Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 13.11.2017, Az.: 2 K 155/17
Bibliographie
- Gericht
- FG Niedersachsen
- Datum
- 13.11.2017
- Aktenzeichen
- 2 K 155/17
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2017, 43842
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:FGNI:2017:1113.2K155.17.00
Verfahrensgang
- nachfolgend
- BFH - 11.12.2018 - AZ: III R 32/17
Rechtsgrundlagen
- § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 Buchst. b EStG 2009
- § 32 Abs. 4 S. 2 EStG 2009
- § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 Buchst. b EStG 2009
- § 32 Abs. 4 S. 3 EStG 2009
- EStG VZ 2016
Amtlicher Leitsatz
Die Ausbildung zum Elektroniker und eine neun Monate nach deren Abschluss begonnene Weiterbildung zum Industriemeister Elektrotechnik stellen keine Ausbildungseinheit dar, wenn der zweite Ausbildungsabschnitt eine berufspraktische Erfahrung nach Abschluss der ersten Ausbildung voraussetzt, die Klammer zwischen den beiden Ausbildungsabschnitten nicht durch den Anbieter des Ausbildungsganges, sondern durch das Kind selbst gesetzt wird, und es aufgrund objektiver Beweisanzeichen nicht erkennbar ist, dass das in der Zwischenzeit voll erwerbstätige Kind die für sein angestrebtes Berufsziel erforderliche Ausbildung nicht bereits mit dem ersten erlangten Abschluss beendet hat.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Klägerin ab Dezember 2016 Kindergeld für ihr Kind A zu gewähren ist.
A, geboren 1993, bestand im Februar 2016 in B die Prüfung im Ausbildungsberuf "Elektroniker" in der Fachrichtung Energie- und Gebäudetechnik. Ab Ende Februar 2016 wurde A von seinem Ausbildungsbetrieb in B als Arbeitnehmer übernommen mit einer vereinbarten wöchentlichen Arbeitszeit von 38 Stunden. Seit Dezember 2016 besucht A den Abendlehrgang "Industriemeister Elektrotechnik IHK" der Y in deren Bildungszentrum in B. Der Lehrgang wird bis November 2018 andauern.
Mit Bescheid vom 9. Februar 2016 hob die Beklagte die Festsetzung des Kindergeldes für A ab dem Monat März 2016 auf und begründete dies mit dem Ende seiner Berufsausbildung im Monat Februar 2016. Ein Kindergeldanspruch bestehe bis zum Ende der vertraglich vereinbarten Ausbildungszeit.
Die Klägerin stellte mit Schreiben vom 25. Februar 2017 bei der Beklagten einen Antrag auf Kindergeld für A ab Dezember 2016. In ihrem Anschreiben an die beklagte Familienkasse führte die Klägerin aus, A habe das von ihm angestrebte Berufsziel mit der Ausbildung zum Elektroniker in der Fachrichtung Energie- und Gebäudetechnik noch nicht erreicht. Er habe die Gesellenprüfung im Februar 2016 abgelegt, um im Anschluss hieran den Meisterkurs "Industriemeister Elektrotechnik" zu belegen. Der Meisterkurs ab Dezember 2016 sei der erste angebotene Kurs dieser Fachrichtung nach Ablegung der Gesellenprüfung. Damit sei ein enger sachlicher und zeitlicher Zusammenhang im Sinne einer mehraktigen Berufsausbildung gegeben. A befinde sich damit immer noch in der Erstausbildung, so dass die Arbeitszeit von über 20 Stunden unschädlich für den Kindergeldanspruch sei.
Laut Vermerk des Sachbearbeiters der Familienkasse habe ein Telefonat mit Y am 17. März 2017 ergeben, dass der von A besuchte Abendkurs nur an zwei Abenden pro Woche stattfinde. Lediglich eine Woche vor der Prüfung werde in Vollzeit unterrichtet. Mit dem Kurs habe bereits am im September 2016 in B begonnen werden können.
Mit Bescheid vom 17. März 2017 lehnte die Beklagte den Antrag der Klägerin auf Kindergeld ab dem Monat Dezember 2016 ab mit der Begründung, die Fortbildung ab Dezember 2016 sei keine Ausbildung im Sinne des Einkommensteuergesetzes -EStG-.
