Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 30.05.2011, Az.: 2 Ws 423/10
Rechtsprechung des BVerfG zur Verfassungswidrigkeit der rückwirkenden Verlängerung der Sicherungsverwahrung ist auch auf "Uralt-Fälle" übertragbar; Übertragbarkeit der Rechtsprechung des BVerfG zur Verfassungswidrigkeit der rückwirkenden Verlängerung der Sicherungsverwahrung auf "Uralt-Fälle"; Zulässigkeit von Weisungen im Rahmen der Führungsaufsicht
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 30.05.2011
- Aktenzeichen
- 2 Ws 423/10
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2011, 17738
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGCE:2011:0530.2WS423.10.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Lüneburg - 29.10.2010 - AZ: 17 b StVK 48/10
Rechtsgrundlagen
- StGB § 67d
- StGB § 68
- GG Art. 20
- GG Art. 103
- § 67d StGB
- § 68 StGB
- Art. 20 GG
- Art. 103 GG
Fundstelle
- RPsych (R&P) 2011, 245
Amtlicher Leitsatz
1. Die Rechtsprechung des BVerfG zur Verfassungswidrigkeit der rückwirkenden Verlängerung der Sicherungsverwahrung (Urteil vom 04.05.2011, 2 BvR 2365/09 u.a.) ist auch auf 'Uralt-Fälle' übertragbar, in denen die Sicherungsverwahrung vor Inkrafttreten des 2. StrRG vom 04.07.1969 am 01.10.1973 verhängt wurde, also zu einer Zeit, als die Sicherungsverwahrung noch unbefristet galt.
2. Weisungen im Rahmen der Führungsaufsicht gemäß § 68 Abs. 1 Nr. 1 StGB zum Aufenthalt in einer offenen betreuten Einrichtung sind zulässig.
Tenor:
1. Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben. Die mit Urteil des Landgerichts Hannover vom 01.03.1965 angeordnete Unterbringung in der Sicherungsverwahrung wird mit Wirkung zum 01.11.2011 für erledigt erklärt. Der Verurteilte ist am 01.11.2011 zu entlassen.
2. Mit der Entlassung tritt Führungsaufsicht ein.
3. Die Dauer der Führungsaufsicht wird auf 5 Jahre festgesetzt.
4. Für die Dauer der Führungsaufsicht wird der Verurteilte der Aufsicht und Leitung des für seinen Wohnort zuständigen Bewährungshelfers unterstellt.
5. Der Verurteilte wird angewiesen, während der Dauer der Führungsaufsicht jeden Wechsel seines Wohnortes oder ständigen Aufenthaltsortes der Strafvollstreckungskammer und der Führungsaufsichtsstelle unter Angabe des Aktenzeichens sofort unaufgefordert mitzuteilen.
6. Der Verurteilte wird ferner angewiesen,
a) sich bei dem zuständigen Bewährungshelfer unmittelbar nach der Entlassung und für die ersten 6 Monate nach der Entlassung zunächst wöchentlich, sodann zweiwöchentlich zu melden,
b) sich bei der für seinen Wohnsitz zuständigen Polizeidienststelle zunächst wöchentlich zu melden,
c) seinen Wohnort nicht ohne Erlaubnis der Aufsichtsstelle zu verlassen und im Falle der Erlaubnis vor mehrtägigen Reisen oder Übernachtungen außerhalb des Wohnortes bei der Aufsichtsstelle die Ziel bzw. Übernachtungsadresse anzugeben,
d) keinen Kontakt zur Geschädigten M. G. oder zu Personen aus ihrem persönlichen Umfeld (z.B. Nachbarn, Arbeitskollegen) zu suchen.
7. Eine Ergänzung der Weisungen durch die zuständige Strafvollstreckungskammer bleibt vorbehalten.
8. Die Belehrung über die Bedeutung der Führungsaufsicht wird dem Leiter der JVA C. übertragen.
9. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die notwendigen Auslagen des Verurteilten im Beschwerdeverfahren werden der Landeskasse auferlegt.
Gründe
I. Gegen den Untergebrachten wird aufgrund des Urteils des Landgerichts Hannover vom 1. März 1965 wegen Notzucht, Nötigung zur Unzucht in drei Fällen, davon in zwei Fällen in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung, wegen versuchter Nötigung zur Unzucht in einem weiteren Fall und wegen versuchter Nötigung sowie wegen schweren Diebstahls in sieben Fällen die zugleich neben der Freiheitsstrafe von zehn Jahren angeordnete Sicherungsverwahrung vollzogen. Der Untergebrachte wurde gemäß § 20a StGB in Verbindung mit § 42e StGB i.d.F.v. 25.08.1953 als gefährlicher Gewohnheitsverbrecher in Sicherungsverwahrung genommen. Der Untergebrachte hatte die Freiheitsstrafe am 27. März 1976 voll verbüßt, im Anschluss daran wurde die Sicherungsverwahrung vollstreckt. Er ist sowohl im Mai 1982 als auch im Mai 1992 jeweils bedingt aus der Sicherungsverwahrung entlassen worden. Er ist nach beiden Entlassungen wegen weiterer Straftaten zu weiteren, mehrjährigen Freiheitsstrafen verurteilt worden, sodass die bedingte Aussetzung der Sicherungsverwahrung im Anschluss jeweils widerrufen wurde. Zehn Jahre der Maßregel hatte der Untergebrachte am 8. Februar 2001 verbüßt. Die Strafvollstreckungskammer hat es daraufhin mehrfach, zuletzt durch den angefochtenen Beschluss vom 29. Oktober 2010, abgelehnt, die Sicherungsverwahrung zur Bewährung auszusetzen oder für erledigt zu erklären.
Im Einzelnen lagen den Verurteilungen u. a. folgende Straftaten zugrunde:
Am 14. Januar 1964 stieg der Verurteilte in die Räume einer Gaststätte ein, schob die Geschädigte, eine 21jährige Angestellte, vor sich her, drückte ihr einen pistolenähnlichen Gegenstand in den Rücken, berührte die Zeugin an den Brüsten und das vom Schlüpfer bedeckte Geschlechtsteil und schlug ihr schließlich mehrfach mit der Faust in das Gesicht, um ihren Widerstand zu brechen. Nachdem die Zeugin um Hilfe gerufen hatte und Geräusche aus den anderen Räumen der Gaststätte hörbar geworden waren, ließ der Untergebrachte von der Zeugin ab.
Noch am selben Tag drang er in eine Wohnung ein und führte, nachdem er der im neunten Monat schwangeren 20jährigen Geschädigten Gewalt angedroht hatte, sein Glied in deren Scheide ein.
