Verwaltungsgericht Oldenburg
Urt. v. 24.06.2008, Az.: 7 A 1830/06
Diabetes mellitus; Togo, Behandlung von Diabetes mellitus; Extremgefahr, Diabetes mellitus als; Kostenübernahmeerklärung der Ausländerbehörde
Bibliographie
- Gericht
- VG Oldenburg
- Datum
- 24.06.2008
- Aktenzeichen
- 7 A 1830/06
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2008, 46019
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:VGOLDBG:2008:0624.7A1830.06.0A
Rechtsgrundlage
- 60 VII AufenthG
Amtlicher Leitsatz
- 1.
Eine insulinpflichtige Diabetes ist in Togo zwar grundsätzlich behandelbar, die Behandlung ist für Durchschnittsverdiener aber in aller Regel unbezahlbar
- 2.
Die Abschiebung eines insulinpflichtigen Diabetikers nach Togo setzt diesen daher, wenn er nicht über besondere finanzielle Möglichkeiten verfügt, sehenden Auges dem Tode oder schwersten Gesundheitsschäden aus
- 3.
Eine zeitlich begrenzte Kostenübernahmeerklärung der Ausländerbehörde vermag daran dann nichts zu ändern, wenn feststeht, dass der Ausländer auch danach die Behandlung weiterhin dringend benötigt und sie nicht finanzieren können wird.
Tatbestand
Der Kläger ist togoischer Staatsangehöriger. Er reiste im Jahre 2001 nach Deutschland ein und stellte einen ersten Asylantrag. Zur Begründung trug er vor, er sei Mitglied der Oppositionspartei UFC gewesen. Außerdem habe er als selbständiger Schneider für eine der Frauen oder Geliebten des Präsidenten ein Kleid herstellen sollen. Da die Frau aber mit seiner Arbeit unzufrieden gewesen sei, sei es zu einem Streit gekommen, in dessen Verlauf er die Frau geohrfeigt habe. In der Folgezeit sei er deswegen in Togo verfolgt, verhaftet und gefoltert worden.
Die Beklagte hat den Asylantrag mit Bescheid vom 27. August 2001 abgelehnt und festgestellt, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG a.F. und die Voraussetzungen des § 53 AuslG a.F. nicht vorliegen. Zur Begründung heißt es in dem Bescheid, dass die vom Kläger vorgetragene Verfolgungsgeschichte unglaubhaft sei. Krankheitsbedingte Abschiebungshindernisse wurden in dem Bescheid nicht thematisiert.
Die vom Kläger gegen diesen Bescheid erhobene Klage wurde mit Urteil des Verwaltungsgerichts Oldenburg vom 31. Januar 2003 abgewiesen; der hiergegen gerichtete Antrag auf Zulassung der Berufung wurde vom Niedersächsischen Oberverwaltungsgericht mit Beschluss vom 10. März 2003 abgelehnt. Auch die Gerichte stuften den Vortrag des Klägers zu seiner Verfolgung als unglaubhaft ein.
Am 29. Januar 2004 stellte der Kläger einen Asylfolgeantrag, der mit Bescheid vom 3. Februar 2004 von der Beklagten abgelehnt wurde. Die hiergegen gerichtete Klage wurde vom Verwaltungsgericht Oldenburg mit Urteil vom 2. Juli 2004 abgewiesen. Dieses Urteil ist rechtskräftig.
Am 19. Januar 2006 beantragte der Kläger beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, das Verfahren zur Feststellung von Abschiebungshindernissen nach § 60 Abs. 7 AufenthG wieder aufzugreifen. Zur Begründung trug er vor, dass bei ihm im Februar 2005 eine Diabetes mellitus Typ II erstmals diagnostiziert worden sei. Folgeschäden seien noch nicht eingetreten, es sei aber ein leichter beginnender Nierenschaden vorhanden. Es bedürfe der viermal jährlichen Kontrolle seiner Stoffwechselsituation. Außerdem müsse er Diät halten und einmal täglich das Medikament Formin 500 mg einnehmen. Diese Behandlung sei für ihn in Togo nicht finanzierbar. Ohne Behandlung würde sich der beginnende Nierenschaden aber verwirklichen. Ob der Antrag noch innerhalb der Frist nach § 51 Abs. 3 VwVfG gestellt wurde, könne dahinstehen, da jedenfalls das Ermessen der Beklagten im Rahmen von § 51 Abs. 5 VwVfG i.V.m. § 48, 49 VwVfG auf Null reduziert sei.
