Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 24.04.2008, Az.: 6 K 26/08
Bestehen des subjektiven öffentlichen Rechtes eines einzelnen Prüflings auf Beachtung des Grundsatzes der Chancengleichheit als objektiv-rechtliches Gebot im Prüfungsrecht; Zulässigkeit der Auswahl von Kompensationsmaßnahmen durch die Aufsichtsbehörde bei Störungen während der Aufsichtsarbeiten einer Steuerberaterprüfung; Überprüfungsfähigkeit der Auswahl solcher Maßnahmen durch die Gerichte
Bibliographie
- Gericht
- FG Niedersachsen
- Datum
- 24.04.2008
- Aktenzeichen
- 6 K 26/08
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2008, 13738
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:FGNI:2008:0424.6K26.08.0A
Rechtsgrundlagen
- § 18 Abs. 1 S. 3 DVStB
- § 18 Abs. 3 DVStB
Fundstellen
- EFG 2008, 1156-1158 (Volltext mit red. LS)
- NWB direkt 2008, 11
- Jurion-Abstract 2008, 228782 (Zusammenfassung)
Amtlicher Leitsatz
Orientierungssatz:
Im Prüfungsrecht gibt es kein subjektives öffentliches Recht des einzelnen Prüflings auf Beachtung des Grundsatzes der Chancengleichheit als objektiv-rechtliches Gebot.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die ordnungsgemäße Durchführung einer Klausur im Rahmen der Steuerberaterprüfung 2007.
Der Kläger nahm mit seinem persönlich zweiten Versuch an der Steuerberaterprüfung 2007 teil. Der schriftliche Teil der Prüfung fand am 9., 10. und 11. Oktober 2007 in der Stadthalle Braunschweig statt. Zu der ersten Klausur "Verfahrensrecht und andere Steuerrechtsgebiete" waren 275 Bewerber erschienen. Die Prüfung sollte ursprünglich um 9:00 Uhr beginnen. Vor dem Beginn der Prüfung wurden die Erschienenen über die Vorschriften der §§ 19 - 21 und 23 der Durchführungsverordnung zum Steuerberatungsgesetz (DVStB) belehrt. Danach begannen Mitarbeiter des Beklagten mit dem Austeilen der Klausur. Dabei wurden diejenigen Kandidaten, die bereits eine Klausur empfangen hatten, angewiesen, diese verdeckt auf ihrem Tisch liegen zu lassen. Nachdem alle vorhandenen Klausuren ausgeteilt worden waren, stellten die Mitarbeiter des Beklagten fest, dass aufgrund eines Fehlbestandes nicht sämtliche Prüflinge ein Klausurexemplar erhalten hatten. Sodann erging die Anweisung an diejenigen Kandidaten, die bereits eine Klausur erhalten hatten, diese weiterhin verdeckt auf ihrem Tisch liegen zu lassen. Im Übrigen wurde den Kandidaten gestattet, ihren zugewiesenen Platz und gegebenenfalls auch den Prüfungsraum zu verlassen. Derweil ließen die Mitarbeiter des Beklagten weitere Exemplare der Klausur drucken. Diese wurden dann nach gut einer Stunde an die übrigen Bewerber verteilt. Als Beginn der Bearbeitungszeit wurde 10:15 Uhr festgelegt. Den Kandidaten wurde aufgrund der mit dem verzögerten Beginn verbundenen eventuellen psychischen Beeinträchtigung bzw. zum Ausgleich etwaiger sonstiger durch die Verzögerung entstandenen Nachteile eine Verlängerung der Bearbeitungszeit um 15 Minuten gewährt. Damit endete die Bearbeitungszeit allgemein um 16:30 Uhr.
Nach der gem. § 22 DVStB angefertigten Niederschrift über die schriftliche Steuerberaterprüfung 2007 gab der Kandidat S vor Bearbeitungsbeginn zu Protokoll, er habe gehört, wie sich Kandidaten vor dem Prüfungssaal über Klausurinhalte unterhalten hätten ("Thema Vollstreckung komme in der Klausur vor"). Die Kandidaten M und B kündigten für den Fall des Nichtbestehens der Prüfung Beschwerden wegen der verzögerten Ausgabe der Aufgabetexte und der damit verbundenen Unruhe an. Weitere Hinweise oder Beschwerden seitens der Kandidaten sind in der Niederschrift nicht vermerkt.
Mit Bescheid vom 18. Dezember 2007 setzte der Beklagte durch den Prüfungsausschuss III die Prüfungsleistungen des Klägers hinsichtlich der schriftlichen Aufsichtsarbeiten mit der Gesamtnote 4,66 fest. Dabei wurde die Klausur Verfahrensrecht und andere Steuerrechtsgebiete mit 5,0 benotet. Dementsprechend wurde dem Kläger mitgeteilt, dass er die Steuerberaterprüfung gem. § 25 Abs. 2 DVStB nicht bestanden habe.
Gegen diesen Bescheid wendet sich der Kläger mit der vorliegenden Klage. Er ist der Ansicht, dass die Festsetzung seiner Gesamtnote mit 4,66 insoweit rechtswidrig sei, als darin die Prüfungsleistung in der Klausur "Verfahrensrecht und andere Steuerrechtsgebiete" mit der Note 5,0 Eingang gefunden habe. Die Rechtswidrigkeit der Prüfungsentscheidung ergebe sich aus dem Umstand, dass der Beklagte seine Geheimhaltungspflicht im Rahmen der streitgegenständlichen Klausur nicht erfüllt habe und somit gegen den durch Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG) verfassungsrechtlich verbürgten Grundsatz der Chancengleichheit unter den Prüflingen verstoßen habe. So habe am 1. Prüfungstag zwischen 9:00 und 10:15 Uhr in den Prüfungsräumlichkeiten ein heilloses Durcheinander geherrscht. Während dieses Zeitraums sei es den Aufsichtsführenden nicht mehr möglich gewesen zu kontrollieren, ob die Prüflinge der Anordnung, die ausgeteilten Klausuren nicht einzusehen und zu bearbeiten, nachgekommen seien. Dementsprechend sei es den Prüflingen ohne weiteres möglich gewesen, die Klausur entweder auf ihrem Platz einzusehen und danach mit anderen Prüflingen bzw. Dritten telefonisch Kontakt aufzunehmen, um den Inhalt der Klausur zu besprechen oder die Klausur mit aus dem Prüfungsraum zu nehmen und so in einer unbeobachteten Ecke der Stadthalle die Klausur allein bzw. mit anderen einzusehen und zu bearbeiten.
Weiterhin stelle die Art und Weise der Durchführung der ersten Klausur einen Verstoß gegen die in § 18 Abs. 2 DVStB normierte Geheimhaltungspflicht hinsichtlich der Prüfungsaufsicht dar. Insoweit widerspreche bereits das sukzessive Austeilen der Klausuren dem Geheimhaltungsgebot; darüber hinaus sei ein Vollzugsdefizit dadurch eingetreten, dass es den Aufsichtsführenden nicht mehr möglich gewesen sei, ständig zu kontrollieren, ob die Bewerber sich nicht unerlaubter Hilfsmittel bedienten oder sich eines sonstigen Täuschungsversuchs schuldig machten, wie es § 19 Abs. 1 und 3 DVStB vorsehe. Weiterhin folge aus § 19 Abs. 2 DVStB, dass die Aufsichtsführenden die bislang ausgeteilten Klausuren durch Einsammeln derselben wieder hätten in Verwahrung nehmen müssen, nachdem sie festgestellt hätten, dass nicht allen Kandidaten ein Exemplar der Klausur zur Verfügung gestanden habe.
Schließlich ergebe sich die Rechtswidrigkeit der Prüfungsentscheidung auch aus dem Umstand, dass sich der Bearbeitungsbeginn durch die fehlenden Klausurexemplare um eine Stunde und fünfzehn Minuten verzögert habe. Damit habe die Verzögerung mehr als 20 v.H. der eigentlichen Bearbeitungszeit betragen. Insoweit könne nicht ausgeschlossen werden, dass diese Verzögerung beim Kläger eine starke Verunsicherung, Verwirrung und Unruhe ausgelöst habe und damit eine Beeinträchtigung der für die Prüfung notwendigen Konzentrationsfähigkeit bewirkt habe. Die vom Beklagten angeordnete Schreibzeitverlängerung um 15 Minuten sei nicht dazu angetan gewesen, eine Heilung dieses Verfahrensfehlers herbeizuführen.
Letztlich sei die Prüfungsentscheidung auch deshalb aufzuheben, da vorliegend nicht ausgeschlossen werden könne, dass der Kläger bei ordnungsgemäßem Prüfungsablauf in der streitgegenständlichen Klausur ein besseres Ergebnis erzielt hätte, als das unter den gegebenen Umständen der Fall war. Der Kläger habe in der streitigen Klausur 36 Wertungspunkte erreicht und hätte bei nur vier Punkten mehr die Note 4,5 erzielt. Mit dieser Benotung wäre der Kläger zur mündlichen Prüfung zugelassen worden.
Der Kläger habe den Prüfungsablauf auch gegenüber einem der Aufsichtsführenden moniert. Allerdings sei eine Rüge des Klägers bis zum Ende der Bearbeitungszeit nach § 20 Nr. 4 DVStB nicht erforderlich. Zum einen betreffe § 20 Abs. 4 DVStB nur Störungen durch äußere Einwirkungen auf den Prüfungsablauf, während es sich vorliegend um eine Störung von innen, nämlich durch den Beklagten selbst handele; zum anderen sei ein Rügen der Störung durch den Kläger obsolet, da der Beklagte von dem Klausurenfehlbestand als störendem Ereignis unstreitig Kenntnis gehabt habe. Im Übrigen durfte der Kläger ein Rüge für überflüssig halten, weil bereits Mitprüflinge die Störungen gerügt hätten.
Der Kläger beantragt,
den Beklagten zu verpflichten, die Entscheidung des Prüfungsausschusses III über die Bewertung der Klausur Verfahrensrecht und andere Steuerrechtsgebiete aufzuheben und dem Kläger die Möglichkeit zu geben, eine Klausur Verfahrensrecht und andere Steuerrechtsgebiete im Rahmen der Steuerberaterprüfung 2008 erneut zu bearbeiten.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er ist der Ansicht, dass der Grundsatz der Chancengleichheit durch den streitgegenständlichen Prüfungsablauf nicht verletzt sei, da letztlich für alle Prüfungsteilnehmer die gleichen Bedingungen und Anforderungen gegolten hätten. Insbesondere seien Einsichtnahmen in die Aufgabentexte im größeren Stil ausgeschlossen gewesen. Dies habe das Aufsichtspersonal, welches entsprechend qualifiziert und in ausreichender Anzahl vorhanden gewesen sei, durch entsprechende Aufsichtsmaßnahmen sichergestellt. Zwar sei es nach dem Abbruch des Austeilens der Klausur zu Grüppchenbildungen und Gesprächsrunden unter den Prüflingen gekommen; diese hätten jedoch lediglich ein Ausmaß erreicht, wie es kurz vor Beginn einer Aufsichtsarbeit regelmäßig üblich sei.
