Verwaltungsgericht Braunschweig
Beschl. v. 21.11.2013, Az.: 5 B 209/13

Einstweiliger Rechtschutz gegen die Abschiebung eines über das EU-Ausland eingereisten Ausländers

Bibliographie

Gericht
VG Braunschweig
Datum
21.11.2013
Aktenzeichen
5 B 209/13
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2013, 54815
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGBRAUN:2013:1121.5B209.13.0A

In der Verwaltungsrechtssache
des Herrn,
Staatsangehörigkeit: pakistanisch,
Antragstellers,
Proz.-Bev.:Rechtsanwälte Lerche und andere, Blumenauer Straße 1, 30449 Hannover, - 718/13 FA20 FA -
gegen
die Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Klostermark 70-80, 26135 Oldenburg, - 5623155-461 -
Antragsgegnerin,
Streitgegenstand: Asylrecht - Eilverfahren- hier: Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO -
hat das Verwaltungsgericht Braunschweig - 5. Kammer - am 21. November 2013 durch die Einzelrichterin
beschlossen:

Tenor:

Die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 29.10.2013 wird angeordnet.

Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens; Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Dem Antragsteller wird Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt Fahlbusch aus Hannover beigeordnet. Die Beiordnung erfolgt mit der Maßgabe, dass kein höherer Vergütungsanspruch entsteht als bei einem im Bezirk des erkennenden Gerichts ansässigen Rechtsanwalt.

Gründe

I.

Der Antragsteller begehrt einstweiligen Rechtsschutz gegen einen Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge, mit dem seine Abschiebung nach Österreich angeordnet wurde.

Der Antragsteller trägt vor, pakistanischer Staatsangehöriger zu sein. Er reiste nach eigenen Angaben am 27.03.2013 mit dem Zug aus Österreich kommend in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 08.04.2013 einen Asylantrag. In der am 26.04.2013 durchgeführten Anhörung gab er an, im Sommer 2006 über den Iran und die Türkei nach Griechenland gelangt zu sein. Dort sei er bis zum Jahr 2012 geblieben. Er sei aus Griechenland weggegangen, weil er dort Probleme gehabt habe. Er wisse nicht, ob er dort einen Asylantrag gestellt habe, man habe ihm eine kleine Karte gegeben, diese später jedoch wieder abgenommen. Auch in Österreich habe man ihm eine Karte gegeben, die man ihm wieder abgenommen habe. Dort habe man ihm gesagt, er müsse das Land binnen zwei Wochen verlassen. Zu seinen Verfolgungsgründen gab der Antragsteller an, er habe in Pakistan von seinem Vater Land geerbt, das sich Verwandte aneignen wollten. Deshalb hätten sie ihn mit dem Tode bedroht.

Bereits unter dem 02.04.2013 hatte die Antragsgegnerin von EURODAC die Mitteilungen erhalten, dass der Antragsteller am 13.08.2007 in Griechenland und am 29.12.2012 in Österreich aufgegriffen worden war.

Am 16.10.2013 richtete das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ein Übernahmeersuchen gemäß der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates (Dublin-II-VO) an Österreich. In dem einheitlichen Formular für Wiederaufnahmegesuche gab das Bundesamt unter Ziff. 11 auf die Frage, ob der Asylbewerber im Aufenthaltsstaat oder in einem anderen Staat schon einmal Asyl beantragt habe, an, dass der Antragsteller am 29.12.2012 in Österreich Asyl beantragt habe und der Ausgang nicht bekannt sei. Die österreichischen Behörden erklärten mit Schreiben vom 25.10.2013 ihre Zuständigkeit für die Behandlung des Asylantrages gemäß Art. 16 Abs. 1 lit. e der Dublin-II-VO.

Mit Bescheid vom 29.10.2013 stellte das Bundesamt fest, der Asylantrag des Antragstellers sei unzulässig und ordnete die Abschiebung nach Österreich an.

Hiergegen hat der Antragsteller am 06.11.2013 Klage (5 A 208/13) erhoben und gleichzeitig den vorliegenden Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gestellt.

II.

Der zulässige Antrag ist begründet.

Nach § 34a Abs. 1 AsylVfG in der hier gemäß § 77 Abs. 1 AsylVfG anzuwenden Fassung des Art. 1 Nr. 27 des Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 2011/95/EU (Qualifikationsrichtlinie) vom 28.08.2013 (BGBl. I, S. 3474), ordnet das Bundesamt, sofern ein Ausländer nach § 27a AsylVfG in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat) abgeschoben werden soll, die Abschiebung in diesen Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann.

Nach § 34a Abs. 2 AsylVfG (n.F.) sind Anträge nach § 80 Abs. 5 der Verwaltungsgerichtsordnung gegen diese Abschiebungsanordnung innerhalb einer Frist von einer Woche nach Bekanntgabe zu stellen. Diese Wochenfrist ist eingehalten.

