Verwaltungsgericht Oldenburg
Beschl. v. 25.01.2008, Az.: 1 A 27/07
Kostenerstattung für Anwaltsgebühren; Anwaltskosten; Mandatsbeendigung; Sachantrag; Berufungsbegründung
Bibliographie
- Gericht
- VG Oldenburg
- Datum
- 25.01.2008
- Aktenzeichen
- 1 A 27/07
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2008, 46022
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:VGOLDBG:2008:0125.1A27.07.0A
Rechtsgrundlagen
- § 162 Abs. 2 VwGO
- § 91 Abs. 2 ZPO
- § 3200 RVG
- § 3201 RVG
Fundstellen
- NVwZ-RR 2008, VI Heft 6 (amtl. Leitsatz)
- NVwZ-RR 2008, 656 (amtl. Leitsatz)
Amtlicher Leitsatz
Die Gebühr nach RVG VV Nr. 3200 ist nicht erstattungsfähig, wenn der Rechtsanwalt einen Antrag auf Zurückweisung der Berufung stellt, bevor die Berufung begründet worden ist.
Tenor:
Auf die Erinnerung des Klägers wird der Kostenfestsetzungsbeschluss des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle vom 16. Oktober 2007 geändert. Die vom Kläger an den Beklagten zu erstattenden Kosten werden auf 417,81 Euro festgesetzt.
Der Beklagte trägt die Kosten des Erinnerungsverfahrens.
Das Verfahren über die Erinnerung ist gebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet.
Gründe
Der Kläger hat über seine Prozessbevollmächtigten Berufung zum Niedersächsischen Oberverwaltungsgericht eingelegt mit dem Antrag auf Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils. Eine Begründung wurde angekündigt. Der Beklagte beantragte über seine Bevollmächtigten die Zurückweisung der Berufung und kündigte Ausführungen zur Sache nach Vorliegen der Berufungsbegründung an. Der Kläger nahm anschließend die Berufung zurück und das OVG stellte das Berufungsverfahren mit der Kostenlast für den Kläger ein. Mit Kostenfestsetzungsantrag vom 10./11. September 2007 beantragte der Beklagte die Festsetzung der im Rechtsmittelzug entstandenen Kosten und machte dabei eine 1,6 Gebühr nach Nr. 3200 VV RVG in Höhe von 481,60 Euro geltend. Nach Ansicht des Klägers war allenfalls eine 1,1 Gebühr nach Nr. 3201 VV RVG entstanden. Der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle setzte mit Kostenfestsetzungsbeschluss vom 16. Oktober 2007 antragsgemäß die geltend gemachte Gebühr fest. Dagegen richtet sich der Antrag des Klägers auf gerichtliche Entscheidung. Die Gebühr nach Nr. 3200 VV RVG könne nicht gefordert werden, weil es zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung nicht nötig gewesen sei, sich umfassend mit der Sache zu befassen. Mehr als die 1,1 Gebühr nach Nr. 3201 VV RVG könne nicht verlangt werden.
Der nach §§ 165, 151 VwGO statthafte und zulässige Antrag auf gerichtliche Entscheidung (Erinnerung) hat Erfolg. Dem Beklagten steht die festgesetzte 1,6 Gebühr nach Vergütungsverzeichnis (VV) Nr. 3200 RVG nicht zu. Er hat Anspruch auf Kostenersatz allenfalls für die auch vom Kläger für angemessen gehaltene 1,1 Gebühr gemäß Nr. 3201 VV RVG. Der Kostenfestsetzungsbeschluss des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle vom 16. Oktober 2007 war insoweit zu ändern.
Der Kläger ist mit Einstellungsbeschluss des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 4. September 2007 dem Grunde nach verpflichtet worden, die Kosten des Beklagten zu erstatten. Die Höhe der erstattungsfähigen Kosten bestimmt sich nach § 162 VwGO und ist im Kostenfestsetzungsverfahren geltend zu machen.
Nach § 162 Abs. 2 S. 1 VwGO sind die Gebühren eines Rechtsanwalts stets erstattungsfähig, wobei sich die Höhe der Gebühren nach dem RVG bestimmt. Gleiches gilt im Wesentlichen für das zivilrechtliche Verfahren nach § 91 Abs. 2 ZPO, so dass auf die dazu ergangene Rechtsprechung zurückgegriffen werden kann. Auch im Verwaltungsprozess gilt der das gesamte Kostenrecht beherrschenden Grundsatz, die Kosten so niedrig wie möglich zu halten. Das kann dazu führen, dass im Verhältnis zum Auftraggeber Gebühren des Rechtsanwalts nach RVG zwar entstanden sind, vom Gegner aber nicht erstattet werden müssen.
