Oberlandesgericht Oldenburg
Beschl. v. 16.11.2011, Az.: 1 Ws 601/11

Anspruchsvoraussetzungen des der deutschen Sprache nicht mächtigen Angeklagten auf schriftliche Übersetzung des angefochtenen Ersturteils

Bibliographie

Gericht
OLG Oldenburg
Datum
16.11.2011
Aktenzeichen
1 Ws 601/11
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2011, 30999
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGOL:2011:1116.1WS601.11.0A

Verfahrensgang

vorgehend
LG Osnabrück - 19.10.2011 - AZ: 5 Ns 125/11

Fundstellen

  • ZAP 2012, 592
  • ZAP EN-Nr. 342/2012

Amtlicher Leitsatz

Ein Anspruch des der deutschen Sprache nicht mächtigen Angeklagten auf eine schriftliche Übersetzung des Urteils erster Instanz besteht jedenfalls dann nicht, wenn er einen Verteidiger hat und bei der unter Hinzuziehung eines Dolmetschers erfolgten Urteilsverkündung anwesend war.

Tenor:

Die Beschwerde des Angeklagten gegen den Beschluss des Landgerichts Osnabrück vom 19. Oktober 2011,

durch den der Antrag des Angeklagten auf Übersetzung des erstinstanzlichen Urteils in die polnische Sprache abgelehnt worden ist,

wird auf seine Kosten als unbegründet verworfen.

Sachverhalt

1

Der Angeklagte, der sich in dieser Sache in Untersuchungshaft befindet, ist der deutschen Sprache nicht mächtig. Er wurde durch das Amtsgericht, das für die Durchführung der Hauptverhandlung einen Dolmetscher hinzugezogen hatte, zu einer Freiheitsstrafe verurteilt, wogegen er durch seinen bereits im Vorverfahren bestellten Verteidiger Berufung eingelegt hat. Seinen Antrag, ihm eine Übersetzung des schriftlichen Urteils des Amtsgerichts in seine Muttersprache zu übersenden, hat das Landgericht abgelehnt. Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Angeklagten.)

Gründe

2

Die zulässige Beschwerde, der das Landgericht nicht abgeholfen hat, ist nicht begründet. Der angefochtene Beschluss trifft in Ergebnis und Begründung zu. Das Beschwerdevorbringen rechtfertigt keine andere Beurteilung.

3

Der Angeklagte kann die von ihm beantragte Übersetzung nicht beanspruchen. Ein solcher Anspruch ergibt sich insbesondere nicht aus Art. 6 MRK. Ausdrücklich ist dort in Art. 6 Absatz 3 Buchst. e MRK für Personen, die die Verhandlungssprache des Gerichts nicht verstehen, nur ein Recht auf Hinzuziehung eines Dolmetschers statuiert. Dem ist hier nachgekommen worden und wird auch in der Berufungsverhandlung entsprochen werden.

4

Auch aus dem Gebot eines fairen Verfahrens, wie es in Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK kodifiziert ist, ergibt sich hier kein weitergehender Anspruch des Angeklagten auf Anfertigung einer Übersetzung des erstinstanzlichen Urteils. Es ist zu Recht weithin anerkannt, dass ein verteidigter Angeklagter, der in seiner und in Anwesenheit eines ihm das Urteil bei der Verkündung übersetzenden Dolmetschers verurteilt worden ist, eine schriftliche Übersetzung des Urteils nicht beanspruchen kann, vgl. MeyerGoßner, 54. Aufl., Rdn. 27 zu Art. 6 MRK mit weit. Nachweisen. Das gilt namentlich für den hier gegebenen Fall, dass aufgrund der vom Angeklagten eingelegten Berufung eine neue Hauptverhandlung vor dem Berufungsgericht stattfinden wird, die allein Grundlage der dann ergehenden Entscheidung sein wird. Eine effektive Wahrung der Rechte des Angeklagten wird in dieser Fallkonstellation dadurch gewährleistet, dass der Verteidiger des Angeklagten das Urteil kennt, vgl. für die Revision: BVerfG, Beschl. v. 3.6.2005, 2 BvR 760/75, bei juris. Im vorliegenden Fall kommt noch hinzu, dass der Verteidiger des in erster Instanz geständigen Angeklagten in Aussicht gestellt hat, die Berufung werde auf den Strafausspruch beschränkt werden, so dass in der Berufungsinstanz nur über die Strafzumessung neu zu entscheiden ist. Dass bei dieser Sachlage der Angeklagte zur Wahrung seiner Rechte auf eine schriftliche Übersetzung des erstinstanzlichen Urteils angewiesen sein oder eine solche zur Einhaltung eines fairen Verfahrens geboten sein sollte, erschließt sich nicht, zumal der Angeklagte das Recht hat, sich vor der Berufungsverhandlung unter Hinzuziehung eines Dolmetschers mit seinem Verteidiger zu beraten.

5

Die Kostenentscheidung entspricht § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO.