Verwaltungsgericht Göttingen
Beschl. v. 11.06.2013, Az.: 7 B 1/13

Abordnung; Arbeitgeberstellung; aufnehmende Dienststelle; Einstellung; Mitbestimmungsrecht; Personalrat; Rechtsträgerprinzip; Weisungsrecht

Bibliographie

Gericht
VG Göttingen
Datum
11.06.2013
Aktenzeichen
7 B 1/13
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2013, 64479
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Sollen Arbeitnehmer eines privatrechtlich organisierten Vereins (hier: Volkshochschule X e.V.), die nach dem formalen Rechtsträgerprinzip dem Geltungsbereich des BetrVG unterfallen, im Rahmen einer Kooperationsvereinbarung für 31 Monate zu einer Dienststelle im Sinne des § 1 Abs. 1 NPersVG (hier: Kreisvolkshochschule des Landkreises X) zur weisungsabhängigen Dienstleistung "abgeordnet" werden, besteht ein Mitbestimmungsrecht des Personalrats der die Beschäftigten aufnehmenden Dienststelle nach § 65 Abs. 2 Nr. 1 NPersVG (Abgrenzung zu BVerwG, Beschluss vom 29.1.2003 - 6 P 19.01 -, PersR 2003, 194).

Gründe

Der am 31.5.2013 sinngemäß gestellte Antrag,

dem Beteiligten im Wege der einstweiligen Verfügung zu untersagen, in seiner Kreisvolkshochschule für den Programmbereich „Sprachen, Grundbildung, Schulabschlüsse“ (Dienstort L.) und den Programmbereich „Gesundheit/Kultur“ (Dienstort M.) von dem Verein „Volkshochschule A. e.V.“ abgeordnete pädagogische Mitarbeiter zu beschäftigen, bis die Beteiligung des Antragstellers gemäß § 68 Abs. 2 i.V.m. § 65 Abs. 2 Nr. 1 bzw. § 66 Abs. 1 Nr. 14 NPersVG, hilfsweise gemäß § 76 i.V.m. § 75 Abs. 1 Nr. 12 NPersVG in Bezug auf die Vereinbarung einer Abordnung von Mitarbeitern des Vereins „Volkshochschule A. e.V.“ an die Kreisvolkshochschule des Beteiligten, nachgeholt ist,

über den hier gemäß § §§ 83 Abs. 2 NPersVG, 85 Abs. 2 ArbGG, 944 ZPO die Fachkammer durch den Vorsitzenden entscheidet, ist zulässig und mit dem Hauptantrag – bezogen allerdings ausschließlich auf den Mitbestimmungstatbestand des § 65 Abs. 2 Nr. 1 NPersVG – auch begründet.

Für den Erlass einstweiliger Verfügungen gelten im personalvertretungsrechtlichen Beschlussverfahren nach § 83 Abs. 2 NPersVG i.V.m. § 85 Abs. 2 ArbGG mit bestimmten Maßgaben, auf die es im vorliegenden Verfahren nicht ankommt, die Vorschriften der ZPO über einstweilige Verfügungen entsprechend. Nach § 935 ZPO sind einstweilige Verfügungen in Bezug auf den Streitgegenstand zulässig, wenn zu besorgen ist, dass eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung des Rechts einer Partei vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (Sicherungsverfügung). Nach § 940 ZPO sind einstweilige Verfügungen auch zum Zwecke der Regelung eines einstweiligen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, soweit die Regelung nötig erscheint (Regelungsanordnung). Nach §§ 936, 920 Abs. 2 ZPO sind der zu sichernde Anspruch (Verfügungsanspruch) und der Grund, weshalb die einstweilige Verfügung ergehen soll (Verfügungsgrund), glaubhaft zu machen. Das Gericht bestimmt sodann, welche Anordnungen erforderlich sind, um den Zweck der einstweiligen Verfügung zu erreichen (§ 938 Abs. 1 ZPO). Der Erlass einer einstweiligen Verfügung setzt danach das Vorliegen eines Verfügungsgrundes, also eines hinreichenden Anlasses für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes, sowie des Verfügungsanspruchs, also eines Rechtsanspruch des Antragstellers, voraus, der vorläufig, d. h. bis zu einer eventuellen rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache, geschützt werden soll (vgl. VG Göttingen, Beschluss vom 28.2.2012 – 7 B 1/12 –, BA S. 2; Beschluss vom 3.7.1998 – 7 B 7002/98 –, BA S. 2).

