Oberlandesgericht Oldenburg
Beschl. v. 08.02.1995, Az.: 1 WS 5/95
Zulässigkeit der Annahmeberufung bei freisprechenden Urteil des Amtsgerichts
Bibliographie
- Gericht
- OLG Oldenburg
- Datum
- 08.02.1995
- Aktenzeichen
- 1 WS 5/95
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 1995, 29065
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGOL:1995:0208.1WS5.95.0A
Rechtsgrundlagen
- § 313 Abs. 1 S. 2 StPO
- § 322a S. 2 StPO
Amtlicher Leitsatz
Keine Annahmeberufung bei freisprechendem Urteil des Amtsgerichts auf Antrag der Staatsanwaltschaft. Beschwerderecht der Staatsanwaltschaft gegen verweigerte Berufungsannahme.
Gründe
Die Staatsanwaltschaft hatte den Angeklagten wegen des Diebstahls einer Geldbörse mit mehreren 1.000,-·DM Inhalt angeklagt. In der Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht hat der Sitzungsstaatsanwalt den Freispruch des Angeklagten beantragt. Das Amtsgericht ist dem gefolgt. Gegen das freisprechende Urteil hat die Staatsanwaltschaft "Rechtsmittel" eingelegt und dieses später als Berufung bezeichnet und begründet.
Das Landgericht hat durch den angefochtenen Beschluss unter Hinweis auf §·313 Abs.·1 Satz·2 StPO die Berufung nicht angenommen und sie als unzulässig verworfen.
Die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft ist statthaft.
Namentlich steht §·322·a Satz·2 StPO nicht entgegen. Nach dieser Vorschrift ist die Entscheidung des Landgerichts über die Annahme einer Berufung nach §·313 StPO zwar unanfechtbar. Das gilt jedoch nur dann, wenn tatsächlich die Voraussetzungen des §·313 Abs.·1 StPO vorliegen (OLG Koblenz NStZ·1994, 601; OLG Zweibrücken NStZ·1994, 601; Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 41,.·Aufl., §·322·a, Rn.·8). Das ist hier nicht der Fall. Eine unmittelbare Anwendung des §·313 Abs.·1 Satz·2 StPO scheidet aus. Dem steht der Wortlaut der Vorschrift entgegen. Denn die Staatsanwaltschaft hatte nicht, wie im Gesetz vorausgesetzt, eine Geldstrafe von nicht mehr als 30·Tagessätzen, sondern sie hatte Freispruch beantragt. Aber auch für eine entsprechende oder sinngemäße Anwendung des §·313 Abs.·1 Satz·2 StPO ist kein Raum, auch nicht unter dem rechtlichen Gesichtspunkt des argumentum a fortiori bzw. a maiore ad minus. Denn der Antrag auf Freispruch ist nicht weniger (minus) als ein Antrag auf eine Geldstrafe von höchstens 30·Tagessätzen, er ist vielmehr etwas anderes (aliud). Der Staatsanwalt stellt einen freisprechenden Antrag, wenn nach seinem Eindruck von der Hauptverhandlung ein Schuldspruch nicht zu erwarten ist. Hingegen stellt der Staatsanwalt einen geringen Geldstrafenantrag, wenn er zwar von der Schuld des Angeklagten ausgeht, jedoch (aus anderen Gründen) den Verstoß als nicht schwerwiegend und mit höchstens 30·Tagessätzen zu ahnden ansieht. Beides lässt sich nicht miteinander vergleichen. Missverständlich bzw. zu weit ist daher die Formulierung, "die Berufung der Staatsanwaltschaft (sei) nur zulässig, wenn die Staatsanwaltschaft Verurteilung zu einer Geldstrafe von mehr als 30·Tagessätzen beantragt hatte" (Kleinknecht/Meyer-Goßner, a.a.O., §·313, Rn.·1). Der Satz ist nur dann berechtigt, wenn der Staatsanwalt nach einer inzidenten Bejahung der Schuldfrage "dem Grunde nach"überhaupt einen "Antrag zur Höhe" der Strafe gestellt hatte, nicht aber dann, wenn er bereits zur Schuldfrage zu einer dem Angeklagten günstigen Ansicht gekommen war. Diese Auslegung des §·313 Abs.·1 StPO wird auch durch die vergleichbare Regelung in §·79 Abs.·1 Nr.·3 OWiG und die Art, wie diese Bestimmung angewandt wird, nahe gelegt (vgl. Göhler, OWiG, 11.·Aufl., §·79, Rn.·10).
In beiden Fällen sollen sich wegen der geringen Dignität nicht mehrere Gerichtsinstanzen mit bagatellartigen Verstößen (vgl.Kleinknecht/Meyer-Goßner, a.a.O., §·313 Anm.·1) befassen.
Hingegen besagt ein Freispruch im Urteil auf Antrag der Staatsanwaltschaft nichts über den möglicherweise hohen objektiven Unrechtsgehalt und die Bedeutung der dem Angeklagten (bzw. Betroffenen) zur Last gelegten Verfehlung, zumal da durch das so genannte Rechtspflegeentlastungsgesetz die Kompetenz des Amtsgerichts (Strafrichter und Schöffengericht) stark erweitert worden ist.
Deshalb wäre es sinnwidrig, auch in solchen Fällen die Zulässigkeit der Berufung der Staatsanwaltschaft von ihrer vorherigen Annahme durch die kleine Strafkammer abhängig zu machen.