Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 10.11.2005, Az.: L 8 AL 418/04

Minderung des Arbeitslosengeldanspruchs wegen der verspäteten Meldung als arbeitssuchend; Unterschiedliche Fristen der frühzeitigen Arbeitssuche als Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz ; Meldung als arbeitssuchend frühestens drei Monate vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses; Vorliegen eines befristeten oder unbefristeten Arbeitsvertrages als persönliches Merkmal des Arbeitnehmers; Meldungspflicht zum Zwecke der beschleunigten Wiedereingliederung der Arbeitssuchenden; Fehlende Rechtfertigung für die zeitliche Differenzierung zwischen Arbeitnehmern mit befristeten bzw. unbefristeten Arbeitsverhältnissen; Folge der fehlenden Gegenleistungsmöglichkeit der Beklagten für die Obliegenheit der frühzeitigen Meldung; Erforderlichkeit der verfassungskonformen Anwendung der Meldevorschriften

Bibliographie

Gericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Datum
10.11.2005
Aktenzeichen
L 8 AL 418/04
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2005, 29763
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LSGNIHB:2005:1110.L8AL418.04.0A

Verfahrensgang

vorgehend
SG Oldenburg - 23.09.2004 - AZ: S 41 AL 522/04

Redaktioneller Leitsatz

Die unterschiedliche Behandlung von Arbeitnehmern unbefristeter und befristeter Arbeitsverhältnisse bei der nach Kündigung erforderlichen Meldung als arbeitssuchend in § 140 S. 2 Nr. 3 und § 37b Abs. 2 SGB III verstößt gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Die Vorschrift des § 37b SGB III ist verfassungskonform dahin auszulegen, dass für sämtliche Arbeitnehmer die frühzeitige Arbeitssuche spätestens 3 Monate vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu erfolgen hat.

Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Oldenburg vom 23. September 2004 wird zurückgewiesen. Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

1

Der Kläger wendet sich gegen eine Minderung seines Arbeitslosengeldanspruchs wegen einer von der Beklagten angenommenen verspäteten Meldung als arbeitsuchend.

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Der im Februar 1947 geborene Kläger war von September 1981 bis 31. Juli 2004 als Einkäufer bei der Firma F. GmbH & Co. KG beschäftigt. Mit Schreiben vom 19. Dezember 2003 wurde ihm mit der 7-monatigen Kündigungsfrist zum 31. Juli 2004 gekündigt. In dem Kündigungsschreiben wurde der Kläger darauf hingewiesen, dass er sich gemäß § 37b Sozialgesetzbuch Drittes Buch - Arbeitsförderung - (SGB III) unverzüglich nach Kenntnis des Beendigungsgrundes, d.h. nach Erhalt des Schreibens, beim Arbeitsamt persönlich arbeitsuchend melden müsse. Wenn er dieser Verpflichtung nicht nachkomme, könne der Anspruch auf Arbeitslosengeld (Alg) gemindert werden.

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Der Kläger meldete sich am 21. Januar 2004 arbeitsuchend, seine Arbeitslosmeldung mit dem Antrag auf Gewährung von Leistungen erfolgte am 6. Juli 2004. Der Arbeitgeber bescheinigte für die Zeit von August 2003 bis Juli 2004 ein beitragspflichtiges Arbeitsentgelt in Höhe von 50.539,- EUR, einschließlich Weihnachtsgeld in Höhe von 2.848,- EUR im Monat November 2003 und Urlaubsgeld in Höhe von 818,- EUR im Monat Mai 2004. Die Beschäftigung wurde regelmäßig von Montags bis Freitags mit einer Vollzeitarbeit von 37 Wochenstunden ausgeübt. Der Kläger erhielt eine Abfindung aus sozialen Gründen aus dem Sozialplan in Höhe von 77.726,- EUR. Die Kündigungsfrist des Arbeitgebers betrug 7 Monate zum Monatsende.

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Alg wurde ab 1. August 2004 mit Bescheid vom 12. Juli 2004 bewilligt. Mit Bescheid vom 8. Juli 2004 wurde die Minderung des Alg-Anspruchs gemäß § 140 SGB III geregelt. Der Kläger hätte sich spätestens am 23. Dezember 2003 bei der Agentur für Arbeit arbeitsuchend melden müssen. Die Meldung sei um 29 Tage zu spät erfolgt, am 21. Januar 2004. Nach § 140 SGB III mindere sich der Anspruch auf Leistungen um 50,00 EUR für jeden Tag der verspäteten Meldung, längstens für 30 Tage. Es errechne sich somit ein Minderungsbetrag in Höhe von insgesamt 1.450,00 EUR. Der Kläger legte Widerspruch mit der Begründung ein, dass er das Kündigungsschreiben am 22. Dezember 2003 erhalten habe, und zwar am späten Nachmittag. An diesem Tag und an den beiden darauf folgenden Tagen habe er sich nicht persönlich arbeitsuchend melden können. Er habe Verwandte in G. besucht und sei am 4. Januar, einem Sonntag, von seinem Urlaub zurückgekehrt. Die Kündigung sei erst zum 31. Juli 2004 ausgesprochen worden. Durch die verspätete Meldung am 21. Januar 2004 seien keinerlei Nachteile für die Versichertengemeinschaft eingetreten. Mit Widerspruchsbescheid vom 2. August 2004 wurde der Widerspruch als unbegründet zurückgewiesen.

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Der Kläger hat am 6. August 2004 Klage beim Sozialgericht (SG) Oldenburg erhoben und seine bisherige Begründung vertiefend vorgetragen. Das SG hat der Klage mit Urteil vom 23. September 2004 stattgegeben und die Beklagte verurteilt, dem Kläger Alg ab 1. August 2004 ohne Minderung gemäß § 140 SGB III zu zahlen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass § 37b SGB III einen offenkundigen Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz des Art 3 Grundgesetz (GG) enthalte. Es sei kein sachlicher Grund dafür ersichtlich, warum ein Arbeitnehmer mit einem befristeten Arbeitsverhältnis sich erst drei Monate vor dessen Beendigung arbeitsuchend zu melden habe, dagegen ein Arbeitnehmer wie der Kläger mit einer Kündigungsfrist von mehr als drei Monaten gehalten sein solle, sich unverzüglich nach Erhalt der Kündigung bei der Beklagten arbeitsuchend zu melden. Für beide Fallgruppen bezwecke die Vorschrift das Gleiche, nämlich der Beklagten frühzeitige Vermittlungstätigkeiten zu ermöglichen. Wenn bei befristeten Arbeitsverhältnissen insofern ein Zeitraum von drei Monaten für ausreichend gehalten werde, könne für unbefristete Arbeitsverhältnisse mit langer Kündigungsfrist nichts anderes gelten. Die Vorschrift sei deshalb verfassungskonform dahin auszulegen, dass die Meldung frühestens - und gleichzeitig spätestens - drei Monate vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu erfolgen habe. Das Urteil wurde der Beklagten am 5. Oktober 2004 zugestellt.

6

Die Beklagte hat am 20. Oktober 2004 Berufung eingelegt. Sie trägt vor, dass die hier anwendbare Vorschrift eindeutig sei. Das Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit habe dazu ausgeführt, dass gerade Personen, die lange Kündigungsfristen aufwiesen, frühzeitig zur Arbeitsuche sensibilisiert werden sollten. Es handele sich häufig um höher qualifizierte Arbeitnehmer oder um solche, die viele Jahre nicht gezwungen gewesen seien, Arbeit zu suchen. In beiden Fällen könne die Arbeitsuche langwierig sein, weshalb lange Vorlauffristen sinnvoll seien. Es liege daher ein sachlicher Grund vor, befristet und unbefristet beschäftigte Arbeitnehmer insoweit unterschiedlich zu behandeln.

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Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Oldenburg vom 23. September 2004 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

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Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

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Er verteidigt die angefochtene Entscheidung des SG.

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Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte und den beigezogenen Verwaltungsvorgang der Beklagten verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Beratung waren.

