Verwaltungsgericht Hannover
Beschl. v. 05.03.2024, Az.: 5 A 4504/23
Asyl; Nichtaussetzungsbeschluss; Sudan; Untätigkeitsklage; vorübergehend ungewisse Lage (verneint); Nichtaussetzungsbeschluss; Aufschub nach § 24 Abs. 5 AsylG im Hinblick auf die Lage im Sudan
Bibliographie
- Gericht
- VG Hannover
- Datum
- 05.03.2024
- Aktenzeichen
- 5 A 4504/23
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2024, 12924
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:VGHANNO:2024:0404.5A4504.23.00
Rechtsgrundlagen
- AsylG § 25 Abs. 7
Amtlicher Leitsatz
- 1.
§ 24 Abs. 7 AsylG bildet eine absolute Höchstfrist für Entscheidungen des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge
- 2.
Die Voraussetzungen des § 24 Abs. 5 AsylG liegen im Hinblick auf den Sudan nicht (mehr) vor.
Tenor:
Der Antrag der Beklagten, das Klageverfahren auszusetzen und eine angemessene Frist für die Entscheidung zu bestimmen, wird abgelehnt.
Gründe
Der Antrag der Beklagten,
das Klageverfahren auszusetzen und eine angemessene Frist für die Entscheidung zu bestimmen,
hat keinen Erfolg.
Nach § 75 Satz 3 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) setzt das Gericht das Verfahren bis zum Ablauf einer von ihm bestimmten Frist, die verlängert werden kann, aus, wenn ein zureichender Grund dafür vorliegt, dass der beantragte Verwaltungsakt noch nicht erlassen wurde. Voraussetzung für eine Entscheidung über die Aussetzung ist jedoch, dass die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen vorliegen und die Klage nicht offensichtlich unzulässig ist. In diesen Fällen entscheidet das Gericht nicht über die Aussetzung, sondern setzt das Verfahren fort und weist die Klage ab (Porsch in: Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, 44. EL, Rn. 7 zu § 75 VwGO).
Die Klage ist als Untätigkeitsklage nach § 75 VwGO zulässig. Nachdem die Klage nach mehr als 8 Jahren nach Stellung des Asylantrags des Klägers am 8. Januar 2016 erhoben worden ist, ist die Frist von drei Monaten nach § 75 Satz 2 VwGO, die im Allgemeinen als angemessene Frist für die Entscheidung über einen Antrag auf Vornahme eines Verwaltungsakts anzusehen ist, bei weitem verstrichen. Die Drei-Monats-Frist in § 75 Satz 2 VwGO wird nicht durch die Fristenregelungen in § 24 Abs. 4 bis 8 des Asylgesetzes (AsylG) verdrängt oder modifiziert; ob das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) für eine verspätete Entscheidung einen zureichenden Grund hatte, ist eine Frage der Spruchreife als Teil der Begründetheit der Klage (Dickten in: BeckOK AuslR, 39. Ed., Rn. 14 zu § 24 AsylG). Darüber hinaus ist die Klage als sog. "Untätigkeitsbescheidungsklage" unter dem Gesichtspunkt der Besonderheiten des behördlichen Asylverfahrens und seinen spezifischen Verfahrensgarantien, insbesondere mit Blick auf die besondere Bedeutung der persönlichen Anhörung durch das Bundesamt nicht grundsätzlich unzulässig (vgl. BVerwG, Urteil vom 11.7.2018 - BVerwG 1 C 18.17 -, beck online).
Die Klage ist auch nicht offensichtlich unbegründet. Dem Kläger dürfte nach der Rechtsprechung der Kammer (vgl. bspw. Urteil vom 7. November 2023, Az. 5 A 1228/23) aufgrund eines anhaltenden innerstaatlichen bewaffneten Konflikts im Sudan voraussichtlich subsidiärer Schutz zuzuerkennen sein.
Das Verfahren ist nicht gemäß § 75 Satz 3 VwGO unter Bestimmung einer angemessenen Frist auszusetzen, weil ein zureichender Grund dafür, dass über den bereits am 8. Januar 2016 gestellten Asylantrag des Klägers noch nicht entschieden wurde, nicht vorliegt.