Ein Verstoß gegen § 18 Abs. 2 und § 19 Abs. 1 - 3 DVStB liege nicht vor, da der Geheimhaltungspflicht durch die Anweisung der Aufsichtspersonen, die Klausurtexte umgedreht liegen zu lassen und Zuwiderhandlungen als Täuschungsversuche zu werten, Genüge getan worden sei. Der Umstand, dass die Klausuren sukzessiv ausgeteilt würden, bedeute nicht, dass die Prüfungskandidaten auch sukzessiv hätten Kenntnis nehmen können. Im Übrigen sei ein kurzes Spicken oder flüchtiges Heinblicken in den Klausurtext in keinem Fall geeignet gewesen, sich nennenswerte Vorteile zu verschaffen.
Weiterhin ergebe sich eine Rechtswidrigkeit der Prüfungsentscheidung nicht aus dem Umstand, dass sich der Bearbeitungsbeginn bis 10:15 Uhr verzögert habe. Zudem bestünden keine Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger bei einem reibungslosen Prüfungsablauf in der streitgegenständlichen Klausur ein besseres Ergebnis erzielt hätte. Insoweit erscheine auch der Umstand, dass der Kläger in dem zuletzt bearbeiteten Teil der Klausur die schwächste Leistung erbracht habe, keineswegs ungewöhnlich. So sei ein Nachlassen der Leistungsfähigkeit zum Ende der Klausur regelmäßig bei den meisten Prüfungskandidaten zu beobachten. Dies hänge auch damit zusammen, dass die Kandidaten in den gemischten Klausuren in der Regel diejenigen Abschnitte zuerst bearbeiteten, in denen sie sich das beste Ergebnis zutrauten. Insgesamt sei die streitige Klausur Verfahrensrecht und andere Steuerrechtsgebiete insgesamt nicht schlechter ausgefallen als in den Vorjahren.
Entscheidungsgründe
I.
Die Klage ist unbegründet. Der angefochtene Bescheid ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.
1.
Die angefochtene Prüfungsentscheidung ist nicht schon deshalb rechtswidrig, weil sich der Beginn der Bearbeitung der ersten Klausur um eine Stunde und fünfzehn Minuten verzögerte.
a)
Zwar mag allein der Umstand, dass der Beginn der Bearbeitungszeit der ersten Aufsichtsarbeit von ursprünglich 9:00 Uhr auf 10:15 Uhr verlegt wurde, geeignet sein, die Prüflinge -und damit auch den Kläger- in ihrer Leistungsfähigkeit zu beeinträchtigen; es kann nicht ausgeschlossen werden, dass bereits dieser Umstand bei den Kandidaten Verunsicherung, Verwirrung und Unruhe ausgelöst hat und damit eine Beeinträchtigung der für die Prüfung notwendigen Konzentrationsfähigkeit bewirkt hat (vgl. Urteil des FG Hamburg vom 11. April 1989 V 20/89, BFG 1989, 470).
b)
Dieser Verfahrensfehler wurde jedoch durch die vom Beklagten gewährte Verlängerung der Bearbeitungszeit um fünfzehn Minuten geheilt.
Es ist allgemein anerkannt, dass die Prüfungsbehörde als Ausgleich für Störungen während der Aufsichtsarbeiten Kompensationsmaßnahmen, wie zum Beispiel die Gewährung einer Schreibverlängerung, ergreifen kann. Allerdings steht den Prüfungsbehörden bei der Frage, welche Kompensationsmaßnahmen bei Störungen während der Aufsichtsarbeiten zur Wiederherstellung der Chancengleichheit geeignet und geboten sind, kein Entscheidungsspielraum zu. Die Gerichte können vielmehr in vollem Umfange prüfen, ob die Prüfungsbehörde durch die von ihr gewährte Schreibverlängerung einen Ausgleich für die Störungen herbeigeführt haben (BFH-Urteil vom 23. August 2001 VII R 96/00, BStBl II 2002, 58 m.w.N.). Gleiches gilt entsprechend für Störungen, die -wie hier- bereits vor der Bearbeitung der Aufsichtsarbeiten eingetreten sind, aber die Eignung haben, sich auf die Leistungsfähigkeit während der Prüfung auszuwirken.