Entscheidungsgründe

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Die gemäß §§ 143, 144, 151 SGG zulässige Berufung der Beklagten ist nicht begründet.

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Das SG hatte zu Recht entschieden, dass eine Minderung des klägerischen Alg-Anspruchs gemäß § 140 Satz 2 Nr. 3 SGB III nicht stattfinden darf, weil die unterschiedlichen Fristen der frühzeitigen Arbeitssuche in § 37 b SGB III für Arbeitnehmer mit befristeten bzw. unbefristeten Arbeitsverhältnissen einen Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG) darstellen, so dass eine frühzeitige Meldung als arbeitsuchend auch für Arbeitnehmer in unbefristeten Arbeitsverhältnissen frühestens 3 Monate vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses erfolgen muss. Diese Frist von 3 Monaten hat der Kläger eingehalten. Die Berufung war daher zurückzuweisen.

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Streitgegenstand des Rechtsstreits ist die durch die Bescheide vom 8. und 12. Juli 2004 geregelte Bewilligung des Arbeitslosengeldes ab 1. August 2004 in dem durch den Bescheid vom 8. Juli 2004 speziell geregelten Minderungsumfang. Die Beklagte hat aufgrund des mitgeteilten Arbeitsentgeltes das Bemessensentgelt zutreffend mit 970,- EUR berechnet, gerundet gemäß § 132 Abs. 3 SGB III. Daraus wird ersichtlich, dass die Minderung, sofern die Voraussetzungen bejaht werden, gemäß § 140 Satz 2 Nr. 3 SGB III für jeden Tag der verspäteten Meldung 50,- EUR beträgt. Richtige Klageart ist daher die verbundene Anfechtungs- und Leistungsklage, §§ 54 Abs. 1 und 4, 56 SGG. Denn der Kläger begehrt sein Arbeitslosengeld in der Höhe ohne die durch den Bescheid vom 8. Juli 2004 durchgeführte Minderung.

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Als Rechtsgrundlage für die Minderung des Alg-Anspruchs kommt § 140 Satz 2 Nr. 3 SGB III in Betracht. Danach beträgt die Minderung bei einem Bemessungsentgelt über 700,- EUR - wie hier - 50,- EUR für jeden Tag der verspäteten Meldung. Die Minderung ist auf den Betrag begrenzt, der sich bei einer Verspätung von 30 Tagen errechnet. Voraussetzung für die Minderung ist gemäß § 140 Satz 1 SGB III, dass sich der Arbeitslose entgegen § 37b SGB III nicht unverzüglich arbeitsuchend gemeldet hat; dann mindert sich das Arbeitslosengeld, das dem Arbeitslosen aufgrund des Anspruchs zusteht, der nach der Pflichtverletzung entstanden ist. Die Vorschrift des § 140 SGB III wurde eingeführt durch das Erste Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt (vom 23. Dezember 2002, BGBl. I S. 4607, in Kraft ab 1. Juli 2003).

15

Mit dem selben Gesetz wurde § 37b SGB III in das SGB III eingefügt und trat ebenfalls am 1. Juli 2003 in Kraft. Diese Vorschrift bestimmt, dass Personen, deren Versicherungspflichtverhältnis endet, verpflichtet sind, sich unverzüglich nach Kenntnis des Beendigungszeitpunkts persönlich bei der Agentur für Arbeit arbeitsuchend zu melden (Satz 1). Im Fall eines befristeten Arbeitsverhältnisses hat die Meldung jedoch frühestens 3 Monate vor dessen Beendigung zu erfolgen (Satz 2). Die Pflicht zur Meldung besteht unabhängig davon, ob der Fortbestand des Arbeits- oder Ausbildungsverhältnisses gerichtlich geltend gemacht wird (Satz 3). Die Meldung zur Pflicht gilt nicht bei einem betrieblichen Ausbildungsverhältnis (Satz 4).

16

Die Voraussetzungen dieser Vorschrift liegen nur scheinbar vor. Denn für den Kläger, der sich in einem unbefristeten Arbeitsverhältnis befand, gilt auch die 3-Monatsfrist wie für Arbeitnehmer in einem befristeten Arbeitsverhältnis. Dieses Ergebnis wird durch eine verfassungskonforme Auslegung der Vorschrift erreicht.

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Der Kläger hat die Frist des § 37b SGB III offensichtlich verfehlt. Nach seinem Vortrag hätte er sich am 5. Januar 2004 arbeitsuchend melden können. Er hat dies tatsächlich erst am 21. Januar 2004 getan, ohne dafür einen Grund zu benennen. Das war in keinem Falle unverzüglich i.S. des § 37b Satz 1 SGB III. Der Kläger war über seine Pflicht der unverzüglichen Arbeitsuchendmeldung durch das Kündigungsschreiben informiert. Ihm war daher die Obliegenheit bekannt, sich unverzüglich zu melden (vgl dazu Bundessozialgericht - BSG , Urteil vom 25. Mai 2005 - B 11a/11 AL 81/04 R ; s.a. Urteil vom 18. August 2005 - B 7a/7 AL 94/04 R -). Die dort erörterte Problematik der unverschuldeten Unkenntnis von der Obliegenheit zur frühzeitigen Meldung spielt hier keine Rolle.

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Die rechtliche Problematik wird hier geprägt durch die unterschiedlichen Zeitpunkte, zu denen sich ein Arbeitnehmer arbeitsuchend melden muss. Nach § 37b Satz 1 SGB III sind Personen, deren Versicherungspflichtverhältnis endet, verpflichtet, sich unverzüglich nach Kenntnis des Beendigungszeitpunktes persönlich bei der Agentur für Arbeit arbeitsuchend zu melden. Diese Regelung ist im Fall des Klägers einschlägig. Ihm war mit Kündigungsschreiben vom 19. Dezember 2003 zum 31. Juli 2004 gekündigt worden, mit einer Kündigungsfrist von sieben Monaten. Nach Erhalt des Kündigungsschreibens musste er sich daher umgehend arbeitsuchend melden, also sieben Monate vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses.

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Für befristete Arbeitsverhältnisse sieht § 37b Satz 2 SGB III eine andere Frist vor. Danach "hat die Meldung jedoch frühestens drei Monate vor dessen Beendigung zu erfolgen". Nach richtigem Verständnis bedeutet dies, dass eine Meldung spätestens drei Monate vor Ende des befristeten Arbeitsverhältnisses erfolgen muss (vgl. Coseriu/Jakob in Nomos-Kommentar zum SGB III, 2. Aufl. 2004, Rdnr. 11f).

20

Die unterschiedliche Behandlung von Arbeitnehmern in einem unbefristeten bzw. in einem befristeten Arbeitsverhältnis würde gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstoßen. Die Vorschrift des § 37b SGB III ist durch verfassungskonforme Auslegung dahin zu deuten, dass für sämtliche Arbeitnehmer die frühzeitige Arbeitsuche spätestens 3 Monate vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu erfolgen hat. Diese Frist hat der Kläger eingehalten.

21

Nach Art. 3 GG sind alle Menschen vor dem Gesetz gleich. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes verbietet der Gleichheitssatz nicht nur, wesentlich Gleiches willkürlich ungleich, sondern auch wesentlich Ungleiches willkürlich gleich zu behandeln (BVerfGE 78, S. 104, 121 [BVerfG 26.04.1988 - 1 BvL 84/86];  98,S. 365, 385). Der Gleichheitssatz verlangt nicht, dass bei der Ordnung eines bestimmten Lebensgebietes alle tatsächlichen Verschiedenheiten vernachlässigt oder alle vorgegebenen Ungleichheiten berücksichtigt werden. Entscheidend ist vielmehr, ob für eine am Gerechtigkeitsdenken orientierte Betrachtungsweise die tatsächlichen Ungleichheiten in dem jeweils in Betracht kommenden Zusammenhang so bedeutsam sind, dass sie beachtet werden müssen. Danach ist Willkür im objektiven Sinne zu verstehen als eine Maßnahme, welche im Verhältnis zu der Situation, der sie Herr werden will, tatsächlich und eindeutig unangemessen ist (vgl. BVerfGE 83, S. 82, 86 [BVerfG 13.11.1990 - 1 BvR 275/90]; Gubelt in von Münch/Kunig, Kommentar zum Grundgesetz, 5. Aufl. 2000, Art. 3 Rdnr. 11 m.w.N.).

22

Seit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahre 1980 (BVerfGE 55, S. 72, 88) reicht nicht mehr jeder Sachgrund aus; nach der nunmehr verwendeten sog. neuen Formel ist Art. 3 Abs. 1 GG vor allem dann verletzt, wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten (vgl. BVerfGE 95, S. 39, 45 [BVerfG 08.10.1996 - 1 BvL 15/91]; Gubelt aa0 Rdnr. 14 m.w.N.; Jarass, Folgerungen aus der neuen Rechtsprechung des BVerfG für die Prüfung von Verstößen gegen Art. 3 Abs. 1 GG, NJW 1997, S. 2545).

23

Eine besonders strenge Prüfung von Ungleichbehandlungen ist nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts geboten, wenn verschiedene Personengruppen und nicht nur verschiedene Sachverhalte ungleich behandelt werden. Es handelt sich hierbei um eine Ungleichbehandlung anhand von personenbezogenen Merkmalen; für sie ist kennzeichnend, dass die Benachteiligten den begünstigten Sachverhalt in ihrer Person nicht oder nur schwer erfüllen können (vgl. BVerfGE 88, S. 87, 96 f; s.a. BVerfGE 111, S. 160, 169 f.; Jarass aa0, S. 2547). Schließlich ist eine strengere Prüfung angezeigt, je stärker sich die Ungleichbehandlung von Personen oder Sachverhalten auf die Ausübung grundrechtlich geschützter Freiheiten nachteilig auswirken kann (vgl. BVerfGE 91, S. 346, 363 [BVerfG 14.12.1994 - 1 BvR 720/90]; Gubelt, aa0, Rdnr. 14, S. 208).

24

Ausgehend von diesen durch das Bundesverfassungsgericht geprägten Voraussetzungen lässt sich ein ausreichender Differenzierungsgrund für die ungleiche Behandlung von Arbeitnehmern in befristeten bzw. unbefristeten Arbeitsverhältnissen nicht feststellen. Die durch den Gesetzgeber in § 37b SGB III geregelte Ungleichbehandlung ist nicht verhältnismäßig.

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Die fragliche Regelung knüpft an personenbezogene Merkmale an. Arbeitnehmer in einem unbefristeten Arbeitsverhältnis müssen sich unverzüglich nach Erhalt der Kündigung arbeitsuchend melden; Arbeitnehmer in einem befristeten Arbeitsverhältnis spätestens 3 Monate vor Ablauf der Befristung. Dies sind personenbezogene Merkmale, weil der Benachteiligte - der Arbeitnehmer in einem unbefristeten Arbeitsverhältnis, der sich sofort nach Erhalt der Kündigung arbeitsuchend melden muss -, den begünstigten Sachverhalt - also eine frühzeitige Meldung spätestens 3 Monate vor Ablauf der Befristung - nicht erfüllen kann. Maßgebend ist der mit dem Arbeitnehmer abgeschlossene unbefristete (bzw. befristete) Arbeitsvertrag.

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Verstößt der Benachteiligte - der Arbeitnehmer mit dem unbefristeten Arbeitsvertrag - gegen die Obliegenheit aus § 37b SGB III, drohen ihm erhebliche, in § 140 SGB III näher geregelte Nachteile. Sein Arbeitslosengeldanspruch mindert sich um einen bestimmten Betrag für jeden Tag der verspäteten Meldung, wobei die Minderung auf den Betrag begrenzt ist, der sich bei einer Verspätung von 30 Tagen errechnet, § 140 Satz 3 SGB III. Damit ist der Obliegenheitsverstoß des § 37b SGB III verbunden mit einem massiven Eingriff in den vom Arbeitnehmer erworbenen Arbeitslosengeldanspruch, der durch die Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. 1 GG geschützt ist (BVerfGE 72, S. 9; vgl. auch Spellbrink in Eicher/Schlegel, Kommentar zum SGB III, Loseblattsammlung, Stand: Juni 2003, § 140 Rdnrn 42 ff. zur Frage der Zulässigkeit des Eingriffs insbesondere im Hinblick auf Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG). Dieser erhebliche Eingriff durch § 140 SGB III in den Arbeitslosengeldanspruch des Arbeitnehmers, der die Obliegenheit aus § 37b SGB III nicht einhält, ist bei der Prüfung, ob die Ungleichbehandlung einen rechtfertigenden Grund hat, besonders zu beachten.

