Verwaltungsgericht Braunschweig
Beschl. v. 04.03.2014, Az.: 5 B 22/14
Zulässigkeit eines Asylantrags bei vorheriger Stellung des Asylantrags im EU-Ausland (hier: Österreich)
Bibliographie
- Gericht
- VG Braunschweig
- Datum
- 04.03.2014
- Aktenzeichen
- 5 B 22/14
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2014, 11830
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:VGBRAUN:2014:0304.5B22.14.0A
Rechtsgrundlagen
- § 27a AsylVfG
- § 34a Abs. 2 AsylVfG
- § 36 Abs. 4 S. 1 AsylVfG
In der Verwaltungsrechtssache
des Herrn,Staatsangehörigkeit: pakistanisch,
Antragstellers,
Proz.-Bev.:Rechtsanwälte Lerche und andere, Blumenauer Straße 1, 30449 Hannover, - 845/13 SC33 Sc -
gegen
die Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Klostermark 70-80, 26135 Oldenburg,
Antragsgegnerin,
Streitgegenstand: Asylrecht - Eilverfahren- "Dublin" -- hier: Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO -
hat das Verwaltungsgericht Braunschweig - 5. Kammer - am 4. März 2014 durch die Einzelrichterin
beschlossen:
Tenor:
Der Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes wird abgelehnt.
Die Kosten des Verfahrens trägt der Antragsteller; Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Gründe
I.
Der Antragsteller wendet sich gegen die Anordnung, nach Österreich abgeschoben zu werden.
Der am 06.08.1979 geborene Antragsteller ist pakistanischer Staatsangehöriger und ledig.
Am 22.08. 2013 stellte er bei der Antragsgegnerin einen Asylantrag.
Im Rahmen der Befragung zur Vorbereitung der Anhörung am 29.08.2013 gab er unter anderem an, er sei im Jahr 2009 mit einem Boot über die Türkei nach Griechenland eingereist und habe sich dort etwa 3 Jahre aufgehalten. Er habe dort eine Aufenthaltsgenehmigung gehabt. Am 30.10.2012 sei er dann in einem LKW nach Österreich gefahren. Dort habe er sich 8 bis 9 Monate aufgehalten. Er habe dort eine Aufenthaltsgenehmigung gehabt. Am 16.08.2013 sei er dann mit dem Zug nach Deutschland gefahren.
Ein Eurodac-Treffer ergab am 28.08.2013, dass der Antragsteller am 15.09.2009 in Griechenland und am 03.11.2012 in Österreich Asylanträge gestellt hatte.
Am14.11.2013 stellte die Antragsgegnerin ein Wiederaufnahmegesuch an Österreich und teilte mit, dass der Antragsteller auch in Griechenland einen Asylantrag gestellt hatte. Es gebe keine Anhaltspunkte dafür, dass der Antragsteller das Gebiet der Mitgliedsstaaten zwischenzeitlich verlassen hätte. Am 25.11.2013 erklärte Österreich seine Zuständigkeit sowie die Übernahme.
Mit Bescheid vom 17.01.2014 - zugestellt am 24.01.2014 - lehnte die Antragsgegnerin den Asylantrag als unzulässig ab und ordnete die Abschiebung des Antragstellers nach Österreich an. Sie führte hierzu im Wesentlichen aus, der Asylantrag sei nach § 27a des Asylverfahrensgesetzes (AsylVfG) unzulässig, da Österreich aufgrund des dort bereits gestellten Asylantrages zuständig sei. Außergewöhnliche humanitäre Gründe, die die Bundesrepublik Deutschland veranlassen könnten, ihr Selbsteintrittsrecht auszuüben, seien nicht ersichtlich. Gründe zur Annahme von systemischen Mängeln im österreichischen Asylverfahren bestünden nicht. Daher werde der Asylantrag des Antragstellers nicht materiell geprüft. Deutschland sei verpflichtet, die Überstellung nach Österreich als zuständigem Mitgliedstaat fristgerecht durchzuführen. Die Anordnung der Abschiebung nach Österreich beruhe auf § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG.
