Oberlandesgericht Celle
Urt. v. 11.11.2015, Az.: 4 U 61/15

Ansprüche einer Apotheke wegen vorzeitiger Kündigung eines mit einem Alten- und Pflegeheim bestehenden Vertrages zur ordnungsgemäßen Versorgung der Bewohner

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
11.11.2015
Aktenzeichen
4 U 61/15
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2015, 31331
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGCE:2015:1111.4U61.15.0A

Verfahrensgang

nachfolgend
BGH - 14.07.2016 - AZ: III ZR 446/15

Fundstellen

  • AH 2016, 18
  • GesR 2016, 60-62
  • GuP 2016, 78-79
  • MDR 2015, 1353
  • PflR 2016, 378-382
  • PharmaR 2016, 23-26

Amtlicher Leitsatz

1. Der Sinn und Zweck von Verträgen i. S. v. § 12 a Abs. 1 Satz 1 ApoG liegt allein darin, dass die Versorgung der Heimbewohner mit Arzneimitteln und apothekenpflichtigen Medizinprodukten gesichert ist. Schutzsubjekt des § 12 a Abs. 1 ApoG sind demgemäß allein die Heimbewohner bzw. - mittelbar - auch das Heim selbst, nicht aber die an dem Vertrag beteiligte Apotheke.

2. Zur Frage, ob eine Apotheke Anspruch auf entgangenen Gewinn hat, wenn ein Heim i.S.v. § 1 Heimgesetz einen mit der Apotheke abgeschlossenen Vertrag i. S. v. § 12 a Abs. 1 Satz 1 ApoG vor Ablauf einer in dem Vertrag geregelten Kündigungsfrist kündigt.

Tenor:

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil der 7. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Hannover vom 24. März 2015 abgeändert.

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheit in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird zugelassen.

Gründe

I.

Die Klägerin begehrt von der Beklagten Schadensersatz aus entgangenem Gewinn.

Die Klägerin ist Inhaberin einer Apotheke; die Beklagte betreibt ein Alten- und Pflegeheim. Zwischen der Klägerin und dem "H." wurde am 27. März 2003 ein "Vertrag zur Sicherstellung der ordnungsgemäßen Versorgung der Bewohner eines Heimes i. S. d. § 1 des Heimgesetzes (Mustervertrag gemäß § 12 a Apothekengesetz)" geschlossen. Die Klägerin und die im Jahr 2005 gegründete Beklagte vereinbarten am 1. Februar 2008, dass dieser Vertrag von den Parteien des Rechtsstreits weitergeführt wird. Auszugsweise enthält der Vertrag vom 27. März 2003 folgende Regelungen:

Präambel:

"... Auch bleibt es dem Heimträger unbenommen, weitere Verträge gleichen Inhalts mit anderen öffentlichen Apotheken zu schließen."

§ 4 Abs. 3:

"Wird das Heim von mehr als einer öffentlichen Apotheke versorgt, gelten für die Abgrenzung der Zuständigkeitsbereiche der beteiligten Apotheken die in einer Anlage zu diesem Vertrag vereinbarten Bestimmungen."

§ 10 Abs. 2:

"Der Heimträger informiert den Apotheker unverzüglich, wenn er Verträge zum gleichen Gegenstand mit anderen Apotheken abschließt."

§ 12 Abs. 2:

"Die Kündigungsfrist beträgt sechs Monate zum Ende des Quartals."

Im Jahr 2013 erbat die Beklagte von der Klägerin, dass diese ein Angebot erstelle, welches die Arzneimittelbelieferung inkl. einer kostenlosen Verblisterung beinhalte. Nach Prüfung teilte die Klägerin der Beklagten am 30. September 2013 mit, dass sie für die Verblisterung kein Angebot abgeben könne, weil dieses ihre persönlichen Ressourcen übersteige. Daraufhin kündigte die Beklagte den Belieferungsvertrag mit Schreiben vom 3. Dezember 2013 zum 31. Dezember 2013. Zum 1. Januar 2014 schloss die Beklagte einen Versorgungsvertrag mit einer anderen Apotheke.

Die Klägerin hat mit der vorliegenden Klage von der Beklagten Schadensersatz in Höhe von zunächst 17.232,12 € geltend gemacht. Dies entspreche dem entgangenen Gewinn für die Dauer von sechs Monaten, den sie aus den Umsätzen betreffend die Belieferung der Bewohner des Heimes der Beklagten erzielt hätte.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes erster Instanz und der darin gestellten Anträge wird auf die tatsächlichen Feststellungen in dem angefochtenen Urteil Bezug genommen.