Die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers gegen die angeordnete Abschiebung nach Österreich ist anzuordnen, weil bei der vorzunehmenden Abwägung des öffentlichen Vollzugsinteresses mit dem privaten Aussetzungsinteresse des Antragstellers das Interesse des Antragstellers überwiegt. Nach § 34a Abs. 2 AsylVfG n.F. ist die aufschiebenden Wirkung der Klage anders als bei Entscheidungen nach §§ 36 Abs. 4 S. 1 AsylVfG nicht erst bei ernstlichen Zweifeln an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides des Bundesamtes anzuordnen (VG Trier, B. v. 18.09.2013 - 5 L 1234/13.TR -,VG Göttingen, Beschl. v. 11.10.2013 - 2 B 806/13 -, beide zitiert nach [...] sowie VG Braunschweig, B. v. 28.10.2013 - 7 B 185/13 m.w.N.) Dementsprechend nimmt das Gericht eine Abwägung des öffentlichen Vollzugsinteresses mit dem privaten Aussetzungsinteresse des Antragstellers vor. Diese Abwägung berücksichtigt die Erfolgsaussichten in der Hauptsache soweit diese sich bei summarischer Prüfung im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes abschätzen lassen.

Die Voraussetzungen von § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG i.V.m. § 27a AsylVfG für eine Abschiebung des Antragstellers nach Österreich liegen nach der im Verfahren vorläufigen Rechtsschutzes nur möglichen summarischen Prüfung der Sachlage nicht vor, weil Österreich für die Durchführung des Asylverfahrens nicht zuständig ist und der in der Bundesrepublik Deutschland gestellte Asylantrag jedenfalls nicht aus den im Bescheid vom 29.10.2013 genannten Gründen unzulässig ist.

Die Abschiebungsanordnung nach § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG ist auszusprechen, wenn die Zuständigkeit zur Prüfung des Asylantrags abschließend auf den betreffenden Mitgliedsstaat (hier Österreich) übergegangen ist und der Abschiebung keine im Rahmen der Grenzen des Konzepts der normativen Vergewisserung relevanten Hindernisse entgegenstehen.

Bei der Entscheidung über die Zuständigkeit zur Prüfung des Asylantrags ist die Dublin II-VO trotz ihres Außerkrafttretens zum 18. Juli 2013 und des Inkrafttretens der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 (im Folgenden: Dublin III-VO) am 19. Juli 2013 im vorliegenden Fall für die Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats weiterhin maßgebend, da der Antragsteller den Antrag auf internationalen Schutz vor dem ersten Tag des sechsten Monats nach Inkrafttreten der Dublin III-VO - also dem 20. Dezember 2013 - gestellt hat, Art. 49 Unterabsatz 2 Satz 2 Dublin III-VO (vgl. VG Hamburg, B. v. 12.11.2013 - 17 AE 4415/13 - [...] Rn.6).

Nach der Aktenlage und dem derzeitigem Kenntnisstand ist Griechenland, nicht Österreich zuständig für die Bearbeitung des Asylgesuchs des Antragstellers. Der Antragsteller wurde ausweislich der EURODAC-Treffer vom 02.04.2013 am 13.08.2007 in Tayros in Griechenland und erst danach, am 29.12.2912 in Traiskirchen in Österreichaufgegriffen. Er hat nach seinen Angaben in der Anhörung die griechische Grenze im Sommer 2006 aus der Türkei kommend überschritten und damit erstmalig die Landgrenze eines Mitgliedsstaates überschritten. Nach Art. 10 Abs. 1 Satz 1 der Dublin II-VO ist damit Griechenland zuständig.

Es spricht derzeit Überwiegendes dafür, dass die Zuständigkeit Griechenlands nicht nach Art. 10 Abs. 1 Satz 2 der Dublin II-VO 12 Monate nach dem Tag des illegalen Grenzübertritts erloschen ist, sondern Griechenland nach Art. 16 Abs. 1 lit. e der Dublin II-VO nach negativem Abschluss eines Asylverfahrens verpflichtet ist, den Antragsteller, der sich in einem anderen Mitgliedsland aufhält, nach Maßgabe des Artikels 20 der VO wieder aufzunehmen. Der Vortrag des Antragstellers in der Anhörung am 26.04.2013, er wisse nicht genau, ob er einen Asylantrag gestellt habe, jedenfalls habe man ihm Fingerabdrücke abgenommen und eine Karte gegeben, lässt im vorliegenden Fall mit jedenfalls derselben Wahrscheinlichkeit wie bezüglich Österreich den Schluss zu, in Griechenland sei ein Verfahren geführt worden. Der Antragsteller hat hinsichtlich der Antragstellung für beide Länder dieselben Angaben gemacht. Der längere Aufenthalt in Griechenland (2006 bis 2012) und der Vortrag, er habe Griechenland verlassen weil er später Probleme bekommen und man ihm die Karte abgenommen habe, lässt die Asylantragstellung dort noch wahrscheinlicher werden und es hätte dem Bundesamt oblegen, den Antragsteller hinsichtlich des Grundes der Ausreise aus Griechenland (Ablehnung des Asylantrages?) weiter zu befragen bzw. griechische Behörden - auch im Zusammenhang mit einem Rückübernahmeersuchen - um entsprechende Angaben zu bitten.