27

Die in § 37b SGB III geregelte Idee einer frühzeitigen Arbeitsuche entstammt den Vorschlägen der sog. Hartz-Kommission. Darin war eine "familienfreundliche Quick-Vermittlung" gefordert, weil bis dahin die Meldung erst nach Eintritt der Arbeitslosigkeit erfolgt sei. Arbeitnehmer sollten daher künftig verpflichtet werden, die Arbeitsagenturen über die drohende Arbeitslosigkeit zu informieren, und zwar bei Erhalt der Kündigung bzw. zum Zeitpunkt der Vereinbarung über die Aufhebung eines Arbeitsvertrages (vgl. Spellbrink, aa0, § 37b Rdnr. 2).

28

In der Begründung des § 37b SGB III im Gesetzentwurf der Regierungsfraktion ist Folgendes formuliert (BT-Drucksache 15/25 S. 27):

29

Die Regelung hat zum Ziel, die Eingliederung von Arbeitsuchenden zu beschleunigen und damit Arbeitslosigkeit und Entgeltersatzleistungen der Versichertengemeinschaft möglichst zu vermeiden bzw. die Dauer der Arbeitslosigkeit zu verkürzen. Personen, die versicherungspflichtig beschäftigt oder aus sonstigen Gründen versicherungspflichtig zur Bundesanstalt für Arbeit sind, sollen sich deshalb so früh wie möglich persönlich beim Arbeitsamt arbeitsuchend melden. Das Arbeitsamt kann dann sofort mit den in § 35 vorgesehenen Maßnahmen beginnen. Die Regelung fordert von dem Betroffenen, dass sie sich unverzüglich beim Arbeitsamt persönlich melden müssen, wenn sie den Zeitpunkt der Beendigung des Versicherungspflichtverhältnisses kennen. So entsteht die Meldepflicht z.B. bei unbefristeten Arbeitsverhältnissen unverzüglich nach Zugang der Kündigung durch den Arbeitgeber oder den Arbeitnehmer oder nach Abschluss eines Aufhebungsvertrags. Bei befristeten Arbeitsverhältnissen soll die Meldung jedoch nicht früher als drei Monate vor Ablauf des Arbeitsverhältnisses erfolgen. Bei einem zweckbefristeten Arbeitsverhältnis (z.B. im Vertretungsfall) muss sich der Arbeitnehmer unverzüglich nach der Unterrichtung durch den Arbeitgeber über den Zeitpunkt der Zweckerreichung beim Arbeitsamt melden ... Die Meldung hat persönlich zu erfolgen, damit sofort mit dem Arbeitsamt eine Vereinbarung über das gemeinsame Vorgehen erfolgen kann ... Zu den leistungsrechtlichen Folgen, die im Fall der Arbeitslosigkeit eintreten, wenn Arbeitsuchende ihrer Meldepflicht nicht genügen, vgl. die Regelung des neu eingeführten § 140 und die dortige Begründung.

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Damit sind die gesetzgeberischen Ziele des § 37b SGB III umschrieben. Die Eingliederung von Arbeitslosen soll beschleunigt werden bzw. Arbeitslosigkeit soll gar nicht erst entstehen, womit die Arbeitslosigkeit und Entgeltersatzleistungen der Versichertengemeinschaft möglichst vermieden werden bzw. die Dauer der Arbeitslosigkeit soll verkürzt werden (vgl. Coseriu/Jakob in Nomos-Kommentar aa0, § 37b Rdnr. 1).

31

Dies ist im Hinblick auf die hier anzustellende Verhältnismäßigkeitsprüfung ein legitimes gesetzgeberisches Ziel, damit potenzielle Arbeitslose frühzeitig erfasst und rechtzeitig Vermittlungsbemühungen unternommen werden können.

32

Diese Wertung des Gesetzgebers, auf die allein abzustellen ist, rechtfertigt jedoch nicht die zeitliche Differenzierung zwischen Arbeitnehmern mit befristeten bzw. unbefristeten Arbeitsverhältnissen, insbesondere unter Berücksichtigung des Umstandes, dass eine Verletzung der Obliegenheit für Arbeitnehmer, die sich in dem Zeitraum von 3 Monaten vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht rechtzeitig arbeitsuchend melden, zu erheblichen Einschnitten bei dem Arbeitslosengeldanspruch führt. Weder ist die Differenzierung geeignet, das damit verfolgte Ziel zu erreichen, noch ist die Differenzierung erforderlich, weil weniger belastende Differenzierungen zur Verfügung stehen. Die durch die Ungleichbehandlung bewirkte Belastung greift weiter aus, als der die verschiedenen Handlungen legitimierende Zweck es rechtfertigt (vgl. BVerfGE 85, S. 238, 245) [BVerfG 11.02.1992 - 1 BvL 29/87].

33

Nach dem Teilzeit- und Befristungsgesetz (¬&61500;TzBfG&61502; - vom 21. Dezember 2000, BGBl. I S 1966, geändert durch Gesetz vom 24. Dezember 2003, BGBl. I S. 3002 -) können befristete Arbeitsverträge gemäß § 14 TzBfG geschlossen werden. Nach § 14 Abs. 2 TzBfG ist die kalendermäßige Befristung eines Arbeitsvertrages ohne Vorliegen eines sachlichen Grundes bis zur Dauer von zwei Jahren zulässig. Nach § 14 Abs. 2a TzBfG ist in den ersten vier Jahren nach Gründung eines Unternehmens die kalendermäßige Befristung eines Arbeitsvertrages ohne Vorliegen eines sachlichen Grundes bis zur Dauer von vier Jahren zulässig; bis zu dieser Gesamtdauer von vier Jahren ist auch die mehrfache Verlängerung eines kalendermäßig befristeten Arbeitsvertrages zulässig. Aus dieser gesetzlichen Regelung ergibt sich, dass Arbeitsverträge bis maximal vier Jahre ohne sachlichen Grund befristet werden können, wobei der Regelfall die Befristung bis zur Dauer von zwei Jahren ist, § 14 Abs. 2 Satz 1 TzBfG. Schließt ein Arbeitnehmer ein derart befristetes Arbeitsverhältnis ab, steht bereits zum Zeitpunkt des Abschlusses dieses befristeten Arbeitsvertrages das Ende des Arbeitsverhältnisses fest, so dass dieser Arbeitnehmer sich - entsprechend den gesetzgeberischen Leitvorstellungen - sofort arbeitsuchend melden müsste, also womöglich bereits zwei Jahre bzw. vier Jahre vor Ablauf des Arbeitsverhältnisses. Davon hat der Gesetzgeber allerdings in § 37b Satz 2 SGB III Abstand genommen und insoweit nur die Obliegenheit statuiert, dass die Meldung bei derartig befristeten Arbeitsverhältnissen frühestens 3 Monate vor dessen Beendigung zu erfolgen hat. Meldet sich ein Arbeitnehmer in einem befristeten Arbeitsverhältnis mit dieser Frist arbeitsuchend, braucht er keine Einbuße seines Arbeitslosengeldanspruches gemäß § 140 SGB III zu befürchten. Anders verhält es sich mit dem Arbeitnehmer, der sich in einem unbefristeten Arbeitsverhältnis befindet, dem aber mit einer langen Kündigungsfrist gekündigt wird - im vorliegenden Fall 7 Monate -. Meldet dieser Arbeitnehmer sich nicht frühzeitig arbeitsuchend gemäß § 37b SGB III, droht die Kürzung des Arbeitslosengeldanspruchs gemäß § 140 SGB III.

