Landgericht Hannover
Beschl. v. 07.05.2013, Az.: 8 T 72/11

Darlegen der Voraussetzungen und Durchführbarkeit der Abschiebung im Haftantrag

Bibliographie

Gericht
LG Hannover
Datum
07.05.2013
Aktenzeichen
8 T 72/11
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2013, 49726
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LGHANNO:2013:0507.8T72.11.0A

Verfahrensgang

nachfolgend
BGH - 20.02.2014 - AZ: V ZB 76/13

Fundstellen

  • InfAuslR 2013, 350-351
  • ZAR 2013, 41

In der Abschiebungshaftsache
betreffend xxx,
geboren am xxx oder xxx in xxx/Türkei,
gegenwärtiger Aufenthalt unbekannt,
Beschwerdeführer,
- Verfahrensbevollmächtigter: xxx
am Verfahren beteiligt:
xxx Antragsteller und Beschwerdegegner,
hat die 8. Zivilkammer des Landgerichts Hannover auf die Beschwerde des Betroffenen gegen den Abschiebungshaftbeschluss des Amtsgerichts Hannover vom 29.11.2011 durch die Vorsitzende Richterin am Landgericht xxx sowie den Richter am Landgericht xxx und die Richterin am Landgericht xxx
am 07.05.2013
beschlossen:

Tenor:

Es wird festgestellt, dass der Beschluss des Amtsgerichts Hannover vom 29.11.2011 (16.10 Uhr), den Betroffenen in seinen Rechten verletzt hat.

Die notwendigen Auslagen des Betroffenen im Ausgangs-, Beschwerde- und Rechtsbeschwerdeverfahren hat der Landkreis xxx zu tragen.

Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Wert des Beschwerdeverfahrens: € 3.000,00

Gründe

I.

Der Landkreis xxx (nachfolgend: Ausländerbehörde) betrieb die Abschiebung des Betroffenen, der die türkische Staatsangehörigkeit besitzt, in die Türkei.

Der Betroffene reiste erstmals im Jahre 2002 in die Bundesrepublik ein und stellte am 27.05.2002 einen Asylantrag, der am 21.08.2002 als offensichtlich unbegründet abgelehnt wurde. In dem Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 21.08.2002 wurde der Betroffene aufgefordert, die Bundesrepublik innerhalb einer Woche zu verlassen, anderenfalls würde er in die Türkei abgeschoben werden. Auf den Inhalt des Bescheids wird Bezug genommen. Der Bescheid wurde am 06.09.2002 bestandskräftig.

Der Betroffene wurde am 24.03.2005 in die Türkei abgeschoben.

Anlässlich einer Verkehrskontrolle am 03.11.2011 gegen 0.50 Uhr in Bockenem wurde der Betroffene kontrolliert. Er gab an, am Tag zuvor über den Flughafen Hamburg eingereist zu sein. Einen Pass habe er nach der Einreise vernichtet.

Mit Schreiben vom 28.11.2011, ergänzt durch ein weiteres Schreiben vom 29.11.2011, hat die Ausländerbehörde bei dem Amtsgericht Hannover die Anordnung der Abschiebungshaft für die Dauer von vier Wochen beantragt. Mit dem angefochtenen Beschluss vom 29.11.2011 (16.10 Uhr) hat das Amtsgericht Hannover auf Antrag der beteiligten Ausländerbehörde gegen den Betroffenen die Abschiebungshaft - Sicherungshaft - längstens bis zum 21.12.2011 angeordnet.

Für den weiteren Sachverhalt und die Entscheidungsgründe wird auf den Inhalt des Beschlusses des Amtsgerichts Hannover vom 29.11.2011 (Bl. 35 ff. d. A.) Bezug genommen.

Gegen diesen ihm am selben Tag verkündeten Beschluss hat der Betroffene mit anwaltlichem Schriftsatz vom 30.11.2011, eingegangen beim Amtsgericht am selben Tag, Beschwerde eingelegt.

Er hat seine Beschwerde unter anderem damit begründet, dass es an einer Rückkehrentscheidung im Sinne von Art. 6 der Richtlinie 2008/115/EG fehle. Die Ausländerbehörde hat demgegenüber die Ansicht vertreten, eine Rückkehrentscheidung sei vorliegend entbehrlich gewesen, weil der Betroffene nach § 58 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG aufgrund seiner unerlaubten Einreise vollziehbar ausreisepflichtig sei.

Das Landgericht Hannover hat mit Beschluss vom 19.12.2011 der Beschwerde mit der Begründung stattgegeben, die Haftanordnung sei nicht rechtmäßig, da es an einer förmlichen Rückkehrentscheidung der Ausländerbehörde im Sinne der Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16.12.2008 (Rückführungsrichtlinie) fehle.

