Selbst wenn von einer Änderung oder dem Wegfall der Geschäftsgrundlage durch die Einrichtung des verkehrsberuhigten Bereichs auszugehen wäre, würde die Anpassung des Vertrages an die veränderten Verhältnisse nicht zu einer Halbierung des Mietzinses führen. Bei einem Dauer Schuldverhältnis der vorliegenden Art wird nämlich die. Herabsetzung der Gegenleistung des Mieters auf die Hälfte nicht den beiderseitigen mutmaßlichen Interessen der Parteien gerecht, die für eine Anpassung des Vertrages nach den Regeln des Wegfalls der Geschäftsgrundlage maßgeblich sind. Im Rahmen der Anpassung sind nämlich nur solche Eingriffe zulässig, die erforderlich und zumutbar sind, um untragbare, mit Treu und Glauben nicht zu vereinbarende und der betroffenen Partei nicht zumutbare Ergebnisse zu vermeiden. Es ist der Klägerin als Vermieterin indes nicht zuzumuten, an einem derart langfristig angelegten (feste Mietzeit bis 01.10.1999 mit Verlängerungsoption für den Beklagten um jeweils ein Jahr) gewerblichen Mietverhältnis bei einer Herabsetzung der Miete auf die Hälfte festzuhalten. Die Miethöhe bestimmt nicht nur die Kalkulation des Mieters, sondern berührt auch diejenige des Vermieters. Den beiderseitigen Interessen wird im vorliegenden Fall eher dadurch Rechnung getragen, daß dem Mieter wegen der veränderten Umstände ein außerordentliches Kündigungsrecht einzuräumen ist, so daß er nicht gezwungen ist, trotz der verschlechterten Anbindung des Gaststättenobjekts an den Pkw-Verkehr an dem Mietverhältnis festzuhalten. Allerdings verbleibt ihm die Möglichkeit, durch eine Änderung der konzeptionellen Gestaltung des Gaststättenobjekts den veränderten Rahmenbedingungen Rechnung zu tragen. Auf der anderen Seite wird durch ein außerordentliches Kündigungsrecht des Mieters auch den Interessen des Vermieters Rechnung getragen, der im Falle der Ausübung dieses Kündigungspechts versuchen kann, das Objekt anderweitig zu vermieten, und zwar namentlich zu gewerblichen Zwecken, denen die Beeinträchtigung der Anbindung des Fahrzeugverkehrs nicht in gleicher Weise schadet (z.B. Einrichtung eines Cafés oder Verkaufsgeschäfts).
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 97 Abs. 1, 92 Abs. 1 ZPO.
Die weiteren Nebenentscheidungen finden ihre Rechtsgrundlage in §§ 708 Nr. 10, 713 und 546 Abs. 2 Satz 1 ZPO.
Streitwertbeschluss:
Die Beschwer der Klägerin beträgt 1.416 DM, diejenige des Beklagten 33.640,42 DM.