Hiergegen legte die Klägerin mit Schreiben vom 23. März 2017 Einspruch ein. Der Besuch des Meisterkurses sei eine Ausbildung im Sinne von § 32 EStG. Eine weiterführende Ausbildung könne als Teil der Erstausbildung anzusehen sein, wenn objektive Beweisanzeichen dafür erkennbar seien, dass das Kind sein angestrebtes Berufsziel noch nicht erreicht habe. A habe den ersten sich anbietenden Meisterkurs im Dezember 2016 begonnen, um sein angestrebtes Berufsziel, Meister der Elektrotechnik, zu verwirklichen. Zu einem früheren Zeitpunkt sei der Lehrgang in B nach Angaben der Y nicht angeboten worden. Es bestehe ein enger sachlicher Zusammenhang der weiterführenden Ausbildung mit dem ersten Teil der Ausbildung als Elektroniker. Eine Beschäftigung von über 20 Stunden pro Woche könne nicht schädlich sein für den Kindergeldanspruch, da hier noch keine abgeschlossene Berufsausbildung vorliege.
Während des Einspruchsverfahrens forderte die Beklagte die Klägerin mit Schreiben vom 30. März 2017 dazu auf, weitere Nachweise und Unterlagen zu der Bildungsmaßnahme des Kindes einzureichen. Die Beklagte bat um Mitteilung, ob es sich um einen anerkannten Bildungsabschluss handele, ob ein Abendlehrgang bereits vor Dezember 2016 in B begonnen hatte, wann die Anmeldung durch A erfolgt sei, ob für die Teilnahme an der Bildungsmaßnahme nach Abschluss der Ausbildung weitere berufliche, praktische Erfahrung erforderlich sei, und um Vorlage einer Erklärung, ab wann A sich entschlossen habe, die Ausbildung fortzusetzen.
Hierauf antwortete die Klägerin mit Schreiben vom 24. April 2017 und trug vor, dass es sich bei der Bildungsmaßnahme um den anerkannten Abschluss "Geprüfter Industriemeister Fachrichtung Elektrotechnik" handele. Die Prüfung werde von der IHK vorgenommen. Im Falle einer mit Erfolg abgelegten Abschlussprüfung in einem anerkannten Ausbildungsberuf, der den Elektrotechnikberufen zugeordnet werden könne, sei für die mit der Bildungsmaßnahme verfolgte Prüfungszulassung ein weiteres Jahr Berufspraxis erforderlich. Diese Anforderung würde während der Bildungsmaßnahme erfüllt, da sie berufsbegleitend erfolge (siehe § 3 Abs. 2 Nr. 2 der Verordnung über die Prüfung zum anerkannten Abschluss Geprüfter Industriemeister -- Fachrichtung Elektrotechnik vom 30. November 2004, geändert durch die dritte Verordnung zur Änderung der Fortbildungsordnungen vom 23. Juli 2010, BGBl I 2010, 1010 -Prüfungsverordnung Industriemeister-). Der von A besuchte Abendlehrgang in B habe im Hauptunterricht erstmalig im Dezember 2016 begonnen. Ein früherer Beginn des Unterrichts sei lediglich bei Anstreben der Ausbildereignungsprüfung in Betracht gekommen; dabei handele es sich jedoch um eine Zusatzqualifikation. Im Jahr 2016 hätte außer dem im Dezember 2016 beginnenden Kurs kein weiterer, berufsbegleitender Hauptunterricht für die Basisqualifikation Industriemeister Elektrotechnik stattgefunden. Hierzu reichte die Klägerin eine Übersichtsseite des Kursangebotes und eine Bestätigung seitens der Y ein, aus denen hervorgeht, dass der Hauptunterricht 2016 in B für den von A besuchten, berufsbegleitenden Lehrgang im Dezember 2016 (und nur zu diesem Zeitpunkt) begann. A habe sich am xx. November 2016 zu dem am xx. Dezember 2016 beginnenden Hauptunterricht angemeldet. Dem Antwortschreiben der Klägerin beigefügt war eine schriftliche Erklärung des Kindes A, der zufolge er sich bereits während der Ausbildung zum Elektroniker Gedanken über die Fortbildung gemacht habe und es ihm insbesondere der Meister oder der Techniker angetan hätten. Er habe ausführliche Gespräche mit einem Arbeitskollegen geführt, der die Maßnahme in berufsbegleitender Form bei der Y in C absolviert habe, und er habe sich daraufhin bereits zu Anfang des Jahres 2016 für eine Teilnahme am nächsten Fortbildungslehrgang entschieden. Angemeldet habe er sich innerhalb der Anmeldungsfristen. Wegen der Einzelheiten der Erklärung und weiterer Unterlagen, die die Klägerin zum Nachweis ihrer Stellungnahme zu den Fragen der Beklagten eingereicht hat, wird Bezug genommen auf die dem Gericht vorliegende Kindergeldakte.
