Verwaltungsgericht Hannover
Urt. v. 26.03.2024, Az.: 4 A 3148/22

Einwilligung des Ehegatten; erhebliche nachteilige Auswirkungen; gebäudebezogener Missstand; gemeindliches Vorkaufsrecht; grundstücksbezogener Missstand; negative Ausstrahlung; städtebauliche Missstände; trading down effekt; Zu den Voraussetzungen der Ausübung des Vorkaufsrechts nach § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 8 BauGB hier verneint

Bibliographie

Gericht
VG Hannover
Datum
26.03.2024
Aktenzeichen
4 A 3148/22
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2024, 18955
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGHANNO:2024:0326.4A3148.22.00

Fundstelle

  • ZfIR 2024, 466

Tenor:

Der Bescheid der Beklagten vom 7. April 2022 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. Juli 2022 wird aufgehoben.

Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Die Entscheidung ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Vollstreckungsschuldnerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.

Tatbestand

Der Kläger wendet sich gegen die Ausübung des gemeindlichen Vorkaufsrechts durch die Beklagte.

Der Kläger ist Eigentümer eines Grundstückes in der F. 20 + 22, Gemarkung G., Flur H. - bestehend aus den Flurstücken I., J., K. und L. -, eingetragen im Grundbuch von G., Blatt 9365. Es liegt im Eingangsbereich zur Fußgängerzone. Das darauf befindliche Haus besteht aus zwei Gewerbeeinheiten im Erdgeschoss und sechs darüber liegenden Wohneinheiten. In der einen Gewerbeeinheit befindet sich eine Bar, in der zweiten ein Kebap-Imbiss. In den umliegenden Gebäuden befindet sich (abgesehen von der Wohnnutzung) Einzelhandel, Gastronomie und Kleingewerbe. Die F. mündet nördlich in eine größere Fußgängerzone. Sie läuft dabei direkt auf einen Marktplatz zu.

Bereits im Jahr 2018 bot der Kläger das o. g. Grundstück auf einer Internetplattform zum Verkauf an. Die Beklagte versuchte seinerzeit, das Grundstück zu erwerben, was aber an unterschiedlichen Preisvorstellungen scheiterte.

Mitte Januar 2022 schloss der Kläger einen notariellen Kaufvertrag mit einer Käuferin über das vorbezeichnete Grundstück zu einem Kaufpreis von 510.000,- Euro ab.

Nach dem Erhalt einer Mitteilung über den Abschluss des Kaufvertrages beschloss der Verwaltungsausschuss der Beklagten drei Tage darauf, das Vorkaufsrecht auszuüben. Zwei Tage später folgte ein entsprechender Beschluss des Rates der Beklagten.

Mitte/Ende März 2022 hörte die Beklagte den Kläger zur Ausübung ihres Vorkaufsrechts mit Verweis auf städtebauliche Missstände im Sinne des § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 8a) BauGB an.

Kurz darauf widersprach die Ehefrau des Klägers dem notariellen Kaufvertrag vom Januar 2022, da es sich bei dem veräußerten Grundstück um dessen gesamtes Vermögen handele.

Ende März 2022 erfolgte die notarielle Aufhebung des Kaufvertrages und es erging durch den jetzigen Prozessbevollmächtigten des Klägers eine entsprechende Mitteilung hierüber an die Beklagte.

