Landgericht Oldenburg
Beschl. v. 01.08.2012, Az.: 6 T 491/12
Voraussetzungen für die Gewährung eines Vollstreckungsschutzes nach § 765a ZPO bzgl. der Räumung eines Wohnhauses nebst Nebengebäuden
Bibliographie
- Gericht
- LG Oldenburg
- Datum
- 01.08.2012
- Aktenzeichen
- 6 T 491/12
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2012, 35817
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LGOLDBG:2012:0801.6T491.12.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- AG Oldenburg - 24.07.2012 - AZ: 66 M 284/12
Rechtsgrundlage
- § 765a ZPO
Fundstelle
- ZMR 2012, 957-959
In der Zwangsvollstreckungssache
des Herrn ...
Schuldners und Beschwerdeführers,
- Verfahrensbevollmächtigte 1. Instanz: Rechtsanw. ...
gegen
Herrn ...
Gläubiger und Beschwerdegegner,
- Verfahrensbevollmächtigter: Rechtsanw. ...
weitere Beteiligte:
1.) ...
2.) ...
hat die 6. Zivilkammer des Landgerichts Oldenburg am 01.08.2012 durch den Vorsitzenden
Richter am Landgericht ... als Einzelrichter
beschlossen:
Tenor:
Die sofortige Beschwerde des Schuldners gegen den Beschluss des Amtsgerichts Oldenburg vom 24.07.2012 wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
Der Beschwerdewert wird auf bis 1.000 EUR festgesetzt.
Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
Gründe
Die Beteiligte zu 1.) - Ehefrau des Beschwerdeführers - war Eigentümerin des Wohnhauses ... Im Wege der Zwangsversteigerung wurde dem Beschwerdegegner durch Beschluss vom 31.08.2010 der Zuschlag erteilt. Gegen den Beschwerdeführer und den Beteiligten zu 2.) hat der Beschwerdegegner am 27.05.2011 Klage auf Räumung des Wohnhauses nebst Nebengebäuden erhoben. Antragsgemäß erfolgte die Verurteilung durch das Landgericht Oldenburg mit Urteil vom 14.02.2012 (Az. 8 O 1464/11). Die Einzelrichterin räumte den Beklagten des Verfahrens ferner eine Räumungsfrist bis zum 11.05.2012 ein. Die dagegen erhobene sofortige Beschwerde wies das Oberlandesgericht mit Beschluss vom 02.04.2012 zurück. Ein Antrag auf Verlängerung der Räumungsfrist wurde mit Beschluss vom 05.06.2012 zurückgewiesen. Mit Schriftsatz vom 06.06.2012 haben der Beschwerdeführer und die Beteiligten zu 1.) und 2.) einen Vollstreckungsschutzantrag gestellt und diesen insbesondere begründet mit der fehlenden Möglichkeit der Anmietung von angemessenem Wohnraum. Der Beschwerdeführer könne sich nur mit einem Rollstuhl bewegen; eine rollstuhlgerechte Wohnung müsse über hinreichend breite Türen verfügen. Geeigneter Wohnraum müsse aus vier Räumen bestehen, weil neben dem 19-jährigen Beteiligten zu 2.) auch eine 15-jährige Tochter des Beschwerdeführers und seiner Ehefrau in der Familie lebe. Die intensiven Bemühungen um eine Ersatzwohnung, deren Miete nicht über den vom Landkreis zugesagten Betrag von 750 EUR zzgl. Heizkosten liege, seien nicht erfolgreich gewesen. Das Sozialamt der Gemeinde ... habe drei Wohnungen vorgeschlagen, wovon eine bereits anderweitig vermietet wurde und die übrigen zwei nur über drei Zimmer verfügt hätten. Das Obdachlosenheim der Gemeinde ... verfüge nur über Einzelzimmer, sei nicht rollstuhlgeeignet und von Schimmelpilz befallen. Zwischenzeitlich hat der Gerichtsvollzieher einen Räumungstermin auf den 02.08.2012 festgesetzt.