Am 31.01.2014 hat der Antragsteller Klage erhoben (5 A 21/14) und den hier streitgegenständlichen Eilantrag gestellt. Er trägt zur Begründung im Wesentlichen vor, die Antragsgegnerin habe bei der Bestimmung des zuständigen Staates übersehen, dass der Antragsteller vor dem Asylantrag in Österreich einen Antrag in Griechenland gestellt habe. Deshalb sei primär Griechenland als Staat des ersten Asylantrages zuständig. Bei der Auswahl von Österreich habe die Antragstellerin fälschlich ebenfalls auf die Asylantragstellung abgestellt und so hinsichtlich dieser beiden Staaten dasselbe Zuständigkeitskriterium benutzt und sich damit faktisch ein Wahlrecht verschafft. Dies sei nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs unzulässig. Nach dieser Rechtsprechung müsse der Saat, der systemische Mängel im Asylverfahren eines anderen Mitgliedsstaates ausgemacht habe, die Prüfung der Zuständigkeit "fortsetzen". Dies bedeute, dass der Kriterienkatalog der Verordnung weiter durchgeprüft werden müsse.
Der Antragsteller beantragt,
die aufschiebende Wirkung der Klage 5 A 21/14 gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 17.01.2014 anzuordnen
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Sie bezieht sich zur Begründung auf den angefochtenen Bescheid und trägt ergänzend vor, dass nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs der Staat, der einen Flüchtling nicht an den nach der Dublin - II - Verordnung zuständigen Staat überstellen kann, nicht zwingend sein Selbsteintrittsrecht ausüben müsse, sondern die weiteren Kriterien der Verordnung zu prüfen habe, um festzustellen, welcher andere Vertragsstaat zur Wiederaufnahme des Flüchtlings verpflichtet sei.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte und den Verwaltungsvorgang der Antragsgegnerin Bezug genommen.
II.
Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes ist nach § 34 a Abs. 2 AsylVfG in der Fassung vom 28.08.2013, BGBl. I S. 3473, 3474 (n.F.) zulässig, aber unbegründet.
Nach § 34 a Abs. 2 AsylVfG n.F. ist die aufschiebende Wirkung der Klage anders als bei Entscheidungen nach § 36 Abs. 4 S. 1 AsylVfG nicht erst bei ernstlichen Zweifeln an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides des Bundesamtes anzuordnen (VG Trier, B. v. 18.09.2013 - 5 L 1234/13.TR -,VG Göttingen, Beschl. v. 11.10.2013 - 2 B 806/13 -, beide zitiert nach [...] sowie VG Braunschweig, B. v. 28.10.2013 - 7 B 185/13 m.w.N.) Dementsprechend nimmt das Gericht eine Abwägung des öffentlichen Vollzugsinteresses mit dem privaten Aussetzungsinteresse des Antragstellers vor. Diese Abwägung berücksichtigt die Erfolgsaussichten in der Hauptsache soweit diese sich bei summarischer Prüfung im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes abschätzen lassen.
Die Voraussetzungen von § 34 a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG i.V.m. § 27 a AsylVfG für eine Abschiebung des Antragstellers nach Österreich liegen nach der im Verfahren vorläufigen Rechtsschutzes nur möglichen summarischen Prüfung der Sachlage vor, weil Österreich für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist und der in der Bundesrepublik Deutschland gestellte Asylantrag aus den im Bescheid vom 17.01.2014 genannten Gründen unzulässig ist.
Die Abschiebungsanordnung nach § 34 a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG ist auszusprechen, wenn die Zuständigkeit zur Prüfung des Asylantrags abschließend auf den betreffenden Mitgliedsstaat (hier Österreich) übergegangen ist und der Abschiebung keine im Rahmen der Grenzen des Konzepts der normativen Vergewisserung relevanten Hindernisse entgegenstehen.
