Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 25.07.2012, Az.: 9 K 325/11
Wohnsitz bei mehrjährigem Aufenthalt und Schulbesuch der Kinder im außereuropäischen Ausland zur Feststellung eines Anspruchs auf Kindergeld
Bibliographie
- Gericht
- FG Niedersachsen
- Datum
- 25.07.2012
- Aktenzeichen
- 9 K 325/11
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2012, 39470
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:FGNI:2012:0725.9K325.11.0A
Rechtsgrundlage
- § 62 Abs. 1 Nr. 1 EStG
Tatbestand
Streitig ist, ob die Beklagte die Kindergeldfestsetzung für die Kinder des Klägers A (geboren 1997) und B (geboren 1994) ab Januar 2011 zu Recht aufgehoben hat.
Der Kläger war seit 1992 für die Firma X nichtselbstständig tätig. Im Rahmen seiner Tätigkeit fanden diverse Auslandseinsätze statt, die meist auf mehrere Jahre begrenzt waren. Mit Schreiben vom ....2007 hat der Kläger der Beklagten mitgeteilt, dass er seit dem 1. Juni 2005 nach S (außereuropäisches Ausland) entsandt worden ist. Der derzeitige Vertrag ende am 31. Mai 2008, seine Ehefrau und seine beiden Söhne lebten mit ihm seit August 2006 in S.
Seit dem .... 2010 ruht das Arbeitsverhältnis mit der Firma X. Ab ..... 2010 ist der Kläger aufgrund eines gesondert geschlossenen Anstellungsvertrages bei der Firma XS in S tätig. Dieser Vertrag ist auf fünf Jahre, für die Zeit vom .....2010 bis ..... 2015, befristet.
Seit August 2006 gehen die beiden Kinder A und B in S zur Schule.
Im Jahr 2011 hielt sich der Kläger nach seinen Angaben fünf Mal für ein bis zwei Tage in Deutschland auf, die beiden Kinder sind in 2011 nicht in Deutschland gewesen. In der Zeit vom ... Dezember 2009 bis ...Januar 2010 hat sich die gesamte Familie im Inland aufgehalten. In 2010 ist der Kläger insgesamt fünf Mal in Deutschland gewesen, der Sohn A war nach Angaben des Klägers in den letzten 1 1/2 Jahren zwei Mal in Deutschland. Ein Aufenthalt dauerte vom .... August 2010 bis zum ..... September 2010, die Dauer und der Zeitpunkt des zweiten Aufenthaltes sind vom Kläger nicht mitgeteilt worden.
Mit Bescheid vom 15. September 2011 hat die Beklagte die Festsetzung des Kindergeldes mit Wirkung ab Januar 2011 für die beiden Kinder A und B aufgehoben. Zur Begründung führte die Beklagte aus, die Kinder könnten nicht bzw. nicht mehr berücksichtigt werden, weil sie weder einen Wohnsitz noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hätten noch in einem Mitgliedsstaat der Europäischen Union oder in einem Staat, auf den das Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum Anwendung finde (§ 63 Abs. 1 Satz 3 Einkommensteuergesetz - EStG -).
Zur Begründung des hiergegen eingelegten Einspruchs trug der Kläger vor, er unterhalte sehr wohl einen Wohnsitz in Deutschland. Dieser befände sich im Haus Straße Y in H. Er, seine Ehefrau und seine Kinder seien unter dieser Anschrift mit alleiniger Wohnung gemeldet. Der Kläger legte entsprechende Meldebescheinigungen der Stadt H vor.
Der Einspruch blieb erfolglos. Da die Kinder im Haushalt des Kindergeldberechtigten im Ausland lebten und dort zur Schule gingen, könne ein Wohnsitz der Kinder im Inland nicht festgestellt werden. Auch ein gewöhnlicher Aufenthalt in Deutschland, der Europäischen Union oder dem Europäischen Wirtschaftsraum sei nicht feststellbar. Da die Kindergeldberechtigung in den Fällen des § 63 Abs. 1 Satz 3 EStG u. a. vom Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt des Kindes im Inland abhänge, sei der Einspruch zurückzuweisen.