Mit Beschluss vom 24.07.2012 hat das Amtsgericht den Vollstreckungsschutzantrag zurückgewiesen. Zur Begründung hat der Rechtspfleger u.a. ausgeführt, die Ausnahmevorschrift in § 765a ZPO sei eng auszulegen. Räumungsaufschub sei nur zu gewähren, wenn die Räumungsvollstreckung wegen ganz besonderer Umstände unter Abwägung der Interessen des Schuldners und des Gläubigers eine Härte darstellen würde, die mit den guten Sitten nicht zu vereinbaren sei. Auch unter Berücksichtigung der Schwierigkeiten auf dem Wohnungsmarkt bei der Suche nach einer für die Rollstuhlnutzung geeigneten Wohnung für vier Personen hätten die Interessen des Gläubigers an der Räumung nicht zurückzutreten. Zu Lasten der Schuldnerseite sei zu berücksichtigen, dass diese den von der Gemeinde angebotenen - situationsbedingt angemessenen- Ersatzwohnraum abgelehnt hätten. Es stelle keine sittenwidrige Härte dar, wenn in einer rollstuhlgerechten Ersatzwohnung nicht jedes Familienmitglied über ein eigenes Zimmer verfüge. Die Schuldnerseite habe auch die Suche nach Ersatzwohnraum über viele Monate berücksichtigen müssen. Eine langfristige Einschränkung seiner Eigentumsrechte könne vom Gläubiger nicht verlangt werden. Zudem sei es dem entscheidenden Rechtspfleger bei der Internetrecherche binnen weniger Minuten möglich gewesen, Rollstühle zu finden, die für einen Einsatz in enger geschnittenen Wohnungen geeignet seien. Der Zustand der von der Gemeinde unterhaltenen Notunterkunft sei nicht dem Gläubiger entgegenzuhalten. Es liege nicht in seiner Verantwortung, Tätigkeiten der staatlichen Daseinsführsorge zu übernehmen.
Gegen diese Entscheidung hat der Beschwerdeführer sofortige Beschwerde erhoben und diese damit begründet, die von der Gemeinde angebotenen Wohnungen seien nicht rollstuhlgerecht ausgestattet gewesen. Er könne sich einen schmaleren Rollstuhl nicht leisten. Die Obdachlosenwohnung sei wegen Schimmelbildung nicht bewohnbar. Außerdem herrsche dort ein hoher Lautstärkepegel, wodurch ein ungestörtes Wohnen nicht möglich sei. Er sehe den Abschluss der Ausbildung seines Sohnes dadurch gefährdet.
Hinsichtlich des weiteren Sachverhaltes wird auf den Inhalt der Akte und insbesondere die umfassende Zusammenfassung im angefochtenen Beschluss Bezug genommen.
Die sofortige Beschwerde ist zulässig, in der Sache jedoch nicht begründet.
Die Voraussetzungen, unter denen ein Vollstreckungsschutz nach § 765a ZPO gewährt werden kann, liegen im Fall des Schuldners nicht vor.
§ 765a Abs. 1 Satz 1 ZPO verlangt für die Abwendung von Maßnahmen der Zwangsvollstreckung, dass diese unter voller Würdigung der Schutzbedürfnisse des Gläubigers wegen ganz besonderer Umstände eine Härte bedeuten, die mit den guten Sitten nicht vereinbar ist. Die Bestimmung ist als Ausnahmevorschrift eng auszulegen. Mit Härten, die jede Zwangsvollstreckung mit sich bringt, muss sich ein Schuldner abfinden. Daher begründet es keine Härte im Sinne des § 765a Abs. 1 Satz 1 ZPO, dass die Zwangsvollstreckung überhaupt durchgeführt wird und entsprechende Maßnahmen einen erheblichen Eingriff in den Lebenskreis eines Schuldners bewirken. In Betracht kommt ein Vollstreckungsschutz nur in besonders gelagerten Fällen, nämlich nur dann, wenn im Einzelfall das Vorgehen des Gläubigers zu einem ganz untragbaren Ergebnis führen würde (Zöller/Stöber, ZPO, 29. Aufl., § 765a, Rn. 5 m. w. N.). Eine solche Gestaltung liegt hier bei Abwägung aller bekannten Umstände nicht vor.
