Verwaltungsgericht Braunschweig
Beschl. v. 28.10.2013, Az.: 7 B 185/13

Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes gegenüber einem somalischen Staatsangehörigen i. R. dessen angeordneter Abschiebung nach Malta

Bibliographie

Gericht
VG Braunschweig
Datum
28.10.2013
Aktenzeichen
7 B 185/13
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2013, 53168
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGBRAUN:2013:1028.7B185.13.0A

Fundstelle

  • InfAuslR 2014, 35-36

In der Verwaltungsrechtssache
des Herrn A.,
Staatsangehörigkeit: somalisch,
Antragstellers,
Proz.-Bev.: Rechtsanwälte Lerche und andere,
Blumenauer Straße 1, 30449 Hannover, - B. -
gegen
die Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge,
Klostermark 70-80, 26135 Oldenburg, - C. -
Antragsgegnerin,
Streitgegenstand: Asylrecht - Eilverfahren
- hier: Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO -
hat das Verwaltungsgericht Braunschweig - 7. Kammer - am 28. Oktober 2013 durch den Einzelrichter
beschlossen:

Tenor:

Die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 02.10.2013 wird angeordnet.

Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens; Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Dem Antragsteller wird Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt Fahlbusch aus Hannover beigeordnet. Die Beiordnung erfolgt mit der Maßgabe, dass kein höherer Vergütungsanspruch entsteht als bei einem im Bezirk des erkennenden Gerichts ansässigen Rechtsanwalts.

Gründe

I.

Der Antragsteller begehrt einstweiligen Rechtsschutz gegen einen Bescheid, mit dem für ihn die Abschiebung nach Malta angeordnet wurde.

Der Antragsteller ist somalischer Staatsangehöriger. Er reiste erstmals im Januar 2013 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte einen Asylantrag. Am 05.02.2013 richtete das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ein Übernahmeersuchen gemäß der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates (Dublin-II-VO) an Malta. Die maltesischen Behörden erklärten mit Schreiben vom 13.02.2013 ihre Zuständigkeit für die Behandlung des Asylantrages.

Mit Bescheid vom 14.02.2013 stellte das Bundesamt fest, der Asylantrag des Antragstellers sei unzulässig und ordnete (erstmals) die Abschiebung nach Malta an. Hiergegen erhob der Antragsteller am 26.02.2013 Klage (7 A 32/13), über die noch nicht entschieden ist. Nach seinem Vorbringen wurde der Antragsteller am 07.03.2013 nach Malta zurückgeschoben.

Am 03.08.2013 wurde der Antragsteller durch die Polizeibehörden in Braunschweig angetroffen. Am 09.08.2013 richtete das Bundesamt ein Wiederaufnahmeersuchen an Malta. Mit Schreiben vom 22.08.2013 erklärten die maltesischen Behörden gem. Art. 16 Abs. 1 c der Dublin-II-VO ihre Zuständigkeit für die Bearbeitung des Asylantrages.

Mit Bescheid vom 02.10.2013 ordnete die Beklagte (erneut) die Abschiebung nach Malta an. Der Bescheid wurde dem Antragsteller am 16.10.2013 ausgehändigt.

Am 14.10.2013 hat der Antragsteller um einstweiligen Rechtsschutz nachgesucht und Klage erhoben (7 A 184/13).

II.

Der zulässige Antrag ist begründet.

Gem. § 34a Abs. 1 AsylVfG in der hier gem. § 77 Abs. 1 AsylVfG anzuwenden Fassung des Art. 1 Nr. 27 des Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 2011/95/EU (sog. Qualifikationsrichtlinie) vom 28.08.2013 (BGBl. I Nr. 54 vom 05.09.2013, S. 3474), ordnet das Bundesamt, sofern ein Ausländer in einen sicheren Drittstaat (§ 26a AsylVfG) oder in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 27a AsylVfG) abgeschoben werden soll, die Abschiebung in diesen Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Nach Abs. 2 der geänderten Fassung des § 34a AsylVfG sind Anträge nach § 80 Abs. 5 der Verwaltungsgerichtsordnung gegen die Abschiebungsanordnung innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe zu stellen.

Die danach einzuhaltende Wochenfrist war nicht verstrichen, als die Antragsschrift des Antragstellers am 14.10.2013 bei Gericht einging. Denn der Bescheid vom 02.10.2013 wurde dem Antragsteller ausweislich der dem Gericht vorliegenden Empfangsbestätigung (Bl. 44 d. GA) erst am 16.10.2013 übergeben. Ein zu Lasten des Antragstellers gehender früherer Bekanntgabezeitpunkt ist nicht nachgewiesen, obwohl der Antrag bereits am 14.10.2013 und damit vor dem nachgewiesenen Bekanntgabedatum bei Gericht einging. Eine zu den Akten gelangte Zustellungsurkunde, nach der ein erfolgloser Zustellungsversuch am 30.09.2013 stattfand (Beiakte A Bl. 55) belegt keinen früheren Bekanntgabezeitpunkt. Zum einen ergibt sich aus der Zustellungsurkunde nicht, welches Schriftstück zugestellt werden sollte. Zum anderen liegt der Zeitpunkt des angeblichen Zustellungsversuchs vor dem Bescheiddatum.