34

Ein Grund für diese Differenzierung lässt sich den gesetzgeberischen Vorstellungen nicht entnehmen. Zweck der Einführung des § 37b SGB III war die Absicht, die potenziellen Arbeitslosen frühzeitig zu erfassen und so früh wie möglich in ein neues Arbeitsverhältnis zu vermitteln, womöglich direkt im Anschluss an die Beendigung des gekündigten bzw. befristeten Arbeitsverhältnisses. Dieses Ziel gilt für die Angehörigen beider Gruppen, sowohl der Arbeitnehmer mit befristeten wie mit unbefristeten Arbeitsverhältnissen. Mithin läge eine Gleichbehandlung vor, wenn Arbeitnehmer beider Gruppen sich nach Kenntnis des Beendigungsgrundes arbeitsuchend melden müssen. Die Verkürzung der Frist allein für Arbeitnehmer in befristeten Arbeitsverhältnissen auf 3 Monate entbehrt daher eines rechtfertigenden Grundes.

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Dies wird besonders deutlich, wenn als Beispiel ein befristetes Arbeitsverhältnis mit einer Dauer von 7 Monaten eingegangen wird. Der Arbeitnehmer dieses Arbeitsverhältnisses müsste sich nicht sofort, sondern erst 3 Monate vor Ablauf der Befristung arbeitsuchend melden. Dagegen muss sich ein Arbeitnehmer mit einer Kündigungsfrist von 7 Monaten - wie vorliegend der Kläger - sofort nach Erhalt der Kündigung arbeitsuchend melden.

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Für diese Differenzierung ist kein einleuchtender Grund ersichtlich, zumal die beschleunigte Wiedereingliederung bei befristet Beschäftigten nicht einfacher oder schneller erfolgen kann, als bei zuvor unbefristet Beschäftigten. Die frühzeitige Meldefrist für Arbeitnehmer mit Kündigungsfristen von über 3 Monaten widerspricht daher dem Sinn und Zweck des § 37b SGB III, weil eine effektive Vermittlungsarbeit wegen der langen Zeitspanne nicht sinnvoll und zudem die unterschiedliche Behandlung nicht gerechtfertigt ist.

37

Das bestätigt die vorliegende Fallgestaltung. Denn nach Meldung des Klägers am 21. Januar 2004 wurden Vermittlungsbemühungen nicht unternommen. Erstmals am 19. April 2004 wurde ein Schreiben "Job to Job" gefertigt. Weiterhin hat die Erörterung in der mündlichen Verhandlung ergeben, dass die Beklagte derzeit zu frühzeitiger Vermittlung nicht in der Lage ist. Mit anderen Worten: Der in § 37b SGB III geregelten Obliegenheit der frühzeitigen Meldung steht keine entsprechende Leistung der Beklagten gegenüber. Eine frühzeitige Vermittlung findet nicht statt. Auch unter diesem Gesichtspunkt erscheint die vorgenommene Differenzierung zwischen Arbeitnehmern mit befristeten bzw. unbefristeten Arbeitsverträgen nicht tragfähig.

38

Die Vorschrift des § 37b SGB III muss daher im Wege der Auslegung verfassungskonform angewandt werden, um der Wertentscheidung der Verfassung zu entsprechen. Deshalb ist § 37b SGB III durch teleologische Reduktion (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 29.07.2004 - 1 BvR 737/00 - NJW 2004, 2662 [BVerfG 29.07.2004 - 1 BvR 737/00]) dahin auszulegen, dass auch bei unbefristeten Arbeitsverhältnissen die Meldepflicht im Falle eine Kündigungsfrist von mehr als 3 Monaten "frühestens 3 Monate vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses erfolgen muss".

39

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Da der Kläger obsiegt, trägt die Beklagte seine notwendigen außergerichtlichen Kosten.

40

Die Revision ist gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen worden.