Die vom Beklagten "zum Ausgleich der mit dem verzögerten Beginn verbundenen eventuellen psychischen Beeinträchtigungen bzw. zum Ausgleich etwaiger sonstiger durch die Verzögerung entstandenen Nachteile" (Wortlaut der Niederschrift nach § 22 DVStB) gewährte Verlängerung der Bearbeitungszeit ist ausreichend. Bei der Prüfung der Kompensationsmaßnahme ist zu beachten, dass ein "mathematischer Ausgleich" in der Weise, dass die Verlängerung der Bearbeitungszeit der Dauer der Störung entsprechen müsste, nicht zwingend geboten ist. Es kommt für die Bemessung der Ausgleichsmaßnahme vielmehr auf die Art und Intensität der Beeinträchtigung an. An diesem Maßstab gemessen erweist sich die mögliche Beeinträchtigung durch die Verschiebung des Beginns der Bearbeitungszeit als eher gering. Denn anders als bei einer während der Bearbeitung auftretenden Störung (z.B. durch Baulärm) wurde die Konzentration der Kandidaten vorliegend nicht während der eigentlichen Bearbeitung gestört. Es handelt sich lediglich um eine mögliche Nachwirkung der vor dem Beginn der Bearbeitungszeit eingetretenen Störung. Diese mag zwar bei den Kandidaten zu einer temporären Beeinträchtigung der Konzentrationsfähigkeit geführt haben; diese wird sich jedoch bei dem durchschnittlichen Kandidaten nach Aufnahme der eigentlichen Bearbeitung wieder auf das individuell mögliche Niveau angehoben haben. Für die Geringfügigkeit der Beeinträchtigung spricht auch, dass es den Kandidaten gestattet war, während der Wartezeit aufzustehen und sogar den Prüfungsraum zu verlassen. Insoweit konnte die Zwischenzeit je nach persönlicher Herangehensweise des einzelnen Kandidaten zur weiteren Vorbereitung oder zur inneren Sammlung genutzt werden. Etwaige verbliebene Nachteile sind durch die Schreibverlängerung von fünfzehn Minuten hinreichend ausgeglichen. Dieser Zeitraum ist ausreichend, den durch die Verzögerung möglicherweise eingetretenen Konzentrationsabfall auszugleichen und die für die Bearbeitung der Klausur erforderliche Konzentration wieder aufzubauen.
c)
Die von dem Beklagten gewährte Schreibzeitverlängerung führt auch nicht zu einer unzulässigen überlangen Prüfungsdauer. Zwar soll nach § 18 Abs. 1 Satz 3 DVStB die Bearbeitungszeit für jede Aufsichtsarbeit höchstens sechs Stunden betragen; es ist jedoch allgemein anerkannt, dass unter Bezug auf § 18 Abs. 3 DVStB eine Verlängerung der Bearbeitungszeit gewährt werden kann, welche eine Stunde nicht überschreiten soll. In Ausnahmefällen ist sogar eine Verlängerung über sieben Stunden hinaus möglich (vgl. BFH-Urteil vom 23. August 2001 VII R 96/00, BStBl II 2002, 58). Vorliegend betrug die gesamte Bearbeitungszeit sechs Stunden und fünfzehn Minuten. Sie liegt damit noch innerhalb der von der Prüfungsordnung vorgesehenen Höchstdauer.
