Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 08.11.1993, Az.: 4 W 309/93
Ablehnung eines Sachverständigen wegen der Besorgnis der Befangenheit ; Entstehung des Ablehnungsgrundes erst nach der Ernennung des Sachverständigen; Voraussetzungen für die Statthaftigkeit einer sofortigen Beschwerde
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 08.11.1993
- Aktenzeichen
- 4 W 309/93
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 1993, 22676
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGCE:1993:1108.4W309.93.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Lüneburg - 06.10.1993 - AZ: 8 O 543/92
Rechtsgrundlagen
- § 78 Abs. 3 ZPO
- § 223 ZPO
- § 406 ZPO
- § 407a Abs. 1 ZPO
In dem Rechtsstreitverfahren
hat der 4. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle
durch
den Vorsitzenden Richter B. sowie
die Richter Dr. D. und Dr. W.
am 8. November 1993
beschlossen:
Tenor:
Die sofortige Beschwerde der Kläger gegen den Beschluß der 8. Zivilkammer des Landgerichts Lüneburg vom 6. Oktober 1993 wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Der Beschwerdewert beträgt 3.000 DM.
Gründe
I.
Am 16.07.1993 hatte der Sachverständige Dr. R. in Ausführung eines Beweisbeschlusses des Landgerichts Lüneburg auf dem Grundstück der Beklagten eine Ortsbesichtigung durchgeführt, in deren Verlauf er u.a. die Abstände aller Grenzbäume zum gemeinsamen Zaun der Parteien gemessen und stichprobenartig die Höhe einzelner Bäume und das jeweilige Höhenwachstum bestimmt hatte.
Während seiner Arbeiten hatte sich die Klägerin vom Sachverständigen mit dem Hinweis verabschiedet, sie müsse nun zu ihrem Dienst fahren. Nach Beendigung seiner ca. 2 1/2-stündigen Arbeiten begab sich der Sachverständige in das Haus der Beklagten und ihres Ehemannes, um sich seine Hände reinigen zu können und noch einige Sachfragen zu klären, die er in seinem Gutachten verarbeitet hat. Sein Gutachten ist am 18.08.1993 beim Landgericht eingegangen und alsbald den Parteien zugestellt worden.
Mit Schriftsatz vom 07.09.1993 haben die Kläger den Sachverständigen wegen der Besorgnis der Befangenheit abgelehnt und zur Begründung ausgeführt, der Sachverständige habe sich ca. 45 Minuten lang im Hause der Beklagten aufgehalten; sie - die Kläger - müßten befürchten, zwischen dem Sachverständigen und der Beklagten habe sich während dieser Zeit ein Vertrauensverhältnis entwickelt, das Einfluß auf die Feststellungen seines Gutachtens haben könnte.
Das Landgericht hat den Befangenheitsantrag im Hinblick auf die Äußerung des Sachverständigen zu dem gegen ihn erhobenen Vorwurf und fehlender anderweitiger Glaubhaftmachung zurückgewiesen.
Mit ihrer sofortigen Beschwerde verfolgen die Kläger ihr Ablehnungsgesuch weiter.
II.
Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.
Die Kläger haben ihr Ablehnungsgesuch verspätet gestellt.
1.
Die Ablehnung eines Sachverständigen für den in § 406 ZPO nicht geregelten Fall, daß der Ablehnungsgrund erst nach der Ernennung des Sachverständigen entsteht, ist nach der im Wege der Rechtsfortbildung aus § 406 Abs. 2 Satz 2 ZPO entwickelten Rechtsprechung und Lehre nur zulässig, wenn das entsprechende Gesuch unverzüglich nach der Erlangung der Kenntnis vom Ablehnungsgrund gestellt wird (vgl. Stein/Jonas/Leipold, ZPO, 20. Aufl., § 406 Rn. 19; Baumbach/Lauterbach/Hartmann, ZPO, 51. Aufl., § 406 Rn. 23 - jeweils mit Hinweisen auf die Rechtsprechung). Auch wenn man den Begriff "unverzüglich" in diesem Zusammenhang behutsam auslegt, etwa in dem Sinne: alsbald nach angemessener Überlegungszeit (so OLG Köln MDR 1983, 412), so haben die Kläger diese Möglichkeit einer angemessenen Bedenkzeit eindeutig überschritten, wenn sie zwischen dem von der Mutter der Klägerin beobachteten Geschehen am 17.07.1993 und der Abfassung des Ablehnungsgesuches am 07.09.1993 nahezu acht Wochen verstreichen ließen. Das Gesuch war deshalb von Anfang an als unzulässig zurückzuweisen, so daß es auf die Frage, ob es durch die nachträglich eingereichte eidesstattliche Versicherung der Mutter der Klägerin begründet sein könnte, nicht ankommt.
2.
Dieser Beurteilung steht nicht entgegen, daß die fraglichen Vorgänge und auch der Zeitpunkt der Gesucheinreichung innerhalb der Gerichtsferien liegen und der Rechtsstreit nicht zur Feriensache erklärt worden war.
Es wird zwar im Anschluß an eine Entscheidung des OLG Saarbrücken (OLGZ 1980, 37.) die Auffassung vertreten, das Erfordernis, den Ablehnungsantrag unverzüglich einzureichen, werde durch die Gerichtsferien gehemmt (vgl. Stein/Jonas/Leipold a.a.O.). Diese Ansicht wird dem Sinn des Gebots, ein Ablehnungsgesuch unverzüglich zu stellen, jedoch nicht gerecht.
Das OLG Saarbrücken führt zwar in der genannten Entscheidung aus (a.a.O.), es entspreche Sinn und Zweck des § 223 ZPO, die Vorschrift auch auf bloß bestimmbare Fristen ("unverzüglich", "angemessen") anzuwenden, und es widerspreche nicht dem Ziel der Verfahrensförderung, die Frist für das Ablehnungsgesuch als durch den Lauf der Gerichtsferien gehemmt anzusehen. Diese Überlegungen werden jedoch nicht dem vorrangigen Sinn und Zweck des Gebotes, einen Ablehnungsantrag unverzüglich einzureichen, gerecht, der darin besteht, eine Entscheidung über die Befangenheit des Sachverständigen herbeizuführen, bevor dieser kostenträchtige Aktivitäten zur Erfüllung seines Gutachterauftrages entfaltet hat. Dies ist der Regelung des § 406 Abs. 2 Satz 1 ZPO zu entnehmen; insbesondere soll verhindert werden, daß eine Partei - wie hier - erst nach dem Vorliegen des Gutachtens, also unter Berücksichtigung ihrer Kenntnis vom Ergebnis ihr Ablehnunggesuch stellt, obwohl sie zuvor reichlich Bedenkzeit gehabt hat.
Dieser grundsätzlichen Überlegung steht § 223 ZPO nicht unvereinbar entgegen. Denn in bezug auf den aufgrund eines Beweisbeschlusses einem Sachverständigen erteilten Auftrag ist der Lauf von Fristen durch die Gerichtsferien nicht gehemmt. So bleibt die Regelung in § 407 a Abs. 1 ZPO, wonach der Sachverständige "unverzüglich" zu prüfen hat, ob der ihm erteilte Auftrag in sein Sachgebiet fällt, anderenfalls er "unverzüglich" das Gericht zu verständigen hat, vom Lauf der Gerichtsferien unberührt. Der Sachverständige ist auch nicht gehindert, während der Gerichtsferien einen Termin zur Ortsbesichtigung zu bestimmen, an dem die Parteien teilnehmen sollen. Erst recht nicht ist der Sachverständige gehindert, während der Gerichtsferien Aufträge zur Erfüllung seines Gutachtens (z.B. Bohrungen zur Bodenuntersuchung; Messungen und Analysen in einem Labor) in Auftrag zu geben und sein Gutachten zu erstellen. Die Prüfung der Frage, ob der damit verbundene Aufwand an Arbeitskraft und Kosten, der aufgrund eines Ablehnungsgesuches unter Umständen unnütz wäre, sinnvoll eingesetzt wird, muß deshalb umgehend und unabhängig vom Lauf der Gerichtsferien (bzw. vom Antrag einer Partei, den Rechtsstreit zur Feriensache zu erklären) erfolgen. Dies ist auch für die betroffene Partei, die die Befangenheit des Sachverständigen geltend machen will, ohne weiteres erkennbar. Sie ist bei der Stellung des Ablehnungsgesuchs auch nicht auf ihren Anwalt angewiesen; das Gesuch unterliegt nicht dem Anwaltszwang, § 78 Abs. 3 ZPO (vgl. Zöller/Stephan, ZPO, 16. Aufl., § 406 Rn. 11).
Der Auffassung des Senats kann schließlich auch nicht entgegengehalten werden, das Gericht dürfe im Hinblick auf § 200 GVG während der Gerichtsferien über das Ablehnungsgesuch nicht entscheiden (so OLG Saarbrücken a.a.O. Seite 39/40). Diese Auffassung berücksichtigt zumindest nicht hinreichend die prozessualen Möglichkeiten, wonach das Landgericht auf Antrag einer Partei den Rechtsstreit zur Feriensache erklären kann (§ 200 Abs. 3 GVG), wozu in einem solchen Fall in der Praxis, falls ein solcher Antrag im Zusammenhang mit dem Ablehnungsgesuch vergessen oder übersehen worden ist, von Seiten des Gerichts hingewirkt wird; denn sowohl die Parteien als auch das Gericht haben ein vernünftiges Interesse daran, überflüssige Kosten zu sparen. Sollte sich das Gericht trotz allem gehindert sehen, während der Gerichtsferien zu entscheiden, sollte es den Sachverständigen anweisen, vor einer Entscheidung über das Befangenheitsgesuch seine Arbeit nicht fortzusetzen. - Diese Verfahrensweise wäre auch im Hinblick auf das Ziel der Verfahrensförderung effektiver und prozessual sinnvoller als die von der Gegenseite vertretene Auffassung, das Gesuch wegen Ablehnung des Sachverständigen brauche erst nach Ablauf der Gerichtsferien gestellt zu werden, obwohl der Sachverständige während der Gerichtsferien an dem Gutachten arbeitet und es ggf. den Parteien zugestellt wird mit der Folge, daß die Ablehnung des Sachverständigen unvermeidlich auch von der Bewertung des Ergebnisses seines Gutachtens beeinflußt wird.
Streitwertbeschluss:
Der Beschwerdewert beträgt 3.000 DM.
Nach all dem ist die sofortige Beschwerde mit der Kostenfolge aus § 97 ZPO zurückzuweisen.