Am 30. Januar 1964 folgte er der 24jährigen Geschädigten, die er zuvor beobachtet hatte, wie sie mit ihrem Verlobten in einem Pkw geschlechtlich verkehrte, bedrängte sie und forderte sie auf, sich auf seinen Schoß zu setzen. Er wolle mit ihr nicht den Geschlechtsverkehr ausführen, sondern sie nur am Geschlechtsteil berühren. Die Zeugin konnte dem Angeklagten weglaufen und an der Wohnungstür ihres Verlobten klingeln, wo sie sogleich Einlass fand.
Am 12. März 1964 drang der Untergebrachte über ein Baugerüst in die Wohnung der 30jährigen Geschädigten ein. Er hatte sich maskiert, hielt ihr einen Schlüsselbund entgegen, um eine Pistole vorzutäuschen, drängte sie ins Schlafzimmer, stieß sie aufs Bett und griff ihr unter den Rock. Er sagte zu der Geschädigten:
"Mach die Beine auseinander oder du kriegst ein paar gescheuert", ließ jedoch von seinem Opfer ab, nachdem die Wohnungstür zugeschlagen war.
Am 22. April 1964 schlug er in einer Schrebergartenkolonie der 30jährigen Geschädigten, die er zuvor mir vorgehaltener Pistole aufgefordert hatte, mit ihm zu einer Bank zu gehen, mehrfach mit der Faust ins Gesicht und griff an ihr Geschlechtsteil. Nachdem er zunächst ohne ersichtlichen Grund von ihr abgelassen hatte, kehrte er zurück, stieß sie zu Boden, griff erneut an ihr Geschlechtsteil und rieb selbst an seinem erregten Glied bis zum Samenerguss.
Am Abend des 2. Mai 1964 drang er durch ein Fenster in das Zimmer eines Hotels ein, hielt eine nicht geladene Gaspistole in der Hand und richtete diese auf die 23jährige Geschädigte. Der Untergebrachte setzte sich neben die Geschädigte auf das Bett, drückte ihre Beine auseinander, fasste mit einer Hand an ihr Geschlechtsteil und rieb mit der anderen Hand an seinem entblößten Glied bis zum Samenerguss.
Für diese Taten erhielt der Untergebrachte Einzelfreiheitsstrafen von zweimal einem Jahr, zwei Jahren, drei Jahren, vier Jahren und fünf Jahren. Während einer mehrmonatigen Entweichung des Untergebrachten aus dem Strafvollzug im Jahr 1970 beging er weitere Straftaten (überwiegend Diebstahlsdelikte), für die er zu einer weiteren Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt wurde. Aufgrund eines Beschlusses des OLG Celle vom 30. September 1976 (2 Ws 28/76) sollte der Untergebrachte am 30. November 1976 bedingt aus der Sicherungsverwahrung entlassen werden. Bereits mit Beschluss der Strafvollstreckungskammer vom 25. November 1976 erfolgte der Widerruf. Dem lag folgender Sachverhalt zugrunde:
Der Untergebrachte, der Freigänger war, beobachtete am 9. November 1976 auf der Damentoilette eines Kaufhauses die Geschädigte, die ihn jedoch bemerkte. Während seiner Festnahme und auch am nächsten Tag kam es zu weiteren Straftaten. Der Untergebrachte wurde deshalb am 10. Juli 1977 wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung in zwei Fällen sowie wegen gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Sachbeschädigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Monaten verurteilt.
Am 1. Juni 1982 wurde der Untergebrachte schließlich bedingt aus der Sicherungsverwahrung entlassen, jedoch bereits am 1. September 1982 wieder festgenommen. Am 26. Januar 1983 wurde er durch das Landgericht Hannover (46 a 118/82) wegen sexueller Nötigung und wegen versuchten Diebstahls mit Waffen in Tateinheit mit Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte und Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt. Der sexuellen Nötigung lag folgender Sachverhalt zugrunde:
Der Untergebrachte hatte am 9. Juli 1982 der Geschädigten auf deren Gartengrundstück die Brille vom Gesicht geschlagen, sie zu Boden geworfen, sich auf sie gelegt, das TShirt und den BH hochgeschoben, die Brüste betastet, die Shorts der Geschädigten runtergezogen und sein halb erigiertes Geschlechtsteil hervorgeholt, schließlich jedoch von der Geschädigten abgelassen. Die Kammer hat einen strafbefreienden Rücktritt von der versuchten Vergewaltigung angenommen und ihn wegen dieser Tat zu einer Einzelstrafe von vier Jahren verurteilt.
Die bedingte Aussetzung der Sicherungsverwahrung wurde durch Beschluss vom 14. November 1983 widerrufen. Zum 15. Mai 1992 wurde der Untergebrachte erneut bedingt aus der Sicherungsverwahrung entlassen.
In der Folgezeit beging er weitere Straftaten, und zwar wurde er zunächst durch das Jugendschöffengericht am 14. März 1995 wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes in zwei Fällen und Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und acht Monaten unter Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt. Der Untergebrachte war am 14. Februar 1994 auf zwei Mädchen (geboren am 14. Dezember 1983 bzw. 29. September 1983) zugegangen, hatte dem einen Mädchen an den Intimbereich gefasst und das andere Mädchen gegen seinen Willen auf den Mund geküsst. Am 15. Februar 1994 küsste er ein am 17. September 1983 geborenes Mädchen zweimal gegen dessen Willen auf den Mund und fasste mit der Hand an dessen Scheidenbereich. Am 1. August 1994, als Polizeibeamte den Untergebrachten zu einer Wahlgegenüberstellung ergreifen wollten, ergriff er die Flucht und hielt in deren Verlauf eine Gaspistole in Richtung eines Polizeibeamten.
Am 21. Juli 1995 wurde der Untergebrachte vom Landgericht Hildesheim wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit Hausfriedensbruch unter Einbeziehung der durch das vorgenannte Urteil verhängten Strafen unter Auflösung der dort gebildeten Gesamtstrafe zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Der Untergebrachte hatte am 4. November 1994 die 40jährige Geschädigte M. G., die ihm zuvor auf eine Kontaktanzeige geantwortet hatte, zunächst verfolgt, um herauszubekommen, wo sie wohnt, und sie dann in ihrem Wohnwagen aufgesucht. Er verschaffte sich Einlass, stieß sie auf das Bett, führte über einen Zeitraum von ca. einer Stunde mehrfach sein Glied in ihre Scheide ein, ohne zum Samenerguss zu kommen, und steckte auch seinen Finger in ihren After. Aufgrund ihrer klaren Worte und ihres Verhaltens war dem Untergebrachten bewusst, dass sie nicht bereit war, mit ihm geschlechtlich zu verkehren. Zu der Tat kam es, als die Beziehung des Angeklagten zu seiner Lebensgefährtin in einer Krise steckte.