An der Wirksamkeit der Übernahmeerklärung Österreichs vom 25.10.2013 im Sinne einer Ausübung des Selbsteintrittsrechts des eigentlich unzuständigen Mitgliedsstaates nach Art. 3 Abs. 2 Satz 1 und Satz 2 Dublin II-VO bestehen ernsthafte Zweifel.

Zwar kann jeder Mitgliedstaat einen von einem Drittstaatsangehörigen eingereichten Asylantrag prüfen, auch wenn er nach den in der Dublin II-VO festgelegten Kriterien nicht für die Prüfung zuständig ist. Der betreffende Mitgliedstaat wird dadurch zum zuständigen Mitgliedstaat im Sinne der Dublin II-VO und übernimmt die mit dieser Zuständigkeit einhergehenden Verpflichtungen, also auch die Übernahmeverpflichtung aus Art. 20. Jedoch setzt eine solche Erklärung im Zusammenhang mit einem Wiederaufnahmeersuchen voraus, dass sich der Erklärende der Umstände des Falles bewusst ist.

Nach Art. 20 Abs. 1 Buchst. a) der Dublin II-VO muss ein Wiederaufnahmeersuchen Hinweise enthalten, aus denen der ersuchte Mitgliedsstaat entnehmen kann, dass er zuständig ist. Eine Auslegung dieser Vorschrift unter Heranziehung des Erwägungsgrundes 4 der Dublin II-VO, wonach die Verteilung auch für die Mitgliedsstaaten gerecht sein soll, ergibt, dass in dem einheitlichen, gemäß Art. 17 Abs. 3 Satz 2 der Dublin II-VO in Verbindung mit den hierzu erlassenen Durchführungsbestimmungen zu verwendenden, Formular auch solche Tatsachen mitgeteilt werden müssen, die gegen die Zuständigkeit des ersuchten Mitgliedsstaates sprechen (im Ergebnis ebenso: VG Frankfurt (Oder), B. v. 31.08.2011 - 7 L 235/11.A - [...] Rn. 7).

In dem Wiederaufnahmegesuch vom 16.01.2013 ist insoweit lediglich der Hinweis auf ein in Österreich durchgeführtes Asylverfahren enthalten, aber kein Hinweis auf ein - weiteres - Verfahren in Griechenland. Selbst wenn man davon ausgeht, dass unter Ziff. 11 des einheitlichen Formulars nur die Möglichkeit besteht, lediglich ein Verfahren anzugeben, hätte dies nach der Grundregel des Art. 10 Abs. 1 Satz 1 der Dublin II-VO das Verfahren in Griechenland, dem Staat des ersten Grenzübertritts der Außengrenzen, sein müssen. Auch wenn man die Verfahrensweise des Bundesamtes in den Kontext der Entscheidung des EuGH vom 14.11.2013 (C-4/11 - www.curia.eu, Seite 3 unten) stellt und als Versuch ansieht, nach der Feststellung systemischer Mängel in Griechenland einen anderen zuständigen Mitgliedsstaat zu ermitteln, hätte es der bereits genannte Erwägungsgrund 4 der Dublin II-VO sowie der Grundsatz der fairen Zusammenarbeit der Mitgliedssaaten erfordert, Österreich darüber aufzuklären.

Das Gericht kann daher offen lassen, ob sich die Rubrik "Reiseweg" unter Ziff. 12 des Formulars mit der Erwähnung des Hoheitsgebietes "der" (aller?) Mitgliedssaaten auch auf den Reiseweg innerhalb der Europäischen Gemeinschaft bezieht oder nur auf den Eintritt von einem Drittstaat aus (vgl. dazu VG Frankfurt, a.a.O.).

Vorsorglich wird darauf hingewiesen, dass einer Abschiebung des Antragstellers nach Griechenland - ungeachtet des Umstandes, dass ein Austausch des Zielstaates im Bescheid vom 29.10.2013 rechtlich nicht möglich ist - der vom Bundesministerium des Innern verfügte befristete generelle Abschiebungsstopp von Drittstaatsangehörigen entgegensteht (VG Frankfurt, a.a.O.).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylVfg.

Die Entscheidung über die Bewilligung von Prozesskostenhilfe folgt aus §§ 166 VwGO, 121 Abs. 3 ZPO.

Schlingmann-Wendenburg