Hiergegen richtet sich die Klage. Zur Begründung verweist der Kläger erneut auf seinen durchgängigen Wohnsitz im Inland. Dort sei er mit seiner Familie gemeldet. Er habe für seine Kinder über Jahre hinweg während aller Auslandsaufenthalte das gesetzlich vorgesehene Kindergeld erhalten. Bei der jetzigen Wohnung der Familie in H handele es sich um eine Eigentumswohnung. Natürlich müsse er auch im Ausland einen Wohnsitz nehmen. Da die Kinder minderjährig seien, sei es nachvollziehbar, dass er die Kinder mit sich nehme. Tatsache sei jedoch, dass die Familie ihren Lebensmittelpunkt ganz eindeutig in Deutschland habe. Regelmäßig kehrten der Kläger, seine Ehefrau oder die Kinder nach H zurück und bewohnten die dort unterhaltene Wohnung. Andernfalls wäre es völlig widersinnig, diesen Wohnsitz überhaupt noch in Deutschland zu unterhalten. Stattdessen könnte die jetzige Wohnung verkauft oder vermietet werden. Seit Mitte 2010 sei der Arbeitgeber des Klägers nicht mehr bereit, Heimreisen des Klägers zu bezahlen. Die bis dahin regelmäßigen Familienheimfahrten seien daher entfallen.
Der Kläger sei in Deutschland unbeschränkt einkommensteuerpflichtig.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom .....2011 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom .....2011 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, rückwirkend mit Wirkung ab Januar 2011 für die Kinder A und B mit Wirkung ab Januar 2011 das gesetzlich vorgesehene Kindergeld an den Kläger zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie verweist auf ihre Ausführungen im Einspruchsbescheid vom .... 2011 und trägt ergänzend vor:
Auch in seiner Klagebegründung habe der Kläger nicht nachgewiesen, dass die beiden Kinder und er selber im streitigen Zeitraum ab Januar 2011 ihren Wohnsitz/gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hatten.
Der Kläger erfülle die Voraussetzungen des § 62 Abs. 1 Nr. 1 EStG und die Kinder die Voraussetzungen des § 63 Abs. 1 Satz 3 EStG nicht. Hiernach habe nur derjenige, der im Inland über einen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt verfüge, einen Kindergeldanspruch für diejenigen Kinder, die ebenfalls im Inland in einem Mitgliedsstaat der Europäischen Union oder in einem Staat, auf den das Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum Anwendung findet, einen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt haben. Der Staat .... zähle nicht zu den in § 63 Abs. 1 Satz 3 EStG genannten Staaten. Deshalb komme es darauf an, ob die Kinder des Klägers in Deutschland ihren Wohnsitz behalten hätten.
Im Streitfall liege der Schwerpunkt der Lebensverhältnisse der beiden Kinder des Klägers, des Klägers selber und seiner Ehefrau eindeutig inS. Die gesamte Familie lebe bereits seit August 2006 in S. Aufenthalte in Deutschland seien nicht belegt und nicht nachgewiesen. Da die beiden Kinder auch die Schule in S besuchen, könnten sie sich auch nur besuchsweise - in den Ferien - in Deutschland aufhalten.
Auch den gewöhnlichen Aufenthalt im Sinne des § 9 Abgabenordnung (AO) hätten die Kinder im streitigen Zeitraum in S.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist unbegründet.
Zu Recht hat die Beklagte die Kindergeldfestsetzung für die Kinder A und B ab Januar 2011 aufgehoben. Die beiden Söhne des Klägers verfügten nach Überzeugung des Gerichts im Jahr 2011 weder über einen Wohnsitz im Inland noch hatten sie ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Inland.