Diese Strafe wurde vom 2. Mai 1996 bis zum 22. April 2000 vollstreckt. Seitdem wird die 1965 verhängte Sicherungsverwahrung, deren Aussetzung wegen der Nachverurteilung widerrufen wurde, weiter vollstreckt.
Seit 1998 sind mehrere Gutachten zur Person des Untergebrachten eingeholt worden, insbesondere zu Fragen der Lockerungseignung und Behandlungsmöglichkeiten, so im Jahr 1998 durch den Sachverständigen L., in den Jahren 2001 und 2005 durch den Sachverständigen Dr. Rü., im Jahr 2005 durch den Sachverständigen Dr. R. und im Jahr 2007 erneut durch den Sachverständige Dr. Rü. Im Gutachten vom 13. Oktober 2005 kommt der Sachverständige Dr. R. zu der Diagnose des Vorliegens einer dissozialen Persönlichkeitsstörung und stellt fest, dass bei dem Untergebrachten ein echtes, in die Persönlichkeit eingebundenes Unrechtsbewusstsein nicht bestehe. Er leugne massiv das Ausmaß seiner Tatbeteiligung. Ferner könne nicht festgestellt werden, dass bei dem Untergebrachten eine Therapiemotivation in hinreichendem Ausmaß vorhanden sei. Bei dem Untergebrachten habe im Hinblick auf seine Persönlichkeitsentwicklung keine Nachreifung stattgefunden, obwohl psychotherapeutische Behandlungen durchgeführt worden seien. Trotz seines Alters und leichterer bis mittelgradiger körperlicher Beeinträchtigungen berge der Untergebrachte eine nicht unerhebliche kriminelle Potenz und gehe von ihm ein mittelschweres Risiko für das Wiederauftreten einschlägiger Straftaten aus. Die Neigung des Untergebrachten zu sexuellen Übergriffen/Straftaten, insbesondere auch Kindern gegenüber, bestünde weiterhin fort, da diesbezüglich keinerlei Hinweise auf eine selbstkritische Reflexion festzustellen seien. Lockerungen im bisherigen Umfang (Ausführungen) seien weiterhin durchführbar, darüber hinausgehende Entlassungsvorbereitungen jedoch nicht möglich.
Demgegenüber hielt der Sachverständige Dr. Rü. in seinem Gutachten vom 20. April 2007 auf der Grundlage der gleichen Diagnose (dissoziale Persönlichkeitsstörung) unbegleitete Ausgänge im näheren Umfeld der JVA, anschließend zu seiner Ehefrau, die der Untergebrachte am 19.12.1995 geheiratet hatte, und in der Folgezeit auch Beurlaubungen für vertretbar. Ohne eine erfolgreiche Umsetzung dieser Maßnahmen bestehe allerdings weiterhin eine keineswegs unerhebliche Gefahr, dass der Untergebrachte infolge seines Hanges erneut schwere Straftaten begehen werde, durch die seine Opfer seelisch und/oder körperlich schwer geschädigt würden. Eine vom Untergebrachten akzeptierte antiandrogene Medikation sollte ihm für die Dauer der Führungsaufsicht auferlegt werden. Der Untergebrachte erhielt sodann seit dem 27. Dezember 2007 Injektionen mit Androcur, die begleitende Einzeltherapie wurde jedoch am 11. August 2008 abgebrochen, da der Untergebrachte den Therapeuten massiv beschimpft hatte. Die Behandlung mit Androcur wurde schließlich beendet, weitergehende Lockerungen sind dann nicht erfolgt.
Die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Lüneburg mit Sitz in Celle hat zuletzt durch Beschluss vom 29.10.2010 den Antrag des Untergebrachten auf Erledigterklärung der Sicherungsverwahrung abgelehnt und beschlossen, dass die Sicherungsverwahrung weiter zu vollziehen ist. Hiergegen wendet der Untergebrachte sich mit seiner sofortigen Beschwerde, in der er sich insbesondere auf die Entscheidung des EGMR vom 17.12.2009 (EuGRZ 2010, 25) beruft.
Der Senat hat auf der Grundlage der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 09.11.2010 (5 StR 394/10 u.a.) ein Sachverständigengutachten eingeholt zu der Frage, ob die in dieser Entscheidung genannten Kriterien erfüllt sind, ob sich also aus konkreten Umständen in der Person oder dem Verhalten des Untergebrachten eine hochgradige Gefahr schwerster Gewalt oder Sexualverbrechen ableiten lässt, wenn er aus der Sicherungsverwahrung entlassen würde, und ob sich im Rahmen des Vollzugs der Sicherungsverwahrung positive Anhaltspunkte ergeben haben, die eine Reduzierung der im Vorleben des Untergebrachten dokumentierten Gefährlichkeit nahelegen. Eine Exploration ist von dem Untergebrachten verweigert worden.
Der Sachverständige hat in seinem deshalb nach Aktenlage erstatteten schriftlichen Gutachten vom 06.04.2011 im Ergebnis ausgeführt, dass man bei dem Untergebrachten aufgrund seiner gesamten Vorgeschichte mit mittlerer oder etwas darüber liegender Wahrscheinlichkeit mit Straftaten im Eigentumsbereich rechnen müsse. Auch mit Sexualstraftaten werde man weiterhin rechnen müssen. Dabei werde man auch mit fremden Kindern als Opfern rechnen müssen, wobei das Risiko, dass der Verurteilte schwerste Gewalt anwenden werde, eher niedrig sei. Die Wahrscheinlichkeit, dass es überhaupt zu einem Übergriff Kindern gegenüber mit einem geringen Gewalteinsatz komme, werde man deutlich höher einschätzen müssen. Im Verlauf der jahrzehntelangen Unterbringung des Verurteilten sei eine positive Entwicklung nicht festzustellen, es sei im Gegenteil zu einer deutlichen Hospitalisierung gekommen und zu einer Ausweitung seiner querulatorischen Tendenz, was für eine insgesamt eher schlechte Prognose spreche.
Der Untergebrachte ist seit dem 25.03.2011 wieder geschieden.