Der Antrag auf Wiederaufgreifen des Verfahrens zur Feststellung der Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 AufenthG wurde mit Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 15. März 2006 abgelehnt. Ein Anspruch auf Wiederaufgreifen nach § 51 VwVfG bestehe nicht, da die Frist des § 51 Abs. 3 VwVfG versäumt worden sei. Der Antrag sei erst am 19. Januar 2006 und damit mehr als drei Monate nach Kenntniserlangung von der Diabetes mellitus gestellt. Auch ein Wiederaufgreifen im weiteren Sinne nach § 48 oder § 49 VwVfG komme nicht in Betracht. Die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 AufenthG lägen nach wie vor nicht vor. Diabetes mellitus sei in Togo behandelbar. Allerdings müssten die Medikamente und Arztbesuche dort vom Patienten selbst bezahlt werden. Man unterstelle insofern als wahr, dass der Kläger dies nicht finanzieren könnte. Jedoch sei der Landkreis Vechta als zuständige Ausländerbehörde bereit, die Behandlungskosten für ca. zwei Jahre zu übernehmen. Dabei schätzte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge die Behandlungskosten auf ca. 1 365,00 € jährlich. Durch diese Kostenübernahme sei gewährleistet, dass dem Kläger bei einer Rückkehr nach Togo nicht alsbald eine wesentliche Verschlechterung seines Gesundheitszustandes drohe.
Der Kläger hat am 31. März 2006 Klage erhoben. Er ist der Ansicht, einen Anspruch auf Wideraufgreifen des Verfahrens des § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG zu haben. Er habe auch die Antragsfrist des § 51 Abs. 3 VwVfG eingehalten. Hierfür sei nicht die Kenntnis von der Diabetes-Erkrankung als solcher maßgeblich. Vielmehr komme es darauf an, dass ihm erst im November 2005 eine Insulin-Therapie empfohlen worden sei. Die Erforderlichkeit einer Insulin-Therapie erhöhe die Behandlungskosten und die Gefahren, die bei einem Abbruch der Behandlung drohen. Insofern stelle der Beginn der Insulin-Therapie einen eigenständigen Wiederaufgreifensgrund dar. Auch die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 AufenthG lägen vor. Er könne die medizinische Behandlung in Togo nicht bezahlen. Die Kostenübernahmeerklärung der Ausländerbehörde schiebe die zu erwartenden Gesundheitsschäden lediglich zeitlich hinaus.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte zur Abänderung des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 27. August 2001 und zur Feststellung der Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 AufenthG zu verpflichten sowie den Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 15. März 2006 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung verweist sie auf den angefochtenen Bescheid. Nachdem ihr im Verlaufe des gerichtlichen Verfahrens durch das Gericht neue Informationen zur Medikation des Klägers sowie eine von der Ausländerbehörde eingeholte Auskunft der Deutschen Botschaft in Togo zu den Behandlungskosten überreicht wurden, hat die Beklagte ihre Schätzung der Behandlungskosten in Togo auf monatlich ca. 80,00 € reduziert. Eine der neuen Kostenschätzung und der neuen Medikation angepasste Kostenübernahmeerklärung der Ausländerbehörde für zwei Jahre wurde überreicht.
Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig. Insbesondere wurde mit der Klageerhebung am 31. März 2006 die zweiwöchige Klagefrist des § 74 Abs. 1 1. Halbsatz AsylVfG gewahrt. Laut dem Aktenvermerk auf Blatt 59 des Verwaltungsvorganges wurde der Bescheid am 16. März 2006 per Einschreiben zur Post gegeben. Er gilt damit gemäß § 4 Abs. 2 VwZG als am 19. März 2006 zugestellt, so dass der 31. März 2006 noch innerhalb der Zwei-Wochen-Frist liegt.
Die Klage ist auch begründet. Dabei kann hier dahinstehen, ob die Frist des § 51 Abs. 3 VwVfG eingehalten wurde. Denn jedenfalls hat der Kläger einen Anspruch auf Widerruf der Feststellungen zu § 53 AuslG a.F. im Bescheid vom 27. August 2001 gemäß § 49 Abs. 1 VwVfG und einen Anspruch auf Feststellung der Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Das diesbezüglich nach § 49 Abs. 1 VwVfG bestehende Ermessen der Beklagten ist vorliegend auf Null reduziert.