Die Abwägungen im umfangreich begründeten Beschluss vom 24.07.2012 sind nicht zu beanstanden. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf die zutreffende Begründung der Entscheidung Bezug genommen. Ergänzend sind im Hinblick auf die Beschwerdebegründung folgende Erwägungen hervorzuheben:
Der Beschwerdeführer und seine Familie hatten bereits nach Erteilung des Zuschlags im Zwangsversteigerungsverfahren vor zwei Jahren hinreichend Veranlassung, sich um Ersatzwohnraum zu bemühen, in dem die vier Personen der Familie leben können und die Nutzung des vorhandenen Rollstuhls möglich ist. Wenn eine Anmietung trotz der angeführten Bemühungen nach Internetrecherche und telefonischer Kontaktaufnahme nicht möglich war, hätten der Beschwerdeführer und seine Familie in dem langen Zeitraum die eigenen Vorstellungen hinsichtlich Größe, Ort und Lage überdenken und andere Wege der Suche (u.a. durch eigene Gesuche, Einbeziehung Dritter) einschlagen müssen. Dies gilt insbesondere für die Zeit nach Verkündung des Urteils vom 14.02.2012. Die Bemühungen hätten sich auch erstrecken müssen auf die Erlangung eines Rollstuhles, der für herkömmliche Türbreiten geeignet ist. Die dargelegten Bemühungen des Beschwerdeführers um eine Zusage zur Höhe der von den Sozialbehörden übernommenen Miete machen deutlich, dass Gespräche um die Beschaffung anderer Hilfsmittel und ggf. der Mittel für die Anschaffung sinnvoll hätten sein können.
Soweit der Beschwerdeführer eine rollstuhlgerechte Ausstattung einer Ersatzwohnung fordert, war zu berücksichtigen, dass er trotz des umfangreichen Vortrages zu zahlreichen Punkten nicht dargelegt hat, welche Umstände außer die Breite der Türöffnungen eine Nutzung unmöglich machten. Zur Breite des Rollstuhles und der Türen der von der Gemeinde angebotenen Wohnungen hat der Beschwerdeführer keine konkreten Einzelheiten dargetan. Wenn der von ihm genutzte Rollstuhl ungewöhnlich breit sein sollte, hätte er sich unter Darlegung der Schwierigkeiten bei der Suche nach einer Wohnung auch um Möglichkeiten der Beschaffung eines anderweitigen Ersatzes bemühen müssen, wie bereits dargelegt wurde. Zweifel hinsichtlich einer Nutzbarkeit des bisherigen Rollstuhls ausschließlich bei extra breiten Türöffnungen folgen schließlich daraus, dass der Beschwerdeführer einen entsprechenden Umbau der bisher bewohnten Wohnung nicht dargetan hat. Das Gutachten des Gutachterausschusses im Zwangsversteigerungsverfahren lässt eine behindertengerechte Ausstattung des 1910 gebauten Hauses nicht erkennen.
Zutreffend sind die Ausführungen des Amtsgerichtes zur Bereitschaft zur Nutzung einer Wohnung mit drei Zimmern. Der Rechtspfleger hat richtig dargestellt, dass mit dem Bewohnen einer 3-Zimmer-Wohnung zwar erhebliche Einschränkungen für den Beschwerdeführer und seine Familie begründet sind. Jedoch sind andererseits die Interessen des Gläubigers an der Nutzung des durch den Zuschlag im Jahre 2010 erworbenen Eigentums zu berücksichtigen. Gerade die von dem Beschwerdeführer behauptete erfolglose Suche nach Ersatzwohnraum hätte ihm Veranlassung zu erheblichen Einschränkungen geben müssen. Ein sittenwidriger Zustand liegt nicht allein deshalb vor, weil der Gläubiger von seinen Rechten Gebrauch macht und dies zu erheblichen Unannehmlichkeiten auf der Schuldnerseite führt. Im Rahmen der Abwägung ist auch die Eigennutzungsabsicht des Beschwerdegegners, der inzwischen verheiratet ist, zu beachten.
Der Zustand der Notunterkunft der Gemeinde (sowohl hinsichtlich der Schimmelbildung als auch hinsichtlich der Lärmentwicklung) ist aus den im angefochtenen Beschluss zutreffend angeführten Gründen nicht im Rahmen der Abwägung der Interessen des Beschwerdeführer und der des Gläubigers zu beachten. Die Verantwortung obliegt insoweit der öffentlichen Einrichtung, die diese Unterkunft bereitstellt.
Nach Würdigung aller bekannten Umstände der konkreten Gestaltung wiegen die der Zwangsvollstreckung entgegenstehenden Interessen des Beschwerdeführers nicht ersichtlich schwerer als die mit der Zwangsvollstreckung verfolgten Belange des Gläubigers. Im Ergebnis sind nach einer Gesamtschau der maßgeblichen Aspekte keine hinreichenden Anhaltspunkte für eine aus der Zwangsvollstreckung resultierende sittenwidrige Härte erkennbar. Insofern besteht kein hinreichender Anlass, die angegriffene Entscheidung des Amtsgerichts zu ändern.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.