Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 19.11.1997, Az.: 18 M 3658/97
Anspruch auf zusätzliche Teil-Freistellung eines Personalratsmitgliedes; Recht der Dienststelle zur Ablehnung der Freistellung eines vom Personalrat ausgewählten Mitglieds
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 19.11.1997
- Aktenzeichen
- 18 M 3658/97
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 1997, 19413
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OVGNI:1997:1119.18M3658.97.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG Braunschweig - 05.06.1997 - AZ: 12 B 17/97
Rechtsgrundlagen
- § 39 Abs. 3 PersVG
- § 49 Abs. 2 PersVG
Verfahrensgegenstand
Freistellung vorläufigen Rechtsschutzes
In der Verwaltungsrechtssache
hat der Vorsitzende des 18. Senats
- Fachsenat für Personalvertretungssachen des Landes Niedersachsen -
des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts
am 19. November 1997 beschlossen:
Tenor:
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluß des Verwaltungsgerichts Braunschweig - 12. Kammer - vom 5. Juni 1997 wird zurückgewiesen.
Gründe
Die zulässige Beschwerde, über die gemäß §§ 83 Abs. 2 Nds. PersVG, 85 Abs. 2 ArbGG, § 44 ZPO der Vorsitzende entscheidet, ist nicht begründet. Das Verwaltungsgericht hat den Antrag des Antragstellers im Ergebnis zu Recht abgelehnt.
1.
Zutreffend ist das Verwaltungsgericht davon ausgegangen, daß es sich bei der Freistellung nach Maßgabe des §§ 39 Abs. 3, 49 Abs. 2 Nds. PersVG um einen Rechtsanspruch des Antragstellers gegenüber der Dienststelle handelt, der u.U. auch durch eine einstweilige Verfügung durchgesetzt werden kann (Nds. OVG, Beschl. v. 05.10.1993 - 18 L 598/93 -, PersR 1993, 568; Dembowski/Ladwig/Sellmann, Nds. PersVG, § 39 Rn. 45 m.w.N.).
Dabei kann ein Verfügungsgrund hier nicht - wie es das Verwaltungsgericht getan hat - mit der Begründung verneint werden, es müsse zunächst das Nichteinigungsverfahren fortgeführt werden, bis dahin könne der für eine 2. hälftige Freistellung vorgesehene Angestellte Brunn seine Personalratsaufgaben unter Inanspruchnahme von Dienstbefreiung nach § 39 Abs. 2 Satz 1 Nds. PersVG wahrnehmen. Denn das Nds. PersVG unterscheidet in § 39 klar zwischen der Freistellung für regelmäßig anfallende, nach Umfang und erforderlichem Zeitaufwand im voraus einschätzbare Aufgaben des Personalrats (Abs. 3) und der Arbeitsbefreiung von Fall zu Fall für unregelmäßig auftretende Aufgaben (Abs. 2); bei ihr handelt es sich um ein Recht des jeweiligen Mitglieds, das deshalb den Freistellungsanspruch des Personalrats selbst nach Abs. 3 nicht ausschließt (vgl. Dembowski/Ladwig/Sellmann, aaO, Rn. 10,39, 96 f. m.w.N.). Vor allem geht aber die - offenbar auch von beiden Beteiligten geteilte - Ansicht des Verwaltungsgerichts fehl, es sei zunächst das Nichteinigungsverfahren hinsichtlich des Mitglieds Brunn weiterzubetreiben. Denn ein solches Verfahren kommt, wie sich aus § 39 Abs. 3 Satz 2 und Satz 6 Nds. PersVG deutlich ergibt, nur bei einem Streit über den Umfang der Freistellung in Betracht (Dembowski/Ladwig/Sellmann; aaO, Rn. 49, 71, 98 f. m.w.N.). Das gilt auch für den Gesamtpersonalrat, da § 48 Abs. 2 Nds. PersVG nur § 39 Abs. 3 Satz 3 Nds. PersVG von der Anwendung ausnimmt und insoweit auf die abweichende Staffel des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nds. PersVG verweist. Ein Streit über den Umfang der Freistellung besteht hinsichtlich des Beschlusses des Antragstellers vom 13. Mai 1996 hier aber nicht (mehr). Denn Meinungsverschiedenheiten zwischen den Beteiligten bestehen insoweit allein noch über die Auswahl des zusätzlich zu der Vorsitzenden (teil)freizustellenden Mitglieds. Für einen solchen Fall ist aber, wie bereits ausgeführt, kein Nichteinigungsverfahren vorgeschaltet, so daß unmittelbar das Beschlußverfahren eingeleitet werden kann (Dembowski/Ladwig/Sellmann, aaO Rn. 99 m.N.). Deshalb geht der Hilfsantrag des Antragstellers auf Fortsetzung des Nichteinigungsverfahrens ins Leere.
2.
Der Antragsteller hat jedoch nicht in dem für -eine - die Hauptsache vorwegnehmende - einstweilige Verfügung erforderlichen Maße glaubhaft gemacht, daß ihm aufgrund seiner Beschlüsse ein Anspruch auf zusätzliche Teil-Freistellung seines Mitglieds Brunn zusteht.
a)
Rechtliche Bedenken ergeben sich insoweit zunächst aus § 39 Abs. 4 Nds. PersVG. Danach sind bei der Auswahl der freizustellenden Mitglieder nach der oder dem Vorsitzenden die Gruppen angemessen zu berücksichtigen. Dies bedeutet, daß auch die Gruppen zum Zuge kommen müssen, denen der Vorsitzende nicht angehört, sofern deren Vertreter dazu bereit sind und noch ausreichende Freistellungskapazität zur Verfügung steht (Nds. OVG, Beschl. v. 18.12.1996 - 18 L 985/95 -; Dembowski/Ladwig/Sellmann, aaO, Rn. 75 ff. m.N.). Aus der Niederschrift über die Sitzung des Antragstellers vom 13. Mai 1996 ergibt sich, daß dort auch das Mitglied Eschefeld als Vertreter der Arbeiter für die 2. Freistellung kandidiert und ausdrücklich um Gruppenberücksichtigung gebeten hatte; dies wird bestätigt durch die eidesstattliche Versicherung von Herrn ... vom 29. September 1997. Es spricht deshalb einiges dafür, daß die Auswahl von Herrn ... - der ebenso wie die Vorsitzende der Gruppe der Angestellten angehört - gegen § 39 Abs. 4 Nds. PersVG verstieß.
Zweifelhaft erscheint allerdings, inwieweit die Dienststelle die Auswahlentscheidung des Personalrats überprüfen kann. Nach überwiegender Meinung steht ihr auch im Hinblick auf die Vorgabe des § 39 Abs. 4 NdsPersVG keine Rechtsaufsicht über die Auswahlentscheidung zu; sie trägt auch keine Verantwortung dafür. Vielmehr darf die Dienststelle - abgesehen vom Fall des § 39 Abs. 5 Satz 3 Nds. PersVG - die Freistellung des vom Personalrat ausgewählten Mitglieds nur ablehnen, wenn die Voraussetzungen des Abs. 3 nicht gegeben sind, unabweisbare dienstliche Belange entgegenstehen oder die eigene personalvertretungsrecht liche Stellung der Dienststellenleitung dadurch beeinträchtigt würde (BVerwG, Beschluß v. 10.05.1984 - 6 P 33.83 -; PersV 1986, 160; Dembowski/Ladwig/Sellmann aaO, Rn. 79 m.N.). Die Dienststelle ist danach nicht befugt, die Freistellung auch dann abzulehnen, wenn sie die Auswahlentscheidung des Personalrats mit Vorschriften des Personalvertretungsrechts für unvereinbar hält, die ihre eigene personalvertretungsrechtliche Stellung nicht berühren. Denn insoweit hat sie diese Entscheidung weder in ihrer Stellung als Dienststellenleitung noch als Träger von Rechtsaufsichtsbefugnissen mitzuverantworten und deswegen auf ihre Rechtmäßigkeit zu prüfen (BVerwG, aaO, S. 161). Es wäre danach Sache eines übergangenen Gruppenmitglieds, eine Verletzung des § 39 Abs. 4 Nds. PersVG zu rügen und - ggf. im Wege der einstweiligen Verfügung - vom Personalrat zu verlangen, daß seine eigene (Teil)Freistellung beschlossen wird (Demobowski/Ladwig/Sellmann, aaO., Rn. 45, 99 m.w.N.); ein solcher "Konkurrentenstreit" um die Freistellung war Gegenstand des Beschlusses des Senats vom 18. Dezember 1996 (aaO).