Die Voraussetzungen eines Widerrufs nach § 49 Abs. 1 VwVfG liegen vor. Die ursprünglich rechtmäßige Ablehnung der Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 AufenthG ist im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung, auf den hier gemäß § 77 Abs. 1 AsylVfG abzustellen ist, rechtswidrig geworden. Da inzwischen die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorliegen, müsste auch nicht sofort wieder ein § 60 Abs. 7 AufenthG erneut ablehnender Bescheid erlassen werden (vgl. § 49 Abs. 1 2. Halbsatz VwVfG).
Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Eine solche Gefährdung kann auch dann angenommen werden, wenn eine Krankheit, an der der Ausländer leidet, im Zielstaat nicht ausreichend behandelt werden kann oder der Ausländer die an sich verfügbare medizinische Behandlung tatsächlich nicht erlangen kann (vgl. Renner, Ausländerrecht, 8. Aufl., § 60 AufenthG, Rdnr. 54). Besonderheiten ergeben sich allerdings, wenn die in Rede stehende Gefahr eine solche im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG ist, mithin eine allgemeine Gefahr besteht, der die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist. In diesem Fall ist eine Entscheidung der obersten Landesbehörde nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG für die Bevölkerung oder Bevölkerungsgruppe erforderlich. Existiert - wie hier - eine derartige Entscheidung nicht, so vermag eine allgemeine Gefahr ein Abschiebungsverbot bei verfassungskonformer Auslegung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG lediglich dann zu begründen, wenn sie derart extrem ist, dass der Ausländer im Falle seiner Abschiebung gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde (vgl. BVerwG, Urteil vom 19. November 1996 - 1 C 6/95 -, NVwZ 1997, 685 ff.). Ob die Anzahl der in Togo an die Diabetes mellitus Typ II leidenden Personen so groß ist, dass diese Personen als eigenständige Bevölkerungsgruppe und die ihnen drohenden Gefahren daher als "allgemein" gelten, kann hier dahinstehen. Denn auch der strengere Maßstab, der im Falle einer allgemeinen Gefahr anzulegen wäre, ist hier erfüllt. Der Kläger würde im Falle seiner Abschiebung nach Togo gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tode, zumindest aber schwersten Gesundheitsschäden ausgeliefert.
Nach den ärztlichen Unterlagen, die sich in der Gerichtsakte und im Verwaltungsvorgang befinden, leidet der Kläger an Diabetes mellitus Typ II. Er benötigt folgende medizinische Behandlung:
Einmal täglich zur Nacht muss er sich acht Einheiten Berlinsulin H Basal mit einem Pen spritzen. Nach den Angaben des Klägers benötigt er ca. eine 3 ml-Ampulle für zwei Wochen.
Dreimal täglich muss der Kläger sich mit einem Pen die Insulinsorte Actrapit spritzen und zwar je nach Bedarf vier bis neun Einheiten. Der Kläger gibt an, pro Woche eine 3 ml-Ampulle zu verbrauchen.
Zusätzlich muss der Kläger zur Verbesserung der Wirkung des Insulins das speziell für Diabetes Typ II entwickelte Medikament Metformin Ratiopharm 1000 mg nehmen, und zwar zwei Tabletten täglich. Hinzu kommt noch eine Tablette Lisabeat 20 mg pro Tag. Zur täglichen Blutzuckerkontrolle benötigt er das Gerät "Accu-Check Avia".
Auch die Beklagte zieht die Richtigkeit dieser medizinischen Angaben und die Notwendigkeit der angegebenen Behandlung nicht in Zweifel. Für den Einzelrichter gibt es ebenfalls keinerlei Anhaltspunkte für Zweifel diesbezüglich.
Der Einzelrichter geht davon aus, dass die notwendige Behandlung in Togo prinzipiell verfügbar ist. Nach den Angaben des Auswärtigen Amtes im aktuellen Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Togo vom 29. Januar 2008 (Lagebericht), Seite 12, kann Diabetes mellitus in Togo behandelt werden. Entsprechende Medikamente seien erhältlich. Die erforderlichen Messgeräte seien vorhanden.
Allerdings wäre diese Behandlung für den Kläger in Togo praktisch unverfügbar, da er sie nicht bezahlen könnte.