Ob hier für den Rechtsanwalt des Beklagten der Gebührentatbestand nach Nr. 3200 VV entstanden ist, mag offen bleiben (vgl. dazu Hartung/Römermann/Schons, RVG, 2. Auflage, Anm. Nr. 3 zu 3201 VV; Gerold u.a., Rechtsanwaltsvergütungsgesetz, Kommentar 17. Auflage, Anm. 58 zu VV 3200), weil nicht über den Anspruch des Anwalts gegen den Auftraggeber zu entscheiden ist. Selbst wenn eine Gebühr nach 3200 VV RVG entstanden sein sollte, weil ein Schriftsatz mit einem Sachantrag eingereicht worden ist, kann der Beklagte die Erstattung dieser Gebühr nicht verlangen.
Zwar ist ein Berufungsbeklagter berechtigt, in der zweiten Instanz auch schon vor Eingang einer Berufungsbegründung anwaltliche Hilfe in Anspruch zu nehmen (Hartung u.a.a.a.O. Anm. Nr. 7; Gerold u.a., a.a.O. Anm. Nr. 59) und auch Kostenerstattung zu verlangen. Von der grundsätzlichen Anerkennung der Notwendigkeit der Beauftragung eines Rechtsanwalts nach Zugang einer Berufungsschrift ist aber die Frage zu unterscheiden, welche Maßnahmen der bestellte Rechtsanwalt zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung für erforderlich halten darf. Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist zu verneinen, dass die erst bei Stellung eines Sachantrages nach Nr. 3200, 3201 VV RVG anfallende volle Verfahrensgebühr erstattungsfähig ist, wenn der Antrag gestellt wird, bevor feststeht, ob das Rechtsmittel tatsächlich durchgeführt wird. (BGH, Beschluss vom 3. Juli 2007 -, VI ZB 21/06 -, juris m.w.N.; Gerold u.a.a.a.O. Anm. 61 zu 3200 VV; Hartung u.a.a.a.O. Anm. 8 zu 3201 VV RVG; vergl. auch BGH, B.v. 17.12.2002, X ZB 27/02, juris).
Es obliegt der erstattungsberechtigten Partei, die Kosten möglichst niedrig zu halten. Im Normalfall besteht kein Anlass für den Berufungsgegner, mit der Verteidigungsanzeige seines Prozessbevollmächtigten zugleich den Sachantrag auf Zurückweisung der Berufung anzukündigen. Der Berufungsbeklagte kann sich nämlich erst nach Vorliegen der Berufungsbegründung mit Inhalt und Umfang des Angriffs auf das erstinstanzliche Urteil sachlich auseinandersetzen. Es ist nicht ersichtlich, wie ein Antrag auf Zurückweisung der Berufung den Prozess fördern könnte, solange mangels einer Berufungsbegründung eine sachgerechte Prüfung des Rechtsmittels gar nicht möglich ist (BGH a.a.O.).
Für die Bevollmächtigten des Beklagten wäre eine eingehende Befassung mit der Berufung und ihren Erfolgsaussichten, die eine 1,6 Verfahrensgebühr nach 3200 VV RVG rechtfertigt und erfordert, nicht erforderlich gewesen. Die anwaltliche Rechtsberatung hätte sich darauf beschränken können, die Berufungsbegründung erst abzuwarten. Erst nach ihrem Vorliegen wäre eine Auseinandersetzung und eingehende rechtliche Beratung in der Sache erforderlich und sachgereicht auch erst möglich. Die bis zum Eingang der Berufungsbegründung angemessene und angebrachte rechtsanwaltliche Beratungstätigkeit wird durch die 1,1 Gebühr nach Nr. 3201 VV RVG auf jeden Fall abgegolten. Das führt zum Ansatz einer Gebühr nach Nr. 3201 in Höhe von 331,10 Euro anstatt der festgesetzten Gebühr nach Nr. 3200 in Höhe von 481,60 Euro.
Die vom Beklagten angeführte Rechtsprechung des VGH Baden-Württemberg (Beschluss vom 21. Dezember 2000 - 3 S 288/98 - juris) kann seinen Anspruch nicht stützen. Nach dieser Rechtsprechung entsteht schon dann die volle Prozessgebühr, wenn der Prozessbevollmächtigte nach Kenntnisnahme vom Eingang einer Rechtsmittelschrift einen Antrag auf Zurückweisung des Rechtsmittels stellt, obwohl die Begründung noch nicht vorliegt. Diese Rechtsprechung berücksichtigt nicht die von Rechtsprechung und Literatur aus § 91 ZPO bzw. § 162 VwGO hergeleitete Obliegenheit des Erstattungsberechtigten, die Kosten für den Gegner möglichst gering zu halten.
Nach alledem war der Erinnerung mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 stattzugeben. Das Verfahren über die Erinnerung ist gebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet (§ 56 Abs. 2 RVG).