Das Landgericht hat der Klage in Höhe von 13.700 € stattgegeben. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, diesen Betrag schulde die Beklagte der Klägerin gemäß §§ 280, 252 BGB als entgangenen Gewinn wegen Nichteinhaltung der vereinbarten Kündigungsfrist. In der Nichteinhaltung der Kündigungsfrist sei eine Pflichtverletzung der Beklagten zu sehen. Die vertraglich vereinbarte Kündigungsfrist diene u. a. auch dem Schutz des Apothekers, der bei der Versorgung von Heimbewohnern auch die sachgerechte Kontrolle der Arzneimittelbestände zu übernehmen habe. Aufgrund der Nichteinhaltung der Kündigungsfrist sei der Klägerin ein Gewinnausfall entstanden, den es gemäß § 287 ZPO auf 13.700 € schätze.

Dagegen richtet sich die Berufung der Beklagten, die unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens ihren erstinstanzlichen Klageabweisungsantrag weiterverfolgt.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Landgerichts Hannover vom 24. März 2015 (Az.: 32 O 24/14) aufzuheben, das Versäumnisurteil des Landgerichts Hannover vom 28. Oktober 2014 (Az.: 32 O 24/14) aufrecht zu erhalten und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Klägerin verteidigt das angefochtene Urteil unter Bezugnahme auf ihr Vorbringen aus dem ersten Rechtszug.

Auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen wird ergänzend verwiesen.

II.

Die Berufung hat Erfolg. Der Klägerin steht gegen die Beklagte ein Anspruch auf Schadensersatz gemäß § 280 Abs. 1 BGB nicht zu.

1. Es kann dahinstehen, ob die in § 12 Abs. 2 des Vertrages vom 27. März 2003 geregelte Kündigungsfrist - gemäß ihrem Wortlaut - für beide Vertragsparteien galt oder ob nicht vielmehr diese Regelung im Lichte der nachstehend unter Ziffer 2 dargestellten Schutzrichtung des Vertrages so auszulegen ist, dass die Einhaltung der dort geregelten Kündigungsfrist lediglich für die Klägerin galt. Dahinstehen kann ferner, ob der Beklagten ein Grund zur fristlosen Kündigung zugestanden hat. Wären die beiden vorgenannten Fragen zu verneinen, dürfte allerdings der Umstand, dass die Beklagte die sechsmonatige Kündigungsfrist nicht eingehalten hat, eine Pflichtverletzung i. S. v. § 280 Abs. 1 BGB darstellen (vgl. zur unberechtigten Kündigung: BGH, Urt. v. 16. Januar 2009 - V ZR 133/08, juris Rn. 16; im Überblick: Palandt/Grüneberg, BGB, 74. Aufl., § 280 Rn. 26).

2. In jedem Fall scheidet ein Schadensersatzanspruch der Klägerin gegen die Beklagte schon dem Grunde nach aus dem Gesichtspunkt des rechtmäßigen Alternativverhaltens (vgl. dazu im Überblick: Palandt/Grüneberg, aaO., Vorbemerkung vor § 249 Rn. 64) aus. Die Beklagte wäre auch ohne Kündigung bzw. Einhaltung der vertraglich vereinbarten Kündigungsfrist berechtigt gewesen, eine andere Apotheke vollständig mit den Leistungen zu betrauen, die bis dahin die Klägerin erbracht hat. Die Klägerin hätte in diesem Fall wirtschaftlich genauso gestanden wie sie nunmehr aufgrund des tatsächlich erfolgten Verhaltens der Beklagten steht. Dieses Ergebnis ergibt sich anhand einer Auslegung der maßgeblichen Regelungen in dem Vertrag vom 27. März 2003.

