Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 20.04.2015, Az.: 15 WF 79/14

Änderung der Festsetzung der Verfahrenskostenhilfevergütung; Entstehung der Einigungsgebühr bei Abschluss einer Zwischenvereinbarung zum Sorgerecht

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
20.04.2015
Aktenzeichen
15 WF 79/14
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2015, 15939
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGCE:2015:0420.15WF79.14.0A

Verfahrensgang

vorgehend
AG Peine - 28.04.2014

Fundstellen

  • AGS 2015, 325-326
  • FamRZ 2016, 255
  • RVGreport 2015, 258-259
  • ZAP EN-Nr. 652/2015
  • ZAP 2015, 872

Amtlicher Leitsatz

Die Festsetzung der Verfahrenskostenhilfevergütung kann auch nach Ablauf des Folgejahres geändert werden, wenn ein schutzwürdiges Vertrauen des Rechtsanwaltes nicht besteht, weil die Kostenbeamtin ihn vorher formlos zur Rückzahlung aufgefordert hatte.

Eine Einigungsgebühr nach Nr. 1003 VV RVG entsteht bei einer Zwischenvereinbarung zum Sorgerecht anlässlich der Einholung eines Sachverständigengutachtens nur dann, wenn ein konkretes gerichtliches Verfahren (einstweiliges Anordnungsverfahren) vermieden wurde. Soweit dieses nicht anhängig war, muss es zumindest mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit bevorgestanden haben.

Tenor:

I. Die Beschwerde des Verfahrensbevollmächtigten des Antragstellers gegen den Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Peine vom 28. April 2014 - 10 F 306/12 - wird zurückgewiesen.

II. Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet.

Gründe

I.

Gegenstand des Hauptsacheverfahrens ist das Aufenthaltsbestimmungsrecht für die aus der Ehe des Antragstellers mit der Antragsgegnerin hervorgegangenen Kinder Ö. C., geboren am 13.09.2003, und F. C., geboren am 20.06.2008. Im Termin vom 5. Oktober 2012 schlossen die Kindeseltern einen "Zwischenvergleich", wonach die Kinder derzeit ihren Lebensmittelpunkt beim Vater haben und eine Umgangsanbahnung über die Erziehungsberatungsstelle erfolgen soll. Gleichzeitig beschloss das Amtsgericht die Einholung eines Sachverständigengutachtens.

Gegenstand des vorliegenden Beschwerdeverfahrens ist die Festsetzung der Verfahrenskostenhilfevergütung für den Verfahrensbevollmächtigten des Antragstellers. Dem Antragsteller ist Verfahrenskostenhilfe durch Beschluss vom 5. Oktober 2012 bewilligt worden. Auf den Antrag seines Verfahrensbevollmächtigten vom selben Tag erfolgte am 15. Oktober 2012 die Festsetzung eines Vorschusses in der beantragten Höhe, die 1,0 Einigungsgebühr nach Nr. 1003 VV RVG beinhaltete.

Unter dem 11. April 2013 wies die Kostenbeamtin darauf hin, dass für einen Zwischenvergleich eine Vergütung nicht erstattet werden könnte und bat um Rückzahlung des zu viel gezahlten Betrages.

4

Nach Aktenvorlage durch die Kostenbeamtin legte das Landgericht Hildesheim - Der Bezirksrevisor - am 18. Februar 2014 - eingegangen beim Amtsgericht P. am 20. Februar 2014 - Erinnerung gegen die Festsetzung vom 15. Oktober 2012 ein.

Mit Beschluss vom 3. April 2014 half die Kostenbeamtin der Erinnerung ab und setzte die Einigungsgebühr von der zu erstattenden Vergütung ab. Auf die Erinnerung vom 22. April 2014 wies das Amtsgericht die Erinnerung durch den angefochtenen Beschluss zurück. Mit seiner Beschwerde verfolgt der Verfahrensbevollmächtigte des Antragstellers sein erstinstanzliches Anliegen weiter und beruft sich auf Verwirkung.

II.

Die Beschwerde ist gemäß §§ 56 Abs. 2, 33 Abs. 3 S. 1 RVG zulässig, insbesondere überschreitet der Wert des Beschwerdegegenstandes 200 €.

