Verwaltungsgericht Hannover
Beschl. v. 10.02.2004, Az.: 7 B 573/04

Anordnungsgrund; Belastungsgrenze; Kürzung; Medikamentenzuzahlung; Praxisgebühr; Regelsatz

Bibliographie

Gericht
VG Hannover
Datum
10.02.2004
Aktenzeichen
7 B 573/04
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2004, 50486
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Tenor:

Der Antrag wird abgelehnt.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe

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Die Entscheidung ergeht durch den Einzelrichter, dem die Kammer den Rechtsstreit gemäß § 6 Abs. 1 VwGO mit Beschluss vom 08.02.2004 zur Entscheidung übertragen hat.

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Der zulässige Antrag des Antragstellers,

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den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihm eine einmalige Beihilfe für die Praxisgebühr und für die Zuzahlung für Medikamente zu gewähren,

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ist unbegründet.

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Eine einstweilige Anordnung kann das Gericht gem. § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO zur vorläufigen Regelung eines streitigen Rechtsverhältnisses dann erlassen, wenn glaubhaft gemacht ist, dass der geltend gemachte Anspruch gegenüber dem Antragsgegner besteht und ohne eine vorläufige Regelung wesentliche, in § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO näher beschriebene Nachteile zu entstehen drohen (§ 123 Abs. 1 und 3 VwGO iVm § 920 Abs. 2 ZPO).

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Im vorliegenden Fall ist es dem Antragsteller nicht gelungen, weder einen Anordnungsgrund noch einen Anordnungsanspruch glaubhaft zu machen, § 123 Abs. 3 VwGO, § 920 Abs. 2 ZPO

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Es ist nach dem bisherigen Vortrag nicht ersichtlich, dass eine Entscheidung überhaupt eilbedürftig ist, mithin ein Anordnungsgrund besteht. Soweit der Antragsteller eine Beihilfe für die sogenannten „Praxisgebühren“ für die Zeit ab April 2004 begehrt, liegt dies auf der Hand. Diese Zuzahlungen sind derzeit überhaupt noch nicht vom Antragsteller zu leisten.

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Soweit der Antragsteller jetzt einen Arzt aufsuchen müsste und Medikamente bedürfte, läge dann zwar ein Anordnungsgrund vor. Diesen Umstand hat der Antragsteller jedoch nicht einmal ansatzweise glaubhaft gemacht. Der schlichte Satz „der Antragsteller bedarf dringend medizinischer Behandlung, ohne die sich der gesundheitliche Zustand des Antragstellers verschlechtert“, reicht für eine Glaubhaftmachung nicht aus. Es hätte schon einer näheren Darlegung der Erkrankung bzw. der Beschwerden bedurft.

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Das Gericht hat davon abgesehen, den Antragstellern aufzufordern, einen Anordnungsgrund noch glaubhaft zu machen. Denn es ist bereits kein Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht, so dass schon aus diesem Grund der Antrag keinen Erfolg haben kann.

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Der Antragsteller hat keinen Anspruch auf Übernahme der Zuzahlungen nach dem SGB V im Wege einer einmaligen Beihilfe. Ein Anspruch auf gesonderte Übernahme der Zuzahlungen durch Gewährung einer einmaligen Beihilfe besteht nur insoweit, als der Bedarf nicht ein Regelbedarf ist und deshalb nicht durch Regelsatzleistungen abgegolten ist. Regelbedarf ist der ohne Besonderheiten des Einzelfalles (§ 22 Abs. 1 Satz 2 BSHG) bei vielen Hilfeempfängern (zu deren Einteilung in Gruppen vgl. § 2 RegelsatzVO) gleichermaßen bestehende, nicht nur einmalige Bedarf nach § 1 Abs. 1 RegelsatzVO. Die Abgrenzung, was vom Gegenstand und vom Wert her zum Regelbedarf gehört, hat der Normgeber in § 22 BSHG in Verbindung mit § 1 RegelsatzVO festgelegt (BVerwG, Urteil vom 13.12.1990 - 5 C 17.88 -, FEVS 41, 221). Durch Artikel 29 des am 01.01.2004 in Kraft getretenen Gesetzes zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Modernisierungsgesetz - GMG vom 14.11.2003 <BGBl. I, S. 2190>) hat er in § 1 Abs. 1 Satz 2 der RegelsatzVO die Leistungen für Kosten bei Krankheit, bei vorbeugender und bei sonstiger Hilfe, soweit sie nicht nach den §§ 36 bis 38 des Gesetzes (BSHG) übernommen werden, aufgenommen. Aufgrund der Änderungen des § 38 BSHG durch Artikel 28 des GMG (Streichung des bisherigen zweiten Halbsatzes in Abs. 1 Satz 1 und Aufhebung des bisherigen Abs. 2) werden die Leistungen nicht gesondert übernommen. Damit hat der Gesetzgeber die sog. Praxisgebühr und die Zuzahlungen zu Medikamenten zum Regelbedarf erklärt (so auch schon Einzelrichterin der beschließenden Kammer im Beschluss vom 20.01.2004 - 7 B 224/04 - und im Beschluss vom 15.01.2004 - 7 B 59/04 - sowie Einzelrichter der Kammer im Beschluss vom 28.01.2004 - 7 B 432/04 -).