Die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers gegen die mit Bescheid vom 02.10.2013 angeordnete Abschiebung nach Malta ist anzuordnen, weil bei der vorzunehmenden Abwägung des öffentlichen Vollzugsinteresses mit dem privaten Aussetzungsinteresse des Antragstellers das Interesse des Antragstellers überwiegt. Das Gericht folgt der Auffassung, dass nach § 34a Abs. 2 AsylVfG n. F. die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage nicht erst bei ernstlichen Zweifeln an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides des Bundesamtes erfolgen darf, wie dies in den Fällen der Ablehnung eines Asylantrages als unbeachtlich oder offensichtlich unbegründet gem. § 36 Abs. 4 S. 1 AsylVfG vorgesehen ist. Das Verwaltungsgericht Trier hat hierzu in einem Beschluss vom 18. September 2013 (- 5 L 1234/13.TR -, zustimmend VG Göttingen, Beschl. v. 11.10.2013 - 2 B 806/13 -, zitiert nach [...]) dargelegt, dass eine derartige Einschränkung der gerichtlichen Entscheidungsbefugnis in Anlehnung an § 36 Abs. 4 S. 1 AsylVfG nicht dem Willen des Gesetzgebers entsprach, weil eine entsprechende Initiative zur Ergänzung des § 34a Abs. 2 AsylVfG n. F. im Bundesrat keine Mehrheit gefunden habe. Dementsprechend ist vorliegend eine reine Ablehnung des öffentlichen Vollzugsinteresses mit dem privaten Aussetzungsinteresse des Antragstellers vorzunehmen, die sich in der Regel an den Erfolgsaussichten in der Hauptsache orientiert, soweit diese sich bei summarischer Prüfung im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes abschätzen lassen. Die sich im Hauptsacheverfahren stellende Frage, ob die Bundesrepublik Deutschland verpflichtet ist, ihr Selbstantrittsrecht gem. Art. 3 Abs. 2 Dublin-II-VO bei Abschiebungsanordnungen nach Malta auszuüben, weil dort mit systemischen Mängeln des Asylverfahrens zu rechnen ist und ein Asylbewerber Gefahr läuft, mindestens einer erniedrigenden Behandlung ausgesetzt zu werden, wird von den Gerichten unterschiedlich beurteilt (bejahend z.B. VG Magdeburg, Urt. v. 16.05.2012 - 5 A 328/11MD -, ablehnend VG Stade, Beschl. v. 21.05.2013 - 3 B 2649/13 -). Lässt sich danach feststellen, dass systemische Mängel des Asylverfahrens in Malta weder offensichtlich vorliegen noch offensichtlich verneint werden können, so ist im Einzelfall des Antragstellers zu berücksichtigen, dass dieser bereits einmal nach Malta zurückgeschoben wurde und er dabei nach seinem bislang nicht widerlegten Vortrag Umstände erlebt hat, die einer Aufklärung im Hauptsacheverfahren geboten erscheinen lassen. Der Antragsteller hat nämlich vorgetragen, dass er nach seiner Zurückschiebung nach Malta am 07.03.2013 dort bis Juli 2013 ohne jegliche gesundheitliche Versorgung und ohne soziale Unterstützung auf der Straße gelebt habe. Er habe im Flüchtlingscamp keine Aufnahme gefunden, weil die Verantwortlichen ihm den Zutritt zu dem Camp mit der Begründung verweigert hätten, er habe dies vorher verlassen. Er sei obdachlos, ohne Aufenthaltserlaubnis, ohne Geld, ohne Arbeit, ohne Arbeitserlaubnis und ohne gesundheitliche Versorgung geblieben. Er habe mit anderen Flüchtlingen in einem zerstörten Haus gelebt und dieses tagsüber verlassen müssen. Unregelmäßig habe er am Abend in der Kirche zu Essen finden können. In dieser Lebenssituation sei er zweimal bewusstlos geworden. Einen Arzt habe er nicht aufsuchen können. Vor diesem Hintergrund ist das Interesse des Antragstellers, bis zu einer Entscheidung über seine Klage nicht nach Malta abgeschoben zu werden, höher zu bewerten als das öffentliche Interesse an einer umgehenden Rückführung nach Malta.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO i.V.m. § 83b AsylVfG.

Die Entscheidung über die Bewilligung von Prozesskostenhilfe folgt aus §§ 166 VwGO, 121 Abs. 3 ZPO.

Müller-Fritzsche