In der mündlichen Anhörung vor dem Senat am 25.05.2011 hat der Sachverständige sein Gutachten ergänzt: Die Diagnose einer dissozialen Persönlichkeitsstörung sei klar, auch ohne Exploration. Das Risiko erneuter Sexualstraftaten, und zwar auch schwerster Sexualstraftaten - gemessen an der Dauer der Tat und einem damit verbundenen Eindringen in einen geschützten Raum - liege im mittleren Bereich. Es liege nicht höher, weil eine sexuelle Deviation beim Untergebrachten gerade nicht habe festgestellt werden können. Wenig wahrscheinlich sei, dass er sich an Kindern vergreife, da ihm dafür die erforderliche Empathie fehle. Auch das Risiko schwerster Gewaltdelikte liege nur im mittleren Bereich, da es in den letzten Jahren seiner Inhaftierung zu einer deutlichen Beruhigung im Hinblick auf Gewaltanwendung gekommen sei. Das Risiko zur Begehung von Eigentumsdelikten werde von ihm höher eingeschätzt. Die von ihm angegebenen Risikowerte könne man nicht in Prozentzahlen wiedergeben, es sei aber wohl richtig, ein Risiko im mittleren Bereich bei ca. 50 % einzuordnen.
Soweit er in seinem schriftlichen Gutachten formulierte habe, das Risiko liege im mittleren Bereich, ?eventuell sogar etwas darüber liegend?, habe er sich darauf bezogen, dass die Risikoprognose davon abhänge, wie die weitere Entwicklung verlaufe. Es sei davon auszugehen, dass der Untergebrachte keine Arbeit finden werde, was für ihn - so auch Abteilungsleiter K. von der JVA - ein großes Problem darstellen werde. Wenn es zusätzlich zu Problemen mit seiner - ehemaligen - Ehefrau komme, was wegen seines dominanten Verhaltens möglich sei, dann steige auch die Wahrscheinlichkeit zur Begehung weiterer Straftaten, weil Herr P. versuchen werde, eine neue Frau kennenzulernen. Eine höchstgradige Gefahr zur Begehung schwerster Gewalt oder Sexualstraftaten bestehe nicht. Im Rahmen einer normalen Prognoseentscheidung nach alten Maßstäben würde er eine Entlassung des Untergebrachten nicht empfehlen, eine Entlassung in ein Heim mit viel Struktur, auch für Suchtkranke, wäre aus seiner Sicht vertretbar.
Der Sachverständige wurde ferner nach konkreten Umständen gefragt, aus denen sich die Gefährlichkeit des Untergebrachten ergebe, also Umständen, die sich nicht auf seine Dissozialität, seine bisherigen Straftaten und seine fehlende Therapierung beziehen. Als solche konkreten Umstände vermochte der Sachverständige allein die konflikthafte Beziehung des Untergebrachten zu seiner - ehemaligen - Ehefrau zu benennen, die beispielsweise im Jahr 2010 und im Februar 2011 zu Konflikten und Kontaktabbrüchen geführt habe.
Dazu hat der für den Untergebrachten in der JVA zuständige Abteilungsleiter K. in der Anhörung ausgeführt, dass es in den letzten Jahren - er kenne den Untergebrachten seit 2004 intensiver - immer wieder Konflikte mit der Ehefrau gegeben habe, die weniger auf die Inhaftierungssituation, sondern eher auf die Persönlichkeitsstruktur der Eheleute zurückzuführen gewesen seien. In Krisensituationen habe der Untergebrachte seiner Ehefrau den Kontozugriff entzogen. An den zahlreichen Ausführungen des Untergebrachten habe seine Frau früher teilgenommen, später nicht mehr. Er habe während der Ausführungen auch versucht, mit fremden Frauen zu flirten, sich nach ihnen umgedreht, einmal auch eine Verkäuferin bei einem Optiker mehrfach unnötig berührt. In Freiheit werde der Untergebrachte sich Arbeit suchen, er sei sehr umtriebig.
Auch die - ehemalige - Ehefrau des Untergebrachten hat in der Anhörung bestätigt, dass es in ihrer Beziehung immer wieder Krisen gegeben habe, danach habe man sich wieder vertragen. Geschieden seien sie seit 25.03.2011, die Scheidung sei von ihnen beiden ausgegangen. Sie stehe jedoch zu ihm, sie hätten freundschaftlichen Kontakt und sie würde ihn in ihre Wohnung, die 55 m2 groß sei, aufnehmen. Das stelle sie sich am Anfang vielleicht schwierig vor, da müssten sie jedoch durch. Im letzten Jahr habe es ?viel hin und her? gegeben, das sei jetzt anders. Ihr Mann sei ihr gegenüber stets hilfsbereit und zuverlässig, nie auffällig gewesen. Als Grund für die Scheidung hat sie angegeben, dass im Hinblick auf die Inhaftierung ?nichts passiert sei?. Frau P. hat angegeben, den Untergebrachten kurz vor Weihnachten 1992 kennengelernt zu haben, kurz vor der Hochzeit im Dezember 1995 sei er dann zu ihr gezogen. Bei der Verhandlung vor dem Landgericht Hildesheim im Juli 1995 sei sie anwesend gewesen und daher auch über die Straftaten informiert. Ihr Mann habe sie jedoch anders geschildert, was sie geglaubt habe, da sie ihn ?so nicht kannte?.
Der Untergebrachte selbst hat angegeben, seine Frau Anfang 1995 kennengelernt zu haben. Zu der Scheidung sei es nicht aus Streit, sondern aus finanziellen Gründen gekommen, außerdem wolle seine Ehefrau später - er sei ja 20 Jahre älter - wieder heiraten. Die Beziehung zu seiner Ehefrau bestehe weiterhin, deswegen wolle er auch zu seiner Frau ziehen. Wenn dies nicht gehe, wolle er sich eine eigene Wohnung nehmen, nur wenn keine andere Möglichkeit bestünde, wäre er auch zu einem betreuten Wohnen bereit.
Befragt zu seinen Straftaten äußerte der Untergebrachte, dass er ihre Begehung heute nicht mehr nachvollziehen könne. Er habe sich damals keine Gedanken gemacht, habe keine Rücksicht nehmen müssen, es gebe keine Entschuldigung dafür. Bei der Tat zum Nachteil der schwangeren Frau habe er sein Hörgerät nicht aufgehabt, sie also nicht verstanden. Den Kindern habe er lediglich ihr Faschingskostüm repariert und sie hätten ihm zur Belohnung ein Küsschen gegeben, heute wisse er, dass das nicht richtig sei. Frau G. sei mit dem Beischlaf einverstanden gewesen.
Die Sozialarbeiterin H. hat in der Anhörung angegeben, sich um eine Einrichtung für den Verurteilten bemüht zu haben. Sie habe etwa 10 Ablehnungen erhalten. Eine Einrichtung im Raum E., die auf Suchtkranke ausgerichtet sei, habe ihr einen Besprechungstermin angeboten. Falls diese Einrichtung bereit sei, den Untergebrachten aufzunehmen, werde es etwa zweieinhalb Monate dauern, dies organisatorisch umzusetzen, da auch noch ein Kostenträger gefunden werden müsse.
