Verwaltungsgericht Oldenburg
Urt. v. 18.06.2008, Az.: 7 A 248/08
Widerruf; Flüchtlingsanerkennung; Côte d'Ivoire; Elfenbeinküste; RDR
Bibliographie
- Gericht
- VG Oldenburg
- Datum
- 18.06.2008
- Aktenzeichen
- 7 A 248/08
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2008, 46007
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:VGOLDBG:2008:0618.7A248.08.0A
Rechtsgrundlagen
- 73 AsylVfG
- 60 I AufenthG
Amtlicher Leitsatz
Eine nachträgliche erhebliche und nicht nur vorübergehende Änderung der maßgeblichen Verhältnisse in der Côte d'Ivoire (Elfenbeinküste), welche einen Widerruf der Flüchtlingsanerkennung nach § 73 AsylVfG rechtfertigt, ist für höherrangige RDR-Mitglieder nicht gegeben.
Tatbestand
Der Kläger wendet sich gegen den Widerruf seiner Flüchtlingsanerkennung.
Der Kläger ist ausweislich seines bei der Beklagten vorgelegten Personalausweises ivorischer Staatsangehöriger und 1964 geboren. Er reiste angeblich im Juni 2003 von Ghana auf dem Luftweg nach Düsseldorf in die Bundesrepublik Deutschland ein. Am 30. Juni 2003 beantragte er seine Anerkennung als Asylberechtigter. Im Rahmen seiner Anhörung beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) am 7. Juli 2003 gab der Kläger an, er gehöre zur Volksgruppe der Malinke und habe bis zum 2. Februar 2003 in Abidjan gelebt. Am 2. Februar 2003 habe er Abidjan überstürzt verlassen müssen. Er sei Mitglied der Partei RDR und für diese Generalsekretär für Kulturangelegenheiten in seinem Viertel gewesen. Nachdem in der Nacht auf den 2. Februar 2003 ein berühmter Komödiant getötet worden sei, habe er mit dem Megaphon die Leute aufgefordert, aus ihren Häusern herauszukommen und zu protestieren. Eine Einheit von Gendarmen habe den Demonstranten den Weg abgeschnitten und sie mit Tränengas beschossen. Er selbst sei dann zunächst nach Hause gegangen, anschließend in eine Kfz-Werkstatt und sei dort von seiner Frau angerufen worden, welche ihm berichtet habe, dass sie zu Hause von Gendarmen aufgesucht worden sei, die sie geschlagen hätten und von ihr erfahren wollten, wo er, der Kläger, sich aufhalte. Er habe seiner Frau geraten, die Wohnung zu verlassen und sei selbst nicht nach Hause, sondern in ein Camp in Abidjan mit den Namen Kommassi Compement gegangen, wo er sich für etwa drei Monate aufgehalten habe. Anschließend sei er mit Hilfe eines pensionierten Zollkommandeurs zur Grenze nach Ghana gebracht worden und anschließend nach Accra gefahren. Während seiner Zeit in Kommassi Compement sei ihm mitgeteilt worden, dass zivilgekleidete Männer oft um sein Haus herum führen. Auch müssten die Mitglieder der RDR im Untergrund leben und sich verstecken.
Mit Bescheid vom 24. September 2003 lehnte das Bundesamt den Antrag des Klägers auf Anerkennung als Asylberechtigte als offensichtlich unbegründet ab und stellte fest, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 Ausländergesetz (AuslG) offensichtlich nicht vorliegen und Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG nicht bestehen.
Gegen den Bescheid hat der Kläger am 2. Oktober 2003 Klage erhoben. Er wendete sich dagegen, dass sein Vorbringen von der Beklagten als widersprüchlich aufgefasst wurde. Er sei aktives Mitglied der RDR gewesen und habe daher die spontane Demonstration im Februar 2003 organisiert und sei dann von Gendarmen gesucht worden. Zuvor sei er bereits am 25. März 2001 am Tag der Kommunalwahlen in einem Wahlbüro von Polizisten festgenommen worden. Der Kläger legte unter anderem eine Bescheinigung eines Vertreters der RDR in Deutschland vor, wonach er der Partei auch in Deutschland zugehörig sei.