a) Nach §§ 133, 157 BGB ist bei der Auslegung von Willenserklärungen und Verträgen der wirkliche Wille der Erklärenden zu erforschen. Dabei ist zunächst vom Wortlaut der Erklärung auszugehen und demgemäß in erster Linie dieser und der ihm zu entnehmende objektiv erklärte Parteiwille zu berücksichtigen. Bei seiner Willenserforschung hat der Tatrichter aber auch den mit der Absprache verfolgten Zweck, die Interessenlage der Parteien und die sonstigen Begleitumstände zu berücksichtigen, die den Sinngehalt der gewechselten Erklärungen erhellen können (vgl. z. B. BGH, Urteile v. 11. Oktober 2012 - IX ZR 30/10, juris Rn. 11, v. 27. Januar 2010 - VIII ZR 58/09, juris Rn. 33, v. 17. Dezember 2009 - IX ZR 214/08, juris Rn. 14 und v. 9. Juli 2001 - II ZR 228/99, juris Rn. 8).

b) Gemessen daran ergibt sich nach Auffassung des Senats aus dem Zusammenspiel der Regelungen in dem Vertrag vom 27. März 2003, dass die Beklagte auch ohne Einhaltung der in § 12 Abs. 2 geregelten Kündigungsfrist von sechs Monaten berechtigt war, eine andere Apotheke vollständig mit den Leistungen zu betrauen, die bis dahin die Klägerin erbracht hat.

aa) Maßgeblich dafür sind zunächst der Wortlaut und die Systematik der einschlägigen Regelungen in dem Vertrag vom 27. März 2003. Nicht nur ist in dem Vertrag gerade nicht geregelt, dass die Beklagte für die Dauer der Laufzeit des Vertrages verpflichtet ist, Arzneimittel und apothekenpflichtige Medizinprodukte für die Heimbewohner ausschließlich bei der Klägerin zu beziehen (was zwangsläufig ist, da eine derartige Regelung gegen § 12 a Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 und 5 ApoG verstoßen würde). Vielmehr ergibt sich aus dem Vertragsinhalt ausdrücklich das Gegenteil. Zunächst heißt es in der Präambel: "Auch bleibt es dem Heimträger unbenommen, weitere Verträge gleichen Inhalts mit anderen öffentlichen Apotheken zu schließen". In § 10 Abs. 2 heißt es sodann: "Der Heimträger informiert den Apotheker unverzüglich wenn er Verträge zum gleichen Gegenstand mit anderen Apotheken abschließt". Daraus ergibt sich nach Auffassung des Senats unzweifelhaft, dass die Beklagte berechtigt ist bzw. war, auch zeitlich nach Abschluss des Vertrages mit der Klägerin weitere derartige Verträge mit einer oder mehreren anderen Apotheken hinsichtlich der Leistungsgegenstände abzuschließen, die bis dahin der Klägerin oblegen haben. Soweit die Klägerin die Auffassung vertritt, dass die vorstehend genannten Vertragspassagen so zu verstehen seien, dass "der Heimträger eine solche Entscheidung (= Vertragsabschluss mit einer anderen Apotheke) selbstverständlich treffen darf, aber dass der Beginn des weiteren Heimversorgungsvertrages erst nach Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist liegen darf", erachtet der Senat dies als unzutreffend. Zum einen ist dies dem Wortlaut der genannten Vertragspassagen schon nicht ansatzweise zu entnehmen. Zum anderen ist diese Überlegung der Klägerin auch von der Systematik her fernliegend: Dass der Heimbetreiber mit einer anderen Apotheke einen Vertrag schließen darf, wenn er zuvor den bis dahin mit einer anderen Apotheke bestehenden Vertrag ordentlich gekündigt und die Kündigungsfrist abgewartet hat, ist selbstverständlich und müsste nicht ausdrücklich in einen Vertrag mit aufgenommen werden. Wenn aber - wie vorliegend - in einem Vertrag ausdrücklich die Regelung mit aufgenommen wird, dass der eine Vertragspartner berechtigt ist, gleichartige Verträge auch noch mit anderen Apotheken zu schließen, kann sich das zwangsläufig nur auf das laufende Vertragsverhältnis mit der an diesem Vertrag beteiligten Apotheke beziehen. Zudem wäre nach Maßgabe der Argumentation der Klägerin auch die Regelung in § 10 Abs. 2 des Vertrages überflüssig und würde keinen Sinn ergeben, da eine Vertragspartei nach Beendigung des Vertrages (nach Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist) nicht mehr seinen bisherigen Vertragspartner darüber informieren muss, dass sie nunmehr mit einer dritten Person einen Vertrag abgeschlossen hat.

bb) Zudem ergibt sich dieses Ergebnis auch aus Sinn und Zweck von § 12 a ApoG. Diese bestehen darin, eine sichere Arzneimittelversorgung der Heimbewohner in einer dem Schutzniveau des § 14 ApoG vergleichbaren Weise zu gewährleisten (vgl. Kasper in Rixen/Krämer, Apothekengesetz, 1. Aufl., § 12 a Rn. 1, 8). Der Sinn und Zweck von Verträgen i. S. v. § 12 a Abs. 1 ApoG wie dem vorliegenden "Vertrag zur Sicherstellung der ordnungsgemäßen Versorgung der Bewohner eines Heimes i. S. d. § 1 des Heimgesetzes" liegt mithin allein darin, dass die Versorgung der Heimbewohner mit Arzneimitteln und apothekenpflichtigen Medizinprodukten gesichert ist. Schutzsubjekt des § 12 a Abs. 1 ApoG sind nach diesem Verständnis allein die Heimbewohner bzw. - mittelbar - auch das Heim selbst, nicht aber die Apotheke. Diesem Sinn und Zweck dient nach dem Verständnis des Senats folglich auch die in § 12 Abs. 2 des Vertrages geregelte Kündigungsfrist. Diese soll gerade verhindern, dass ein Heim i. S. d. § 1 Heimgesetz "von einem Tag auf den anderen" ohne Apotheke dasteht, die seine Heimbewohner mit Arzneimitteln und apothekenpflichtigen Medizinprodukten versorgt. Demgegenüber dient § 12 a ApoG und demgemäß auch die in § 12 Abs. 2 des streitgegenständlichen Vertrages geregelte Kündigungsfrist nicht dem Interesse der jeweiligen Apotheke, die Versorgung eines Heimes auch weiterhin (in dem bisherigen Umfang) fortsetzen zu können.

cc) Geht man mithin davon aus, dass die Beklagte nach den vertraglichen Vereinbarungen mit der Klägerin berechtigt war, auch ohne Kündigung des bestehenden Vertrages Teile des Lieferumfanges, der bis dahin der Klägerin oblegen hat, nunmehr auf eine dritte Apotheke zu verlagern, vermag der Senat nicht zu erkennen, warum die Beklagte dann nicht auch berechtigt sein sollte, den bisherigen Lieferungsumfang vollständig, also zu 100 %, auf eine dritte Apotheke zu verlagern.

Dem steht im Ergebnis auch nicht die von Seiten der Klägerin zitierte Literaturstelle (Wesser in: Kieser/Wesser/Saalfrank, Apothekengesetz, Stand Februar 2015, § 12 a Rn. 91) entgegen. Dort heißt es:

"Zu beachten ist, dass § 12 a Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 nur eine Ausschließlichkeitsbindung verbietet. Nicht dagegen stellt er den Heimträger von jeglicher durch den Vertrag begründeter Bindung frei. Der bisherigen Vertragsapotheke muss daher auch nach Beteiligung einer weiteren Apotheke an der Versorgung der Heimbewohner ein noch relevanter Versorgungsbereich verbleiben. Es ist nicht zulässig und stellt eine Verletzung des Vertrages dar, wenn der Heimträger die Vertragsapotheke unter Berufung auf das Verbot der Ausschließlichkeitsbindung faktisch von der Versorgung der Heimbewohner ausschließt, in dem er ihr nur noch einen nicht mehr kostendeckend zu betreibenden Zuständigkeitsbereich belässt. Bei schuldhafter Vertragspflichtverletzung hat der geschädigte Teil Anspruch auf Ersatz des ihm dadurch entstandenen Schadens".

