Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 10.11.1993, Az.: 2 U 115/93
Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen eines Kostenfestsetzungsbeschlusses bezüglich eines einstweiligen Rechtsschutzverfahrens nach Erledigung der Hauptsache; Ausgestaltung des Selbsthilferechts einer Vermieters zur Durchsetzung der Wiedereinräumung des Besitzes; Voraussetzungen des Anspruchs eines Vermieters oder Verpächters auf Räumung eines Mietobjekts oder Pachtobjekts
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 10.11.1993
- Aktenzeichen
- 2 U 115/93
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 1993, 23312
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGCE:1993:1110.2U115.93.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG ... - AZ: 8 O 286/92
Rechtsgrundlagen
- § 91a ZPO
- § 935 ZPO
- § 940 ZPO
- § 561 BGB
- § 861 Abs. 1 BGB
Fundstelle
- WuM 1995, 188 (Volltext mit amtl. LS)
In dem Verfahren der einstweiligen Verfügung
...
hat der 2. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle
durch
den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht ...,
den Richter am Oberlandesgericht ... und
die Richterin am Oberlandesgericht ...
aufgrund der mündlichen Verhandlung am 29. Oktober 1993
beschlossen:
Tenor:
Die Kosten des Verfahrens der einstweiligen Verfügung vor dem Senat haben zu 89 % der Kläger und zu 11 % die Beklagte zu tragen.
Der Streitwert wird auf insgesamt 4.000 DM festgesetzt, wobei 3.200,- DM auf den zuerst gestellten Verfügungsantrag und weitere 800,- DM auf den zweiten Verfügungsantrag entfallen.
Gründe
Nachdem beide Parteien das Verfahren der einstweiligen Verfügung in der Hauptsache für erledigt erklärt und widerstreitende Kostenanträge gestellt haben, ist gemäß §91 a ZPOüber die Verfahrenskosten zu entscheiden. Diese sind unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstands nach billigem Ermessen zu 89 % dem Kläger aufzuerlegen, während die Beklagte wegen der teilweisen Rücknahme ihres Antrags vom 29. September 1993 einen Anteil von 11 v.H. zu tragen hat.
Bis zum Eintritt des erledigenden Ereignisses - der Räumung des Miet- oder Pachtobjekts - hat der Beklagten ein Verfügungsgrund und ein Verfügungsanspruch zur Seite gestanden (§§935, 940 ZPO). Der Widerspruch des Klägers gegen die beiden Beschlußverfügungen des Senats vom 23. September 1993 und vom 30. September 1993 hätte keinen Erfolg haben können.
Der Verfügungskläger räumt in seiner eidesstattlichen Erklärung vom 4. Oktober 1993 ein, daß in seinem Auftrage am 21. September 1993 durch einen Handwerker die Schlösser zu den von der Beklagten gemieteten oder gepachteten ... ausgewechselt worden sind. Dieses Verhalten ist, wie in den Beschlußverfügungen des Senats ausgeführt, als verbotene Eigenmacht im Sinne des §858 BGB zu werten, so daß der Beklagten, wie aus §861 Abs. 1 BGB folgt, ein Anspruch auf Wiedereinräumung des Besitzes an den ... zugestanden hat.
Dem Anspruch der Beklagten und der Eilbedürftigkeit für den Erlaß einer einstweiligen Verfügung steht nicht entgegen, daß von ihr bereits zu einem erheblichen Teil geräumt worden war. Für die weitere Durchführung der Räumung war die Beklagte auf die Zugänge zu den Räumen angewiesen. Unzutreffend ist in diesem Zusammenhang die Ansicht des Klägers, er sei für das Verfahren der einstweiligen Verfügung nicht passivlegitimiert, weil er die ... aufgrund eines neuen Mietvertrags bereits einer anderen Mieterin überlassen habe. In diesem Überlassen vor der vollständigen Räumung durch die Beklagte und in deren "Aussperren" durch das Auswechseln der Schlösser lag vielmehr eine von dem Kläger verübte verbotene Eigenmacht.
Das Vorbringen des Klägers in seiner Widerspruchsbegründungsschrift rechtfertigt nicht die Annahme, daß ihm ein Selbsthilferecht nach §561 BGB oder §229 BGB zugestanden hat.
Einem Vermieterpfandrecht des Klägers steht sein eigenes widersprüchliches Verhalten und Vorbringen entgegen. Einerseits hat er mit Schreiben vom 22. September 1993 sich auf ein Vermieterpfandrecht berufen, während er andererseits die Beklagte mit dem gleichen Schreiben aufgefordert hat, noch in den sogenannten Kellerräumen befindliche Gegenstände sowie einen Kühlschrank und die Kühltruhe abzuholen. Außerdem ist von ihm vorgetragen, bei den in den Miet- oder Pachträumen zurückgebliebenen Gegenständen handele "es sich größtenteils um Gerümpel".