Der Lagebericht vom 28. Januar 2008 führt auf Seite 11 f. zur Finanzierbarkeit medizinischer Behandlung in Togo folgendes aus:
Weniger als 5 % der Bevölkerung seien krankenversichert. Die Behandlungskosten müssten in der Regel privat getragen werden, was für einen großen Teil der Bevölkerung mangels ausreichender finanzieller Mittel schwierig sei. Wer diese Mittel nicht aufbringen könne, bleibe im Regelfall unbehandelt. Medikamente würden aus Frankreich importiert und seien wegen der Subventionen des Staates häufig billiger als in Deutschland. Medikamente könnten innerhalb weniger Tage besorgt werden, ihr Erwerb hänge jedoch von der finanziellen Leistungsfähigkeit des Patienten ab. Der Kauf von Medikamenten bedeute für die einheimische Bevölkerung in der Regel eine hohe finanzielle Belastung.
Aufgrund der Angaben des Klägers zu seinem Medikamentenbedarf und aufgrund der von der Ausländerbehörde eingeholten Auskunft der Deutschen Botschaft in Togo zu den Kosten dieser Medikamente geht das Gericht davon aus, dass die jüngste Schätzung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge, der zufolge sich die Behandlungskosten inklusive Arztbesuche auf ca. 80,00 € pro Monat belaufen dürften, zutrifft. Es sind also Behandlungskosten von knapp 1 000,00 € pro Jahr zu erwarten.
Den Angaben zur wirtschaftlichen Situation in Togo, die sich auf der Homepage des Auswärtigen Amtes befinden (http://www.auswaertiges-amt.de/diplo/de/Laenderinformationen/Togo/Wirtschaft.html, Stand: April 2008), kann entnommen werden, dass das durchschnittliche Pro-Kopf-Einkommen in Togo derzeit bei jährlich etwa 370,00 US-$ liegt, wovon 70 % für Nahrungsmittel aufgewendet werden müssen. Das Pro-Kopf-Einkommen in Togo sei seit etwa 25 Jahren rückläufig; die Wirtschaft und insbesondere der Baumwollsektor seien seit 2005 in einer schweren Krise.
Angesichts dieser Angaben muss davon ausgegangen werden, dass ein Durchschnittsbürger in Togo bei Weitem nicht in der Lage ist, jährlich ca. 1 000,00 € allein für eine medizinische Behandlung auszugeben. Denn der nach Abzug der Lebensmittel noch verbleibende Betrag des Durchschnittseinkommen beläuft sich gerade einmal auf ca. 120,00 US-$ jährlich. Besonderes Vermögen oder besondere Einkommensmöglichkeiten für den Kläger sind nicht ersichtlich. Wenn der Kläger in der mündlichen Verhandlung angab, gerade für ihn als Schneider sei es in der derzeitigen wirtschaftlichen Situation sehr schwierig, in Togo wirtschaftlich wieder Fuß zu fassen, so ist dies nachvollziehbar und stimmt mit den allgemeinen Angaben des Auswärtigen Amtes zur Wirtschaftslage in Togo und insbesondere zur Krise im Baumwollsektor überein. Befragt nach einer möglichen verwandtschaftlichen Unterstützung erklärte der Kläger - wie schon im Erstverfahren - alle seine Verwandten in Togo seien verstorben. Konkrete Anhaltspunkte für die Unwahrheit dieser Behauptung liegen nicht vor. Auch weist das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge in seiner Information "Togo - Gesundheitswesen" vom Oktober 2006 auf Seite 2 darauf hin, dass die in Togo zur Finanzierung von medizinischer Versorgung wichtige Solidarität der Verwandtschaft aufgrund der schlechten wirtschaftlichen Lage immer unsicherer werde. Vor diesem Hintergrund ist davon auszugehen, dass auch die Verwandtschaft des Klägers, soweit sie entgegen seiner Angaben doch noch leben sollte, nicht wesentlich dazu beitragen kann, dass der Kläger sich eine ca. 1 000,00 € pro Jahr kostende medizinische Behandlung leisten kann.
Schließlich ermöglicht auch das in Deutschland erzielte Einkommen des Klägers es ihm nicht, sich nach seiner Rückkehr nach Togo die medizinische Behandlung zu leisten. Nach gelegentlichen Aushilfsarbeiten bei der Ernte arbeitet der Kläger nun seit Januar 2008 für ein Jahr befristet in einer Geflügelschlachterei. Das dort derzeit monatlich erzielte Einkommen ist als solches für den vorliegenden Fall nicht unmittelbar relevant, da diese Einkommensquelle bei einer Abschiebung des Klägers nach Togo natürlich versiegen würde. Relevant ist dagegen, wie viel von diesem Gehalt der Kläger bislang ansparen konnte. Denn dieser angesparte Betrag würde ihm in Togo zur Finanzierung seiner Behandlung zur Verfügung stehen; allerdings gegebenenfalls unter Abzug der Kosten für die Abschiebung oder freiwillige Rückkehr. Der Einzelrichter hat deshalb in der mündlichen Verhandlung die Kontoauszüge des Klägers seit März 2008 in Augenschein genommen. Daraus ergibt sich, dass das Konto des Klägers unmittelbar vor Eingang der nächsten Gehaltszahlung jeweils noch einen Überschuss von 120,00 bis 170,00 € aufwies. Am 16. Juni 2008 - unmittelbar vor dem Eingang der Gehaltszahlung für Juni - wies das Konto einen ersparten Betrag von 173,12 € auf. Größere Abhebungen oder Überweisungen, die darauf hindeuten, dass der Kläger Teile seines Gehaltes in anderer Weise angelegt hat, waren den Kontoauszügen nicht zu entnehmen. Vielmehr deuten die einzelnen Buchungsposten darauf hin, dass der Kläger praktisch sein gesamtes Gehalt für die jeweils laufenden Lebenshaltungskosten eines Monats ausgibt. Dies erscheint angesichts der Höhe des Gehaltes auch durchaus nachvollziehbar. Mit einem ersparten Betrag von ca. 170,00 € wird der Kläger aber die Behandlungskosten in Togo maximal für zwei Monate bestreiten können, selbst wenn man die Kosten der Abschiebung oder freiwilligen Rückkehr nicht in Abzug bringt.
Die Auffassung des Gerichts, dass die erforderliche Diabetes-Behandlung in Togo für den Kläger aus finanziellen Gründen nicht verfügbar sein wird, steht - soweit ersichtlich - auch nicht in Widerspruch zu einer ständigen Rechtsprechung anderer deutscher Verwaltungsgerichte. Zwar trifft es zu, dass die Mehrzahl der veröffentlichten Entscheidungen Diabetikern aus Togo kein Abschiebungshindernis zuerkannte; dies geschah jedoch jeweils mit für den vorliegenden Fall nicht einschlägigen Erwägungen. Das Urteil des Verwaltungsgerichts Schleswig vom 5. Januar 2000 - 15 A 134/96 -, juris, und das Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 23. März 2000 - M 25 K 98.51114 -, juris, gehen von der Rechtsauffassung aus, dass die Frage der Finanzierbarkeit einer medizinischen Behandlung für die Feststellung von Abschiebungshindernissen nach § 53 Abs. 6 AuslG a.F. irrelevant sei. Sie ergingen vor dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 29. Oktober 2002 - 1 C 1/02 -, NVwZ, Beilage I 2003, 53, mit dem entschieden wurde, dass Abschiebeschutz auch dann zu gewähren ist, wenn der Kläger eine im Zielstaat an sich verfügbare Behandlung aus finanziellen Gründen nicht erlangen kann. Ebenfalls vor dieser Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts erging der Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofes vom 2. Juni 1999 - 25 B 98.34 404 -, juris, der sich überdies darin erschöpft, die grundsätzliche Behandelbarkeit von Diabetes in Togo festzustellen, ohne sich aber mit der Frage ihrer Finanzierbarkeit auseinander zu setzen. Auch das Urteil des Verwaltungsgerichts Schwerin vom 5. März 2003 - 1 A 3609/97 AS -, juris, setzt sich nicht mit dem Problem der Finanzierbarkeit auseinander. Soweit ersichtlich thematisiert lediglich das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 18. Juni 2003 - A 9 A 10232/03 -, juris, die Frage der Erschwinglichkeit einer Diabetes-Behandlung in Togo. Diese wurde dort mit dem einzelfallbezogenen Argument bejaht, der Kläger habe in Togo zur wirtschaftlich besser gestellten Bevölkerungsschicht gehört und könne auf entsprechende Ressourcen zurückgreifen. Es gibt keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass dies auch im vorliegenden Fall zutrifft. Für einen Kläger, bei dem es keinerlei Anhaltspunkte für besondere wirtschaftliche Ressourcen gab, hat das Verwaltungsgericht Wiesbaden im Urteil vom 19. November 2002 - 6 E 1302/02.A -, juris, aber festgestellt, dass eine Diabetes-Behandlung in Togo nicht finanzierbar sei.