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Die entgegengesetzte Ansicht des Verwaltungsgerichts Braunschweig (Beschluss vom 14.01.2004 - 4 B 64/04 -) überzeugt nicht. Zwar ist es richtig, dass die Regelsätze seit 01.01.2004 bisher nicht erhöht wurden. Dem Gesetzgeber ist es jedoch unbenommen, auch ohne Erhöhung der Regelsätze Empfängern von Sozialhilfe zusätzlich den Eigenanteil für Medikamente und sonstige Zuzahlungen bis zur Belastungsgrenze aufzubürden. Schließlich wird dies auch allen anderen, insbesondere den Beziehern von kleinen Einkommen knapp über dem Sozialhilfebedarf zugemutet, ohne dass sich deren Einkommen entsprechend erhöht haben. Die Empfängern von Sozialhilfe werden gegenüber den Beziehern kleiner Einkommen sogar trotz der Neuregelungen immer noch besser gestellt. Denn bei Ihnen fällt nur einmal im Jahr eine Zuzahlung bis zur Höhe von 2 v.H. des Regelsatzes eines Haushaltsvorstandes - bei chronisch Erkrankten von 1 v.H. - an. Bei Beziehern kleiner Einkommen ist hingegen das gesamte Bruttoeinkommen, also auch die Einkommensteile, die zur Deckung von Unterkunftskosten und etwaigen Mehrbedarfen sowie den Bedarf an einmaligen Leistungen (etwa Bekleidung) verwendet werden, bei der Bemessung der Belastungsgrenze anzusetzen. Insoweit hat der Gesetzgeber die besonderen Verhältnisse von Sozialhilfeempfängern durchaus gesehen und durch eine relativ gesehen sehr entgegenkommende Regelung berücksichtigt.

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Die Bemessung der Belastungsgrenze wird nach § 62 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Satz 5 Nr. 1 SGB V auf das Jahreseinkommen berechnet. Bei einem derzeitigen Regelsatz für einen Haushaltsvorstand iHv. 296 € ist die Belastungsgrenze nach alledem vom Jahresbetrag iHv. 3552 € zu berechnen. Die „normale“ Belastungsgrenze von 2 v.H. ist mithin bei einem Zuzahlungsbetrag von 71,04 € erreicht, bei einer chronischen Erkrankung (1 v.H.) allerdings bereits bei einem Betrag von 35,52 €. Bis zu diesem Betrag muss auch ein Sozialhilfeempfänger seine Krankheitskosten aus dem Regelsatz bestreiten.

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Es kann durchaus sein, dass bei schweren Erkrankungen die Belastungsgrenze bereits im Laufe des ersten Monats eines Jahres erreicht wird. Dann aber braucht für den Rest des Jahres keine Zuzahlungen mehr geleistet werden.

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Gleichwohl kommen - insbesondere bei Ansatz der normalen Belastungsgrenze von 71,04 € - dann erhebliche Belastungen auf einen Hilfeempfänger zu, wenn dieser Betrag auf einmal oder innerhalb eines sehr kurzen Zeitraumes anfällt. In diesem Fall müsste wohl nach § 15a BSHG der Träger der Sozialhilfe einen Teil der Zuzahlungen kurzfristig als Darlehen übernehmen (vgl. insoweit schon die Begründung zu Artikel 28 Buchstabe c des Gesetzes zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung - BT-Drs. 15/1525 S. 167).

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Der Antragsteller hat - abgesehen davon, dass er gar kein Darlehen beantragt hat und auch jetzt nicht begehrt - aber auch nicht glaubhaft gemacht, dass er im Februar 2004 derart hohe Belastungen durch die Zuzahlung hatte bzw. diese auf ihn zukommen, so dass es zur Vermeidung von Härten erforderlich wäre, ihm hierfür teilweise ein Darlehen zu gewähren.

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Der Umstand, dass dem Antragsteller aufgrund der Vorschrift des § 25 Abs. 1 BSHG nur ein um 50 v.H. gekürzter Regelsatz gewährt wird, muss unberücksichtigt bleiben. Denn der Antragsteller hat es selbst in der Hand, unverzüglich ein sogenanntes „Profilierungsgespräch“ bei dem Antragsgegner wahrzunehmen und dadurch seine Arbeitsbereitschaft zu dokumentieren. In diesem Fall entfiele sofort die Kürzung.

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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.