Soweit der Kläger in den maßgeblichen Zeitraum auch die Zeitspanne zwischen 9:00 Uhr (Ladung der Prüflinge) und 10:15 Uhr (Beginn der Bearbeitungszeit) einrechnet, kann dem nicht gefolgt werden. Zwar hat das FG Hamburg in seiner Entscheidung vom 11. April 1989 (V 20/89, EFG 1989, 470) zwischen dem Beginn der Prüfung und dem Beginn der Bearbeitungszeit differenziert und dann die gesamte Bearbeitungszeit an den Grenzen des § 18 DVStB geprüft; dem folgt der erkennende Senat jedoch nicht. Zum einen beruht die vom FG Hamburg vorgenommene Differenzierung zwischen Beginn der Prüfung und Beginn der Bearbeitungszeit auf § 22 Nr. 1 und 2 DVStB a.F. Diese Fassung ist jedoch ab August 1996 gegenstandslos. Insoweit stellt die geltende DVStB nur noch auf die eigentliche Bearbeitungszeit ab. Dies entspricht auch dem Sinn und Zweck der Höchstzeitregelung. Dieser besteht darin, den Kandidaten nicht eine überlange Zeit der Konzentration zuzumuten. In der Zeit zwischen dem Zeitpunkt, nach dem die Prüflinge laut Ladung anwesend sein sollen und dem eigentlichen Bearbeitungsbeginn ist zwar von einer gewissen Nervosität der Prüflinge geprägt, die Konzentrationsfähigkeit wird jedoch in diesem Zeitraum noch nicht beansprucht. Daher kommt es für die Überprüfung der Höchstzeitregelungen nur auf die tatsächliche Bearbeitungsdauer an.
2.
Die angefochtene Prüfungsentscheidung ist auch nicht wegen Verletzung der Chancengleichheit durch die Vorkommnisse zwischen 9:00 Uhr und 10:15 Uhr am ersten Prüfungstag insgesamt gegeben.
a)
Der Grundsatz der Chancengleichheit als prüfungsrechtliche Ausprägung des allgemeinen Gleichheitssatzes (Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes -GG-) verlangt, dass den Prüflingen Gelegenheit gegeben wird, ihre Prüfungsleistungen unter möglichst gleichartigen Prüfungsbedingungen zu erbringen (BFH-Urteil vom 27. Juli 1993 VII R 11/93, BStBl II 1994, 259). Die Chancengleichheit ist verletzt, wenn die konkrete Ausgestaltung des Prüfungsverfahrens zur Folge haben kann, dass das Leistungsvermögen des Prüflings beeinträchtigt und dieser damit gegenüber anderen Prüflingen in einer vergleichbaren Prüfungssituation benachteiligt ist (vgl. BFH-Urteil vom 10. März 1992, VII R 87/90, BStBl II 1992, 634), wenn sich also nicht ausschließen lässt, dass die Prüfungsbedingungen wesentlich dazu beigetragen haben, dass der Prüfling kein besseres Prüfungsergebnis erzielt hat (BFH-Urteil vom 20. Juli 1999 VII R 111/98, BStBl II 1999, 803 m.w.N.).
Diesbezüglich kann dahinstehen, ob -wie vom Kläger behauptet- andere Kandidaten nach dem Beginn des Austeilens der Klausur um kurz vor 9.00 Uhr bis zum Beginn der eigentlichen Bearbeitungszeit um 10:15 Uhr Gelegenheit hatten, die Klausur (teilweise) einzusehen und ob diese Möglichkeit auf einer unzureichenden Kontrolle durch den Beklagten beruhte. Insoweit ist unstreitig, dass der Beklagte die Prüfungsteilnehmer vor dem Austeilen der Klausur angewiesen hat, die ausgeteilten Exemplare verdeckt auf dem Tisch liegen zu lassen. Auch nachdem der Beklagte festgestellt hat, dass die Klausurexemplare nicht ausreichten, hat dieser unstreitig die Anweisung gegeben, die bereits ausgeteilten Exemplare nicht umzudrehen und nicht einzusehen. Sollte ein Prüfling gegen diese Anweisung verstoßen haben, handelte es sich dabei zweifelsfrei um einen Täuschungsversuch.