Nach den dargelegten Grundsätzen steht dem Antragsteller– wie sich aufgrund des vorliegenden Sachverhalts bereits bei summarischer Prüfung hinreichend verlässlich sagen lässt – sowohl ein Verfügungsgrund als auch ein Verfügungsanspruch zur Seite.

Ein Verfügungsgrund ist deshalb gegeben, weil die Neubesetzung der beiden Stellen der Kreisvolkshochschule – KVHS – in L. und M. durch abgeordnete pädagogische Mitarbeiter des Vereins „Volkshochschule A. e.V.“ ausweislich der Mitteilungsvorlage des Beteiligten vom 22.5.2013 (Drucksachen-Nr.: 0122/2013) bereits zum 1.6.2013 erfolgen sollte. Das vom Antragsteller geltend gemachte Recht, ihn vorher u.a. unter dem Gesichtspunkt des § 65 Abs. 2 Nr. 2 NPersVG zu beteiligen, hat der Beteiligte abgelehnt. Da die Umsetzung der Maßnahme unmittelbar bevorsteht, ist der Erlass einer einstweiligen Verfügung unumgänglich, um verhindern zu können, dass die nach Ansicht des Antragstellers personalvertretungsrechtlich rechtswidrige Maßnahme des Beteiligten umgesetzt wird.

Ein Verfügungsanspruch ist ebenfalls gegeben. Hier liegen bezüglich des Hauptantrages im Hinblick auf das Beteiligungsrecht gemäß § 65 Abs. 2 Nr. 1 NPersVG die Voraussetzungen des § 63 Satz 1 NPersVG (danach darf eine Maßnahme, bei der die gesetzlich vorgeschriebene Beteiligung unterlassen worden ist, nicht vollzogen werden) mit hoher Wahrscheinlichkeit vor. Denn bei summarischer Prüfung ist nach Auffassung der Fachkammer davon auszugehen, dass das im vorliegenden Zusammenhang vom Antragsteller in erster Linie geltend gemachte Beteiligungsrecht gemäß § 65 Abs. 2 Nr. 1 NPersVG besteht.

Ein Mitbestimmungsrecht des Antragstellers ergibt sich daraus, dass es sich bei der vom Beteiligten beabsichtigten streitigen Maßnahme – Beschäftigung von pädagogischen Mitarbeitern des Vereins „Volkshochschule A. e.V.“ auf Stellen der KVHS in L. und M. vom 1.6.2013 bis zum 31.12.2015 – aller Voraussicht nach um eine Einstellung im Sinne von § 65 Abs. 2 Nr. 1 NPersVG handelt und die Anwendung dieser Norm nicht aufgrund des Vorrangs eines anderen speziellen und abschließenden Mitbestimmungstatbestandes ausgeschlossen ist.

