Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 22.10.2014, Az.: 1 Ws 413/14 (StrVollz)
Disziplinarmaßnahme bei unerlaubter Abgabe eines Schriftstückes unter Gefangenen
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 22.10.2014
- Aktenzeichen
- 1 Ws 413/14 (StrVollz)
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2014, 30629
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGCE:2014:1022.1WS413.14STRVOLLZ.0A
Rechtsgrundlagen
- JVollzG ND § 76
- JVollzG ND § 94
- GG Art. 103 Abs. 2
Amtlicher Leitsatz
1. Das Verbot, Sachen an andere Gefangene abzugeben, umfasst auch Schriftstücke.
2. Untersagt die Vollzugsbehörde dem Gefangenen, Schriftstücke an andere Gefangene abzugeben, ausdrücklich, ist es im Hinblick auf den Bestimmtheitsgrundsatz des Art. 103 Abs. 2 GG nicht zu beanstanden, wenn bei einem gleichwohl erfolgten Verstoß hierauf eine Disziplinarmaßnahme gestützt wird.
Tenor:
Die Rechtsbeschwerde wird als unbegründet verworfen.
Die Kosten des Verfahrens trägt der Antragsteller.
Der Streitwert wird auf bis zu 500 € festgesetzt.
Gründe
I.
Mit Verfügung vom 30. Juli 2013 verhängte die Antragsgegnerin gegen den Antragsteller eine Disziplinarverfügung in der Form des Ausschlusses der Teilnahme an gemeinschaftlichen Veranstaltungen sowie der getrennten Unterbringung während der Freizeit für drei Tage. Die Disziplinarmaßnahme wurde bis zum 2. August 2013 vollstreckt. Hintergrund der Verfügung war der Umstand, dass bei der Sichtkontrolle der ausgehenden Post eines Mitgefangenen dem Bediensteten am 19. Juli 2013 ein Schriftstück auffiel, welches einen Antrag an die Staatsanwaltschaft auf Absehen von weiterer Strafvollstreckung der Ehefrau des Gefangenen zum Inhalt hatte und das nach dem Schriftbild mit dem nur dem Antragsteller zur Verfügung stehenden elektronischen Schreibgerät gefertigt worden war. Unter dem 5. Juli 2013 hatte die Antragsgegnerin dem Antragsteller den Hinweis erteilt, dass es ihm ohne ihre Erlaubnis nicht gestattet sei, Schreiben von oder für andere Gefangene in Gewahrsam zu haben, anzunehmen oder abzugeben.
Mit seinem Antrag auf gerichtliche Entscheidung hat der Antragsteller zunächst bestritten, das fragliche Schreiben gefertigt zu haben. Zudem dürfe ihm die Antragsgegnerin nicht untersagen, anderen Gefangenen Schreibhilfe zu leisten oder Schreiben anzunehmen. Da die reine Schreibhilfe nicht verboten sei, könne auch die Aushändigung von solchen Schriftstücken nicht verboten sein. Es handele sich um ein normales menschliches Miteinander, das nicht gegen § 76 NJVollzG verstoße. Im Hinblick auf die durch Vollziehung der Disziplinarverfügung eingetretene Erledigung hat der Antragsteller die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Maßnahme erstrebt. Mit dem angefochtenen Beschluss hat die Kammer den Antrag auf gerichtliche Entscheidung zurückgewiesen. Nach der erfolgten Beweisaufnahme stehe fest, dass das Schreiben durch den Antragsteller gefertigt und sodann dem Mitgefangenen übergeben worden sei. Eine Genehmigung hierfür habe nicht vorgelegen. Zwar komme Schriftstücken grundsätzlich kein materieller Wert zu, sie beinhalten aber einen ideellen Wert, der bei einem Tauschhandel Berücksichtigung finden könnte. Durch die fehlende Genehmigung der Abgabe auch von Schriftstücken werde auch ein Miteinander unter den Gefangenen nicht unmöglich gemacht. Denn der Austausch sei nicht schlechthin verboten, sondern stehe lediglich unter Erlaubnisvorbehalt. Zudem könne die Antragsgegnerin auf der Ermessensseite im Rahmen der Entscheidung, ob eine Disziplinarmaßnahme zu verhängen sei, zur Vermeidung unnötiger Härten die konkreten Umstände berücksichtigen. Ein Ermessensfehler sei indessen nicht ersichtlich.
Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Antragstellers, der sich darauf beruft, lediglich Schreibhilfe geleistet zu haben, ohne eine Gegenleistung hierfür erhalten zu haben. Der Gesetzgeber habe nicht jegliches menschliches Miteinander verbieten wollen. Zudem habe das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass die bloße Schreibhilfe als Ausdruck des normalen menschlichen Miteinanders nicht als ordnungsstörend verboten sein kann. Daneben bestünden auf der Grundlage der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts auch im Hinblick auf Art. 103 Abs. 2 GG verfassungsrechtliche Bedenken, wenn für die disziplinarische Sanktionierung rechtsbezogener Hilfeleistungen unter Gefangenen auf einen Verstoß gegen § 76 NJVollzG zurückgegriffen werde.
II.
Die Rechtsbeschwerde ist zulässig, hat jedoch in der Sache keinen Erfolg.
1. Die Rechtsbeschwerde ist zulässig erhoben. Ihr steht auch nicht § 116 StVollzG entgegen, da es geboten ist, die Nachprüfung zur Fortbildung des Rechts zu ermöglichen.
2. Die Rechtsbeschwerde ist jedoch nicht begründet. Dass die Kammer die in §§ 94 f. NJVollzG vorgesehenen Voraussetzungen und Rechtsfolgen für beachtet angesehen hat, stellt keinen Rechtsfehler dar. Insbesondere durfte die Antragsgegnerin vom Vorliegen eines disziplinarwürdigen Verstoßes durch den Antragsteller ausgehen.
a. Maßstab war dabei nicht ein möglicher Verstoß des Antragstellers gegen das Rechtsdienstleistungsgesetz, der hier nahe lag. Denn hierauf haben sich weder die Antragsgegnerin noch die Kammer gestützt. Die Kammer wäre im Übrigen auch nicht befugt gewesen, eine Disziplinarmaßnahme unter Auswechslung der von der Antragsgegnerin angeführten Gründe für die angenommene Pflichtwidrigkeit des sanktionierten Verhaltens als rechtmäßig zu bestätigen (vgl. BVerfGK 9, 390 (397)).
b. Grundlage war auch nicht ein Verstoß des Antragstellers gegen die Verhaltensvorschrift des § 75 Abs. 2 Satz 3 NJVollzG. Auch hierauf hat sich die Antragsgegnerin erkennbar nicht berufen. Insoweit geht auch der Einwand des Antragstellers in seiner Rechtsbeschwerde, die Auffassung der Kammer sei mit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts in StV 2013, 449 unvereinbar, fehl. Das Bundesverfassungsgericht hat dort ausgeführt, dass allein das Leisten einer Schreibhilfe kein ordnungsstörendes Verhalten eines Gefangenen darstelle, weil nicht jede Gegenseitigkeitsbeziehung und damit jede Form des normalen menschlichen Miteinanders als ordnungsstörend verboten sein kann. Hierauf hat die Antragsgegnerin gar nicht abgestellt, sondern die Disziplinarverfügung alleine an einem Verstoß gegen § 76 Abs. 1 Satz 1 NJVollzG aufgehangen.
c. Ein solcher Verstoß gegen § 76 NJVollzG lag nach den getroffenen Feststellungen auch vor. Das Verbot, Sachen nur mit Erlaubnis der Vollzugsbehörde in Gewahrsam haben, annehmen oder abgeben zu dürfen, umfasst auch Briefe (vgl. OLG Nürnberg, NStZ-RR 1999, 189 [OLG Nürnberg 25.01.1999 - Ws 1462/98]; Schwindt/Böhm/Jehle/Laubenthal-Ullenbruch, 6. Aufl., § 83 StVollzG, Rdnr. 2). Dass dies dem Antragsteller nicht erkennbar war, was in Anlehnung der benannten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts im Hinblick auf Art. 103 Abs. 2 GG, wonach ein zu sanktionierendes Verhalten genau und erkennbar bestimmt sein muss, verfassungsrechtlich Bedenken auslösen könnte, stand vorliegend außer Frage. Denn nach den getroffenen Feststellungen ist der Antragsteller ausdrücklich am 5. Juli 2013 darauf hingewiesen worden, dass es ihm ohne Erlaubnis der Antragsgegnerin nicht gestattet sei, Schreiben von oder für andere Gefangene im Gewahrsam zu haben, anzunehmen oder abzugeben. Da eine solche Genehmigung von Seiten der Antragsgegnerin nicht erteilt worden ist, hat der Antragsteller schuldhaft gegen § 76 Abs. 1 NJVollzG verstoßen.
d. Die Überprüfung des Ermessens der Antragsgegnerin, die Disziplinarverfügung in der gewählten Form gegen den Antragsteller zu verhängen, lässt ebenfalls keinen Rechtsfehler erkennen. Hierbei durfte die Antragsgegnerin zu Recht darauf abstellen, die Sicherheit und Ordnung der Anstalt aufrechtzuerhalten. Die verbotswidrige Abgabe von Schriftstücken an Mitinhaftierte begründet die Gefahr, subkulturelle Abhängigkeiten zu schaffen, wobei schon einer beginnenden Verfestigung von Abhängigkeiten entgegenzuwirken sei. Insoweit konnte nämlich darauf abgestellt werden, dass das Verhalten des Antragstellers über eine bloße Schreibhilfe hinausging, indem der Antragsteller ein Schreiben mit rechtlich relevantem Inhalt gefertigt hat.
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 121 Abs. 4 StVollzG i. V. m. § 473 Abs. 1 StPO.
IV.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 1 Abs. 1 Nr. 8, 52, 60, 63 Nr. 2, 65 GKG.