Mit Bescheid vom 7. April 2022 übte die Beklagte gegenüber dem Kläger ihr Vorkaufsrecht bezogen auf das o. g. Grundstück aus. Sie stützte sich dabei auf § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 8a) BauGB i. V. m. § 136 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 (gemeint ist offensichtlich Nr. 2) BauGB, da städtebauliche Missstände in dem betreffenden Gebiet vorlägen. Letzteres sei "in der Erfüllung der Aufgaben erheblich beeinträchtigt, welche ihm nach seiner Lage und Funktion oblägen". Bei dem südwestlichen Bereich der Fußgängerzone in der F. handele es sich um eine städtebaulich und stadträumlich bedeutende Lage. Das Grundstück F. 20 + 22 bilde u. a. den Auftakt der Fußgängerzone in der Südstadt und den Eingangsbereich in die Innenstadt. Die F. habe bereits seit längerem mit "funktionalen Defiziten" zu kämpfen und sei gegenüber dem restlichen Innenstadtbereich "abgehängt", was sich durch zunehmende Leerstände und geringe Frequentierung äußere. Es fehlten Strukturen, die einem weiteren Funktionsverlust entgegenwirken könnten. Durch städtebauliche Maßnahmen im Umfeld solle hier entgegengesteuert werden. Dies werde jedoch durch die "kleinteilige Grundstücks- und Gebäudestruktur" im Bereich der F. 18 bis 22 erschwert. Eine der städteräumlichen Situation angemessene und frequentierte "Anker- und Auftaktnutzung" sei unter den gegenwärtigen (Flächen-) Verhältnissen nicht möglich. Ein weiterer Aspekt sei die "ungünstige Erschließung", die ebenfalls der Etablierung frequenzbringender und den M. bereich stabilisierender Nutzungen entgegenstehe. Somit sei das hier gegenständliche Grundstück als "Auftakt der Fußgängerzone" in der F. im gegenwärtigen Zustand erheblich darin beeinträchtigt, die sich aus dieser städtebaulich bedeutenden räumlichen Lage ergebenden Aufgaben zu erfüllen. Dieser "Missstand" wirke sich negativ auf das soziale und städtebauliche Umfeld aus. Weil eine frequenzbringende Nutzung an diesem Eingangs- bzw. Endpunkt der Fußgängerzone fehle bzw. in der gegenwärtigen Situation nicht realisierbar sei, mangele es an "Belebung und Frequenz von Innenstadtbesuchern". Darunter litten alle in diesem Abschnitt der F. ansässigen Nutzungen, sodass sich Leerstände häuften und die Perspektiven für noch vorhandene Angebote beeinträchtigt seien. Somit seien auch die Rahmenbedingungen für notwendige Investitionen in den Gebäudebestand erschwert, wovon zugleich die in den Obergeschossen liegenden Nutzungen (u. a. Wohnungen und Dienstleistungen) betroffen seien. Der "Missstand" und der Handlungsbedarf im beschriebenen Bereich seien zudem von einem Planungsbüro festgestellt worden, das derzeit ein integriertes städtebauliches Entwicklungskonzept (ISEK: Bl. 116ff. d. A.) für den Bereich der Innenstadt der Beklagten erstelle. Die Ausübung des Vorkaufsrechts sei erforderlich, da das Grundstück des Klägers den südlichen Auftakt der Fußgängerzone markiere. Um die F. zu stabilisieren und zu stärken seien hier frequenzbringende Angebote und/oder Nutzungen in einer adäquaten baulichen Struktur notwendig. Die Sicherung des Grundstücks des Klägers sei ein "erster wichtiger Schritt" zur Gestaltung des gesamten Eingangsbereiches der Innenstadt.

Dagegen erhob der Kläger fristgerecht Widerspruch, in welchem er u. a. auf den aufgehobenen Kaufvertrag hinwies. Der Vertrag sei schon deshalb unwirksam, weil seine Ehefrau dem Vertrag nicht zugestimmt habe, aber hätte zustimmen müssen, da er über sein gesamtes Vermögen verfügt habe. Seine entgegenstehende Behauptung gegenüber dem Notar sei falsch gewesen.

Mit Widerspruchsbescheid vom 5. Juli 2022 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. In Bezug auf Ausübung des Vorkaufsrechts verwies sie zunächst auf den Ausgangsbescheid. Darüber hinaus führte sie u. a. aus, es komme nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes nicht auf die Aufhebung des Kaufvertrages an. Schließlich sei nicht schlüssig dargetan, dass ein Fall des § 1365 BGB gegeben sei, zumal gegenüber dem Notar seitens des Klägers erklärt worden sei, dass durch den Grundstücksverkauf nicht das Vermögen als Ganzes veräußert werde.

Am 29. Juli 2022 hat der Kläger Klage erhoben. Zur Begründung wiederholt er im Wesentlichen sein Vorbringen aus dem Verwaltungsverfahren. Er ist der Ansicht, der Kaufvertag sei mangels Genehmigung gemäß §§ 1365, 1368 BGB unwirksam, weshalb der Beklagten schon vor diesem Hintergrund kein Vorkaufsrecht zustehe.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 7. April 2022 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. Juli 2022 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie bestreitet, dass es an einer Genehmigung des Kaufvertrages durch die Ehefrau des Klägers gefehlt habe. Vielmehr entstehe durch den vorliegenden Geschehensablauf der Eindruck, dass der Kläger selbst bei seiner Ehefrau angeregt habe, das an ihn gerichtete "Widerspruchsschreiben" zu verfassen. Darüber hinaus macht sie geltend, auch aus dem ISEK und den vorbereitenden Untersuchungen ergebe sich, dass das Grundstück in der F. 22 gemeinsam mit den Grundstücken F. 20 und F. 18 eine Schlüsselrolle den im ISEK Sanierungszielen spiele. Vor diesem Hintergrund habe sie - die Beklagte - bereits ein Städtebau-, Gebäude- und Erschließungskonzept für den Bereich F. 18 bis 22 beauftragt, um in diesem Bereich einen städtebaulichen und funktionalen Impuls zu setzen, der einen "positiven Ausstrahleffekt" auf die mit Frequenz- und Strukturproblemen behaftete F. habe und somit zur Stärkung und Sicherung des zentralen Innenstadtbereichs ihres Mittelzentrums beitrage. Dieses Ziel könne nur gelingen, wenn man im Hinblick auf eine "attraktive Nutzung" eine ausreichende und flexible Fläche schaffe, die auch ermögliche, die mit jeder Nutzungsetablierung verbundene "Erschließungsfrage (Anfahr- und Anlieferbarkeit; ggf. Stellplätze)" angemessen zu lösen. Somit sei eine Gesamtbetrachtung der drei Grundstücke Nrn. 18, 20 und 22 unerlässlich, wobei gegenwärtig das mittlere Grundstück "besonderen Handlungsbedarf" erfordere. Die Behaftung mit erheblichen städtebaulichen Funktionsmängeln ergebe sich für das streitgegenständliche Grundstück als Teil eines Ensembles, das es mit den beiden nördlich angrenzenden, bis zur N. reichenden, Grundstücken bilde. Aufgrund der "Standortanforderungen (adäquates Flächenangebot für impulsgebende und frequenzbringende Nutzungen, Sicherung einer angemessenen Erschließung)" sei eine "isolierte Betrachtung" des streitgegenständlichen Grundstücks aus städtebaulicher Sicht und mit Blick auf die Sanierungsziele "nicht zielführend". Aus dem ISEK seien für den Entschluss zur Ausübung des Vorkaufsrechts besonders entscheidend gewesen: 1. Der Bereich der F. habe eine hohe städtebauliche Bedeutung, da er einerseits einen "prominenten Eingangsbereich" der Fußgängerzone und der Innenstadt darstelle, jedoch andererseits deutliche bauliche und funktionale Mängel aufweise (ISEK, S. 24), 2. die F. habe sich sukzessive von der ehemaligen Haupteinkaufsstraße zwischen Post und Rathaus zu einer "Nebenanlage" entwickelt (ISEK, S. 32), 3. besonders die Eingangssituation in die Fußgängerzone an der F. sei "unattraktiv" und derzeit wenig einladend - in diesem Bereich herrsche eindeutig weniger Frequenz als in der O. - (ISEK, S. 42), 4. vor allem seien die Defizite in der Verknüpfung und Gestaltung der N. am Übergang zur Fußgängerzone in die F. "gravierend", wobei in der aktuellen Gestaltung Beton und Geländer dominierten, es wirke "wenig einladend" und in keiner Weise werde das "Ufer- bzw. Wasserpotenzial" genutzt; auch die Wahrnehmbarkeit der Aue sei von der F. aus unzureichend (ISEK, S. 48). Für eine "zukunftsfähige" Entwicklung des Eingangsbereichs der F. sei daher nur eine Gesamtlösung zielführend, welche die Grundstücke 18 bis 22 sowie den angrenzenden Bereich der P. berücksichtige. Dies lasse sich nur mittels Grunderwerb umsetzen. Das Gebäude auf dem streitgegenständlichen Grundstück sei mittlerweile mehr als 100 Jahre alt. Neben den 2019 festgestellten Brandschutzmängeln, die anschließend behoben worden seien, seien jedoch derzeit keine bauordnungswidrigen Umstände bekannt. Sie - die Beklagte - ist der Auffassung, dass es auf das Vorliegen bauordnungswidriger Zustände unter Berücksichtigung des dargestellten Widerspruches zu den städtebaulichen Entwicklungszielen nicht mehr ankomme. Der Gesetzgeber habe in § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 8 BauGB zwischen lit. a) und lit. b) durch die Verwendung des Wortes "oder" deutlich zum Ausdruck gebracht, dass zwischen diesen ein Alternativverhältnis bestehe.