Einstellung ist die Eingliederung des Betreffenden in die Dienststelle. Dies geschieht zum einen durch tatsächliche Aufnahme der vorgesehenen Arbeit im Rahmen der Arbeitsorganisation der Dienststelle. Zum anderen ist ein rechtliches Band erforderlich, durch welches ein Weisungsrecht der Dienststelle, verbunden mit entsprechenden Schutzpflichten, und damit korrespondierend die Weisungsgebundenheit des Dienstleistenden, verbunden mit entsprechenden Schutzrechten, begründet werden. Im Regelfall wird die Rechtsbeziehung zur Dienststelle durch Begründung eines Beamten- oder Arbeitsverhältnisses hergestellt. Als Grundlage für Eingliederung kommen aber auch mehrseitige Rechtsbeziehungen in Betracht. Die vom Bundesarbeitsgericht aufgestellten Grundsätze zur Frage, wann Mitarbeiter von Fremdunternehmen in die Arbeitsorganisation des Betriebes eingegliedert sind und daher eine Einstellung im Sinne von § 99 BetrVG vorliegt, können dabei auf das Personalvertretungsrecht übertragen werden (vgl. Nds. OVG, Beschluss vom 29.9.2011 – 18 LP 7/09 –, PersR 2011, 533/534; BVerwG, Beschluss vom 18.6.2002 – 6 P 12.01 –, PersR 2002, 310 [OVG Hamburg 26.11.2001 - 8 Bf 373/00.PVL]; Beschluss vom 8.1.2003 – 6 P 8.02 –, PersR 2003, 148; Beschluss vom 13.4.2004 – 6 PB 2.04 –, PersR 204, 269). Eine das Mitbestimmungsrecht auslösende Eingliederung der Mitarbeiter einer Fremdfirma setzt nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts voraus, dass die Arbeitnehmer dieser Firma gemeinsam mit den im Betrieb schon beschäftigten Arbeitnehmern eine Tätigkeit zu verrichten haben, die ihrer Art nach weisungsgebunden ist, der Verwirklichung des arbeitstechnischen Zwecks des Betriebs dient und daher vom Arbeitgeber organisiert werden muss. Die Personen müssen so in die betriebliche Arbeitsorganisation eingegliedert sein, dass der Arbeitgeber das für ein Arbeitsverhältnis typische Weisungsrecht innehat und die Entscheidung über den Arbeitseinsatz auch nach Zeit und Ort trifft; er muss die Arbeitgeberfunktion wenigstens im Sinne einer aufgespaltenen Arbeitgeberstellung teilweise ausüben. Dazu genügt ebenso wenig die detaillierte Beschreibung der dem Auftragnehmer übertragenen Tätigkeit in dem zugrunde liegenden Vertrag wie die engere räumliche Zusammenarbeit im Betrieb, die Unentbehrlichkeit einer von der Fremdfirma erbrachten Hilfsfunktion für den Betriebsablauf und die Einweisung und Koordination des Fremdfirmeneinsatzes durch Mitarbeiter des Betriebsinhabers. Von dem für ein Arbeitsverhältnis typischen Weisungsrecht sind Anordnungen zu unterscheiden, die im Rahmen eines Werkvertrages üblich sind. Das arbeitsvertragliche Weisungsrecht ist personenbezogen, ablauf- und verfahrensorientiert im Gegensatz zur werkvertraglichen Anweisung, die auch dann, wenn sie an die Erfüllungsgehilfen des Werkunternehmers gerichtet ist, sachbezogen und ergebnisorientiert ist. Das arbeitsvertragliche Weisungsrecht beinhaltet Anleitungen zur Vorgehensweise und weiterhin zur Motivation des Mitarbeiters, die nicht Inhalt des werkvertraglichen Anweisungsrechts sind (vgl. Nds. OVG, Beschluss vom 29.9.2011, a.a.O. S. 534; BAG, Beschluss vom 11.9.2001 – 1 ABR 14/01 –, juris).

Nach diesen Grundsätzen werden die pädagogischen Mitarbeiter des Vereins „Volkshochschule A. e.V.“ nach ihrer ab dem 1.6.2013 geplanten „Abordnung“ auf Stellen der KVHS in L. bzw. M. in die vom Beteiligten geleitete Dienststelle Landkreis A. eingegliedert sein, da nach § 2 Abs. 2 Satz 2 der (geplanten) Kooperationsvereinbarung zwischen dem Landkreis A. und dem Verein „Volkshochschule A. e.V.“ die Weisungshoheit gegenüber diesen Mitarbeitern im Rahmen ihrer Tätigkeit für den Landkreis A., KVHS, beim Landkreis A. liegt. Dieser wird durch den Beteiligten im Sinne einer aufgespaltenen Arbeitsgeberstellung das arbeitsvertragliche Weisungsrecht gegenüber den zur KVHS „abgeordneten“ Mitarbeiter des Vereins „Volkshochschule A. e.V.“ ausüben mit der zwangsläufigen Folge, dass der Verein insoweit nicht mehr die volle Personalhoheit über diese Mitarbeiter innehaben wird.