b)
Diese Frage bedarf hier keiner abschließenden Entscheidung. Denn der Beschluß des Antragstellers über die Auswahl seines Mitglieds Brunn für die 2. Freistellung ist jedenfalls deshalb fehlerhaft, weil er in unzulässiger Weise mit der Frage einer weiteren (3.) Freistellung und damit des Umfangs der erforderlichen Freistellungen verknüpft war.
Ausweislich der Niederschrift wurde in der Sitzung des Antragstellers vom 13. Mai 1996 vor der Abstimmung über die Person für die 2. Freistellung angekündigt, über eine weitere (3.) Freistellung zu 50 % aufgrund der Gruppenberücksichtigung in einer der nächsten Sitzungen zu beschließen. Nach weiteren Einwendungen, die eine sofortige Gruppenberücksichtigung forderten, wurde dann mit 7:4 Stimmen die 2. Freistellung für Herrn ... beschlossen. Dieses Junktim mit der Gruppenberücksichtigung bei einer weiteren (3.) Freistellung war aber geeignet, das Abstimmungsergebnis zu verfälschen. Denn es läßt sich nicht ausschließen, daß die Mehrheit für Herrn ... nur deshalb zustandekam, weil diese Mehrheit von der Zusage ausging, die gesetzlich gebotene Gruppenberücksichtigung (§ 39 Abs. 4 Nds. PersVG) werde jedenfalls bei der nächsten (3.) Freistellung erfolgen. Eine solche Erwartung hatte jedoch keine tragfähige Grundlage. Denn die Frage einer 3. Freistellung betrifft deren Umfang und bedarf deshalb gemäß § 39 Abs. 3 Satz 2 Nds. PersVG des Einvernehmens der Dienststelle; wird dieses nicht erzielt, so ist nach § 39 Abs. 3 Satz 5 Nds. PersVG ein Einigungsverfahren durchzuführen. Hier ist aber offensichtlich, daß die Dienststelle eine solche 3. Freistellung ablehnt; ein Einigungsverfahren hat über diese Frage noch nicht stattgefunden, so daß sie auch nicht Gegenstand dieses Beschlußverfahrens sein kann. Zu einer anderen Beurteilung kann auch nicht der "Bestätigungsbeschluß" vom 18. Juni 1997 führen, auf den der Antragsteller sich beruft. Denn dieser Beschluß bestätigt mehrheitlich nur die Auswahl von Herrn ... für die vom Beteiligten bereits zugebilligte, d. h. durch ein Einvernehmen i. S. von § 39 Abs. 3 Satz 2 Nds. PersVG gedeckte 2. Freistellung, während es hinsichtlich einer 3. Freistellung, mit der dann erst das gesetzliche Gebot der Gruppenberücksichtigung erfüllt werden könnte, an einem solchen Einvernehmen gerade fehlt.
Dieser Beschluß ist gemäß §§ 83 Abs. 2 Nds. PersVG, 92 Abs. 1 Satz 2 ArbGG unanfechtbar.