Auf die Klage des Klägers hat das Verwaltungsgericht Hannover mit Urteil vom 25. August 2004 (Az.: 4 A 4476/03) die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 24. September 2003 verpflichtet, festzustellen, dass beim Kläger die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG vorliegen. Zur Begründung hat das Gericht im Wesentlichen ausgeführt, es lägen beim Kläger die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG vor, weil bei einer Rückkehr in die Elfenbeinküste nicht mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen werden könnte, dass der Kläger erneut politisch verfolgt würde. Das Gericht gehe von der Glaubhaftigkeit des Vortrags des Klägers aus. Zur Überzeugung des Gerichts stehe fest, dass der Kläger im März 2001 in seiner Heimatstadt Abidjan festgenommen und im Februar 2002 von Sicherheitskräften der ivorischen Regierung gesucht worden sei. Beide Aktionen hätten im Zusammenhang mit dem politischen Engagement des Klägers für die RDR gestanden. Eine Unterstützung der RDR sei aufgrund des vorgelegten Parteiausweises und des Klägervortrags nicht zweifelhaft. Trotz des zwischenzeitlich geschlossenen Waffenstillstandsabkommens zwischen der Regierung und den Rebellen sei die Lage nicht hinreichend gefestigt. Übergriffe auf Mitglieder der RDR könnten nicht ausgeschlossen werden. Im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung habe für den Kläger auch keine zumutbare inländische Fluchtalternative in den Norden der Elfenbeinküste bestanden. Er habe dort keinerlei persönliche Bindungen und sei nicht in der Lage, sich im Norden der Elfenbeinküste eine Existenzgrundlage zu schaffen.
Nach Rechtskraft dieses Urteils hat das Bundesamt mit Bescheid vom 11. Dezember 2004 festgestellt, dass beim Kläger die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG hinsichtlich der Elfenbeinküste vorliegen.
Im Juli 2007 leitete das Bundesamt ein Widerrufsverfahren ein. Nach vorangegangener Anhörung widerrief das Bundesamt mit Bescheid vom 8. Januar 2008 die mit Bescheid vom 11. Oktober 2004 getroffene Feststellung, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG vorliegen und stellte fest, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) nicht vorliegen. Zur Begründung führte das Bundesamt im Wesentlichen aus, seit Erlass des Bescheides vom 11. Oktober 2004 habe sich die Sachlage in der Elfenbeinküste hinsichtlich der Verfolgung von RDR-Mitgliedern wesentlich verändert. Der Kläger sei heute bei einer Rückkehr in seine Heimat hinreichend sicher vor erneuter Verfolgung. Die RDR sei eine legale Partei in der Elfenbeinküste und gehöre zu den großen politischen Parteien. Der Parteivorsitzende Ouattara sei im Jahr 2006 aus seinem selbst gewählten Exil in Frankreich zurückgekehrt und gehöre zu den Hauptkandidaten der anstehenden Präsidentschaftswahlen. Die RDR gehe überall im Lande ihren normalen Parteiaktivitäten nach. Für einfache Mitglieder bestehe kein Verfolgungsrisiko, dieses bestehe lediglich für exponierte Mitglieder wie Führungspersonen. Um ein solch exponiertes Mitglied habe es sich beim Kläger jedoch nicht gehandelt. Er sei in seinem Viertel lediglich für Kulturangelegenheiten zuständig gewesen und habe sich nicht für politische Ziele der Partei eingesetzt. Zwingende, auf früheren Verfolgungen beruhende Gründe gemäß § 73 Abs. 1 Satz 3 Asylverfahrensgesetz (AsylVfG) seien nicht ersichtlich. Die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Abschiebungsschutzes nach § 60 Abs. 1 AufenthG lägen nicht vor. Eine politische Verfolgung sei nicht mehr gegeben und Anhaltspunkte für eine Verfolgung durch sogenannte nichtstaatliche Akteure seien nicht vorhanden. Eine Entscheidung über das Vorliegen von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG sei entbehrlich, da aufenthaltsbeendende Maßnahmen seitens der Ausländerbehörde derzeit nicht beabsichtigt seien.
Gegen den Widerrufsbescheid hat der Kläger am 25. Januar 2008 Klage erhoben. Er trägt vor: Die Voraussetzungen für einen Widerruf der Flüchtlingseigenschaft lägen nicht vor. Eine erhebliche und nicht nur vorübergehende Veränderung der Umstände in der Elfenbeinküste sei nicht gegeben. Es fänden weiterhin massive Menschenrechtsverletzungen statt und die tief greifende politische Krise halte an. Daher sei auch er, der Kläger, als früher politisch Tätiger direkt bedroht und gefährdet.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 8. Januar 2008 aufzuheben,
hilfsweise, das Verfahren bis zu einer Entscheidung des EuGH über den Vorlagebeschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 7. Februar 2008 (Az.: 10 C 33.07 ) auszusetzen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung nimmt sie Bezug auf die im angefochtenen Bescheid angeführten Gründe.
Der Kläger ist in der mündlichen Verhandlung informatorisch angehört worden. Hinsichtlich seines Vorbringens im Einzelnen wird auf das Sitzungsprotokoll Bezug genommen.
Wegen des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten im Einzelnen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte in diesem Verfahren, der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Bundesamtes sowie die in der Erkenntnismittelliste des Gerichts aufgeführten Unterlagen Bezug genommen; sie sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe
Das Gericht kann trotz Ausbleiben eines Vertreters der Beklagten in der mündlichen Verhandlung entscheiden, da die ordnungsgemäß geladene Beklagte in der Ladung hierauf hingewiesen worden ist (§ 102 Abs. 2 VwGO).
Die zulässige Klage, über die die Berichterstatterin nach Übertragungsbeschluss durch die Kammer als Einzelrichterin entscheiden konnte, ist begründet. Der Widerrufsbescheid des Bundesamtes vom 8. Januar 2008 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 S. 1 VwGO).
Die Voraussetzungen des § 73 Abs. 1 AsylVfG für den Widerruf der mit Bescheid vom 11. Dezember 2004 ausgesprochenen Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG lagen zum gemäß § 77 Abs. 1 AsylVfG maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem erkennenden Gericht nicht vor.
Nach § 73 Abs. 1 S. 1 AsylVfG sind die Anerkennung als Asylberechtigter und die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (früher § 51 Abs. 1 AuslG, nunmehr § 60 Abs. 1 AufenthG) unverzüglich zu widerrufen, wenn die Voraussetzungen für sie nicht mehr vorliegen. Dies ist insbesondere der Fall, wenn sich die zum Zeitpunkt der Anerkennung maßgeblichen Verhältnisse nachträglich erheblich und nicht nur vorübergehend so verändert haben, dass bei einer Rückkehr des Ausländers in seinen Herkunftsstaat eine Wiederholung der für die Flucht maßgeblichen Verfolgungsmaßnahmen auf absehbare Zeit mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen ist und nicht aus anderen Gründen Verfolgung droht ( BVerwG, Urteile vom 20. März 2007 - 1 C 21.06 - und 1. November 2005 - 1 C 21.04 - zitiert nach juris). Beruft sich der anerkannte Flüchtling darauf, dass ihm bei der Rückkehr in seinen Heimatstaat nunmehr eine gänzlich neue und andersartige Verfolgung drohe, ist dabei der allgemeine Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit anzuwenden ( BVerwG, Urteile vom 20. März 2007 - 1 C 21.06 - und 18. Juli 2006 - 1 C 15.05 - zitiert nach juris). Ändert sich im Nachhinein lediglich die Beurteilung der Verfolgungslage, so rechtfertigt dies den Widerruf nicht, selbst wenn die andere Beurteilung auf erst nachnachträglich bekannt gewordenen oder neuen Erkenntnismitteln beruht.
§ 73 Abs. 1 S. 1 AsylVfG entspricht - wie auch der neu gefasste nachfolgende Satz 2 zeigt - seinem Inhalt nach der Regelung in Art. 1 C Nr. 5 S. 1 der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK), der sich ebenfalls ausschließlich auf den Schutz vor erneuter Verfolgung bezieht. Nach dieser Bestimmung fällt eine Person nicht mehr unter die GFK, wenn sie nach Wegfall der Umstände, auf Grund deren sie als Flüchtling anerkannt worden ist, es nicht mehr ablehnen kann, den Schutz des Landes in Anspruch zu nehmen, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzt. Ob dem Ausländer wegen allgemeiner Gefahren im Herkunftsstaat eine Rückkehr unzumutbar ist, ist nach bisheriger herrschender Rechtsprechung nicht beim Widerruf, sondern im Rahmen der allgemeinen ausländerrechtlichen Vorschriften des AufenthG zu rücksichtigen. Ebenso wenig kommt es darauf an, ob im Herkunftsstaat generell und unabhängig von einer Verfolgungsgefahr eine angemessene Infrastruktur oder eine ausreichend Existenzgrundlage vorhanden ist. Die vorstehenden Grundsätze gelten auch angesichts der am 20. Oktober 2004 in Kraft getretenen Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 (ABl Nr. L 304/12 vom 30. September 2004) - Qualifikationsrichtlinie -, die nach Ablauf der Umsetzungsfrist am 10. Oktober 2006 (Art. 38 Abs. 1) grundsätzlich unmittelbar anzuwenden war ( BVerwG, Urteil vom 20. März 2007 - 1 C 21.06 - zitiert nach juris) und mit der jüngsten Änderung des AsylVfG umgesetzt wurde.