Die Beschwerde hat in der Sache jedoch keinen Erfolg.

1. Insbesondere ist eine Verwirkung nicht eingetreten. Dabei kann offen bleiben, ob aufgrund der Fassung von § 56 Abs. 2 S. 1 1. Halbsatz RVG eine entsprechende Anwendung von § 20 GKG überhaupt in Betracht kommt (zum Streitstand: Hartmann, Kostengesetze, 44. Auflage 2014, § 56 RVG Rn. 6).

Denn vorliegend ist jedenfalls das für eine Verwirkung erforderliche Vertrauensmoment (vgl. nur: Palandt/Grüneberg, Bürgerliches Gesetzbuch, 74. Auflage 2015, § 242 Rn. 95) nicht gegeben. Denn die Kostenbeamtin hat den Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin bereits mit Verfügung vom 11. April 2013 und damit rund ein halbes Jahr nach der ursprünglichen Festsetzung um Rückzahlung der Einigungsgebühr gebeten. Dabei ist unerheblich, dass die Kostenbeamtin selbst zu einer Abänderung der Vergütungsfestsetzung nicht befugt ist, weil sie - wie hier später erfolgt - jederzeit die Vorlage an den insoweit erinnerungsberechtigten Vertreter der Landeskasse verfügen kann. Die weitere Verzögerung beruht auf dem Fortgang des Hauptsacheverfahrens und der Durchführung des Beschwerdeverfahrens.

Ein schützenswerter Vertrauenstatbestand ist daher seitens des Verfahrensbevollmächtigten des Antragstellers nicht gegeben.

2. Das Amtsgericht hat auf die Erinnerung der Landeskasse zutreffend die Vergütung des Verfahrensbevollmächtigten des Antragstellers gekürzt. Eine Einigungsgebühr nach Nr. 1003 VV RVG ist nicht entstanden. Durch die Zwischenvereinbarung der Beteiligten vom 5. Oktober 2012 ist keine der Alternativen der amtlichen Anmerkung Abs. 2 zu Nr. 1003 VV RVG verwirklicht worden.

Zur Frage, ob auch eine Zwischenvereinbarung in Kindschaftssachen eine Einigungsgebühr nach Nr. 1003 VV RVG auslösen kann, werden unterschiedliche Auffassungen vertreten. Einerseits wird vertreten, dass eine Einigungsgebühr ausgelöst werde, wenn der Inhalt der Einigung Gegenstand eines selbständigen Verfahrens sein könnte und dieses und der damit verbundene Kostenaufwand durch die Einigung vermieden werden (OLG Oldenburg FamRZ 2014, 1939 Rn. 10; OLG Zweibrücken FamRZ 2014, 1939 Rn. 8 f.; KG FamRZ 2014, 1940 Rn. 2 f.; Gerold/Schmidt/Müller-Rabe RVG, 21. Aufl. 2013, Nr. 1000 VV RVG Rn. 67). Nach einer anderen Auffassung (OLG Hamm vom 02.01.2013 - 6 WF 254/12 - Rn. 14 - juris) entsteht eine Einigungsgebühr für eine Zwischenvereinbarung nicht, wenn lediglich eine vorläufige Regelung bis zur abschließenden Entscheidung des Gerichts getroffen wird.

Der Senat folgt dem Wortlaut der amtlichen Anmerkung Abs. 2 zu Nr. 1003 VV RVG und damit im Ergebnis der letztgenannten Auffassung. Eine Einigungsgebühr für einen Zwischenvergleich kann nur in den von Abs. 2 der Anmerkung erfassten Fallkonstellationen entstehen. Nach dieser Anmerkung entsteht die Einigungsgebühr in Kindschaftssachen auch für die Mitwirkung beim Abschluss eines gerichtlich gebilligten Vergleiches (§ 156 Abs. 2 FamFG) und an einer Vereinbarung, über deren Gegenstand nicht vertraglich verfügt werden kann, wenn hierdurch eine gerichtliche Entscheidung entbehrlich wird oder wenn die Entscheidung der getroffenen Vereinbarung folgt.