II. Die sofortige Beschwerde erweist sich als begründet. Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 04.05.2011 (2 BvR 2365/09 u.a.) ist im Anschluss an die Rechtsprechung des EGMR § 67d Abs. 3 Satz 1 StGB, soweit er zur Anordnung der Fortdauer der Sicherungsverwahrung über zehn Jahre hinaus auch bei Verurteilten ermächtigt, deren Anlasstaten vor Inkrafttreten von Artikel 1 des Gesetzes zur Bekämpfung von Sexualdelikten und anderen gefährlichen Straftaten vom 26.01.1998 begangen wurden, mit Artikel 2 Abs. 2 Satz 2 GG in Verbindung mit Art. 104 Abs. 1 sowie in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 des GG unvereinbar. Er bleibt jedoch anwendbar bis zum 31.05.2013 mit der Maßgabe, dass die Fortdauer der Unterbringung nur noch angeordnet werden darf, wenn eine hochgradige Gefahr schwerster Gewalt oder Sexualstraftaten aus konkreten Umständen in der Person oder dem Verhalten des Untergebrachten abzuleiten ist und dieser an einer psychischen Störung im Sinne von § 1 Abs. 1 Nr. 1 ThUG leidet. Liegen diese Voraussetzungen nicht vor, haben die Vollstreckungsgerichte die Freilassung der betroffenen Sicherungsverwahrten spätestens mit Wirkung zum 31.12.2011 anzuordnen.
1. Diese Grundsätze gelten auch für den Fall des Untergebrachten P.
Zwar ist in seinem Fall zu berücksichtigen, dass er am 01.03.1965 nach §§ 20a, 42 e StGB i.d.F. v. 25.08.1953 (BGBl. I, S. 1083) zu der Maßregel der Sicherungsverwahrung verurteilt wurde und die Befristung der erstmaligen Unterbringung in der Sicherungsverwahrung in § 67d StGB a.F. auf eine Höchstdauer von 10 Jahren erst durch das 2. StrRG vom 04.07.1969 (BGBl. I, S. 717) eingeführt worden ist. Die Grundsätze der aktuellen Rechtsprechung des EGMR sind auf den Fall des Untergebrachten deshalb jedenfalls nicht direkt anwendbar, denn der vom EGMR in den dort entschiedenen ?Altfällen? vermisste Kausalzusammenhang zwischen Urteilsspruch und einer über 10 Jahre hinausgehenden Sicherungsverwahrung ist im Fall des Untergebrachten P., also bei Verhängung einer Sicherungsverwahrung vor Inkrafttreten des 2. StrRG, unzweifelhaft gegeben. In diesen ?UraltFällen? ist das Gericht gerade davon ausgegangen, dass die Sicherungsverwahrung unbefristet ist. Dies spricht auch gegen einen Verstoß gegen Art. 7 Abs. 1 Satz 2 EMRK, denn zur Zeit der Begehung der Tat war die Sicherungsverwahrung - auch wenn sie als ?Strafe? anzusehen ist - unbefristet.
Auch enthält die EMRK kein über das absolute Rückwirkungsverbot hinausgehendes Gebot zur Anwendung eines jeden, bis zur Entscheidung über die Erledigung der Strafe oder Sicherungsverwahrung ergehenden milderen Zwischengesetzes. Ein solches Gebot ergibt sich weder aus dem Wortlaut der EMRK noch aus der Systematik oder aus Sinn und Zweck dieser Vorschrift. Insbesondere ist eine Regelung, wie sie etwa in § 2 Abs. 3 StGB oder § 4 Abs. 3 OWiG enthalten ist, in Art. 7 EMRK - und auch in Art. 103 Abs. 2 GG - nicht enthalten. Das absolute Rückwirkungsverbot muss als unabdingbares Menschenrecht gewährleisten, dass sich der Bürger bei der Entscheidung über ein bestimmtes Verhalten an der Rechtordnung orientieren und auf die gesetzgeberische Entscheidung verlassen kann (LKDannecker, StGB, 12. Aufl., § 2 RN 61). Das absolute Rückwirkungsverbot schützt den Bürger davor, dass der Staat die Bewertung des Unrechtsgehalts einer Tat nachträglich zum Nachteil des Täters verändert, etwa dadurch, dass eine bestehende Strafdrohung verschärft wird (BVerfGE 109, 133 [BVerfG 05.02.2004 - 2 BvR 2029/01] RN 139). Gegen dieses Verbot wird dann nicht verstoßen, wenn der Bürger nach der Gesetzeslage bestraft wird, die zum Zeitpunkt der Tat galt. Dementsprechend hat auch das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass das absolute Rückwirkungsverbot des Grundgesetzes in Art. 103 Abs. 2 GG nicht zwingend gebietet, mildere Zwischengesetze anzuwenden, sondern dies eine Frage der Auslegung des einfachen Rechts ist (BVerfGE 81, 132 ff [BVerfG 29.11.1989 - 2 BvR 1491/87]). Die aktuelle Rechtsprechung des EGMR dürfte daher auf den Untergebrachten P. nicht anwendbar sein.
Daher ist es auch nicht selbstverständlich, die aktuelle Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts auch auf die ?UraltFälle? anzuwenden, obwohl deren Wortlaut dies zunächst nahelegt (? § 67d Abs. 3 Satz 1... - soweit er ....bei Verurteilten ermächtigt, deren Anlasstaten vor Inkrattreten von Artikel 1 des Gesetzes....vom 26.01.1998 begangen wurden ...sind mit...unvereinbar?). Das Bundesverfassungsgericht dürfte aber wohl nicht die ?UraltFälle? gemeint haben, in denen zum Zeitpunkt der Tat gerade keine Höchstfrist galt.
Das Bundesverfassungsgericht hat den Grundgesetzverstoß in seiner aktuellen Entscheidung zur Sicherungsverwahrung jedoch auch auf Art. 20 Abs. 3 GG gestützt und festgestellt, dass der mit der rückwirkend geltenden Vorschrift verbundene Eingriff in das Vertrauen des betroffenen Personenkreises auf ein Ende der Sicherungsverwahrung nach Ablauf von 10 Jahren angesichts des damit verbundenen Eingriffs in das Freiheitsrecht dieses Personenkreises verfassungsrechtlich nur nach Maßgabe strikter Verhältnismäßigkeitsprüfung und zum Schutz höchster Verfassungsgüter zulässig sei (RN 131, 132). Da das Abstandsgebot nicht gewahrt sei, nähere sich das Gewicht des Vertrauens der Betroffenen einem absoluten Vertrauensschutz (RN 139). Im Ergebnis trete der legitime gesetzgeberische Zweck, die Allgemeinheit vor gefährlichen Straftätern zu schützen, weitgehend hinter das grundrechtlich geschützte Vertrauen in ein Ende der Sicherungsverwahrung nach Ablauf von 10 Jahren zurück (RN 156).
Auch der Untergebrachte P. kann sich auf den Vertrauensschutzgrundsatz berufen. Nach Inkrafttreten des 2. StrRG v. 04.07.1969 am 01.10.1973 galt für ihn gemäß § 2 Abs. 6 Satz 2 StGB i.d.F. des 2. StrRG die 10jährige Befristung der erstmaligen Unterbringung in der Sicherungsverwahrung. Zu dem Zeitpunkt, als die Sicherungsverwahrung gegen ihn erstmals vollstreckt wurde (28.03.1976), galt also bereits die Befristung. Zum Zeitpunkt der Gesetzesänderung 1998 wurde gegen den Verurteilten gerade eine weitere Freiheitsstrafe vollstreckt, 10 Jahre der Maßregel waren am 08.02.2001 verbüßt. Von 1973 bis 1998 durfte der Verurteilte mithin davon ausgehen, dass die gegen ihn ausgesprochene Sicherungsverwahrung nach 10 Jahren beendet ist. Diese enorm lange Zeitspanne von 25 Jahren Maßregelvollzug, Strafvollzug und Bewährungszeit rechtfertigt es, die Vertrauensschutzgesichtpunkte, die das Bundesverfassungsgericht für Anlasstaten aus der Zeit vor 1998 herangezogen hat, auch auf die ?UraltFälle? zu übertragen.
Die 10Jahresfrist begründete während des Vollzuges und auch während der Bewährungszeit für den Fall eines Widerrufs die Erwartung, nach Ablauf von 10 Jahren entlassen zu werden. Die Einführung dieser Höchstfrist hatte den Zweck, die ?Sanktion so bestimmt wie möglich zu gestalten und für den Verurteilten das Ende erkennbar zu machen?, so das BVerfG in der Entscheidung von 2004 (BVerfGE 109, 133 [BVerfG 05.02.2004 - 2 BvR 2029/01]). Das BVerfG stellt also im Hinblick auf die Schutzwürdigkeit des Vertrauens gerade nicht ausschließlich auf den Zeitpunkt der Anordnung der Maßregel ab, sondern gerade auch auf den Zeitpunkt des Vollzuges der Maßregel. Dies triff in besonderem Maße auf den Fall des Untergebrachten P. zu, denn für diesen dauerte dieser Zeitraum insgesamt 25 Jahre. Auch im ?UraltFall? des Untergebrachten Pavel gelten daher die Vertrauensschutzgesichtpunkte, die das BVerfG auch in seiner neuen Entscheidung herangezogen hat. Dieses Ergebnis lässt sich zusätzlich stützen mit der Erwägung, dass die erneuten Straftaten des Untergebrachten, die zum Widerruf der Aussetzung der Sicherungsverwahrung zur Bewährung führten, im Jahr 1994 begangen wurden, also zu einem Zeitpunkt, als die 10Jahrefrist noch galt. Bei Begehung dieser Taten, die dann zum Widerruf führten, konnte der Untergebrachte also davon ausgehen, dass die Sicherungsverwahrung nach 10 Jahren beendet sein würde. Insofern sind hier auch die Rechtsgedanken aus Art. 103 Abs. 2 GG mit heranzuziehen.
Während das BVerfG den aus der tatbestandlichen Rückanknüpfung folgenden Eingriff in das Vertrauen der Sicherungsverwahrten durch die Neureglung von 1998 zum Wohle der Allgemeinheit in der Entscheidung von 2004 für noch gerechtfertigt hielt, fiel die Abwägung in der aktuellen Entscheidung vor dem Hintergrund der aktuellen Rechtsprechung des EGMR und einer geänderten Auffassung zur Einhaltung des Abstandsgebotes umgekehrt aus. Dieses Abwägungsergebnis ist auch im Fall des Untergebrachten P. heranzuziehen. Auch im Fall des Untergebrachten P. stellt die rückwirkende Verlängerung der Sicherungsverwahrung einen Verfassungsverstoß dar.
2. Der Verurteilte P. leidet auch an einer psychischen Störung i. S. d. § 1 ThUG. Aus den Gesetzgebungsmaterialien zum ThUG ergibt sich eindeutig, dass vom Gesetzgeber auch die dissoziale Persönlichkeitsstörung als psychische Störung i. S. v. § 1 ThUG angesehen wurde, BRDrs. 794/10, S. 86. Auch vom BVerfG wurde in seiner aktuellen Entscheidung vom 04.05.2011 ausdrücklich festgehalten, dass eine dissoziale Persönlichkeitsstörung oder eine Psychopathie unter den Begriff der psychischen Störung im Sinne von Art. 5 Abs. 1 Satz 2 Buchstabe e EMRK fallen können und die Mitgliedstaaten bei der Beurteilung der Frage, ob dieses Erfordernis erfüllt ist, einen Beurteilungsspielraum haben (RN 152). Nach dem aktuellen Gutachten von Dr. E., dem der Senat sich anschließt, liegt bei dem Untergebrachten P. sowohl eine dissoziale Persönlichkeitsstörung (S. 60), als auch eine Psychopathie vor (S. 68). Im Hinblick auf die dissoziale Persönlichkeitsstörung ist zusätzlich festzuhalten, dass diese von allen Gutachtern des Verurteilten seit 2001 fortwährend diagnostiziert wurde (Übersicht dazu im aktuellen Gutachten Dr. E., S. 60).
3. Demgegenüber fehlt es an einer hochgradigen Gefahr schwerster Gewalt oder Sexualstraftaten, die aus konkreten Umständen in der Person oder dem Verhalten des Untergebrachten abzuleiten ist. Unabhängig davon, ob man die vom Sachverständigen prognostizierte Gefährlichkeit des Verurteilten als ?hochgradig? einstuft, fehlt es nämlich an konkreten Umständen, auf die diese Prognose gestützt werden könnte.
Der 5. Strafsenat des BGH hat in einer Entscheidung zur nachträglichen Sicherungsverwahrung, zu der er in Anwendung einer menschenrechtskonventionskonformen Auslegung ebenfalls verlangt hat, dass sie nur bei ?höchstgefährlichen Verurteilten? in Betracht komme, ?bei denen sich die Gefahrenprognose aus konkreten Umständen in der Person oder ihrem Verhalten ableiten? lasse (B. v. 21.07.2010, 5 StR 60/10, BGHSt 55, 234 ff), ausgeführt, dass konkrete Umstände dann nicht vorliegen, wenn die fortbestehende Gefährlichkeit des Verurteilten aus seiner Dissozialität und seinem Lebensweg abgeleitet wird, die sich in den vom ihm begangenen Straftaten niedergeschlagen haben, verbunden mit dem Umstand, dass der Verurteilte nie zu einer therapeutischen Aufarbeitung seiner Straftaten bereit war.