Das Bundesverwaltungsgericht hat nunmehr in mehreren Vorlageverfahren an den Europäischen Gerichtshof (z.B. Beschluss vom 7. Februar 2008 bezüglich Irak - 10 C 31/07- zitiert nach juris) u.a. die Frage gestellt, ob das Erlöschen der Flüchtlingseigenschaft nach Art. 11 Abs. 1 Buchstabe e) der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 voraussetzt, dass in dem Land, dessen Staatsangehörigkeit der Flüchtling besitzt,
a) ein Schutz bietender Akteur im Sinne des Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie vorhanden ist und es hierbei ausreicht, dass die Schutzgewährung nur mit Hilfe multinationaler Truppen möglich ist,
b) dem Flüchtling kein ernsthafter Schaden im Sinne des Art. 15 der Richtlinie droht, der zur Zuerkennung subsidiären Schutzes nach Art. 18 der Richtlinie führt, und/oder
c) die Sicherheitslage stabil ist und die allgemeinen Lebensbedingungen das Existenzminimum gewährleisten.
Inwieweit die Klärung dieser Fragen auch auf die Situation von Flüchtlingen aus der Côte d'Ivoire Bedeutung erlangen kann, muss vorliegend nicht geklärt werden, da die Flüchtlingseigenschaft des Klägers bereits mangels Entfallen der Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG nicht erloschen ist. Der Widerruf des Bundesamts hält den genannten Anforderungen an die Erfordernisse der nachträglichen erheblichen Änderung der maßgeblichen Verhältnisse nicht stand.
Zwar wurden die formellen Voraussetzungen des Widerrufsverfahrens eingehalten. Weder im Hinblick auf die Unverzüglichkeit des Widerrufs im Sinne des § 73 Abs. 1 S. 1
AsylVfG noch hinsichtlich der Einhaltung der Dreijahres-Frist gemäß § 73 Abs. 2a AsylVfG und dem Anhörungsverfahren gemäß § 73 Abs. 4 AsylVfG bestehen gegen ihn Bedenken.
Der Widerruf kann jedoch in materieller Hinsicht nicht auf eine nachträgliche entscheidungserhebliche Veränderung der maßgeblichen Verhältnisse im Vergleich zu denjenigen zum Zeitpunkt der Anerkennungsentscheidung nach den o.g. Maßstäben gestützt werden. Die Flüchtlingsanerkennung des Klägers erfolgte aufgrund des die Beklagte verpflichtenden Urteils vom 25. August 2004 durch Bescheid vom 11. Oktober 2004, da ihm seinerzeit mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit bei einer Rückkehr in die Republik Côte d'Ivoire politisch motivierte Verfolgung drohte, weil er sich als Mitglied der Oppositionspartei RDR und seiner offiziellen Tätigkeit für diese als "Generalsekretär für Kulturangelegenheiten" erkennbar für die RDR engagierte.
Diese Tatsache wird im Widerrufsbescheid des Bundesamts, welches den Kläger wegen seiner Tätigkeit als Kulturbeauftragter als einfaches Mitglied einstuft und ihm keine politische, sondern eine kulturelle Tätigkeit zugesteht, fehlerhaft gewürdigt. Die Tätigkeit als "Generalsekretär für Kulturangelegenheiten und gesellschaftliche Tätigkeiten" und die daraus resultierenden Verfolgungen führten, wie es rechtskräftig durch das Urteil des VG Hannover 25. August 2004 feststeht, dazu, den Kläger als vorverfolgt anzusehen. Die vom Kläger ausgeübte Tätigkeit als "Generalsekretär" für kulturelle Angelegenheiten in der RDR-Abteilung seines Viertels ist auch im vorliegenden Widerrufsverfahren zugrunde zu legen und entgegen der Auffassung des Bundesamts ist der Kläger damit nicht nur ein einfaches Mitglied - ein "militant" der RDR -, sondern er ist vielmehr zumindest örtlich begrenzt als offizieller Parteivertreter und damit als exponiertes Mitglied in Erscheinung getreten. Als solches drohte ihm im Anerkennungszeitpunkt bei einer Rückkehr politische Verfolgung im Sinne von § 60 Abs. 1 AufenthG.
Für RDR-Aktivisten dieser Funktionsebene haben sich zwischenzeitlich trotz der von der Beklagten dargestellten langsamen Stabilisierung der Lage in der Elfenbeinküste die Umstände und Verhältnisse nicht so gravierend verändert, dass an dieser Wertung nicht länger festgehalten werden müsste. Zwar ist dem Bundesamt zuzugeben, dass sich die innenpolitische Situation und die Sicherheitslage in der Elfenbeinküste ausweislich der vorhandenen Erkenntnismittel insgesamt im Vergleich zur Zeit des Bürgerkrieges gebessert haben. Insoweit erweist sich auch die Darstellung in dem angefochtenen Bescheid und in dem gerichtlichen Verfahren im Wesentlichen als zutreffend. Denn das Gericht geht anhand der vorhandenen Erkenntnismittel von folgender Lage in der Elfenbeinküste aus:
Nach dem Beschluss des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen vom Oktober 2005 wurde die Regierung in ihren Kompetenzen gestärkt (Auswärtiges Amt, Länderinformationen, Stand April 2006). Seit Dezember 2005 arbeitete die Übergangsregierung der nationalen Versöhnung unter Banny mit Fortschritten in den wichtigsten Bereichen (Auswärtiges Amt, Länderinformationen, Stand April 2006). Wichtige Führer der Oppositionsparteien, wie der ehemalige Präsident Bédié und der ehemalige Premierminister Ouattara sind wie bereits ausgeführt 2006 aus ihrem französischen Exil zurückgekehrt und nehmen am politischen Leben teil und bereiten sich auf ihre Kandidatur zu den überfälligen Präsidentschaftswahlen vor. Zwischenzeitlich einigten sich überdies die Konfliktparteien, die für den Friedensprozess wesentlichen Voraussetzungen, nämlich die Wählerregistrierung und die Demobilisierung der ehemaligen Kämpfer, parallel durchzuführen. Im Mai 2006 fand hierzu die Pilotphase statt. In wirtschaftlicher Hinsicht nahmen der IWF und die Weltbank die finanzielle Zusammenarbeit mit Côte d'Ivoire wieder auf. Weiter wird die Côte d'Ivoire als erstes Land von dem neuen, zentralen Nothilfefonds der Vereinten Nationen profitieren, der diversen Hilfsorganisationen ermöglicht, im Westen des Landes ihre Arbeit für etwa 250 000 bis 600 000 ivorische Flüchtlinge wieder aufzunehmen (Hans-Seidel-Stiftung, Monatsbericht Februar 2006, März 2006, Mai 2006 und September 2007).
Auch aktuell hält die langsame Stabilisierung und Verbesserung der politischen Lage an. Aufgrund eines Vorschlags von Präsident Gbagbo wurden Anfang Februar 2007 in Ouagadougou in Burkina Faso die sog. Direktgespräche aufgenommen, die am 4. März in die Unterzeichnung der "Vereinbarung von Ouagadougou" mündeten. Anfang April 2007 nahm eine neue Regierung unter Führung des Forces Nouvelles-Generalsekretärs Guillaume Soro die Arbeit auf. Die Umsetzung der Friedensvereinbarung geht langsam voran und es ist eine allgemeine Entspannung der Situation festzustellen. Die Wiedervereinigung des Landes schreitet, wenn auch mit kleinen Schritten, voran (Auswärtiges Amt, Länderinformationen, Stand September 2007). Gbagbo und Soro schlossen am 27. November 2007 eine Zusatzvereinbarung zum Ouagadougou-Abkommen, die unter anderem auch einen neuen Zeitplan für dessen Umsetzung enthält; der Zeitpunkt für die allgemeinen Wahlen wurde zunächst mit spätestens Ende Juni 2008 angegeben (Hans-Seidel-Stiftung, Monatsbericht November 2007). Die Ex-Rebellion hat mit der Zusammenlegung ihrer Truppen als Vorstufe zur effektiven Demobilisierung begonnen. Da jedoch sowohl die Demobilisierung der Rebellen und deren Wiedereingliederung in die reguläre Armee als auch die Identifizierung der Bevölkerung, beides unabdingbare Voraussetzungen für die Wahldurchführung, noch immer nicht abgeschlossen sind, werden die Wahlen verschoben auf voraussichtlich den 30. November 2008 (Hans-Seidel-Stiftung, Monatsberichte Februar und Mai 2008). Die internationalen Geberländer kündigten Unterstützung für die Durchführung der Wahlen und eines Post-Konflikt-Programms an (Hans-Seidel-Stiftung, Monatsbericht Mai 2008).
Nach den o.g. Maßstäben setzt die Rechtmäßigkeit eines Widerruf aber voraus, dass sich die Verhältnisse im Herkunftsstaat tatsächlich in einer Weise verändert (d.h. verbessert) haben, dass sich eine für die Flucht maßgebliche Verfolgungsmaßnahme auf absehbare Zeit mit hinreichender Sicherheit ausschließen lässt. Eine derartige Prognoseentscheidung lässt sich hier jedoch nicht treffen.
Nach dem Urteil des VG Hannover vom 25. August 2004 und im Übrigen auch aufgrund des glaubhaften Vortrags des Klägers in der mündlichen Verhandlung ist er unmittelbar vor seiner Flucht politisch verfolgt worden. Bei der Prüfung, ob die Anerkennungs- bzw. Feststellungsvoraussetzungen nicht mehr vorliegen, sind dieselben Grundsätze über die Verfolgungswahrscheinlichkeit anzuwenden wie bei der Erstentscheidung (vgl. VG München, Urteil vom 7. März 2008 - M 4 K 08.50022 - zitiert nach juris; Renner, AsylVfG, § 73 Rn. 8). Zu berücksichtigen ist auch hier eine bereits erlittene Vorverfolgung mit der Folge, dass der Widerruf die hinreichende Sicherheit vor einer Wiederholung der Verfolgung erfordert. Mit dieser erforderlichen hinreichenden Sicherheit können wiederholte Übergriffe auf den Kläger in seinem Wohnort Abidjan-Vridi und den übrigen südlichen Teilen der Elfenbeinküste nicht ausgeschlossen werden. Die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG liegen in der Person des Klägers vor, weil gegenwärtig und mit Blick auf einen absehbaren zukünftigen Zeitraum (s. dazu , BVerwG Urteil vom 31. März 1981 - 9 C 286.80 - zitiert nach juris) im Falle seiner Rückkehr in die Côte d'Ivoire nicht mit hinreichender Sicherheit eine erneute Verfolgung ausgeschlossen werden kann.
Zwar führt eine einfache Mitgliedschaft in der RDR aller Voraussicht nach nicht dazu, bei einer Rückkehr von der politischen Gegenseite, also den regierungsnahen Truppen, verfolgt zu werden. Diesbezüglich ist auszuführen, dass die bloße Mitgliedschaft in der RDR, also in der politischen Opposition, aufgrund der neueren Entwicklungen in der Elfenbeinküste keine generelle staatliche oder sonstige Verfolgung begründet (Auswärtiges Amt, Informationen an das BAMF vom 22. Juni 2007). Die RDR ("Rassemblement des Republicains") ist eine in der Côte d'Ivoire 1994 gegründete, legale politische Partei, die zu den großen politischen Parteien des Landes gehört (neben PDCI und FPI) und deren Anhängerschaft sich weit überwiegend auf die ethnischen Bevölkerungsgruppen des Nordens stützt. Der ehemalige Premierminister Ouattara steht der RDR vor und ist wie bereits erwähnt im Jahr 2006 aus seinem selbstgewählten Exil zurückgekehrt und ist einer der Hauptkandidaten für die nächste Präsidentschaftswahl, welche nach mehrfachem Aufschub nunmehr für den 30. November 2008 geplant ist (vgl. Hans-Seidel-Stiftung, Monatsbericht Mai 2008). Die Partei geht überall im Land ihren normalen Parteiaktivitäten nach. Zwar wurden in der Vergangenheit RDR-Mitglieder im Süden des Landes immer wieder unter dem Verdacht verhaftet, für die Rebellen im Norden zu arbeiten und sowohl einfache als auch exponierte RDR-Mitglieder wurden Ziel gewalttätiger Aktionen oder Drohungen seitens staatlicher Sicherheitskräfte und regierungsnaher Milizen (Schweizerischen Flüchtlingshilfe (SFH), Auskunft vom 19. Januar 2007). Nach den Auskünften der SFH besteht für einfache Mitglieder eine Fluchtalternative in den Norden, exponierten Mitgliedern konnte jedoch zumindest im Jahr 2006 auch dort noch Verfolgung drohen. Nach den Auskünften des Auswärtigen Amtes müssen jedoch Mitglieder der RDR, auch örtliche Parteifunktionäre, nicht generell Verfolgungsmaßnahmen befürchten (Auswärtiges Amt, a.a.O.). Im Einzelfall des Klägers gilt zur Überzeugung des Gerichts jedoch, dass eine erneute Verfolgung nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden kann. Zum einen war der Kläger nicht nur ein einfaches Parteimitglied, sondern gehörte als "Generalsekretär für Kulturangelegenheiten" einer übergeordneten Organisationsebene an. Er trug in der mündlichen Verhandlung vor, er sei nicht ein einfaches Mitglied der Basis, ein "militant" - Aktivist - gewesen, sondern sei als offizieller Vertreter der RDR etwa bei Hochzeiten und sonstigen Familienfeiern in seinem Viertel aufgetreten und habe im Namen der Partei beispielsweise Geldgeschenke an Hochzeitspaare übergeben. Auch habe das Einziehen der Mitgliedsbeiträge zu seinen Aufgaben gehört. Die Einzelrichterin hat keinerlei Veranlassung, an den widerspruchsfreien, überzeugenden Angaben des Klägers, welche sich durchweg mit seinen Angaben im Asylverfahren und den Feststellungen des Urteils des VG Hannover vom 25. August 2004 decken, zu zweifeln. Danach ist der Kläger als jemand, der für die RDR aktiv war, bekannt, und zwar als einer der örtlich Verantwortlichen mit einer über einem schlichten Parteimitglied einzuordnenden Position innerhalb der RDR (zu den Strukturen der RDR vgl. www.rdrci.org). Für Funktionsträger der Partei kann jedoch anhand der vorliegenden Erkenntnislage die erneute Verfolgung nicht ausgeschlossen werden. Gerade angesichts der ausstehenden Wahlen, welche bereits mehrfach verschoben wurden, und der anstehenden notwendigen Prozesse wie der Demobilisierung der ehemaligen Rebellen, um die Wiedervereinigung des Landes vorantreiben zu können, kann eine nachträgliche erhebliche Veränderung der Verhältnisse, welche nicht nur vorübergehend ist, nicht festgestellt werden. Dies ist insbesondere dadurch ersichtlich, dass trotz der offiziellen Beendigung des Bürgerkrieges vereinzelte Übergriffe seitens der regierungstreuen Gruppen immer noch stattfinden (vgl. etwa zu Übergriffen der FESCI Asylmagazin 6/2007) und stichhaltige Gründe gegen eine erneute Verfolgung des Klägers angesichts dessen nicht erkennbar sind.
Die vom Prozessbevollmächtigten des Klägers gestellten Beweisanträge zielten auf die Änderung der Lage in der Côte d'Ivoire ab bzw. darauf, dass diese sich noch nicht dauerhaft stabilisiert habe. Da dies jedoch bereits erwiesen ist bzw. das Gericht anhand der vorliegenden Erkenntnismittel über die aktuelle Lage in der Côte d'Ivoire informiert ist, war eine Beweiserhebung nicht erforderlich (siehe im Einzelnen den Beschluss der Einzelrichterin vom 20. Juni 2008). Das Bundesamt vermochte ebenfalls nicht eine derartige Veränderung der speziell den Kläger betreffenden Verhältnisse darzulegen und nachzuweisen.
Der Rechtsstreit war auch ohne das Einholen der beantragten Sachverständigengutachten entscheidungsreif.
Es besteht auch im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung für den Kläger keine zumutbare inländische Fluchtalternative im Norden der Elfenbeinküste. Zwar dürfte ihm dort nach den oben angeführten Informationen als RDR-Mitglied grundsätzlich keine politische Verfolgung drohen. Diese mögliche Fluchtalternative ist ihm aber nicht zumutbar.
Ein unzumutbarer Nachteil liegt vor, wenn der Betroffene in dem verfolgungsfreien Gebiet nicht über das wirtschaftliche Existenzminimum verfügt. Dieses ist nicht gegeben, wenn der Ausländer nach Überwindung von Anfangsschwierigkeiten weder durch eigene Arbeit noch durch Zuwendungen Dritter das zu seinem Lebensunterhalt unbedingt notwendige erlangen kann. Bei der gebotenen generalisierenden Betrachtungsweise darf die Verweisung auf einen verfolgungssicheren Ort nicht zu Hunger, Verelendung und schließlich zum Tode führen oder auf ein bloßes Dahinvegetieren am Rande des Existenzminimums hinauslaufen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 31. Juli 2002 - 1 B 128/02 - zitiert nach juris). Insoweit gilt grundsätzlich der Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (vgl. BVerwG, Urteil vom 5. Oktober 1999 - 9 C 15/99 - zitiert nach juris). Ist der Ausländer jedoch - wie hier der Kläger - vorverfolgt ausgereist, findet auch insoweit der sog. herabgestufte Wahrscheinlichkeitsmaßstab Anwendung (vgl. BVerfG, Beschluss vom 10. Juli 1989 - 2 BvR 502/86 - zitiert nach juris). Voraussetzung ist darüber hinaus, dass die Situation im Heimatort des Ausländers besser wäre, so dass sich die Nachteile als verfolgungsbedingt darstellen. Das Flüchtlingsrecht schützt nicht vor einer Rückkehr an einen verfolgungssicheren Ort, wenn die dort herrschende Notlage keine andere ist als die am Herkunftsort (vgl. BVerwG, Urteil vom 9. September 1997 - 9 C 43/96 - zitiert nach juris).
Nach der Auskunft des Instituts für Afrikakunde (Auskunft vom 31. März 2003 an das VG Oldenburg) war die Versorgungslage in einigen der von den Rebellen gehaltenen Gebiete in den vergangenen Jahren extrem angespannt. Es wird dementsprechend die Einschätzung vertreten, dass zahlreiche Menschen erheblichen Risiken für Leib und Leben ausgesetzt seien. Auch amnesty international (Auskunft an das VG Oldenburg vom 3. April 2003) ist der Auffassung, dass für Rückkehrer in den nördlichen Gebieten des Landes kein gesichertes Existenzminimum bestehe. Angesichts der beginnenden politischen Stabilisierung ist zwar davon auszugehen, dass sich die wirtschaftliche Situation auch in den nördlichen Gebieten in den letzten Monaten verbessert hat. Anhaltspunkte für weitreichende Hungersnöte vermag das Gericht den vorhandenen Erkenntnismitteln nicht zu entnehmen. Grundsätzlich sind jedoch in der Republik Côte d'Ivoire Arbeitslosigkeit und Armut weit verbreitet (Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 8. Januar 2007 an das Verwaltungsgericht Karlsruhe).
Auch ist zu berücksichtigen, dass der Kläger im Nordteil der Elfenbeinküste keine persönlichen Bindungen hat. Er hat in der mündlichen Verhandlung angegeben, dass seine Tante, sein Bruder und seine zehnjährige Tochter in Man im Westen der Elfenbeinküste leben. Die Region Dix-Huit-Montagne grenzt an den Nordteil der Elfenbeinküste. Allerdings wäre er dort angesichts der oben beschriebenen Situation im Nordteil der Elfenbeinküste in seinem Einzelfall unter Berücksichtigung des herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstabs nicht in der Lage, sich dort eine ausreichende Existenzgrundlage zu schaffen. Er ist nämlich von Beruf Speditionsfachmann und hat im Hafen von Abidjan u.a. für den Zoll gearbeitet. Da die Nähe zum Hafen in der Stadt Man jedoch nicht gegeben ist, wären seine Verdienstmöglichkeiten ganz unsicher. Diese Fluchtalternative ist ihm daher, auch unter dem Gesichtspunkt, dass er eine Ehefrau und ein Baby hat, welche ebenfalls zu versorgen wären, nicht zumutbar. Bei einer Rückkehr in das südliche Gebiet des Landes wäre dagegen das Existenzminimum gewährleistet. Der Kläger könnte seine Tätigkeit im Hafen von Abidjan wieder aufnehmen.
Da die Flüchtlingsanerkennung des Klägers mithin aufrechterhalten bleibt, war der angefochtene Bescheid aufzuheben. Über den Hilfsantrag war nicht mehr zu entscheiden.
Der Klage war deshalb mit der Kostenfolge aus 154 Abs. 1 VwGO und § 83b AsylVfG stattzugeben