Das Gericht hat das streitgegenständliche Grundstück und die nähere Umgebung in Augenschein genommen sowie Lichtbildaufnahmen des auf dem Grundstück befindlichen Gebäudes gefertigt. Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vor Ort verwiesen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und des beigezogenen Verwaltungsvorgangs Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist begründet.

Der Bescheid der Beklagten vom 7. April 2022 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. Juli 2022 ist rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

Hinsichtlich der Beurteilung der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Bescheides in Gestalt des Widerspruchsbescheides kommt es auf die tatsächlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung über die Ausübung des Vorkaufsrechts an, während mögliche zukünftige Entwicklungen nicht von Bedeutung sind (vgl. BVerwG, Urteil vom 9. November 2021 - 4 C 1/20 -, BVerwGE 174, 109-118).

Der von der Beklagten herangezogene § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 8a) BauGB, der einzig als Rechtsgrundlage für den angefochtenen Bescheid in Gestalt des Widerspruchsbescheides infrage kommen würde, war in diesem Zeitpunkt tatbestandlich nicht erfüllt.

Nach § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 8a) BauGB steht der Gemeinde ein Vorkaufsrecht beim Kauf von Grundstücken in Gebieten nach den §§ 30, 33 oder 34 BauGB zu, wenn in diesen ein städtebaulicher Missstand im Sinne des § 136 Absatz 2 Satz 2 in Verbindung mit Absatz 3 BauGB vorliegt und die Grundstücke dadurch erhebliche nachteilige Auswirkungen auf das soziale oder städtebauliche Umfeld aufweisen, insbesondere durch ihren baulichen Zustand oder ihre der öffentlichen Sicherheit und Ordnung widersprechende Nutzung.

Zweck des Vorkaufsrechts ist es, den Gemeinden den Zugriff auf Kaufgrundstücke im beplanten und im unbeplanten Innenbereich dort zu ermöglichen, wo ein baulicher oder ein städtebaulicher Missstand mit negativer Ausstrahlung auf das soziale oder städtebauliche Umfeld festzustellen ist; mit diesem Instrument soll die Gemeinde sog. "Schrottimmobilien" und verwahrlosten Anlagen habhaft werden, die den städtebaulichen Entwicklungszielen bzw. wohnungspolitischen Zielsetzungen nicht entsprechen (vgl.: Kröninger/Aschke/Jeromin, Baugesetzbuch, BauGB § 24 Rn. 11a, beck-online; Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger/Stock, 151. EL August 2023, BauGB § 24 Rn. 12g; Battis/Krautzberger/Löhr/Reidt, 15. Aufl. 2022, BauGB § 24 Rn. 15a; BeckOK BauGB/Grziwotz, 60. Ed. 1. Oktober 2023, BauGB § 24 Rn. 20a; Giesecke in: BauR 4/2022, Das Baulandmobilisierungsgesetz, S. 590; Uechtritz in: BauR 8/2021, Das Baulandmobilisierungsgesetz - Anmerkungen zu den Neuregelungen, S. 1236). In den Gesetzgebungsmaterialien heißt es: "In § 24 Absatz 1 Satz 1 Nummer 8 BauGB soll ein Vorkaufsrecht der Gemeinde für den Fall eingeführt werden, dass auf einem zu veräußernden Grundstück ein Missstand besteht und das Grundstück dadurch negative Ausstrahlungseffekte auf sein Umfeld verursacht. Die Vorschrift soll insbesondere dann einen Erwerb ermöglichen, wenn das Grundstück oder die darauf befindliche bauliche Anlage zugleich städtebaulichen Entwicklungszielen bzw. wohnungspolitischen Zielsetzungen nicht entspricht, den geltenden Vorschriften zu Umgang, Nutzung und Bewirtschaftung nicht entspricht oder eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt" (Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Bau, Wohnen, Stadtentwicklung und Kommunen BT-Drs. 19/29396, S. 52; RegVorl. Begründung BT-Drs. 19/24838, S. 27). Teilweise wird von einem Vorkaufsrecht für den "städtebaulichen Schandfleck" gesprochen und als Beispiel das Haus genannt, das langsam verfällt, aber an städtebaulich prominenter Position liegt; betroffen sind somit vor allem sanierungsbedürftige Objekte (vgl. BeckOK BauGB/Grziwotz, 60. Ed. 1. Oktober 2023, BauGB § 24 Rn. 20a, m. w. N.). Dies kommt im Gesetz dadurch zum Ausdruck, dass die Vorschrift hervorhebt, dass die nachteiligen Auswirkungen "insbesondere" durch den baulichen Zustand des Grundstücks oder seine der öffentlichen Sicherheit und Ordnung widersprechende Nutzung ausgehen müssen. Diese Aufzählung ist zwar nicht abschließend, setzt aber voraus, dass andere Missstände mit den beiden dort genannten jedenfalls vergleichbar sind.

Dieses Vorkaufsrecht der Gemeinde betrifft nach dem klaren Wortlaut des § 24 Abs. 1 Nr. 8a) BauGB Fälle, in denen auf dem zu veräußernden Grundstück ein städtebaulicher oder baulicher (von der Gemeinde zu benennender und nachzuweisender) Missstand im Sinne des § 136 Abs. 2 Satz 2 i. V. m. Abs. 3 BauGB besteht und das Grundstück dadurch negative Ausstrahlungseffekte auf sein Umfeld verursacht (vgl.: Battis/Krautzberger/Löhr/Reidt, 15. Aufl. 2022, BauGB § 24 Rn. 15a; Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger/Stock, 151. EL August 2023, BauGB § 24 Rn. 44h; Giesecke in: BauR 4/2022, Das Baulandmobilisierungsgesetz, S. 591). Mit Blick auf die in der Vorschrift genannten Regelbeispiele muss auch ein gebäudebezogener Missstand bestehen (vgl. BeckOK BauGB/Grziwotz, 60. Ed. 1. Oktober 2023, BauGB § 24 Rn. 20a, m. w. N.).

Die erheblichen nachteiligen Auswirkungen müssen auf das soziale oder städtebauliche Umfeld ausstrahlen; der bestehende Missstand muss dergestalt sein, dass seine Auswirkungen nicht auf das Grundstück oder die auf diesem vorhandene(n) bauliche Anlage(n) selbst beschränkt bleiben (vgl. Battis/Krautzberger/Löhr/Reidt, 15. Aufl. 2022, BauGB § 24 Rn. 15d). Nicht ausreichend ist deshalb allein die Lage des Grundstücks in einem Gebiet mit städtebaulichen Missständen (vgl.: BeckOK BauGB/Grziwotz, 60. Ed. 1. Oktober 2023, BauGB § 24 Rn. 20a). Auswirkungen können auf einer baulichen Vernachlässigung oder Verwahrlosung beruhen, die geeignet ist, die physische Sicherheit der Bevölkerung zu gefährden (z. B. Gefahr herabstürzender Fassadenteile) oder die nähere Umgebung oder das betroffene Viertel sozial oder wirtschaftlich abzuwerten - sog. "trading down Effekt" (vgl. Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger/Stock, 151. EL August 2023, BauGB § 24 Rn. 44k).

Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht erfüllt.

Hier fehlt es schon an einem Missstand auf dem Grundstück, der negativ auf sein Umfeld ausstrahlt. Nach den Feststellungen des Gerichts sind keine negativen Auswirkungen von dem klägerischen Grundstück erkennbar, die als ursächlich für die von der Beklagten bezeichneten städtebaulichen Missstände wären.

Die Beklagte hebt zwar darauf ab, dass dem Grundstück wegen seiner Lage im Eingangsbereich in die Fußgängerzone eine besondere Bedeutung zukomme, und im Verwaltungsvorgang ist an mehreren Stellen ausgeführt, dass eine Vielzahl baulicher und brandschutzrechtlicher Mängel vorlägen. Weder der gewonnene Eindruck der Kammer vor Ort noch die im Verwaltungsvorgang befindlichen Bilder vermitteln jedoch den Eindruck, dass die auf dem Grundstück befindliche Immobilie sich in einem äußerlich schlechten Zustand befindet und beispielsweise einen abschreckenden Effekt auf potentielle Innenstadtbesucher haben könnte (anders wäre es, wenn es sich um ein äußerlich "heruntergekommenes" Haus handelte, wie beispielsweise die Immobilie, welche sich im streiterheblichen Zeitpunkt auf dem Grundstück rechts daneben befand). Die Beklagte selbst hat in der mündlichen Verhandlung zudem noch einmal bestätigt, dass keine baurechtlichen Mängel vorlägen bzw. im streiterheblichen Zeitpunkt vorgelegen hätten. Auch wenn sich aus dem Verwaltungsvorgang ebenfalls ergibt, dass der Kläger möglicherweise kein Geld für Investitionen am Gebäude zur Verfügung hat (die letzte Renovierung datiert aus dem Jahr 2008), ist das Gebäude nach dem in der mündlichen Verhandlung gewonnen Eindruck sowie den Bildern im Verwaltungsvorgang in keinem Fall als sogenannte "Schrottimmobilie" oder "verwahrloste Anlage" zu klassifizieren. Die von der Beklagte 2018/2019 benannte "Vermüllung" des Gartens konnte von der Kammer nicht wahrgenommen werden und könnte auch keinen Außeneffekt auf die Zielgruppe der Innenstadtbenutzer haben, da der Garten nach hinten liegt und von der Fußgängerzone bzw. vor dieser nicht einzusehen ist. Das Gebäude hebt sich nicht negativ von den umliegenden ab, sondern ist sogar wohl (äußerlich) in einem besseren Zustand als andere (im Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides) danebenbefindliche Immobilien (s. o.). Nach den Ausführungen der Beklagten ist ersichtlich, dass es um eine "Aufwertung" des Gebietes durch städtebauliche Maßnahmen geht, nicht aber um die Verhinderung eines sog. "trading down Effekts", der vom streitgegenständlichen Grundstück ausgeht. Bezeichnenderweise wird ein "besonderer Handlungsbedarf" auch gerade nicht für das Grundstück des Klägers, sondern für das Nachbargrundstück (Nr. 20) gesehen; dieses wird im Übrigen auf Seite 39 des ISEK mit der Bildunterschrift "Sanierungsbedarf in der F." gezeigt. Soweit die Beklagte ausführt, dass eine isolierte Betrachtung des Grundstücks nicht angezeigt sei, müsste sie aber dennoch darlegen und materiell beweisen, dass von dem Grundstück (ggf. in Verbindung mit danebenliegenden Grundstücken, dann aber mit eigenem Gewicht vom betroffenen Grundstück) nachteilige Wirkungen ausgehen. Dies ist ihr nicht gelungen. Wenn die Beklagte als Ziel einen "positiven Ausstrahlungseffekt" wünscht, ist dies mit der gesetzlichen Zielrichtung des § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 8 BauGB nicht vereinbar, der "lediglich" nachteilige Auswirkungen verhindern will. Des Weiteren führt die Beklagte aus, durch die "kleinteilige Grundstücks- und Gebäudestruktur" im Bereich der F. 18 bis 22 werde die Erfüllung der Aufgabe, die der Eingangsbereich in die Fußgängerzone habe, erschwert, weshalb sie alle dort befindlichen Grundstücke nach und nach erwerben wolle, um diese derart zu verbinden, dass größere Gebäude darauf errichtet werden könnten. Dabei handelt es sich aber um keinen vom Grundstück ausgehenden Missstand; auch die Gebäudebezogenheit fehlt. Die Zusammenführung von Grundstücken ist nicht der vom Gesetzgeber ins Auge gefasste Anwendungsfall für den § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 8 BauGB. Dass das Vorkaufsrecht nicht für solche Konstellationen gedacht ist, lässt sich wohl auch im Umkehrschluss aus der Abwendungsbefugnis des § 27 Abs. 1 BauGB ableiten, welches in solchen Fällen in jedem Fall ins Leere laufen würde (vgl. hierzu auch Giesecke in: BauR 4/2022, Das Baulandmobilisierungsgesetz, S. 591, der darauf hinweist, dass die vorbezeichnete Abwendungsbefugnis der Durchsetzung des Vorkaufsrechts der Gemeinde häufig entgegenstehen dürfte). Zudem war im streiterheblichen Zeitraum überhaupt nicht klar, ob und falls ja, wann die Beklagte die weiteren Grundstücke wird erwerben können (was auch weiterhin der Fall ist). Dies spricht ebenfalls klar dagegen, dass dieser von der Beklagten ins Feld geführt Punkt tragfähig ist, zumal jedenfalls in absehbarer Zeit keine Abhilfe in Bezug auf den Missstand geschaffen werden könnte.

Auch aus der Nutzung des Grundstücks ergibt sich kein negativer Ausstrahlungseffekt; zudem widerspricht diese nicht - wie im Gesetz gefordert - der öffentlichen Ordnung. Aus den Ausführungen der Beklagten geht hervor, dass sie eine negative Auswirkung durch Art der Nutzung der auf dem streitgegenständlichen Grundstück befindlichen Immobilie sieht. Diese ist aber typisch für das betreffende Gebiet (Bar und Imbiss). Denn beispielsweise befindet sich im gegenüberliegenden Gebäude ein Frisör und ein Schnellrestaurant, vor dem Eingang in die Fußgängerzone ist ein Sushi-Restaurant, etwas weiter in der Fußgängerzone ist ein Nagelstudio ansässig. Es erschließt sich nicht, welche Nutzung hier positiver sein könnte. Auch ist nicht erkennbar, wie die aktuelle Nutzung eine erhebliche Außenwirkung derart haben soll, dass die der Fußgängerzone städtebaulich zukommende Aufgabe nicht bzw. schlecht erfüllt wird. Schließlich ist zu berücksichtigen, dass der Gesetzgeber eine der öffentlichen Sicherheit und Ordnung widersprechende Nutzung beispielhaft als Anknüpfungspunkt für das Vorkaufsrecht bestimmt hat. Eine solche umfasst dabei auch eine Nichtnutzung, da gerade sie häufig zu einer Verwahrlosung führt, die sich auf das soziale oder städtebauliche Umfeld negativ auswirkt (Battis/Krautzberger/Löhr/Reidt, 15. Aufl. 2022, BauGB § 24 Rn. 15d). Im Übrigen müsste es sich demnach um eine baurechtswidrige Nutzung handeln. Beides ist hier offensichtlich nicht gegeben. Ein mit dem genannten Regelbeispiel vergleichbarer Fall liegt auch nicht vor.

Wie die Beklagte in der mündlichen Verhandlung selbst eingestanden hat, war (und ist) eigentlich geplant, den streitgegenständlichen Teil der F. als Sanierungsgebiet förmlich festzulegen, um anschließend einen Erwerb der von ihr bezeichneten Grundstücke (F. 18 bis 22) mittels der Ausübung eines Vorkaufsrechtes nach § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BauGB zu realisieren. Dies ist aber bislang nicht erfolgt. Dass die Beklagte - trotz fehlenden Vorliegens der Voraussetzungen der vorzitierten Norm - die "günstige Gelegenheit nutzen" wollte (wie sie in der mündlichen Verhandlung ausführte), die sich durch den Verkauf des klägerischen Grundstückes aus ihrer Sicht ergab, berechtigt sie nicht, das Vorkaufsrecht auf Grundlage einer nicht einschlägigen Vorschrift auszuüben.

Die Kammer kann daher offenlassen, ob der Einwand des Klägers, der von ihm geschlossene Kaufvertrag sei unwirksam, weil er diesen ohne die gemäß § 1365 BGB erforderliche Einwilligung seiner Ehefrau abgeschlossen habe, beachtlich ist. Es entspricht zwar herrschender Auffassung in Literatur und Rechtsprechung, dass als Voraussetzung für die Ausübung des Vorkaufsrechts alle für den Kaufvertrag erforderlichen privatrechtlichen und öffentlich-rechtlichen Genehmigungen erteilt sein müssen (Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger/Stock, 153. EL Januar 2024, BauGB § 24 Rn. 55, m. w. N.). Es erscheint aber fraglich, ob diese Auffassung auf die Konstellation des § 1365 Abs. 1 BGB übertragbar ist.

Ein Vertrag, den ein Ehegatte ohne die erforderliche Einwilligung des anderen Ehegatten schließt, ist wirksam, wenn dieser ihn genehmigt (§ 1366 Abs. 1 BGB). Der Vertrag ist also zunächst schwebend unwirksam. Der vertragsschließende Ehegatte kann sich nicht einseitig lösen, der andere Ehegatte hat die Möglichkeit, einen vorteilhaft erscheinenden Vertrag durch Genehmigung vollwirksam zu lassen. Verweigert er die Genehmigung, kommt eine Zustimmungsersetzung durch das Familiengericht in Betracht. Der Dritte wiederum hat ein eingeschränktes Widerrufsrecht (vgl. Siede in: Grüneberg, Bürgerliches Gesetzbuch, § 1366 Rn. 1). § 1365 BGB enthält zudem das ungeschriebene Merkmal der positiven Kenntnis. Der Dritte muss wissen, dass das Rechtsgeschäft das ganze oder zumindest nahezu das ganze Vermögen umfasst, oder zumindest die Verhältnisse kennen, aus denen sich dies ergibt (vgl. Siede in: Grüneberg, Bürgerliches Gesetzbuch, § 1365 Rn. 8). In dieser Konstellation ist es jedenfalls für die Behörde schwierig zu klären, ob der Vertrag wirksam ist/wird oder nicht. Das gilt erst recht für die Fälle wie den vorliegenden, wenn der Kaufvertrag zwischenzeitlich aufgehoben wurde.

Hinzu kommt, dass die Ehefrau des Klägers bereits dadurch geschützt ist, dass als Folge der Ausübung des Vorkaufsrechts zwischen dem Kläger und der Beklagten ein neuer rechtlich selbständiger Kaufvertrag zustande kommt, auf den dann seinerseits die Vorschriften des § 1365 ff. BGB Anwendung finden.

Offen blieben kann zudem, ob die sehr vage Angabe des Verwendungszweckes des streitgegenständlichen Grundstückes vor dem Hintergrund von § 24 Abs. 3 Satz 3 BauGB - wonach die Gemeinde bei der Ausübung des Vorkaufsrechts zudem den Verwendungszweck des Grundstücks anzugeben hat - ausreichend ist.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit § 708 Nr. 11 und § 711 Satz 1 und 2 ZPO.