Bei der Entscheidung, welcher Mitgliedstaat für die Prüfung des Asylantrages zuständig ist, ist die Dublin II-VO trotz ihres Außerkrafttretens zum 18. Juli 2013 und des Inkrafttretens der Verordnung (EU) Nr. 604/ 2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 (Dublin III-VO) zum 19. Juli 2013 im vorliegenden Fall weiterhin maßgebend, da der Antragsteller den Antrag auf internationalen Schutz vor dem ersten Tag des sechsten Monats nach Inkrafttreten der Dublin III-VO - also dem 20. Dezember 2013 - gestellt hat, Art. 49 Unterabsatz 2 Satz 2 Dublin III-VO (vgl. VG Hamburg, B. v. 12.11.2013 - 17 AE 4415/13 - [...] Rn. 6).
Der Einwand des Antragstellers, die Antragsgegnerin habe bei der Bestimmung des zuständigen Staates ein fehlerhaftes Kriterium angewandt, greift nicht durch.
Das beschließende Gericht hält es schon für zweifelhaft, ob die vom Antragsteller aufgeworfene Rechtsfrage Gegenstand des vorliegenden gerichtlichen Verfahrens sein kann. Zur Frage des möglichen Gegenstandes eines Rechtsbehelfsverfahrens nach Art. 19 Abs. 2 Satz 2 Dublin II-VO führt der Generalanwalt Villalon im Schlussantrag vom 11.07.2013 zur Rechtssache beim EuGH mit dem Aktenzeichen C 394/12 aus, dass der Kern des in Art. 18 der Charta der Grundrechte garantierten Grundrechts auf Asyl bereits mit der Einreise in die Union gesichert werde und der Inhaber dieses Rechts nicht dadurch beeinträchtigt werde, dass die Prüfung seines Antrags dem einen oder dem anderen Staat obliege ([...], Rdnr. 42). Der Rechtsbehelf könne die Einhaltung der Verordnung nur im Hinblick auf zwei Aspekte zum Gegenstand haben, nämlich (A) das Vorliegen von Umständen, die die Vermutung der Wahrung der Grundrechte wiederlegen können und (B) die Anerkennung bestimmter spezieller Rechte durch die Dublin II-VO, die mit dem eigentlichen Asylrecht einhergehen (a.a.O., Rdnr. 44). Die erstgenannte Alternative betrifft die Infragestellung des gegenseitigen Vertrauens der Fall der festgestellten systemischen Mängel im zuständigen Staat, z.B. systemische Mängel im Verfahren. Für die zweite Alternative benennt der Generalanwalt die Fälle z.B. der Familienzusammenführung als solche Rechte, die dem Asylbewerber ein eigenes grundrechtsspezifisches subjektives Recht verleihen, das über die sonst in der Verordnung geregelten Beziehungen der Mitgliedsstaaten untereinander im Bereich der Organisation des Asylverfahrens hinausgeht. Das Gericht hat danach Zweifel daran, ob ein solches grundrechtsspezifisches subjektives Recht tangiert ist bei der Frage, ob ein Asylantrag einer ledigen Person ohne in der Bundesrepublik lebende Familienangehörige in Deutschland oder in Österreich - Staaten, in denen keine systemischen Verfahrensmängel angenommen werden - entschieden wird.
Darüber hinaus hat der Europäische Gerichtshof in seiner Entscheidung vom 10.12.2013 im genannten Verfahren (C 394/12 - [...]) als Gegenstand des Rechtsbehelfsverfahrens nur die oben unter (A) genannten Umstände benannt, allerdings in Bezug auf eine Zuständigkeit des Ersteinreisestaates nach Art 10 Abs. 1 Dublin II-VO (Rdnrn. 62 f. des Jurisabdrucks).
Die Frage der Reichweite des Rechtsschutzes im vorliegenden Verfahren kann jedenfalls im Eilverfahren offen bleiben, denn nach der Aktenlage und dem derzeitigem Kenntnisstand ist Österreich zuständig für die Bearbeitung des Asylgesuchs des Antragstellers.
