Verwaltungsgericht Göttingen
Beschl. v. 10.06.2013, Az.: 2 A 587/13

gesetzliche Frist; Frist; versäumte Klagefrist; Klagefrist; Rechtsanwalt; Verschulden; ordnungsgemäße Rechtsbehelfsbelehrung; Rechtsbehelfsbelehrung; Verlängerung; Wiedereinsetzung

Bibliographie

Gericht
VG Göttingen
Datum
10.06.2013
Aktenzeichen
2 A 587/13
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2013, 64333
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Eine Klage ist auch dann verfristet erhoben, wenn die beklagte Behörde dem Kläger vor Ablauf der Monatsfrist des § 74 VwGO die Frist zur Klageerhebung antragsgemäß verlängert hat. Dem anwaltlich vertretenen Kläger ist in einem solchen Fall keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.

Gründe

Gemäß § 166 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) in Verbindung mit § 114 Satz 1 der Zivilprozessordnung (ZPO) ist Prozesskostenhilfe demjenigen zu gewähren, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht oder nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.

Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor, denn die vom Kläger am 6. Mai 2013 erhobene Anfechtungsklage gegen den Bescheid des Beklagten vom 28. März 2013 über die Festsetzung eines Kostenbeitrages gemäß §§ 91 ff. des Sozialgesetzbuches Achtes Buch (SGB VIII) i.H.v. 475,00 € monatlich ab dem 4. September 2012 hat keine Aussicht auf Erfolg.

Die Klage ist unzulässig, denn sie wurde vom Kläger verfristet erhoben. Gemäß § 74 Abs. 1 Satz 2 VwGO muss die Anfechtungsklage innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des belastenden Verwaltungsaktes erhoben werden. Der angefochtene Kostenbescheid des Beklagten vom 28. März 2013 wurde nach übereinstimmenden Angaben der Beteiligten noch am selben Tage zur Post aufgegeben. Daraus folgt gemäß § 37 Abs. 2 SGB X, dass er am 31. März 2013 als bekanntgegeben gilt, mit der Folge, dass die gesetzliche Klagefrist von einem Monat gem. §§ 57 Abs. 2 VwGO, 222 Abs. 1 ZPO, 188 Abs. 2 und 3 BGB am 30. April 2013 um 24:00 Uhr endete. Diese Frist hat der Kläger um 6 Tage überschritten.

Ein anderer Befund ergibt sich vorliegend auch nicht aus dem Umstand, dass der Prozessbevollmächtigte des Klägers mit außerprozessualem Schreiben an den Beklagten vom 19. April 2013 die Verlängerung der Klagefrist beantragt und hierauf der Beklagte mit außerprozessualem Schreiben vom 22. April 2013 wie folgt geantwortet hat: „Ich verlängere die Frist zur Erhebung der Klage bis zum 04.05.2013.“

Die Klagefrist des § 74 VwGO ist eine gesetzliche Frist (dazu Kopp/Schenke, Kommentar zur VwGO, 17. Aufl., § 57 Rn. 3). Eine Verlängerung gesetzlicher Fristen ist grundsätzlich ausgeschlossen, es sei denn, die Möglichkeit der Verlängerung ist im Gesetz ausdrücklich vorgesehen (grundlegend BVerwG, Beschluss vom 18. Mai 1971 - II WDB 8.71 -, BVerwGE 43, 237 (238 f.); Kopp/Schenke, a.a.O., § 57 Rn. 12). Dementsprechend hat das VG Magdeburg (Urteil vom 10. Mai 2012 - 4 A 261/11 -, zit. nach juris Rn. 15) zu einem gleichgelagerten Vorgehen der dortigen Beklagten, die auf einen entsprechenden Antrag des Klägers die Klagefrist nach § 74 Abs. 1 VwGO um einen weiteren Monat verlängern wollte, schon zutreffend entschieden, dass durch die Zustimmung der Beklagten eine Verlängerung der gesetzlichen Klagefrist des § 74 VwGO von vorn herein nicht eintreten kann. Auch der Beklagte hat bei seiner Verfügung vom 22. April 2013 verkannt, dass diese Klagefrist nicht zu seiner Disposition steht. Dementsprechend ging seine Verfügung von vorn herein ins Leere.

Entgegen der Auffassung des Klägers läuft vorliegend auch nicht die Jahresfrist nach
§ 58 Abs. 2 VwGO, weil die dem angefochtenen Kostenbescheid vom 28. März 2013 beigefügte Rechtsbehelfsbelehrung fehlerfrei ist. Sie enthält den Hinweis auf die Art des Rechtsbehelfs, der einzulegen ist, die richtige Rechtsbehelfsfrist, die Form der Einlegung und die Angabe des Gerichtes, bei dem der Rechtsbehelf einzulegen ist (dazu Kopp/Schenke, a.a.O., § 58 Rn. 10 m.w.N.). Darüber hinaus hat der Beklagte hiervon abgesetzt und unter der separaten Überschrift „Hinweis“ den Kläger ausdrücklich darauf aufmerksam gemacht, dass durch seine - des Beklagten - Empfehlung, vor Erhebung einer Klage zur Klärung von Zweifeln den Sachverhalt zunächst mit dem zuständigen Sachbearbeiter zu erörtern, eine Verlängerung der Klagefrist nicht eintritt. Dies verkennt der Kläger mit seinem Hinweis auf die Rechtsprechung des BAG (Beschluss vom 25. Januar 2007 - 5 AZB 49/06 -, NJW 2007, 1485, zit. nach juris Rn. 9) und des BGH (Beschluss vom 16. Oktober 2003 - IX ZB 36/03 -, NJW-RR 2004, 408, zit. nach juris Rn. 13). In den dort entschiedenen Sachverhalten waren die Rechtsmittelbelehrungen der Vorinstanzen Landesarbeitsgericht bzw. Amtsgericht fehlerhaft. Deshalb durfte in diesen Fällen auch die anwaltlich vertretene Partei auf die Richtigkeit dieser (nicht offensichtlich) fehlerhaften Rechtsmittelbelehrungen vertrauen und ihnen war - jedenfalls in dem vom BAG entschiedenen Fall - Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.

In dem Schreiben des Beklagten vom 22. April 2013 sind auch nicht der Widerruf der fehlerfreien Rechtsbehelfsbelehrung aus dem angefochtenen Bescheid vom 28. März 2013 und die Neuerteilung einer - nunmehr fehlerhaften - Rechtsbehelfsbelehrung zu erblicken, sodass die Jahresfrist aus § 58 Abs. 2 VwGO auch aus diesem Grunde nicht zu laufen begann. Denn bei verständiger Würdigung der vorstehend wörtlich wiedergegebenen Erklärung des Beklagten aus der Sicht eines objektiven Erklärungsempfängers manifestiert sich hierin nicht der Wille des Beklagten, er habe den Kläger erneut über die Möglichkeit der Einlegung von Rechtsbehelfen vollständig und richtig belehren wollen (zur Nachholung oder Berichtigung einer Rechtsbehelfsbelehrung vgl. Kopp/Schenke, a.a.O., § 58 Rn. 8). Dagegen spricht schon, dass der streitgegenständliche Satz „Ich verlängere die Frist zur Erhebung der Klage bis zum 04.05.2013.“ nur auf die Frist zur Einlegung des Rechtsbehelfs abzielt, dagegen vom Beklagten eine (neue) Aussage zur Art des einzulegenden Rechtsbehelfs, zwingend einzuhaltenden Formvorschriften und der Stelle, bei der der Rechtsbehelf anzubringen ist, nicht getroffen wird.

Dem Kläger ist auf seinen fristgerecht gestellten Antrag vom 27. Mai 2013 auch keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hinsichtlich der versäumten Klagefrist zu gewähren. Gemäß § 60 Abs. 1 VwGO ist demjenigen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, der ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten. Eine Fristversäumnis im Sinne von § 60 VwGO ist verschuldet, wenn der Betroffene diejenige Sorgfalt außer Acht lässt, die für einen gewissenhaften und seine Rechte und Pflichten sachgemäß wahrnehmenden Prozessführenden im Hinblick auf die Fristwahrung geboten ist und ihm nach den gesamten Umständen des konkreten Falles zuzumuten war (BVerwG, Beschluss vom 22. April 2005 - 4 BN 12/05 -, Buchholz 310 § 60 VwGO Nr. 256, zit. nach juris Rn. 3 m.w.N.). Der Kläger hat vorliegend die verfristete Klageerhebung verschuldet; das Verschulden seines Prozessbevollmächtigten ist ihm gem. § 173 VwGO i.V.m. § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnen. Von einem Bürger kann - auch bei anwaltlicher Vertretung - regelmäßig erwartet werden, dass er eine zutreffende und unmissverständliche Rechtsbehelfsbelehrung befolgt (vgl. Nds. OVG, Beschluss vom 20. August 2002 - 1 LA 51/02 -, NVwZ-RR 2003, 157 [VGH Baden-Württemberg 20.08.2002 - 5 S 1484/02], zit. nach juris Rn. 20). Vertraut er stattdessen einer anders lautenden Auskunft - und sei es auch eines Juristen -, ist die darauf beruhende Fristversäumung schuldhaft. Irrtümer, denen der Betroffene trotz korrekter Rechtsbehelfsbelehrung unterliegt, rechtfertigen daher die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nur dann ausnahmsweise, wenn ein Fehlverhalten der Stelle, der gegenüber die Frist einzuhalten ist, den Irrtum bestärkt (Bier in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, Kommentar zur VwGO, Band 1, Loseblatt Stand: 24. Erg.lfg. August 2012, § 60 Rn. 33 mit Beispielen). So hat das Bundesverwaltungsgericht etwa entschieden, dass Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren ist, wenn die Fristversäumnis durch missverständliche Verfügungen des Gerichts ausgelöst wurde (vgl. BVerwG, Beschluss vom 22. April 2005, a.a.O.). Vorliegend hat jedoch nicht das Fehlverhalten des erkennenden Gerichtes, dem gegenüber die Klagefrist des § 74 VwGO zu wahren war, sondern das der Beteiligten zu der dem Kläger vorwerfbaren Fristversäumnis geführt. Denn der Beklagte hat mit seinem Schreiben vom 22. April 2013 und der dort verfügten Verlängerung der Klagefrist den schon vorher vorhandenen Rechtsirrtum des Prozessbevollmächtigten des Klägers bestärkt, die gesetzliche Frist des § 74 VwGO stehe zur Disposition der Beteiligten. Dem Prozessbevollmächtigten ist insoweit vorzuwerfen, dass er mit seiner Anfrage beim Beklagten vom 19. April 2013 dessen Rechtsirrtum erst hervorgerufen hat. Diese Sorgfaltspflichtverletzung war vermeidbar, denn die kurze Lektüre eines gebräuchlichen Kommentars zur VwGO hätte offenbart, dass gesetzliche Fristen grundsätzlich nicht verlängerbar sind und sich damit eine gegenläufige Anfrage beim Beklagten von vorn herein erübrigt.