Gegen diesen Beschluss hat die Ausländerbehörde Rechtsbeschwerde eingelegt.

Sie hat vorgetragen, gemäß § 71 Abs. 5 AsylVfG gelte die Abschiebungsandrohung vom 21.08.2002 auch dann fort, wenn nach einer Wiedereinreise ein Asylfolgeantrag gestellt werde. In diesen Fällen bedürfe es keiner erneuten Fristsetzung und Abschiebungsandrohung. Dies müsse erst recht gelten, wenn ein abgelehnter Asylbewerber erneut unerlaubt einreise, ohne einen Folgeantrag zu stellen. Die Rückkehrentscheidung vom 21.08.2002 entfalte mit der durch die Abschiebung am 24.03.2005 eingetretenen gesetzlichen Wiedereinreisesperre gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG fortwährende Wirkung. Über die Befristung der Wirkungen sei auf Antrag des Ausländers vor der erneuten Wiedereinreise zu entscheiden.

Der Betroffene hat die Ansicht vertreten, die Rückkehrentscheidung vom 21.08.2002 entspreche nicht den Vorgaben der Rückführungsrichtlinie. Ein unbegrenztes Einreise- bzw. Aufenthaltsverbot sei danach nicht statthaft.

Der Bundesgerichtshof hat mit Beschluss vom 29.03.2012 den Beschluss der 8. Zivilkammer des Landgerichts Hannover vom 19.12.2011 aufgehoben und die Sache zur anderweitigen Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Beschwerdegericht zurückverwiesen, weil eine ausreichende Sachdarstellung fehle.

II.

1. Die gem. § 58 FamFG eingelegt Beschwerde ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt.

2. Die Beschwerde des Betroffenen hat auch unter Berücksichtigung der Begründung der Rechtsbeschwerde Erfolg, wobei eine Aufhebung der angefochtenen Haftanordnung wegen zwischenzeitlicher Erledigung der Unterbringung nicht mehr auszusprechen und nur noch über die Frage der Verletzung der Rechte des Betroffenen durch die Haftanordnung zu entscheiden ist.

Es fehlt an einer Rückkehrentscheidung, die den Erfordernissen der Rückführungsrichtlinie Rechnung trägt.

a) Der Haftantrag der Ausländerbehörde hat nach § 417 Abs. 2 Satz 2 Nr. 5 FamFG unter anderem Tatsachen zur Verlassenspflicht des Betroffenen sowie zu den Voraussetzungen und Durchführbarkeit der Abschiebung zu enthalten. Dazu gehört es, die Grundlage der Abschiebung und ihre Vollziehbarkeit darzulegen. Grundlage für die Vollstreckung einer beabsichtigten Abschiebung ist eine Rückkehrentscheidung. Fehlt es an einer für die Vollstreckung erforderlichen Voraussetzung, darf auch eine kraft Gesetzes (§ 58 Abs. 2 Satz 1 AufenthG) vollziehbare Ausreisepflicht nicht ohne weiteres mit einer Abschiebung durchgesetzt werden.

b) Nach Art 3 Nr. 4 der Rückführungsrichtlinie ist eine Rückkehrentscheidung die behördliche oder richterliche Entscheidung oder Maßnahme, mit der ein illegaler Aufenthalt von Drittstaatsangehörigen festgestellt und eine Rückkehrverpflichtung auferlegt oder festgestellt wird. Gemäß Art 11 Abs. 1 Rückführungsrichtlinie gehen Rückkehrentscheidungen mit einem Einreiseverbot einher, falls der Rückkehrverpflichtung nicht nachgekommen wurde. Nach Art 11 Abs. 2 Rückführungsrichtlinie soll die Dauer des Einreiseverbots nach den Umständen des Einzelfalls festgesetzt werden und in der Regel fünf Jahre nicht überschreiten. Rückkehrentscheidungen sollen schriftlich ergehen, begründet werden und Informationen über mögliche Rechtsbehelfe enthalten.

Durch das Richtlinienumsetzungsgesetz vom 22. November 2011 (BGBl I S. 2258) ist die Rückführungsrichtlinie mit der am 26. November 2011 in Kraft getretenen Neufassung des Aufenthaltsgesetzes umgesetzt worden. Hinsichtlich der Dauer der Frist ist geregelt, dass diese unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles festzusetzen ist und fünf Jahre nur überschreiten darf, wenn der Ausländer aufgrund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgeht (§ 11 Abs. 1 Satz 4 AufenthG n.F.).