Dies folgt bereits aus § 24 Abs. 7 AsylG, wonach das Bundesamt spätestens 21 Monate nach der förmlichen (Asyl-)Antragstellung entscheidet. Diese absolute Höchstfrist entspricht den unionsrechtlichen Vorgaben des Art. 31 Abs. 5 RL 2013/32/EU (BeckOK AuslR/Dickten, 39. Ed. 1.10.2023, Rn. 12a zu § 24 AsylG) und gilt auch im Anwendungsbereich des § 24 Abs. 5 AsylG, auf den sich die Beklagte vorliegend zur Begründung der Verzögerung beruft.
Ungeachtet dessen liegen die Voraussetzungen des § 25 Abs. 5 AsylG im Hinblick auf die derzeitige Lage im Sudan nicht (mehr) vor. Die Beklagte macht geltend, dass im Sudan aufgrund der anhaltenden und sich ausdehnenden militärischen Auseinandersetzungen zwischen SAF und RSF in dem Bundesstaat al-Khartum und den Dafurregionen eine vorübergehende ungewisse Lage bestehe, infolge derer eine Entscheidung vernünftigerweise nicht erwartet werden kann.
Unstreitig herrscht im Sudan gegenwärtig ein gewaltsamer Konflikt, der sich auf die humanitäre Lage und die Sicherheit der Zivilbevölkerung erheblich auswirkt. Das Gericht hat bereits im Sommer 2023 in ähnlich gelagerten Fällen den Klägern internationalen subsidiären Schutz zuerkannt und dabei insbesondere darauf abgestellt, dass schon eine Rückkehr über die Hauptstadt Khartum aufgrund der dort herrschenden Auseinandersetzung nicht in Betracht kommt.
Schon eine vorübergehend ungewisse Lage ist nach mehreren Monaten sich intensivierender Kämpfe nicht mehr anzunehmen. Wie das Bundesamt offenbar selbst annimmt, handelt es sich bei den Konflikten im Sudan um eine anhaltende und damit nicht bloß vorübergehende Situation. Insofern liegt zwar eine weiterhin hochdynamische Lage vor, deren weitere Entwicklung in Einzelheiten im Sine von § 24 Abs. 5 AsylG ungewiss sein mag. Aus dieser Ungewissheit folgt indes nicht, dass eine Entscheidung in der Sache vernünftigerweise nicht erwartet werden kann, denn der innerstaatliche bewaffnete Konflikt hat längst ein Ausmaß erreicht, das den Anspruch auf internationalen subsidiären Schutz unabhängig von einzelnen Ereignissen trägt.
Die Kampfhandlungen haben bereits vor über zehn Monaten begonnen und sind nach Einschätzung landeskundlicher Experten aufgrund ihrer ethnischen Dimension und zyklischen Gewaltmuster nicht schnell zu lösen. Insgesamt sind weder die SAF noch die RSF an der Niederlegung der Waffen interessiert. Beide Gruppen streben eine strategisch-militärische Eroberung des jeweils anderen an (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Briefing Notes vom 17.7.23 https://www.ecoi.net/de/dokument/2095217.html; Zugriff am 16.8.23, S.13). Ernsthafte Gespräche über einen Waffenstillstand zwischen Machthaber Al Burhan und RSF-Führer Hemeti gibt es bereits seit Monaten nicht mehr, obwohl Nachbarländer wie Kenia, Ägypten oder Äthiopien immer wieder Verhandlungen angekündigt hatten. Stattdessen war zuletzt eine Intensivierung der Kämpfe zu beobachten, die in den vergangenen Jahren hochgerüsteten Truppen der beiden Generäle bekriegen sich immer kompromissloser (Tagesspiegel, Hunger, Flucht und Gewalt im Sudan: Warum Afrikas blutigster Machtkampf nicht endet, Hunger, Flucht und Gewalt im Sudan: Warum Afrikas blutigster Machtkampf nicht endet (tagesspiegel.de); Zugriff am 29.2.2024).
Nach alledem ist angesichts der tatsächlichen Lage nur eine den subsidiären Schutz ablehnende Entscheidung vernünftigerweise nicht erwartet werden. Die Aussetzung der Entscheidung wegen vorübergehender ungewisser Lage im Herkunftsstaat dient jedoch nicht dazu, die Realisierung absehbar bestehende Anerkennungsansprüche zu verhindern (vgl. Fränkel in: NK-AuslR, 3. Auflage 2023, Rn. 33 zu § 24 AsylG).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).