Entgegen der Ansicht des Beteiligten in seinem Schriftsatz vom 6.6.2013 trifft es aller Voraussicht nach nicht zu, dass die hier streitige Maßnahme deshalb nicht dem Mitbestimmungstatbestand „Einstellung“ im Sinne des § 65 Abs. 2 Nr. 1 NPersVG unterfallen wird, weil die geplante Aufnahme der Beschäftigung bei der neuen Dienststelle Landkreis A., KVHS, jeweils aufgrund einer den Zeitraum von drei Monate überschreitenden Abordnung erfolgen soll und demzufolge durch den speziellen und abschließenden Mitbestimmungstatbestand „Abordnung“ im Sinne des § 65 Abs. 2 Nr. 6 NPersVG ausgeschlossen wird, der eine Beteiligung des Personalrats nur der abgebenden Dienststelle vorsieht (vgl. dazu Dembowski/Ladwig/Sellmann, Das Personalvertretungsrecht in Niedersachsen, Stand: März 2013, § 79 Rn. 29a und § 65 Rn. 43 sowie BVerwG, Beschluss vom 29.1.2003 – 6 P 19.01 –, PersR 2003, 194/195 f.). Denn bei den geplanten „Abordnungen“ der pädagogischen Mitarbeiter des Vereins „Volkshochschule A. e.V.“ zur KVHS des Beteiligten handelt es sich nicht um Abordnungen gemäß § 65 Abs. 2 Nr. 6 NPersVG. Eine Abordnung in diesem – personalvertretungsrechtlichen – Sinne ist nicht gegeben, wenn Arbeitnehmer, deren Arbeitgeber eine privatrechtlich organisierter Verein (hier: der „Volkshochschule A. e.V.“) ist, zu einer Dienststelle im Sinne von § 1 Abs. 1 NPersVG (hier: der KVHS des Landkreises A.) zur mehrmonatigen weisungsabhängigen Dienstleistung „abgeordnet“ werden. Da der Verein „Volkshochschule A. e.V.“ als Arbeitgeber und seine mit ihm arbeitsvertraglich verbundenen Arbeitnehmer nach dem formalen Rechtsträgerprinzip des § 1 Abs. 1 NPersVG und § 130 BetrVG dem BetrVG und nicht dem NPersVG unterfallen (vgl. Nds. OVG, Beschluss vom 29.9.2011 – 18 LP 7/09 –, PersR 2011, 533/536), fehlt es hier an einer zur Abordnungsentscheidung befugten Dienststelle im Sinne von § 1 Abs. 1 i.V.m. § 79 Abs. 1 NPersVG. Demzufolge ist der vom Beteiligten zitierte Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 29.1.2003 – 6 P 19.01 – (PersR 2003, 194/195 f.), wonach bei der Abordnung eines Angestellten im Sinne von § 87 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 PersVG Berlin (entsprechend § 65 Abs. 2 Nr. 6 NPersVG) kein Mitbestimmungsrecht der den Beschäftigten aufnehmenden Dienststelle besteht, im vorliegenden Fall nicht einschlägig. Dies wäre er nur dann, wenn etwa pädagogische Mitarbeiter der KVHS des Landkreises N. am Harz (die dem Geltungsbereich des NPersVG unterliegen) für Zeiträume von jeweils mehr als drei Monate an die KVHS des Landkreises A. abgeordnet würden; eine solche, das Mitbestimmungsrecht des Antragstellers in der Tat ausschließende Fallkonstellation liegt bezogen auf die hier strittige Maßnahme aber gerade nicht vor.

Ein Mitbestimmungsrecht des Antragstellers unter dem Gesichtspunkt der Arbeitnehmerüberlassung bzw. Personalgestellung (§ 66 Abs. 1 Nr. 14 NPersVG) dürfte hier allerdings aller Voraussicht nach aus den im Schriftsatz des Beteiligten vom 6.6.2013 unter 2. (Seite 3 f.) genannten Gründen nicht in Betracht kommen. Insoweit war der – nicht nur hilfsweise gestellte – Antrag des Antragstellers auf Erlass einer einstweiligen Verfügung abzulehnen.

Für eine Kostenentscheidung ist im personalvertretungsrechtlichen Beschlussverfahren kein Raum (vgl. Germelmann/Matthes/Prütting/Müller-Glöge, ArbGG, 7. Aufl. 2009, § 84 Rn. 31 f.).