Mit Bescheid vom 11. Mai 2017 wies die Beklagte den Einspruch der Klägerin gegen die Ablehnung des Kindergeldantrages als unbegründet zurück. Gemäß § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG werde nach Abschluss einer erstmaligen Berufsausbildung und eines Erststudiums ein Kind, das noch nicht das 25. Lebensjahr vollendet habe und für einen Beruf ausgebildet werde, nur berücksichtigt, wenn das Kind keiner Erwerbstätigkeit nachgehe. Nach § 32 Abs. 4 Satz 3 EStG seien eine Erwerbstätigkeit mit bis zu 20 Stunden regelmäßiger wöchentlicher Arbeitszeit, ein Ausbildungsdienstverhältnis oder ein geringfügiges Beschäftigungsverhältnis im Sinne des §§ 8 und 8a des Vierten Buches Sozialgesetzbuch -SGB IV- unschädlich.
Diese Voraussetzungen hätten im vorliegenden Fall ab Dezember 2016 nicht vorgelegen bzw. seien nicht nachgewiesen worden. Zwar erfülle das Kind die Voraussetzungen des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 EStG. Es könne jedoch nach § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG ab dem 1. Dezember 2016 nicht berücksichtigt werden, da es bereits seit Februar 2016 eine erstmalige Berufsausbildung abgeschlossen habe und seit Ende Februar 2016 einer Erwerbstätigkeit von über 20 Wochenstunden nachgehe. Eine Berufsausbildung im Sinne des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG liege vor, wenn das Kind durch eine berufliche Ausbildungsmaßnahme die notwendigen fachlichen Fertigkeiten und Kenntnisse erworben habe, die zur Aufnahme eines Berufs befähigten. Voraussetzung sei, dass der Beruf durch eine Ausbildung im Rahmen eines öffentlich-rechtlich geordneten Ausbildungsgangs erlernt worden sei und der Ausbildungsgang durch eine Prüfung abgeschlossen werde. Erstmalig sei eine Berufsausbildung dann, wenn keine andere abgeschlossene Berufsausbildung und kein abgeschlossenes berufsqualifizierendes Hochschulstudium vorausgegangen seien. Vorliegend habe A eine erstmalige Berufsausbildung abgeschlossen, denn die Ausbildung zum Elektroniker sei mit der Prüfung vom xx. Februar 2016 abgeschlossen. Nehme das Kind später eine weitere Ausbildung auf, z.B. eine Meisterausbildung nach mehrjähriger Berufstätigkeit aufgrund abgelegter Gesellenprüfung oder Masterstudium nach mehrjähriger Berufstätigkeit, handele es sich um eine Zweitausbildung.
Sei aufgrund objektiver Beweisanzeichen erkennbar, dass das Kind sein angestrebtes Berufsziel noch nicht erreicht habe, könne auch eine weiterführende Ausbildung noch als Teil der Erstausbildung zu qualifizieren sein (Bundesfinanzhof -BFH-, Urteil vom 3. Juli 2014, III R 52/13, BFHE 246, 427, BStBl II 2015, 152). Abzustellen sei darauf, ob die weiterführende Ausbildung in einem engen sachlichen Zusammenhang mit der nichtakademischen Ausbildung oder dem Erststudium stehe und im engen zeitlichen Zusammenhang durchgeführt werde (BFH-Urteil vom 15. April 2015, V R 27/14, BFHE 249, 500, BStBl II 2016, 163). Ein enger sachlicher Zusammenhang liege vor, wenn die nachfolgende Ausbildung z.B. dieselbe Berufssparte oder denselben fachlichen Bereich betreffe. Ein enger zeitlicher Zusammenhang liege vor, wenn das Kind die weitere Ausbildung zum nächstmöglichen Zeitpunkt aufnehme oder sich bei mangelndem Ausbildungsplatz zeitnah zum nächstmöglichen Zeitpunkt für die weiterführende Ausbildung bewerbe. Nach den aktuellen Durchführungsbestimmungen sei der enge zeitliche Zusammenhang nur gegeben, wenn sich das Kind nachweislich spätestens im Folgemonat nach Abschluss des vorangegangenen Ausbildungsabschnitts beworben habe bzw. aus diesem Monat eine Ausbildungsplatzsuche vorliege. Könne ein entsprechender Nachweis nicht erbracht werden, sei ein enger zeitlicher Zusammenhang nicht gegeben und damit eine mehraktige Ausbildung nicht anzuerkennen. Vorliegend habe das Kind die erstmalige Berufsausbildung am xx. Februar 2016 abgeschlossen. Die Bewerbung für die Ausbildungsmaßnahme zum Industriemeister stamme vom xx. November 2016 und damit nicht spätestens aus dem Folgemonat nach Abschluss der ersten Ausbildungsmaßnahme.
