Oberlandesgericht Oldenburg
Beschl. v. 15.11.2011, Az.: 1 VAs 23/11

Voraussetzungen für eine Zurückstellung der Vollstreckung von Strafen aufgrund einer Betäubungsmittelabhängigkeit nach Maßgabe des § 35 BtMG; Nachweisliches Beruhen der Straftaten auf der Betäubungsmittelabhängigkeit; Verzeichnung von Drogenrückfällen trotz Therapien bei einer langjährigen Drogenabhängigkeit

Bibliographie

Gericht
OLG Oldenburg
Datum
15.11.2011
Aktenzeichen
1 VAs 23/11
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2011, 33313
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGOL:2011:1115.1VAS23.11.0A

Verfahrensgang

vorgehend
AG Westerstede - 10.10.2011 - AZ: 41 Ls 22/02

Hinweis

Hinweis: Verbundenes Verfahren

Verbundverfahren:
OLG Oldenburg - 15.11.2011 - AZ: 1 VAs 25/11OLG Oldenburg - 15.11.2011 - AZ: 1 VAs 26/11

In den Strafvollstreckungsverfahren

...

hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Oldenburg

am 15. November 2011

durchdie unterzeichnenden Richter beschlossen:

Tenor:

Die Bescheide der Staatsanwaltschaft Oldenburg vom 19. Oktober 2011 und der Staatsanwaltschaft Aurich vom 21. Oktober 2011 sowie die Entscheidung des Amtsgerichts Westerstede vom 10. Oktober 2011 werden aufgehoben.

Der Zurückstellung der Strafvollstreckung nach § 35 BtMG wird zugestimmt.

Die Verfahren werden zur erneuten Entscheidung an die Staatsanwaltschaften Oldenburg und Aurich zurückverwiesen.

Die Kosten der Verfahren vor dem Oberlandesgericht trägt die Staatskasse, die auch dem Verurteilten in den Verfahren entstandene notwendige Auslagen zu tragen hat.

Der Geschäftswert jedes Antragsverfahrens beträgt 3.000 EUR.

Gründe

1

Der Verurteilte begehrt gemäß § 35 BtMG die Zurückstellung der Vollstreckung nachfolgend aufgeführter Strafen, die er zurzeit verbüßt.

2

Er ist wie folgt bestraft:

3

1.

durch Gesamtstrafenbeschluss des Amtsgerichts Oldenburg vom 5. April 2005 (22 Ds 75/04) wegen Diebstahls im besonders schweren Fall (Urteil des Amtsgerichts Oldenburg vom 20. September 2004) unter Einbeziehung der Einzelstrafen aus dem Strafbefehl des Amtsgerichts Westerstede vom 9. Juni 2004 und Auflösung der dort gebildeten Gesamtstrafe zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und sieben Monaten;

4

2.

durch Urteil des Amtsgerichts Westerstede vom 9. Dezember 2002 wegen gewerbsmäßigen Diebstahls in zwei Fällen, davon in einem Fall wegen besonders schweren Diebstahls, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr, deren Vollstreckung zunächst zur Bewährung ausgesetzt worden war. Die Strafaussetzung wurde in der Folgezeit widerrufen;

5

3.

durch Urteil des Amtsgerichts Leer vom 2. Februar 2011 wegen Wohnungseinbruchsdiebstahls und versuchten Diebstahls in zwei Fällen unter Einbeziehung der Einzelstrafen aus den Urteilen der Amtsgerichte Westerstede vom 4. August 2010 (42 Ls 7/10), Oldenburg vom 24. August 2010 (22 Ds 47/10) und Meppen vom 27. Oktober 2010 (7 Ls 38/10) und Auflösung der dort gebildeten Gesamtstrafe zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten.

6

Sämtliche vorgenannten Straftaten des Verurteilten beruhen auf seiner Betäubungsmittelabhängigkeit.

7

Das Amtsgericht Westerstede hat die Verweigerung der Zustimmung zu einer Zurückstellung der Strafvollstreckung damit begründet, der Verurteilte habe zahlreiche Therapiechancen ungenutzt gelassen. Die Staatsanwaltschaften Oldenburg und Aurich haben daraufhin die Zurückstellung am 19. Oktober 2011 bzw. 21. Oktober 2011 abgelehnt.