Dabei muss jetzt auch außer Betracht bleiben, dass der Kläger im Erstverfahren noch angab, er sei unter anderem der Schneider der Frau des Präsidenten gewesen. Eine solche Angabe würde zwar in der Tat auf ein überdurchschnittlich gut gehendes Geschäft hindeuten, sie wurde aber im Erstverfahren sowohl vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge als auch vom Verwaltungsgericht Oldenburg und vom Niedersächsischen Oberverwaltungsgericht für unglaubhaft erachtet. Sie kann daher nun nicht im Folgeverfahren zu Lasten des Klägers als wahr unterstellt werden.
Wenn der Kläger aber nicht die gebotene medizinische Behandlung bekommt, wird er sehenden Auges dem sicheren Tode oder zumindest schwersten Gesundheitsschäden ausgeliefert. Der Kläger hat aufgrund der Tatsache, dass seine Diabetes relativ spät diagnostiziert wurde, bereits einen beginnenden Nierenschaden erlitten. Nach dem ärztlichen Attest der Diabetologischen Schwerpunktpraxis, Frau K., vom 12. Januar 2007 drohen ihm im Falle der Nichtbehandlung Folgeerkrankungen an den Augen, Nieren und den Füßen. Die Annahme, dass eine im Zielstaat aus finanziellen Gründen unbehandelbare insulinpflichtige Diabetes einen Ausländer sehenden Auges dem Tod oder schwersten Gesundheitsschäden aussetzt, entspricht auch der Rechsprechung anderer Verwaltungsgerichte (vgl. Berlin , Urteil vom 19. Juni 2007, VG 1 X 38.06 -; VG Göttingen, Urteil vom 10. Juni 2004, 2 A 382/03 -).
Die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 AufenthG sind hier auch nicht im Hinblick darauf zu verneinen, dass der Landkreis Vechta zugesagt hat, die Kosten der Behandlung des Klägers für zwei Jahre zu übernehmen. Dies führt lediglich zu einem für § 60 Abs. 7 AufenthG irrelevanten Hinausschiebens einer gleichwohl sicher eintretenden erheblichen Gesundheitsbeschädigung.
Auch der Maßstab der Extremgefahr, von dem der Einzelrichter hier ausgeht, setzt nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nicht voraus, dass der Tod oder die befürchteten schwersten Verletzungen sofort nach der Abschiebung eintreten (vgl. BVerwG, Beschluss vom 26. Januar 1999 - 9 B 617/99 -, juris).
Zur Frage, wie sich eine zeitlich begrenzte Kostenübernahmeerklärung der Ausländerbehörde auf die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 AufenthG auswirkt, hat das Verwaltungsgericht Oldenburg im Urteil vom 25. Januar 2008 - 1 A 4916/05 -, folgendes ausgeführt: Eine solche Erklärung - die auch dort, wie hier, auf zwei Jahre befristet war - lasse ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nur entfallen, wenn mit hinreichender Sicherheit erwartet werden könne, dass danach die erforderliche weitere Behandlung im Zielstaat dem Ausländer zur Verfügung steht. Das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht hat im Beschluss vom 22. Mai 2008 - 13 LA 42/08 -, ausdrücklich bestätigt, dass diese Auffassung der 1. Kammer des Verwaltungsgerichts Oldenburg nicht von der bisherigen Rechtsprechung des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts abweiche.
Auch mindestens drei weitere Oberverwaltungsgerichte vertreten dieselbe Ansicht wie das zitierte Urteil des Verwaltungsgerichts Oldenburg.
Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof führte im Urteil vom 6. März 2007 - 9 B 06, 30 682 - juris, Rdnr. 34 aus, dass eine befristete Kostenübernahme die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 AufenthG nicht entfallen lasse, wenn auch nach Ablauf der Frist nicht zu erwarten sei, dass der Kläger für die dann notwendige Therapie wird aufkommen können. Ein bloßes seitliches Hinausschieben von schwersten Krankheiten oder des Todes lasse den in der Abschiebung liegenden Verstoß gegen Art. 2 Abs. 2 Satz 1 und Art. 1 Satz 1 GG nicht entfallen. Dabei ist der Bayerische Verwaltungsgerichtshof ausdrücklich auf die bereits vorstehend zitierte Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts dazu, dass auch eine "Extremgefahr" nicht ein sofortiges Eintreten des Todes oder schwerster Gesundheitsschäden voraussetze.