Genauso liegt es bei dem Untergebrachten P. Außer seiner Dissozialität, den von ihm deswegen begangenen Straftaten und seiner Weigerung, seine Straftaten therapeutisch aufzuarbeiten, konnte auch der Sachverständige keine weiteren, konkreten Umstände benennen, aus denen sich die fortbestehende Gefährlichkeit ableiten lasse. Zwar hat der Sachverständige insoweit die ?konflikthafte Beziehung des Untergebrachten zu seiner Ehefrau? angeführt. Dies reicht jedoch nicht aus, um ?konkrete Umstände? im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts oder des 5. Strafsenats des BGH anzunehmen. Der 5. Strafsenat des BGH hat insoweit ausgeführt, dass eine weitere Inhaftierung nur in Betracht komme, wenn eine konkrete schwere Gefährdung künftiger Tatopfer vorliege, RN 46 der Entscheidung vom 09.11.2010. Im Rahmen seiner Entscheidung vom 26.01.2011 zur nachträglichen Sicherungsverwahrung (5 StR 395/10), bei der eine Interpretation des Gefahrbegriffs mit ähnlichem Ergebnis geboten sei (so RN 45 der Entscheidung vom 09.11.2010), hat der BGH ein ?hohes Maß an Gewissheit? über die Gefahr zur Begehung besonders schwerer Straftaten verlangt. Ein solches ?hohes Maß an Gewissheit? oder gar eine ?konkrete schwere Gefährdung künftiger Opfer? ist beim Untergebrachten P. derzeit nicht feststellbar.
Die - ehemalige - Ehefrau des Untergebrachten hat angegeben, ihn im Falle einer Entlassung bei sich aufzunehmen, die Wohnung sei dafür groß genug. Dass ein Zusammenleben nach 17 Jahren Trennung jedenfalls zu Beginn nicht einfach sein würde, war ihr bewusst, dennoch ?stehe sie zu ihrem Mann?. Jedenfalls gegenwärtig scheint die Beziehung zwischen dem Untergebrachten und seiner - ehemaligen - Ehefrau also stabil zu sein. Der Sachverständige hat seine Prognose einer höheren Wahrscheinlichkeit zur Begehung neuer Straftaten dementsprechend auch davon abhängig gemacht, ob es zu Problemen mit der Ehefrau kommen werde. Zwar hält der Senat eine solche Entwicklung - wie offenbar auch der Verteidiger Prof. W. in seinem Schriftsatz vom 12.05.2011 - für naheliegend, gegenwärtig ist allerdings davon auszugehen, dass der Untergebrachte bei seiner - ehemaligen - Frau wird wohnen können. Auch ist zu berücksichtigen, dass der Untergebrachte und seine Ehefrau sich in den vergangenen Jahren zwar immer wieder gestritten, dann aber immer wieder zusammengefunden haben.
Hinreichend konkret ist die Möglichkeit, dass der Untergebrachte infolge einer nicht ausreichenden Stabilität der Beziehung wieder Straftaten begeht, auch bereits deshalb nicht, weil es dafür nicht nur zu einem Streit zwischen dem Untergebrachten und seiner geschiedenen Frau kommen müsste, sondern auch dazu, dass der Untergebrachte infolge dessen nach anderen Frauen sucht, wie etwa bei seiner letzten Straftat 1994. Dies scheint denkbar, daraus lässt sich aber jedenfalls gegenwärtig keine ?konkrete schwere Gefährdung? eines zukünftigen Opfers ableiten. Selbst wenn man unterstellen würde, dass die Beziehung des Untergebrachten zu seiner Ehefrau scheitert, könnte eine Gefährdung zukünftiger Opfer allein aus seiner nicht therapierten Dissozialität und seinen bisherigen Straftaten abgeleitet werden. Dies sind aber, so der BGH (s.o.), keine genügend konkreten Umstände. Konkrete Umstände, aus denen sich die hochgradige Gefahr der Begehung schwerster Straftaten ergibt, sind demnach gegenwärtig nicht erkennbar.
Die vom 5. Strafsenat des BGH in seiner Entscheidung vom 09.11.2010 für eine Fortsetzung der Sicherungsverwahrung als ausreichend angesehene Möglichkeit, dass ein Verurteilter - etwa mit hoher Rückfallgeschwindigkeit, während gewährter Lockerungen oder bereits im Vollzug geplant - mehrere Vortaten schwerster Art begangen hat und sich im Rahmen des Vollzuges keine positiven Anhaltspunkte ergeben haben, die eine Reduzierung der im Vorleben des Verurteilten dokumentierten massiven Gefährlichkeit nahelegen (RN 44 der Entscheidung) - diese Voraussetzungen hätten für den Verurteilten P. wohl vorgelegen, hat das Bundesverfassungsgericht nicht aufgegriffen. Sie ist vom Bundesverfassungsgericht gerade nicht zitiert worden bei den Umständen, unter denen die Sicherungsverwahrung in Altfällen aufrecht erhalten werden kann. Daher kann sie auch für den Untergebrachten P. nicht herangezogen werden.
Der Senat hat auch erwogen, mit seiner Entscheidung noch abzuwarten im Hinblick darauf, wie sich die Beziehung des Untergebrachten zu seiner Ehefrau entwickelt, wenn ihm im Zuge weiterer Vollzugslockerungen ein engerer und längerer Kontakt zu ihr möglich ist. Auch daran sieht der Senat sich aber durch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 04.05.2011 gehindert, die verlangt, dass die zuständigen Vollstreckungsgerichte unverzüglich zu überprüfen haben, ob die Voraussetzungen für die Fortdauer der Sicherungsverwahrung gegeben sind. Lediglich die Freilassung der betroffenen Sicherungsverwahrten kann dann zu einem späteren Zeitpunkt, - bis zum 31.12.2011 - angeordnet werden (Tenor, Ziff. III 2b).
Die Sicherungsverwahrung war daher nach Maßgabe der Grundsätze der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 04.05.2011 für erledigt zu erklären.
4. Nach § 67d Abs 3 Satz 2 StGB tritt mit der Entlassung aus dem Vollzug der Unterbringung Führungsaufsicht ein. Diese Vorschrift ist vom Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung vom 04.05.2011 nicht für verfassungswidrig erklärt worden (vgl. dazu RN 176 der Entscheidung). Eine Rückwirkungsproblematik stellt sich wegen des eindeutig präventiven Charakters der Führungsaufsicht auch nicht.
5. Der Untergebrachte ist am 01.11.2011 zu entlassen.
Nach Ziff. III Nr. 2 b des Tenors der Entscheidung des BVerfG vom 04.05.2011 ist in den Fällen, in denen die strengen Voraussetzungen für eine Fortdauer der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung nach Nr. 2 a des Tenors nicht erfüllt sind, die Freilassung der betroffenen Sicherungsverwahrten spätestens mit Wirkung zum 31.12.2011 anzuordnen. Der Senat hat diesen Zeitpunkt hier auf den 01.11.2011 festgesetzt, um dem Untergebrachten, der nunmehr seit Mai 1996 ununterbrochen inhaftiert ist und dem nur in Form von Ausführungen Lockerungen gewährt wurden, einen vernünftigen, schrittweisen Übergang in die Freiheit zu ermöglichen. Während dieser Zeit wird insbesondere Gelegenheit bestehen, in schrittweisen Lockerungen das Zusammenleben mit seiner - ehemaligen - Ehefrau zu erproben. Dabei dürfte mit Ausgängen in Begleitung der Ehefrau zu beginnen sein, bis dann schließlich nach Gewährung auch unbegleiteter Ausgänge Urlaube bei seiner Ehefrau folgen müssen.
Sollte sich in diesem Zeitraum herausstellen, dass ein Zusammenleben mit der ehemaligen - Ehefrau nicht möglich ist, besteht die Möglichkeit, in diesem Zeitraum von insgesamt 5 Monaten eine alternative Unterkunft für den Untergebrachten zu suchen. Der Senat hat insoweit - und auch für den nachfolgenden Zeitraum ausdrücklich die Erteilung von weiteren Weisungen durch die zuständige Strafvollstreckungskammer vorbehalten. Aus den Ausführungen des Gutachters folgte eindeutig, dass bei einer Wohnsitznahme des Untergebrachten in einem Heim mit viel Struktur eine geringere Wahrscheinlichkeit zur Begehung künftiger Straftaten gegeben ist. Sofern im Falle einer Trennung von der Ehefrau eine Einrichtung, die zur Aufnahme des Untergebrachten bereit ist, gefunden werden kann, sollte dem Verurteilten diese Weisung, dort zu wohnen, daher auch erteilt werden. Dabei stellt es aus Sicht des Senats auch keine unzumutbare oder unverhältnismäßige Einschränkung der Lebensführung des Untergebrachten dar, wenn es sich dabei um ein offenes Heim für Suchtkranke in einer ländlichen Umgebung handelt, denn bei den Fragen der Zumutbarkeit und Verhältnismäßigkeit sind grundsätzlich Einschränkungen und Gefahren gegeneinander abzuwägen.
Zwar werden in der Literatur Bedenken gegen die Weisung, in einer bestimmten offenen Einrichtung zu wohnen, erhoben, da dies einem Hausarrest gleichkomme (so MKGroß, StGB, § 68b RN 10, SchönkeSchröderStree/Kinzig, StGB, 28. Aufl., § 68b RN 5) und auch mit dem Wortlaut von § 68b Abs. 1 Nr. 1 StGB unvereinbar sei (so wohl NKOstendorf, § 68b RN 9. LKSchneider, StGB, § 68b RN 20). Diese Bedenken teilt der Senat jedoch nicht (so auch OLG Düsseldorf, MDR 1990, 743. Fischer, StGB, 58. Aufl., § 68b RN 3a. LacknerKühl, StGB, § 68b RN 2. wohl auch OLG Schleswig, SchlHA 1999, 170). Der Wortlaut von § 68b Abs. 1 Nr. 1 verbietet eine entsprechende Weisung gerade nicht, denn eine solche Bestimmung lässt sich ansehen als Bestimmung des bestimmten Bereichs im Sinne von § 68b Abs. 1 Nr. 1 StGB. Einem Hausarrest kommt eine solche Weisung nicht gleich, wenn es sich um eine offene Einrichtung handelt und die Führungsaufsichtsstelle eine generelle Erlaubnis etwa für Spaziergänge oder Einkaufsfahrten erteilt. Mit dem Sinn und Zweck von Weisungen, deren Aufgabe es ist, die Verurteilten von weiteren Straftaten abzuhalten (SchönkeSchröderStree/Kinzig, aaO., RN 2), wäre eine solche Weisung gerade im Fall des Verurteilten ebenfalls vereinbar. Auch das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung vom 04.05.2011 die Strafvollstreckungsgerichte aufgefordert, auszuloten, ob und inwieweit durch die Möglichkeiten der Führungsaufsicht der Gefährlichkeitsgrad der Freizulassenden reduziert werden kann (RN 176).
6. Die Festsetzung der Dauer der Führungsaufsicht auf 5 Jahre beruht auf § 68 c Abs. 1 Satz 1 StGB und erscheint angesichts der vom Gutachter bestätigten fortbestehenden Gefährlichkeit des Verurteilten angemessen.
Die Unterstellung unter die Aufsicht und Leitung des zuständigen Bewährungshelfers beruht auf § 68a Abs. 1 StGB.
Die Weisung in Ziff. 5 des Tenors beruht hinsichtlich der Führungsaufsichtsstelle auf § 68b Abs. 1 Ziff. 8 StGB, im Übrigen auf § 68b Abs. 2 StGB.
Die Weisungen in Ziff. 6a und b des Tenors beruhen auf § 68b Abs. 1 Nr. 7 StGB.
Die Weisung in Ziff. 6c beruht auf § 68b Abs. 1 Ziff. 1 StGB. Eine Mitteilung an den Bewährungshelfer, wie von der JVA vorgeschlagen, erschien dem Senat nicht ausreichend, da diese nur auf § 68b Abs. 2 StGB hätte gestützt werden können, ein Verstoß also nicht strafbar wäre.
Die Weisung zu Ziff. 6d beruht auf § 68b Abs. 1 Nr. 3 StGB und ist erforderlich, da der Untergebrachte in der Vergangenheit mehrfach versucht hat, mit Frau G. oder Personen aus ihrem persönlichen Umfeld Kontakt aufzunehmen.
Der Vorbehalt in Ziff. 7 des Tenors beruht auf den oben genannten Umständen. Sollte gegen den Verurteilten eine Anordnung nach § 1 ThUG ergehen, der - anders als es das Bundesverfassungsgericht für die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung verlangt - keine ?konkreten Umstände? fordert, aus denen sich die Gefährlichkeit des Verurteilten ergeben muss, sondern eine Gesamtwürdigung ausreichen lässt, müssten die Weisungen im Rahmen der Führungsaufsicht noch weiter von der zuständigen Strafvollstreckungskammer angepasst werden.
III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 467 StPO.