Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Urt. v. 10.11.1997, Az.: 12 L 878/97

Sozialhilfe; pro-forma-Immatrikulation; Ablehnung von Beihilfen

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
10.11.1997
Aktenzeichen
12 L 878/97
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1997, 12876
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:1997:1110.12L878.97.0A

Verfahrensgang

vorgehend
VG Göttingen 11.12.1996 - 2 A 2237/96

Fundstellen

  • FEVS 1948, 468
  • FStBW 1999, 628-630
  • FStHe 2000, 181-183
  • FStNds 1999, 377-379

Amtlicher Leitsatz

1. § 26 S 2 BSHG stellt gegenüber § 15b BSHG auch in Fällen der "pro-forma-Immatrikulation" die speziellere Vorschrift dar, in denen ein Student nach erfolgreichem Examen lediglich eingeschrieben ist, ohne noch an den Universitätsveranstaltungen in irgendeiner Form teilzunehmen oder sich auf eine Prüfung vorzubereiten (Bestätigung von NdsOVG, Urt v 28.11.1996 - 12 L 6294/95). Für die Anwendbarkeit des § 26 BSHG in Fällen der "pro-forma-Immatrikulation" ist unerheblich, ob der Hilfebedarf in dem Sinne ausbildungsbedingt oder ausbildungsgeprägt gewesen ist, daß ein Hilfesuchender in dem im Streit stehenden Zeitraum noch Studienleistungen zu erbringen hatte, er die Absicht hatte, in welcher Form auch immer, Studien (etwa mit dem Ziel der Erlangung des Doktorgrades) fortzusetzen oder er sonst einen direkten Bezug zur Universität hatte.

2. Bei Hinzutreten weiterer Umstände kann bei einer reinen "pro-forma-Immatrikulation" ein Härtefall iSd § 26 BSHG vorliegen.

3. Die nach § 26 S 2 BSHG mögliche Ermessensentscheidung über die Form der Leistung (Zuschuß oder Darlehen) ist nicht - und zwar auch nicht bei einer systematischen Auslegung - an die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 15b BSHG gebunden.

4. Die Anwendung des § 15b BSHG ist nicht ausgeschlossen, wenn laufende Leistungen zum Lebensunterhalt bereits seit geraumer Zeit gewährt worden sind, aufgrund einer Änderung in den Verhältnissen des Sozialhilfeempfängers aber nur noch für kurze Dauer gewährt werden müssen (so auch VGH Bad-Württ, Urt v 22.1.1992 - 6 S 3004/90 -, FEVS 42, 248, 250f).

5. Ob Leistungen nur für einen voraussichtlich nur kurzen Zeitraum zu gewähren seien und mit einer alsbaldigen Überwindung der Sozialhilfebedürftigkeit zu rechnen sei, ist auch im Rahmen des § 26 S 2 BSHG auf der Rechtsfolgenseite eine zumindest statthafte, jedenfalls nicht rechtswidrig zu Lasten eines Hilfebedürftigen gehende Entscheidung.

6. Maßgeblicher Zeitpunkt für die nach § 15b BSHG zu treffende Prognose über den voraussichtlichen Wegfall der Bedürftigkeit ist auch dann, wenn sich die Entscheidung über die Leistungsgewährung nicht unerheblich verzögert, der Beginn der darlehensweisen Sozialhilfegewährung, aber der Erkenntnisstand zur Zeit (jedenfalls) der ersten Behördenentscheidung, also dem Zeitpunkt der Prognose (weitergehend VGH Bad-Württ, Urt v 22.1.1992 - 6 S 3004/90 -, FEVS 42, 248, 251).

7. Es bleibt offen, ob tatbestandliche Voraussetzung des § 15b BSHG ist, daß Sozialhilfeleistungen nicht nur für einen vorübergehenden Zeitraum zu gewähren sind, sondern der Hilfeempfänger nach dem Ende des Sozialhilfebezuges auch in der Lage sein müsse, aus seinem Einkommen in einem überschaubaren Zeitraum (etwa einem Jahr) auch die Leistungen zurückzahlen zu können. Jedenfalls wäre für die Bestimmung eines "überschaubaren Zeitraumes" nicht strikt und unabhängig von den Umständen des Einzelfalles die Rückzahlungsmöglichkeit binnen Jahresfrist abzustellen. Für die "Zumutbarkeit" der Rückzahlung dem Grunde nach und des Zeitraumes, den diese voraussichtlich in Anspruch nehmen wird, kommt es auf die Umstände des Einzelfalles an; eine starre zeitliche (Höchst-)Grenze läßt sich mit Blick darauf, daß die Sozialhilfe darauf zielt, den Empfänger möglichst zu bewegen, unabhängig von ihr zu leben, und es den Anreiz mindern könnte, diesem Ziele nachzustreben, wenn für einen nicht überschaubaren Zeitraum aus Einkommen, welches die Grenze nur geringfügig überschreitet, Rückzahlungen zu leisten sind, nicht ziehen.