Dies überzeugt den Senat nicht. Unabhängig davon, dass nicht erkennbar ist, ob sich diese Kommentarstelle überhaupt auf eine Vertragsgestaltung bezieht, die Regelungen enthält wie der vorliegende Vertrag vom 27. März 2003, vermag dies den Senat nicht zu überzeugen. Eine juristisch nachvollziehbare Begründung dafür, aus welcher rechtlichen Grundlage die Auffassung hergeleitet wird, dass der bisherige Vertragsapotheke auch nach Beteiligung einer weiteren Apotheke "ein noch relevanter Versorgungsbereich verbleiben" müsse, wird in dieser Fundstelle nicht genannt. Dem Senat ist auch nicht ersichtlich, was unter dem Schlagwort "ein noch relevanter Versorgungsbereich" konkret zu verstehen ist und wie nach Maßgabe dieser Literaturstelle ein Schaden in einem Fall wie dem vorliegenden berechnet werden sollte: Die Klägerin macht vorliegend Schadensersatz auf einer "100 %-Basis" geltend, sie verlangt also, so gestellt zu werden, wie sie gestanden hätte, wenn sie bis zum Ablauf einer ordentlichen Kündigungsfrist weiterhin in vollem Umfang von der Beklagten beauftragt worden wäre. Dies wäre selbst nach Maßgabe der von Seiten der Klägerin zitierten Literaturstelle nicht richtig. Eine Aussage dazu, wo eine Grenze zwischen einer "noch zulässigen Verlagerung des bisherigen Leistungsumfangs auf eine dritte Apotheke" und einer "unzulässigen Verlagerung des bisherigen Leistungsumfangs auf eine dritte Apotheke" gezogen werden soll, macht die genannte Literaturstelle aber auch nicht. Offen bliebe damit, ob beispielsweise eine Verlagerung von 70 % des bisherigen Lieferumfanges der Klägerin auf eine andere Apotheke noch zulässig wäre, 75 % aber nicht mehr.

dd) Für sein vorstehend dargestelltes Ergebnis lassen sich nach Auffassung des Senats noch zwei Kontrollüberlegungen anführen; insoweit macht er die nachstehenden Ausführungen unter (2) aus Gründen prozessualer Vorsicht (der Hinweis auf den dort genannten gerichtsbekannten Umstand ist erst in der mündlichen Verhandlung erfolgt) aber ausdrücklich nicht zum Gegenstand seiner tragenden Erwägungen.

(1) Der Inhaber einer Apotheke wie vorliegend die Klägerin kann von vornherein kein schutzwürdiges Vertrauen darauf haben, dass der Lieferumfang, der zum Zeitpunkt des Abschlusses des Vertrages bestanden hat, auch während der weiteren Dauer der Vertragslaufzeit bestehen bleibt. (Mindestens) theoretisch vorstellbar ist nämlich, dass ein erheblicher Teil der Heimbewohner verstirbt oder aus anderen Gründen das Heim verlässt, ohne dass andere Personen diese Plätze wieder besetzten oder nachziehende Personen gar keinen oder zumindest geringeren Medikamentebedarf haben. Auch in diesem Fall wäre - was wohl auch die Klägerin kaum in Abrede nehmen dürfte - der Apotheker nicht berechtigt, von dem Heimbetreiber Ersatz seines hierdurch entstehenden Gewinnausfalls zu verlangen. Dann aber ist nicht ersichtlich, warum dies bei einer Fallkonstellation wie der Vorliegenden im Ergebnis anders sein soll.

(2) Nach dem Kenntnisstand des Senats (die Ehefrau eines der Senatsmitglieder ist von Beruf Apothekerin) nehmen Apotheken in aller Regel keine "Bevorratung" in dem Sinne vor, dass sie Medikamente für einen längeren Zeitraum von den Herstellern besorgen und dann "auf Vorrat" bei sich liegen lassen. Hierauf hat der Senat die Klägerin in der mündlichen Verhandlung vom 13. Oktober 2015 hingewiesen. Die Klägerin hat diese Erwägung des Senats letzten Endes bestätigt, indem sie als Reaktion hierauf ausgeführt hat, dass es im Einzelfall aber vorkomme, dass einzelne Medikamente für einen Zeitraum von ein bis drei Wochen im Voraus angeschafft werden. Das mag sein. Vorliegend liegt zwischen der Kündigung und dem Ablauf der Belieferungsfrist ein Zeitraum von mehr als drei Wochen. Auch nach dieser Maßgabe wäre daher nicht ersichtlich, dass ein anerkennenswertes Interesse einer Apotheke daran besteht, über einen (Kündigungs-)Zeitraum von sechs Monaten hinweg weiterhin mit den Leistungen beauftragt zu werden, die zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses umfangmäßig einmal bestanden haben.

III.

1. Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91 Abs. 1 Satz 1, 708 Nr. 10, 711 ZPO.

2. Der Senat lässt nach § 543 Abs. 2 Nr. 1 ZPO die Revision zu. Bei dem streitgegenständlichen Vertrag handelt es sich ausdrücklich um einen "Mustervertrag". Demgemäß kommt in Betracht, dass sich die im vorliegenden Verfahren angesprochenen Fragen in einer Mehrzahl von Fällen stellen werden und es demgemäß einer höchstrichterlichen Entscheidung des Bundesgerichtshofs bedarf.