Selbst unter Zugrundelegung eines Vermieterpfandrechts des Klägers an den in den Räumen verbliebenen Gegenständen der Beklagten wäre sein Verhalten bei dem Auswechseln der Schlösser als verbotene Eigenmacht zu werten. Ein auf §561 Abs. 1 BGB gestütztes Selbsthilferecht ist auch auf der Grundlage des Vorbringens des Klägers zu verneinen. Die Voraussetzungen für die Ausübung eines derartigen Rechts haben nicht vorgelegen. Das Selbsthilferecht darf nur während der Entfernung und nicht als bloße Präventivmaßnahme ausgeübt werden (vgl. OLG Düsseldorf ZMR 1983, 376 f; LG Hamburg ZMR 1978, 20 f; Bub-Treier/von Martius, III 894; Emmerich-Sonnenschein, §561 Rdn. 5; MüKo/Voelskow, 2. Aufl.,§561 Rdn. 5; Sternel, Mietrecht, 3. Aufl., Anm. III 269). Um ein vom Gesetz ausnahmsweise erlaubtes eigenmächtiges Vorgehen zu rechtfertigen, ist eine konkrete Gefahr vorauszusetzen, wobei die bloße Absicht der Entfernung noch nicht genügt (vgl. OLG Düsseldorf a.a.O.). Anders wäre die Rechtslage nur dann, wenn mit einer Entfernung gegen den Willen des Vermieters bereits begonnen war (vgl. LG Hamburg a.a.O.). Ein Handeln gegen seinen Willen lag nach dem Vorbringen des Klägers jedoch gerade nicht vor. Er hat die Beklagte vielmehr zum Abholen der Sachen aufgefordert, einem Verlangen, dem sie zunächst nicht nachgekommen war.
Aufgrund vorstehender Erwägungen kommt ein auf§229 BGB gestütztes Selbsthilferecht des Klägers ebensowenig in Betracht. Den in dieser Vorschrift geregelten Voraussetzungen für eine Selbsthilfe hätte auch die Möglichkeit entgegengestanden, rechtzeitig eine einstweilige Verfügung zu erwirken.
Mit seinem Hinweis auf das Vorliegen eines vorläufig vollstreckbaren Urteils des Landgerichts auf Räumung und Herausgabe hätte der Kläger ebensowenig Erfolg haben können. Die Beklagte hat einen possesorischen Anspruch geltend gemacht. Gemäß §863 BGB waren demgemäß petitorische Einwendungen bei Besitzschutzansprüchen grundsätzlich ausgeschlossen. Der Beklagte wäre gehalten gewesen, einen Anspruch auf Räumung und Herausgabe auf dem gesetzlich vorgeschriebenen Weg der Zwangsvollstreckung durchzusetzen.
Der Hinweis des Klägers darauf, daß nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (NJW 1979, 1358 [BGH 21.02.1979 - VIII ZR 124/78]) das Berufen auf §863 BGB dann ausgeschlossen ist, wenn eine Besitzschutzklage (§861 BGB) und eine auf ein Recht zum Besitz gestützte Widerklage des Eigentümers auf Herausgabe (§985 BGB) gleichzeitig entscheidungsreif sind, führt zu keinem anderen Ergebnis. Eine gleiche oder eine vergleichbare Prozeßlage ist nicht gegeben. Gegenstand der Verhandlung vor dem Senat am 29. Oktober 1993 war ausschließlich die Erledigung des Verfügungsverfahrens nach dem Widerspruch des Klägers gegen die Beschlußverfügungen des Senats, nicht dagegen die Entscheidung im Hauptsacheverfahren.
Termin zur mündlichen Verhandlung über die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts, mit dem sie vorläufig vollstreckbar zur Räumung und Herausgabe verurteilt wurde, ist auf den ... anberaumt.
Mit der durch das vorläufig vollstreckbare Urteil auf Räumung und Herausgabe erlangten Rechtsstellung war der Kläger gehalten, seinen Anspruch auf dem gesetzlich vorgeschriebenen Weg der in §885 ZPO geregelten Herausgabevollstreckung durchzusetzen. Statt dessen durch eigenmächtiges Verhalten vollendete Tatsachen zu schaffen, war ihm dagegen als verbotene Eigenmacht untersagt. Für die Rechtsordnung ist ein eigenmächtiges Durchsetzen von Ansprüchen nur in besonders geregelten Ausnahmefällen, die, wie erörtert, hier nicht vorliegen, hinnehmbar. Das Verhalten des Klägers führte nicht nur zu einer Umgehung des vorgeschriebenen Zwangsvollstreckungsverfahrens. Darüber hinaus war es auch geeignet, Maßnahmen der Beklagten gegen eine Durchführung der Räumungsvollstreckung zu unterlaufen. Hierzu gehörten Anträge auf einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung (§§707, 719 ZPO) und Vollstreckungsschutzanträge (§765 a ZPO). Die sich hieraus ergebenden Möglichkeiten eines Räumungsschuldners würden in ihren Wirkungen durch ein eigenmächtiges Handeln des Räumungsgläubigers beseitigt werden, was nicht hingenommen werden kann.