Hinsichtlich Griechenlands, das nach Art. 10 Abs. 1 Dublin II-VO zuständig wäre, ist der Antragsgegnerin nicht unbekannt, dass das dortige Asylverfahrenssystem sog. systemische Mängel aufweist, deshalb ist eine Überstellung nach dort nicht zulässig. Die Antragsgegnerin hat in diesem Falle, vorbehaltlich der Befugnis, das Selbsteintrittsrecht auszuüben, die Prüfung der Kriterien des Kapitels 3 der Dublin II-VO fortzuführen um festzustellen, ob anhand eines der weiteren Kriterien ein anderer Mitgliedsstaat als für die Prüfung des Asylantrages bestimmt werden kann (EuGH, U. v. 21.12.2013 - C- 411/10 und C-493/10 - Leitsatz - [...]).
Der Antragsteller trägt vor, aus der Formulierung "anhand eines der weiteren Kriterien" ergebe sich, dass nicht dasselbe Kriterium erneut verwendet werden dürfte, das zur Auswahl des ersten Staates - hier: Griechenland - geführt habe, sondern die in Kapitel III der Dublin II-VO genannten Kriterien in der dortigen Reihenfolge angewandt werden müssten.
Es erscheint schon zweifelhaft, ob diese Aussage dem genannten Urteil des EuGH vom 21.12.2013 zu entnehmen ist. Auch soweit diese Auffassung mit dem Schlussantrag des Generalanwalts Villalon vom 11.07.2013 zur Rechtssache beim EuGH mit dem Aktenzeichen C 394/12 (a.a.O.) gestützt wird (Bender/Bethke, "Dublin III", Eilrechtsschutz und das Comeback der Drittstaatenregelung, Asylmagazin 2013, S. 358, 366) ist dies nicht zwingend. Zum einen grenzt der Generalanwalt die Kriterien, die Gegenstand des Rechtsbehelfsverfahrens sein können, auf diejenigen ein, die auf speziell zuerkannten Rechten beruhen (s. o. und a.a.O., Rdnr. 72), zum anderen führt er lediglich aus, es ergebe keinen Sinn, erneut ein Kriterium anzuwenden, das zu der Bestimmung desjenigen Mitgliedsstaates führt, an den der Asylbewerber letztlich nicht überstellt werden dürfte (hier: Griechenland). Ob sich daraus eine zwingende Reihenfolge für die Prüfung der Zuständigkeitskriterien ergibt, ist zweifelhaft.
Die Frage kann aber im vorliegenden Fall offen bleiben, denn die von der Antragstellerin getroffene Entscheidung beruht gar nicht auf der erneuten Anwendung desselben Kriteriums. Zwar hat die Antragsgegnerin im angefochtenen Bescheid auf den in Österreich gestellten Asylantrag hingewiesen, und der Antragsteller hatte auch in Griechenland einen Asylantrag gestellt. Aber die Zuständigkeit Griechenlands folgt aus Art. 10 Abs. 1 Dublin II-VO und beruht auf der Ersteinreise in das Gebiet der Mitgliedsstaaten über die Grenze zu Griechenland, nicht auf der Stellung des Asylantrages im Mitgliedsstaat Griechenland. Dieses Kriterium ist mit dem an die Asylantragstellung anknüpfenden Art 16 Abs. 1 e Dublin II-VO nicht identisch. Eine Zuständigkeit Österreichs kann sich im Übrigen auch aus Art. 10 Abs. 2 Dublin II-VO ergeben, denn der Antragsteller hat sich dort mehr als 5 Monate aufgehalten.
Für eine vorhergehende Prüfung der Kriterien Art. 5 bis 9 Dublin II-VO bestand vorliegend kein Anlass.
Die der Bestimmung des zuständigen Staates logisch nachfolgende Ermessensentscheidung, das Selbsteintrittsrecht nicht auszuüben, weil besondere humanitäre Gründe nicht ersichtlich sind, ist rechtlich nicht zu beanstanden.
Hinsichtlich des Asylverfahrens in Österreich sind systemische Mängel nicht vorgetragen und nicht ersichtlich.
Damit stehen der Abschiebung des Antragstellers nach Österreich keine im Rahmen der Grenzen des Konzepts der normativen Vergewisserung relevanten Hindernisse entgegen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 83 b AsylVfg.
Die Entscheidung über die Bewilligung von Prozesskostenhilfe folgt aus §§ 166 VwGO, 121 Abs. 3 ZPO.