Die erstgenannte Alternative betrifft Umgangsrechtverfahren, in denen es zu einer gerichtlichen Billigung des Vergleichs nach § 156 Abs. 2 FamFG kommt. Das ist vorliegend nicht gegeben. Insbesondere handelt es sich bei der von den Beteiligten im Termin vom 5. Oktober 2012 abgegebenen Erklärung zum Umgangsrecht lediglich um eine Absichtserklärung, eine Umgangsanbahnung über die Erziehungsberatungsstelle herbeizuführen. Ein vom Gericht billigungsfähiger Vergleich liegt insoweit nicht vor.

Nach der zweiten Alternative der Anmerkung Abs. 2 muss es sich um eine Vereinbarung handeln, über deren Gegenstand nicht vertraglich verfügt werden kann, wenn hierdurch eine gerichtliche Entscheidung entbehrlich wird. Bei Vereinbarungen zum Sorgerecht handelt es sich um solche, über deren Gegenstand nicht vertraglich verfügt werden kann, weil das Sorgerecht nicht disponibel ist und nur aufgrund gerichtlicher Entscheidung übertragen werden kann. Vorliegend ist daher entscheidend, ob durch die Vereinbarung der Beteiligten vom 5. Oktober 2012 "eine gerichtliche Entscheidung entbehrlich" wurde.

Entgegen der erstgenannten Auffassung kommt es daher nicht darauf an, ob der Gegenstand der Vereinbarung auch Gegenstand eines selbständigen Verfahrens, etwa eines Antrages auf Erlass einer einstweiligen Anordnung sein könnte, sondern ob eine konkrete gerichtliche Entscheidung entbehrlich wurde. Während die erstgenannte Auffassung - soweit ersichtlich - bereits die abstrakte Möglichkeit eines solchen gesonderten Verfahrens ausreichen lässt, muss nach der hier vertretenen, am amtlichen Anmerkungstext orientierten Auffassung ein entsprechendes Verfahren, wenn nicht anhängig, so doch mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit bevorgestanden haben.

Das ist nicht der Fall. Denn im Vorfeld des Erörterungstermins vom 5. Oktober 2012 ist von keinem der Verfahrensbeteiligten ein Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt oder schriftsätzlich erwogen worden. Die Einigung beruht dabei ersichtlich auf dem Vorschlag des Verfahrensbeistands.

Vielmehr handelt es sich im Ergebnis um eine Vereinbarung über die weitere Verfahrensweise, die auch nach der Ansicht von Vertretern der erstgenannten Auffassung keine Einigungsgebühr auslöst (KG FamRZ 2014 Rn. 3; Gerold/Schmidt/Müller-Rabe, Nr. 1000 VV RVG Rn. 161). Die Kindeseltern haben schlicht den derzeitigen Aufenthalt der Kinder bestimmt. Sie haben damit die gemeinsame elterliche Sorge in tatsächlicher Weise ausgeübt und eine einvernehmliche Lösung im Sinne von § 1627 BGB herbeigeführt.

Erst wenn sich ergeben hätte, dass eine solche - vom Gesetz nachdrücklich geforderte - einvernehmliche Ausübung der gemeinsamen elterlichen Sorge nicht zu erzielen sein würde, wäre ein einstweiliges Anordnungsverfahren in Betracht gekommen. Dass konkreter Anlass bestand, ein solches überhaupt in Erwägung zu ziehen, ist vom Verfahrensbevollmächtigten des Antragstellers nicht vorgetragen worden.

Nach der dritten Alternative der amtlichen Anmerkung Abs. 2 zu Nr. 1003 VV RVG entsteht die Einigungsgebühr in einem Verfahren, bei dem über den Gegenstand nicht vertraglich verfügt werden kann, wenn die Entscheidung der getroffenen Vereinbarung folgt. Betroffen sind auch hier Sorgerechtsverfahren. Es fehlt jedoch an einer (Zwischen-)Entscheidung des Familiengerichts, die der Vereinbarung der Beteiligten folgt. Das wäre nur in Gestalt einer einstweiligen Anordnung denkbar gewesen.

III.

Die Nebenentscheidungen folgen § 56 Abs. 2 S. 2 und 3 RVG.