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Die gegen diese Ablehnungen gerichteten Anträge des Verurteilten auf gerichtliche Entscheidung nach § 23 EGGVG sind zulässig. Eines Vorschaltverfahrens bedurfte es jeweils nicht, da das Amtsgericht Westerstede der beantragten Zurückstellung nicht zugestimmt hat.

9

Die Anträge auf gerichtliche Entscheidung haben auch in der Sache Erfolg.

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Einerseits trifft es zwar zu, dass der Antragsteller in der Vergangenheit mehrere Zurückstellungen zwecks Therapie nicht positiv zu nutzen wusste. Zwei Therapien wurden jeweils in den ersten Tagen wieder abgebrochen. Eine dritte Therapie wurde zwar regulär beendet; der Verurteilte wurde aber wieder drogenrück- und straffällig. Eine vierte Therapie scheiterte, weil der Verurteilte die Therapieeinrichtung nach nur wenigen Tagen verlassen musste.

11

Andererseits ist der Antragsteller seit mehr als zehn Jahren hartdrogenabhängig. Erfahrungsgemäß sind bei einer derart langen Drogenabhängigkeit trotz Therapien öfter Drogenrückfälle zu verzeichnen, so dass es gelegentlich mehrerer Therapien bedarf, um sich aus der Drogenabhängigkeit zu lösen. Das Amtsgericht Leer hat deshalb in seinem Urteil vom 2. Februar 2011 einer Zurückstellung der Strafvollstreckung zwecks Therapie ausdrücklich zugestimmt. Der Antragsteller nahm dem Bericht der Suchtberatung der Justizvollzugsanstalt Meppen vom 12. Mai 2011 zufolge im September 2010 Kontakt zum Suchtberatungsdienst der Justizvollzugsanstalt Meppen auf, um seine Therapiebemühungen fortzusetzen, die er bereits während der Unterbringung in der Justizvollzugsanstalt Lingen begonnen hatte. Er nimmt seither regelmäßig an Einzelgesprächen zur Festigung seiner Krankheitseinsicht teil und die im Rahmen des Strafvollzuges gegebene Möglichkeit einer Teilnahme an Gruppengesprächen einer Selbsthilfe-Abstinenz-Motivationsgruppe wahr. Er zeigt ein hohes Maß an Motivation, seine Mitarbeit ist verbindlich und zuverlässig. In Gesprächen zeigt er sich offen und bereit, aktiv mitzuarbeiten. Neben der erfolgreichen Teilnahme an der Gruppe "Fit für Therapie", die vom 26. Januar bis 13. April 2011 stattfand, befindet sich der Verurteilte im Urinkontrollprogramm. Für seine jetzige Therapiemotivation spricht zudem, dass er gegen die zunächst erfolgte Verweigerung einer Kostenzusage erfolgreich Widerspruch eingelegt und nun eine Kostenzusage erhalten hat.

12

Mit Rücksicht auf diese Umstände bietet die jetzt geplante Drogentherapie eine schon ausreichende Erfolgsaussicht. Der Senat stimmt deshalb der Zurückstellung zu. Dabei war letztlich ausschlaggebend, dass der Verurteilte dringend therapiebedürftig ist, die Kostenzusage erteilt ist und der Allgemeinheit mit der unter dem zusätzlichen Motivationsdruck einer drohenden weiteren Strafvollstreckung stehenden Therapiedurchführung leztlich mehr gedient sein dürfte, als mit einer Entlassung des nicht therapierten - und dadurch in höchstem Maße rückfallgefährdeten - Verurteilten in die Freiheit nach völliger Strafverbüßung.

13

Die Sache ist zur erneuten Bescheidung in den Verfahren 1 VAs 23 und 25/11 an die Staatsanwaltschaft Oldenburg und im Verfahren 1 VAs 26/11 an die Staatsanwaltschaft Aurich zurückzugeben.

14

Die Nebenentscheidungen folgen aus § 30 EGGVG und § 30 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 Satz 1, 130 KostO.

Suermann
Leemhuis
Hilke-Eggerking