Hiergegen richtet sich die Klage, mit der die Klägerin ihr Begehren weiterverfolgt.
Sie ist der Auffassung, dass es sich bei der Ausbildung ihres Kindes um eine mehraktige Ausbildung handele, die mit Ablegung der Prüfung am xx. Februar 2016 im Hinblick auf den Ausbildungsgang Elektroniker Fachrichtung Energie- und Gebäudetechnik noch nicht abgeschlossen gewesen sei. Während der Ausbildung zum Elektroniker sei bereits gemeinsam von Eltern und Kind das Berufsziel Industriemeister festgelegt worden. Die entsprechenden Kurse hätten jeweils zum Dezember eines Jahres begonnen, und A habe mit Besuch des Lehrgangs ab Dezember 2016 die Ausbildung zum nächstmöglichen Zeitpunkt begonnen. Der erforderliche sachliche Zusammenhang der weiterführenden Ausbildung (Industriemeister Elektrotechnik) mit der ersten Ausbildung (Elektroniker) sei eindeutig gegeben. Auch ein enger zeitlicher Zusammenhang liege entgegen der Auffassung der Beklagten vor, denn die weiterführende Ausbildung sei zum nächstmöglichen Zeitpunkt aufgenommen worden. Eine zeitnahe Bewerbung zum nächstmöglichen Zeitpunkt sei alternativ möglich, falls ein Ausbildungsplatz nicht vorhanden sei. Das Alternativverhältnis dieser Möglichkeiten sei durch das Wort "oder" gekennzeichnet. Dadurch, dass A die weiterführende Ausbildung zum nächstmöglichen Zeitpunkt aufgenommen habe, seien die Voraussetzungen einer Alternative erfüllt, und dies sei ausreichend für den Kindergeldanspruch. Auf eine zeitnahe Bewerbung komme es dann nicht mehr an; hierauf aber stütze die beklagte Familienkasse ihre rechtswidrige Ablehnung. Im Schreiben des Bundesfinanzministeriums -BMF- vom 8. Februar 2016 sei ausdrücklich aufgeführt, dass Verzögerungen unschädlich seien, die z.B. aus einem aus schul-, studien- oder betriebsorganisatorischen Gründen erst zu einem späteren Zeitpunkt verfügbaren Ausbildungsplatz resultierten. Unter Berücksichtigung der üblichen Lehrpläne müssten Verzögerungen bis zu einem Jahr --vorliegend neun Monate-- hingenommen werden.
Darüber hinaus handele es sich hier nicht um eine Zweitausbildung. Eine solche liege laut Tz. 12a des BMF-Schreibens im Fall einer Meisterausbildung nach mehrjähriger Berufstätigkeit aufgrund abgelegter Gesellenprüfung vor. Hier sei der Sachverhalt aber ein anderer: Die gewählte weiterführende Ausbildung zum Industriemeister Elektrotechnik setze keine vorhergehende praktische Tätigkeit voraus. Die notwendige Berufserfahrung werde während der Dauer der Bildungsmaßnahme erworben. A befinde sich deshalb noch in seiner (mehraktigen) Erstausbildung. Auf den Umfang seiner wöchentlichen Arbeitszeit komme es deshalb nicht an.
Soweit die Beklagte auf ihre Durchführungsbestimmungen (Dienstanweisung zum Kindergeld -DA KG- nach dem EStG, dort A 17.1 und A 17.2) verweise und entweder eine Bewerbung oder eine schriftliche Erklärung des Kindes (Absichtserklärung) im Folgemonat nach Abschluss des ersten berufsqualifizierenden Ausbildungsabschnitts verlange, habe dies weder im Gesetz noch im zitierten BMF-Schreiben eine Grundlage.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Ablehnungsbescheids vom 17. März 2017 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 11. Mai 2017 zu verpflichten, Kindergeld für das Kind A ab dem Monat Dezember 2016 in gesetzlicher Höhe zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte ist unverändert der Ansicht, dass die besonderen Anspruchsvoraussetzungen zur Berücksichtigung volljähriger Kinder nicht vorgelegen haben.
Sie verweist auf ihre Ausführungen im Einspruchsbescheid vom 11. Mai 2017. Ein enger zeitlicher Zusammenhang der weiterführenden Ausbildung sei nicht gegeben. Nach Verwaltungsauffassung sei ein enger zeitlicher Zusammenhang gegeben, wenn das Kind spätestens aus dem Folgemonat nach Abschluss seiner ersten berufsqualifizierenden Ausbildungsmaßnahme eine Bewerbung nachgewiesen habe. Sei eine Bewerbung nicht möglich, habe das Kind eine schriftliche Erklärung abzugeben, sich zum nächstmöglichen Zeitpunkt mit einem konkreten Berufsziel bewerben zu wollen (Absichtserklärung). Diese Erklärung müsse spätestens im Folgemonat nach Abschluss des ersten berufsqualifizierenden Ausbildungsabschnittes bei der Familienkasse eingehen.
Diese Voraussetzungen seien im Streitfall nicht erfüllt, da weder eine Absichtserklärung noch die Bewerbung zum xx. November 2016 im engen zeitlichen Zusammenhang mit dem Abschluss der Ausbildung zum xx. Februar 2016 erfolgt seien. Zudem könne das Kind nicht ab November 2016 als ausbildungsplatzsuchend gemäß § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c EStG berücksichtigt werden, da das Kind einer anspruchsschädlichen Erwerbstätigkeit nachgehe und somit ein Anspruch nach § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG ausgeschlossen sei.
Die Beklagte trägt vor, dass die von ihr angeführte Verwaltungsauffassung (DA KG) für die Beklagte für alle noch nicht in Bestandskraft erwachsenen Verwaltungsverfahren bindend sei.
Entscheidungsgründe
I. Die zulässige Klage ist unbegründet. Die beklagte Familienkasse hat den Antrag der Klägerin zu Recht abgelehnt, denn die Klägerin hat für den Zeitraum ab Dezember 2016 keinen Kindergeldanspruch.
1. Gemäß § 62 Abs. 1, § 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG besteht Anspruch auf Kindergeld u.a. für Kinder, die das 18., aber noch nicht das 25. Lebensjahr vollendet haben und für einen Beruf ausgebildet werden. Nach Abschluss einer erstmaligen Berufsausbildung oder eines Erststudiums wird ein Kind in den Fällen des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 EStG nur berücksichtigt, wenn es keiner Erwerbstätigkeit nachgeht (§ 32 Abs. 4 Satz 2 EStG). Eine Erwerbstätigkeit mit bis zu 20 Stunden regelmäßiger wöchentlicher Arbeitszeit, ein Ausbildungsdienstverhältnis oder ein geringfügiges Beschäftigungsverhältnis i.S. der §§ 8 und 8a des Vierten Buchs Sozialgesetzbuch sind unschädlich (§ 32 Abs. 4 Satz 3 EStG).
2. Die Berücksichtigung des Sohnes der Klägerin ist ab März 2016 ausgeschlossen, weil A eine erstmalige Berufsausbildung abgeschlossen hatte und während seiner nachfolgenden (Zweit-)Ausbildung mehr als 20 Stunden in der Woche arbeitete (§ 32 Abs. 4 Satz 2 EStG).
a. Für die Frage, ob bereits der erste (objektiv) berufsqualifizierende Abschluss in einem öffentlich-rechtlich geordneten Ausbildungsgang zum Verbrauch der Erstausbildung führt oder ob bei einer mehraktigen Ausbildung auch ein nachfolgender Abschluss in einem öffentlich-rechtlich geordneten Ausbildungsgang Teil der Erstausbildung sein kann, ist nach nunmehr ständiger Rechtsprechung darauf abzustellen, ob sich der erste Abschluss als integrativer Bestandteil eines einheitlichen Ausbildungsgangs darstellt (BFH-Urteile vom 3. Juli 2014, III R 52/13, BFHE 246, 427, BStBl II 2015, 152; vom 15. April 2015, V R 27/14, BFHE 249, 500, BStBl II 2016, 163; vom 16. Juni 2015, XI R 1/14, BFH/NV 2015, 1378; und vom 3. September 2015, VI R 9/15, BFHE 251, 10). Insoweit kommt es vor allem darauf an, ob die Ausbildungsabschnitte in einem engen sachlichen Zusammenhang (z.B. dieselbe Berufssparte, derselbe fachliche Bereich) zueinanderstehen und in engem zeitlichen Zusammenhang durchgeführt werden. Hierfür ist auch erforderlich, dass aufgrund objektiver Beweisanzeichen erkennbar wird, dass das Kind die für sein angestrebtes Berufsziel erforderliche Ausbildung nicht bereits mit dem ersten erlangten Abschluss beendet hat (BFH-Urteil in BFHE 246, 427, BStBl II 2015, 152 [BFH 03.07.2014 - III R 52/13]).
b. Nach diesen Grundsätzen ist zur Überzeugung des Senats im Ergebnis eine einheitliche Ausbildung zu verneinen und damit der Lehrgang an der Y ab Dezember 2016 nicht mehr als Erstausbildung i.S. des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG anzusehen.
aa. Zwar ist der von A verfolgte Abschluss als Industriemeister als fachliche Ergänzung oder Vertiefung seiner Ausbildung als Elektroniker anzusehen. Es handelt sich um dieselbe Berufssparte und denselben fachlichen Bereich, was sich auch aus den in § 3 Prüfungsverordnung Industriemeister geregelten Zulassungsvoraussetzungen ergibt, die als eine mögliche --und bevorzugte-- Basisqualifikation Ausbildungsberufe im Bereich der Elektrotechnik nennen.
bb. Die am xx. Februar 2016 erfolgreich abgeschlossene Ausbildung zum Elektroniker und die Teilnahme an dem am xx. Dezember 2016 beginnenden, berufsbegleitenden Hauptunterricht an der Y zum Erwerb des Abschlusses Industriemeister stellen nach Ansicht des Senats im vorliegenden Fall jedoch nicht notwendig eine Ausbildungseinheit dar. Zunächst kann sich der zweite Ausbildungsabschnitt grundsätzlich erst nach einer Berufstätigkeit anschließen. Die Zulassung zur Prüfung setzt gemäß § 3 Abs. 2 Prüfungsverordnung Industriemeister grundsätzlich eine berufspraktische Erfahrung von einem Jahr nach Abschluss der ersten Ausbildung voraus. Es stellt sich damit als ein die berufliche Erfahrung berücksichtigender Weiterbildungsstudiengang (Zweitausbildung) dar. Die vor dem Beginn des zweiten Ausbildungsabschnitts erforderliche Berufstätigkeit führt somit zu einem Einschnitt (Zäsur), der den notwendigen engen Zusammenhang entfallen lässt.
Dem ließe sich vorliegend entgegenhalten, dass zum einen die erforderliche berufspraktische Tätigkeit lehrgangsbegleitend erfolgte bzw. erfolgt, und zum anderen der von A besuchte, berufsbegleitende Hauptunterricht mit dem Ausbildungsziel "Industriemeister Elektrotechnik IHK" nach den Feststellungen des Senats ab dem xx. Dezember 2016 als dem nächstmöglichen Termin in B begann, so dass die Berufstätigkeit im Zeitraum März bis Ende November als lediglich der (zulässigen) Überbrückung dienend angesehen werden könnte.
Der Senat ist gleichwohl aufgrund der Umstände des Falles nicht davon überzeugt, dass sich vorliegend der im Februar 2016 erfolgte, erste Abschluss im Ausbildungsbetrieb, die Fortführung der Tätigkeit dort und die sich erst neun Monate später anschließende, berufsbegleitende Maßnahme als integrative Teile einer einheitlichen Ausbildung darstellen. Anders als z.B. im Fall eines dualen Studienganges (vgl. dazu BFH-Urteil vom 3. Juli 2014, III R 52/13, BFHE 246, 427, BStBl II 2015, 152) wird im Streitfall die Klammer zwischen den beiden Ausbildungsabschnitten nicht durch den Anbieter des Ausbildungsganges gebildet, sondern durch das Kind selbst (vgl. auch Finanzgericht Rheinland-Pfalz, Urteil vom 25. Juni 2015, 6 K 1216/15, Entscheidungen der Finanzgerichte -EFG- 2015, 1539). Die Ausbildungsabschnitte stellen sich dabei vorliegend nicht als integrative Teile einer einheitlichen Ausbildung dar, denn sie werden nicht als solche angeboten, sondern wurden individuell von A zusammengestellt. Diesem Umstand kommt nach Ansicht des Senats besonderes Gewicht zu, weil keine objektiven Beweisanzeichen dafür gegeben sind, dass A mit dem Abschluss der ersten Ausbildung das angestrebte Berufsziel noch nicht erreicht hatte und einen weiterer Ausbildungsabschnitt folgen sollte (s. dazu zu c.).
c. Es war im Streitfall aufgrund objektiver Beweisanzeichen zu keinem Zeitpunkt erkennbar, dass A nach Abschluss seiner Ausbildung zum Elektroniker im Februar 2016 noch eine weiterführende Ausbildung als Teil einer Erstausbildung anstrebte. A bewarb sich erst Ende November 2016 für den weiterführenden Lehrgang bzw. schrieb sich zu diesem Zeitpunkt bei der Y für den im Dezember 2016 beginnenden Hauptunterricht ein. Im Zeitraum von Ende Februar bis Ende November, d.h. für neun Monate, ging A einer Vollzeitbeschäftigung nach, die ihm aufgrund seines Abschlusses als Elektroniker eröffnet war.
Abgesehen von der erst im Rahmen des Einspruchsverfahrens eingereichten Erklärung, er habe bereits zu Beginn des Jahres 2016 den Abschluss als Industriemeister Elektrotechnik angestrebt, existieren keine Anhaltspunkte für diese Absicht. Es ist deshalb nicht anhand objektiver Beweisanzeichen feststellbar, dass A im Rahmen eines einheitlichen Ausbildungsziels oder "Gesamtplans" den weiterführenden Lehrgang mit dem Abschluss Industriemeister Elektrotechnik anstrebte. Im Unterschied zu dem vom BFH entschiedenen Fall in BFHE 249, 500, in dem das Kind unmittelbar nach Abschluss der Ausbildung Bewerbungen zur Aufnahme an einer weiterführenden bzw. einer Fachschule erkennbar machten, dass das angestrebte Berufsziel noch nicht erreicht war, fehlt es vorliegend gänzlich an einer solchen objektiven Feststellbarkeit (s. dazu weitergehend zu d.). Nach Auffassung des erkennenden Senats war damit die Einheitlichkeit des Ausbildungsgangs aufgehoben.
d. Einen Anhaltspunkt für einen "angemessenen" und den erforderlichen, engen zeitlichen Zusammenhang wahrenden Zeitraum bis zur Aufnahme eines zweiten Ausbildungsabschnitts (als Teil einer einheitlichen Ausbildung) könnte die gesetzliche Regelung des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 b) EStG geben, nach der Kindergeld für eine Übergangszeit von höchstens vier Monaten zwischen zwei Ausbildungsabschnitten zu gewähren ist. Insoweit geht das Gesetz typisierend von einem hinreichenden zeitlichen Zusammenhang der Ausbildungsabschnitte aus. Ob oder welche zeitliche(n) (Höchst-)Grenzen im Einzelfall --etwa die genannten vier Monate-- auf die Abfolge von Abschnitten einer mehraktigen Ausbildung anzuwenden sind, ist nicht abschließend geklärt.
Der BFH hat in seinem Urteil vom 4. Februar 2016, III R 14/15, BFHE 253, 145, BStBl II 2016, 615 entschieden, dass ein Studium nicht mehr als integrativer Bestandteil einer einheitlichen Erstausbildung angesehen werden kann, wenn es nach Abschluss einer kaufmännischen Ausbildung aufgenommen wird und das Studium eine zuvor ausgeübte Berufstätigkeit voraussetzt. Im Fall des BFH-Urteils vom 3. September 2015, VI R 9/15, BFHE 251, 10, BStBl II 2016, 166 hatte das Kind im April 2013 den Studiengang Wirtschaftsmathematik an der Universität mit dem Bachelor-Abschluss beendet. Seit dem Wintersemester 2012/2013 war es bereits für den Masterstudiengang ebenfalls im Bereich Wirtschaftsmathematik eingeschrieben und führte diesen Studiengang nach Erlangung des Bachelor-Abschlusses fort. Hier sah der BFH aufgrund des evidenten, engen zeitlichen Zusammenhangs das Masterstudium als Teil einer einheitlichen Ausbildung an. So verhielt es sich auch in dem Fall, in dem das Kind parallel zur Ausbildung zum Steuerfachangestellten ein duales Studium zum Bachelor (Steuerrecht) absolvierte (BFH-Urteil vom 3. Juli 2014, III R 52/13, BFHE 246, 427, BStBl II 2015, 152), da sich auch hier der erste und der zweite Ausbildungsabschnitt zeitlich überschnitten. In dem Fall in BFHE 249, 500, in dem der BFH den engen zeitlichen Zusammenhang der Ausbildungsabschnitte ebenfalls bejahte, schloss das Kind im Februar 2012 eine Berufsausbildung zum Elektroniker für Betriebstechnik ab. Das Kind bewarb sich im Monat des Abschlusses für einen Platz an einer Technikerschule sowie einer Fachoberschule für Technik. Bereits zu diesem Zeitpunkt strebte es diese Weiterbildungsmaßnahmen mit dem Fernziel der Erlangung des Abschlusses eines Elektrotechnikers oder Elektroingenieurs an. Das Kind unterschrieb Ende Februar 2012 zudem einen auf zwei Jahre befristeten Arbeitsvertrag in üblich bezahlter Vollzeitbeschäftigung, aufgrund dessen es von März bis Juli 2012 in seinem erlernten Beruf arbeitete. Nachdem er eine Zusage der Fachoberschule für Technik erhalten hatte, beendete er das Arbeitsverhältnis vorzeitig, um ab Mitte August 2012 diese Bildungseinrichtung besuchen zu können. Der einjährige Vollzeitunterricht erfolgte zur Vorbereitung des Studiums an einer Fachhochschule und war für das Kind Voraussetzung, ein solches aufnehmen zu können.