1.Für Kinder im Sinne des § 63 EStG hat gemäß § 62 Abs. 1 Nr. 1 EStG derjenige Anspruch auf Kindergeld, der im Inland seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt hat oder ohne Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Inland nach § 1 Abs. 2 EStG unbeschränkt einkommensteuerpflichtig (§ 62 Abs. 1 Nr.2 Buchstabe a EStG) ist oder nach § 1 Abs. 3 EStG als unbeschränkt einkommensteuerpflichtig behandelt wird (§ 62 Abs. 1 Nr. 2 Buchstabe b EStG). Gemäß § 63 Abs. 1 Satz 3 EStG werden Kinder, die weder einen Wohnsitz noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Inland, in einem Mitgliedsstaat der Europäischen Union oder in einem Staat, auf den das Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum Anwendung findet, nicht berücksichtigt, es sei denn sie leben im Haushalt eines Berechtigten im Sinne des § 62 Abs. 1 Nr. 2 Buchstabe a EStG.
a) Der Begriff des Wohnsitzes i.S.d. § 8 AO setzt neben zum dauerhaften Wohnen geeignete Räumlichkeiten das Innehaben der Wohnung in dem Sinne voraus, dass jemand tatsächlich über sie verfügen kann und sie als Bleibe ständig benutzt oder sie doch mit einer gewissen Regelmäßigkeit -wenn auch in größeren Zeitabständen - aufsucht. Ob diese Voraussetzungen gegeben sind, ist nach den objektiven Umständen zu beurteilen. Melderechtliche Angaben sind unmaßgeblich (BFH Urteil vom 20. November 2008 III R 53/05, BFH/NV 2009,564). Ein nur gelegentliches Verweilen während unregelmäßig aufeinander folgender kurzer Zeiträume reicht nicht aus (BFH-Urteil vom 21. November 2000 VI R 165/99, BStBl II 2001,279 mit weiteren Nachweisen). Bei einem ins Ausland entsandten Arbeitnehmer gelten insoweit keine anderen Maßstäbe (BFH-Beschluss vom 5.Januar 2012 III B 42/11, BFH/NV 2012,978).
Ein solcher Umstand, der auf die Beibehaltung und Benutzung einer Wohnung schließen lässt, ist die voraussichtliche Nutzungsdauer. Als Anhaltspunkt für die Beibehaltung und Nutzung ist regelmäßig auf die Sechs-Monats-Frist des § 9 Satz 2 AO zurückzugreifen, da in dieser Frist zum Ausdruck kommt, ab welcher Zeitdauer ein Aufenthalt nicht mehr nur vorübergehend ist. Dies ist auch für § 8 AO maßgebend, weil eine nur vorübergehende Nutzung einer Wohnung keinen Wohnsitz begründet (BFH-Urteil vom 20. November 2008 III R 53/05, BFH/NV 2009, 564; BFH-Urteil vom 22. August 2007 III R 89/06, BFH/NV 2008, 351).
b) Bei von vornherein auf mehr als ein Jahr angelegten Auslandsaufenthalten reichen kurzzeitige Besuche und sonstige kurzfristige Aufenthalte zu Urlaubs-, Berufs- oder familiären Zwecken, die nicht einem Aufenthalt mit Wohncharakter gleichkommen, und daher nicht "zwischenzeitliches Wohnen" in der bisherigen Wohnung bedeuten, nicht für die Annahme aus, der Inlandswohnsitz werde aufrechterhalten. Denn nicht nur die objektiven Wohnverhältnisse müssen die Möglichkeit eines längeren Wohnens bieten. Insbesondere darf, wie der Bundesfinanzhof für den langjährigen Auslandsaufenthalt eines Kindes entschieden hat, die Anwesenheit in der Wohnung der Eltern im Inland nicht nur Besuchscharakter haben (BFH-Urteil vom 23. November 2000 VI R 107/99, BStBl II 2001, 294; BFH-Urteil vom 20.November 2008 III R 53/05 a.a.O.,BFH-Beschluss vom 27. Dezember 2011 III B 24/10, BFH/NV 2012,917).