Durch derartige Täuschungshandlungen anderer Prüfungsteilnehmer erleidet die Chancengleichheit eines Prüflings, selbst wenn sie durch eine mangelhafte Prüfungsorganisation ermöglicht worden sind, keinen Schaden, solange sein eigenes Prüfungsverfahren korrekt verläuft und seine eigenen Prüfungsleistungen ordnungsgemäß bewertet werden (BFH-Urteil vom 30. November 1993 VII R 15/93, BFH/NV 1994, 584; BFH-Urteil vom 20. Juli 1999 VII R 111/98, BStBl II 1999, 803 m.w.N.). Dies ist Ausfluss des Umstandes, dass es im Prüfungsrecht kein subjektives öffentliches Recht des einzelnen Prüflings auf Beachtung des Grundsatzes der Chancengleichheit als objektiv-rechtliches Gebot gibt.
b)
Die Klage hätte demnach nur dann Erfolg, wenn sich die (vom Kläger behauptete) Verletzung des Grundsatzes der Chancengleichheit auf das Prüfungsergebnis des Klägers ausgewirkt hätte. Dies ist jedoch nicht festzustellen, da der Vortrag des Klägers hierzu nicht hinreichend substantiiert ist.
Der Kläger trägt insoweit lediglich vor, dass nicht ausgeschlossen werden könne, dass er bei ordnungsgemäßem Prüfungsablauf in der streitgegenständlichen Klausur ein besseres Ergebnis erzielt hätte, als dies unter den gegebenen Umständen der Fall gewesen sei. Er habe in der fraglichen Klausur 36 Wertungspunkte erreicht und bei nur vier Wertungspunkten mehr die Note 4,5 erhalten, mit der er zur mündlichen Prüfung zugelassen worden wäre. Eine nähere Betrachtung der streitgegenständlichen Klausur zeige, dass der Kläger die von ihm zuerst bearbeiteten Teile Verfahrensrecht (15 von 35 möglichen Punkten) und Erbschaftsteuer (14 von 30 möglichen Punkten) isoliert betrachtet bestanden habe. Hingegen falle die Leistung im Aufgabenteil Umsatzsteuer (7 von 35 möglichen Punkten), den der Kläger zuletzt bearbeitet habe, deutlich ab. Dies zeige, dass der Kläger hier aufgrund der großen Verzögerung nicht mehr in der Lage gewesen sei, sich entsprechend zu konzentrieren und ein seiner unter normalen Prüfungsbedingungen gegebenen Leistungsfähigkeit entsprechendes Prüfungsergebnis zu erzielen.
Diese Ausführungen sind nicht geeignet, eine rechtsfehlerhafte Bewertung der Klausur des Klägers aufgrund der gerügten Chancenungleichheit festzustellen. Sie beziehen sich lediglich auf einen allgemeinen Konzentrationsabfall des Klägers gegen Ende der Bearbeitungszeit. Selbst wenn dieser auf dem verzögerten Bearbeitungsbeginn beruhen sollte, so wäre dies mit der fünfzehnminütigen Schreibverlängerung ausgeglichen (vgl. oben). Darüber hinaus ist eine fehlerhafte Bewertung der Klausur des Klägers nicht erkennbar. Eine solche fehlerhafte Bewertung im Hinblick auf die verbesserte Startposition derjenigen Prüfungsteilnehmer, die vorzeitig in den Aufgabentext Einblick genommen haben, ist jedoch vor allem deswegen unwahrscheinlich, da die Bewertung der Arbeit der anderen Prüflinge (wie des Klägers) nicht nachteilig beeinflusst werden konnte, weil das Bewertungsschema der Aufsichtsarbeit bereits vor Prüfungsbeginn festgelegt war und später nicht verändert worden ist (vgl. hierzu BFH-Urteil vom 30. November 1993 VII R 15/93, BFH/NV 1994, 584). Im Übrigen hätte es dem Kläger freigestanden, derartige Bewertungsfehler im Rahmen des Überdenkungsverfahrens vorzutragen. Dies hat er jedoch nicht getan.
II.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung (FGO).