Nach Ansicht des Senats spricht vor dem Hintergrund der angeführten BFH-Urteile im vorliegenden Fall gegen die Einheitlichkeit der Ausbildung, dass zwischen dem Abschluss als Elektroniker und dem Beginn der Ausbildung zum Industriemeister ein Zeitraum von über sechs Monaten lag, ohne dass während dieser Zeit das Anstreben eines weiteren Ausbildungsabschnitts objektiv erkennbar war, und dass dazu die Ausbildung zum Industriemeister nach der Prüfungsordnung eine einjährige Berufstätigkeit voraussetzt, auch wenn diese lehrgangsbegleitend erfolgen kann.
e. Der Senat verkennt nicht, dass ein Kind auch dann im Rahmen des § 32 EStG zu berücksichtigen sein kann, wenn es aufgrund seiner Erwerbstätigkeit möglicherweise gegenüber seinen Eltern --mangels Bedürftigkeit-- keinen Unterhaltsanspruch hat. Zwar setzte nach früherer Rechtsprechung des BFH der Kindergeldanspruch für über 18 Jahre alte Kinder eine typische Unterhaltssituation seitens der Eltern voraus (vgl. dazu z.B. BFH-Urteile vom 2. März 2000, VI R 13/99, BFHE 191, 69, BStBl II 2000, 522, und vom 19. April 2007, III R 65/06, BFHE 218, 70, BStBl II 2008, 756). Diese Rechtsprechung wurde jedoch inzwischen aufgegeben (BFH-Urteil vom 17. Juni 2010, III R 34/09, BFHE 230, 61, BStBl II 2010, 982), und das Erfordernis einer typischen Unterhaltssituation für den Kindergeldanspruch bei volljährigen Kindern ist seither vollständig entfallen (vgl. BFH-Urteile vom 17. Oktober 2013, III R 22/13, BFHE 243, 246, BStBl II 2014, 257; und vom 5. März 2014, XI R 32/13, BFH/NV 2014, 1031, und in BFHE 249, 500).
Der Senat ist jedoch der Auffassung, dass in dem hier vorliegenden Fall einer abgeschlossenen Erstausbildung mit anschließender Vollzeittätigkeit, der sich erst nach einem Zeitraum von insgesamt neun Monaten --und zwar neben der weiterhin ausgeübten Vollzeittätigkeit-- eine weitere Fortbildungs- bzw. Ausbildungsmaßnahme anschließt, eine "Ausbildungssituation", wie sie typisiert in den Tatbeständen des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 EStG und auch in den Beschränkungen des § 32 Abs. 4 Satz 2 und Satz 3 EStG hinsichtlich einer Erwerbstätigkeit nach Abschluss einer erstmaligen Berufsausbildung zum Ausdruck kommt, nicht (mehr) gegeben ist.
f. Nach alledem ist davon auszugehen, dass As erstmalige Berufsausbildung am xx. Februar 2016 abgeschlossen war. Da der anschließend angestrebte Abschluss Industriemeister Elektrotechnik damit eine Zweitausbildung ist, besteht aufgrund der schädlichen Erwerbstätigkeit gemäß § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG für den streitigen Zeitraum kein Kindergeldanspruch.
II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
III. Wegen der anhängigen Revisionsverfahren V R 13/17, III R 18/17 und XI R 25/17 war die Revision nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO zuzulassen.