Auch das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 22. Januar 2007 - 18 E 274/06 -, NVwZ 2007, 611 f. [OVG Nordrhein-Westfalen 22.01.2007 - 18 E 274/06] war der Auffassung, maßgeblich für die Frage des Vorliegens der Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 AufenthG sei, ob infolge einer befristen Kostenübernahmeerklärung mit hinreichender Sicherheit erwartet werden könne, dass danach die erforderliche weitere Behandlung im Zielstaat der Ausländer zur Verfügung steht.
Der Hessische Verwaltungsgerichtshof, den das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht in seinem Beschluss vom 22. Mai 2008 ausdrücklich zitiert, vertrat im Beschluss vom 23. Februar 2006 - 7 ZU 269/06.A, NVwZ 2006, 1203 [VGH Hessen 23.02.2006 - 7 UZ 269/06 A] -, die Auffassung, dass eine konkrete Gefahr nach § 60 Abs. 7 AufenthG durch Mitgabe eines Medikamentenvorrates für einige Monate dann entfällt, wenn mit hinreichender Sicherheit erwartet werden kann, dass danach die erforderliche weitere Behandlung im Zielstaat dem Ausländer zur Verfügung steht.
Der Einzelrichter der 7. Kammer schließt sich dieser überzeugenden Rechtsprechung an. Dies führt dazu, dass für den Kläger trotz der Kostenübernahmeerklärung des Landkreises Vechta weiter eine Gefahr nach § 60 Abs. 7 AufenthG gegeben ist. Nach dem ärztlichen Attest der Diabetologischen Schwerpunktpraxis, Frau K., vom 12. Januar 2007 ist die Insulintherapie des Klägers ein Leben lang erforderlich. Dies hat auch die Beklagte nicht in Zweifel gezogen; Anhaltspunkte für die Unrichtigkeit dieser Aussage liegen nicht vor. Aus medizinischer Sicht wird der Kläger daher die aufgeführte Behandlung nach Ablauf der zwei Jahre genauso dringend brauchen, wie heute.
Auch liegen keinerlei Anhaltspunkte dafür vor, dass er binnen zwei Jahren in der Lage sein wird, sich in Togo eine wirtschaftliche Existenz aufzubauen, die es ihm erlaubt, anschließend die Behandlungskosten aus eigenen Mitteln zu tragen. Es wurde bereits oben ausgeführt, dass die Behandlungskosten bei jährlich ca. 1 000,00 € liegen dürften, das einem Durchschnittsbürger in Togo nach Abzug der Lebensmittel noch zur Verfügung stehende Einkommen aber jährlich gerade mal etwa 120,00 US-$ beträgt. Die Behandlungskosten betragen also mehr als das Achtfache dessen, was ein Durchschnittstogoer im Jahr überhaupt noch nach dem Kauf von Lebensmitteln für seine Lebenshaltung zur Verfügung hat. Angesichts der geschilderten wirtschaftlichen Schwierigkeiten in Togo, gerade auch auf dem Textilsektor, wäre es unrealistisch anzunehmen, dass der Kläger in zwei Jahren über die erforderlichen Summen verfügen wird. Angesichts des Umstandes, dass nach Angaben des Auswärtigen Amtes das Durchschnittseinkommen in Togo seit 25 Jahren stetig sinkt, gibt es auch keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass sich die allgemeine wirtschaftliche Lage in Togo im Verlauf der nächsten zwei Jahre so erheblich verbessern wird, dass eine Diabetes-Behandlung für jemanden in der Situation des Klägers bezahlbar sein wird.
Liegen demnach die Voraussetzungen des § 60 AufenthG vor und droht dem Kläger bei einer Abschiebung nach Togo mit Sicherheit der Tod oder eine schwerste Gesundheitsbeschädigung, so ist das Ermessen der Beklagten dahingehend, ob sie die bestandskräftige Feststellung des Nichtbestehens von Abschiebungshindernissen im Bescheid vom 27. August 2001 gemäß § 49 Abs. 1 VwVfG widerrufen will, auf Null reduziert (vgl. Marx, AsylVfG, 6. Aufl., § 71 Rdnr. 100).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylVfG. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO, §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.