2. Nach diesen Grundsätzen, denen sich der erkennende Senat anschließt, vermag der Senat einen Wohnsitz der Kinder im Inland im streitigen Zeitraum ab Januar 2011 nicht festzustellen.
a) Die Meldung bei der Stadt H reicht für die Begründung oder Beibehaltung eines Wohnsitzes nicht aus.
b) Der Kläger, seine Ehefrau und die beiden Kinder leben seit August 2006 in S und haben dort ihren Familienwohnsitz. Die Kinder gehen seitdem dort zur Schule. Der im Jahr 2010 geschlossene Arbeitsvertrag mit der Firma XS war auf fünf Jahre, d. h. vom .... 2010 bis ..... 2015, befristet, somit war der Auslandsaufenthalt, zumindest ab ..... 2010, auf einen längeren Zeitraum ausgelegt.
Wie oft die Kinder bzw. deren Eltern ab 2006 tatsächlich in Deutschland waren und wie lange sie sich im Inland aufgehalten haben, hat der Kläger trotz Nachfrage seitens der Berichterstatterin (Verfügung vom 13.Juni 2012) zwar nicht vollständig angegeben. Aufgrund des Schulbesuches der Kinder in S ist aber davon auszugehen, dass Aufenthalte der Kinder in Deutschland ab 2006 nur in den Schulferien stattgefunden haben können und damit nur Besuchscharakter haben. Lediglich für den Zeitraum ab 2010 sind die Inlandsaufenthalte des Klägers, der Ehefrau und der beiden Söhne bekannt. Nach den Angaben des Klägers waren beide Kinder im Jahr 2011 gar nicht in Deutschland und haben die Wohnung in H nicht genutzt. In 2010 war lediglich der Sohn A für 8 Tage zusammen mit dem Kläger im Inland. Die gesamte Familie war zuletzt in der Zeit vom ... Dezember 2009 bis ... Januar 2010 in Deutschland. Für den streitigen Zeitraum ab Januar 2011 kann aufgrund dieser Umstände von einem Wohnsitz der Kinder in Deutschland, der als Bleibe ständig genutzt oder doch mit einer gewissen Regelmäßigkeit aufgesucht wird, nicht mehr die Rede sein. Auch die Aufenthalte des Sohnes A in Deutschland in 2009/2010 haben aufgrund ihrer kurzen Dauer nur Besuchscharakter und begründen keinen Wohnsitz oder halten einen früheren Wohnsitz aufrecht. Unter Würdigung der Gesamtumstände geht der Senat daher davon aus, dass die Kinder A und B ihren früheren Wohnsitz in Deutschland im streitigen Zeitraum aufgegeben hatten.
c) Aus den gleichen Gründen kann auch nicht von einem gewöhnlichen Aufenthalt (§ 9 AO) der Kinder im streitigen Zeitraum im Inland ausgegangen werden.
d) Ein inländischer Wohnsitz der Kinder wäre nur dann entbehrlich, wenn der Kläger die Voraussetzungen des § 62 Abs.1 Nr.2 Buchstabe a i.V.m. § 1 Abs. 2 EStG erfüllt. Dies ist vorliegend nicht der Fall. Die unbeschränkte Einkommensteuerpflicht nach § 1 Abs. 2 EStG setzt u.a. voraus, dass ein Dienstverhältnis zu einer inländischen juristischen Person des öffentlichen Rechts besteht und dafür Arbeitslohn aus einer inländischen öffentlichen Kasse bezogen wird. Dies ist im Streitfall nicht gegeben.
3. Die Klage war daher mit der Kostenfolge des § 135 Finanzgerichtsordnung (FGO) abzuweisen.