Sofern eine Ausreisepflicht nicht bereits durch Verwaltungsakt statuiert worden ist, kann eine solche Rückkehrentscheidung durch die Androhung der Abschiebung begründet werden (BGH 14.03.2013, Az. V ZB 135/12, [...]Rn. 7).

c) Unstreitig hat die Ausländerbehörde nach dem Aufgreifen des Betroffenen am 03.11.2011 keine Rückkehrentscheidung erlassen. Die Ausländerbehörde hat insoweit in der Antragsergänzung vom 29.11.2011 auf den Bescheid des Bundesamtes vom 21.08.2002 Bezug genommen. Die in diesem Bescheid enthaltene Aufforderung, die Bundesrepublik zu verlassen, und die Androhung der Abschiebung genügen jedoch nicht mehr den Anforderungen an eine Rückkehrentscheidung im Sinne der Rückführungsrichtlinie, die mit der am 26. November 2011 in Kraft getretenen Neufassung des Aufenthaltsgesetzes umgesetzt worden ist.

Der im Jahre 2002 erlassene Bescheid enthält keinen Hinweis auf ein Einreise- und Aufenthaltsverbot für den Fall, dass der Betroffene die Bundesrepublik nicht freiwillig verlässt. Auch eine Befristung eines Einreiseverbotes erfolgte nicht. Seit Inkrafttreten der Änderung des § 11 Abs. 1 AufenthG durch das Richtlinienumsetzungsgesetz vom 22. November 2011 haben Ausländer jedoch grundsätzlich einen Anspruch darauf, dass die Ausländerbehörde mit Erlass einer Ausweisung zugleich deren in § 11 Abs. 1 Satz 1 und 2 genannte Wirkungen (Einreise- und Aufenthaltsverbot, Titelerteilungssperre) befristet (BVerwG, Urt. v. 13.12.2012, Az. 1 C 14/12, Rdnr.11).

d) Auch wenn in § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG n.F. geregelt worden ist, das die Wirkungen des Einreise- und Aufenthaltsverbots nur auf Antrag befristet werden, muss bei richtlinienkonformer Auslegung für den in dieser Vorschrift vorgesehenen Antrag jede Form der Willensbekundung des Betroffenen, mit der dieser sich gegen eine Ausweisung wendet, genügen (BVerwG a.a.O., Rdnr. 11).

Danach hätte die Ausländerbehörde in dem Moment, in dem sich der Betroffene gegen seine Ausweisung wendet und bekundet, in der Bundesrepublik einen Asylantrag stellen zu wollen, über die Befristung des mit der Abschiebung vom 24.03.2005 verbundenen Einreiseverbotes entscheiden müssen. Da die Regelfrist . von fünf Jahren abgelaufen war, hätte sie im Haftantrag darlegen müssen, warum von einer längeren Frist auszugehen war, oder hätte dem Betroffenen gegenüber eine erneute Rückkehrentscheidung treffen müssen.

e) Die Ausländerbehörde kann sich nicht auf § 71 Abs. 5 AsylVfG berufen. Soweit es zum Vollzug der Abschiebung in den Fällen, in denen nach einer Wiedereinreise ein Asylfolgeantrag gestellt wird, keiner erneuten Fristsetzung und Abschiebungsandrohung bedarf, gilt dies aus den genannten Gründen nicht, wenn eine frühere Abschiebungsandrohung aufgrund des regelmäßigen Fristablaufs des Einreise- und Aufenthaltsverbot von fünf Jahren keine Wirkungen mehr entfalten kann.

f) Danach war der Bescheid vom 21.08.2002 als Grundlage für eine Verlassenspflicht des Betroffenen unter Berücksichtigung des Regelungsmodells der Rückführungsrichtlinie nicht ausreichend. Ohne eine den Regelungen der Rückführungsrichtlinie entsprechende Rückkehrentscheidung lagen die Voraussetzungen für einen Antrag auf Sicherungshaft nicht vor.

Da ein begründeter Anlass zur Stellung des Haftbefehlsantrages mangels Rückkehrentscheidung nicht vorlegen hat, sind die dem Betroffenen im Ausgangs- und Beschwerdeverfahren erwachsenen notwendigen Auslagen dem Landkreis Hildesheim als der Gebietskörperschaft aufzuerlegen, der die Ausländerbehörde angehört (§ 430 FamFG).

Die Festsetzung des Wertes des Beschwerdeverfahrens beruht auf § 128c Abs. 2 KostO.

IV.

Die Kammer lässt die Rechtsbeschwerde (§ 70 FamFG) zu, da die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat.