Verwaltungsgericht Lüneburg
Beschl. v. 31.01.2019, Az.: 8 B 206/18
Abschiebungshindernis; Abschiebungsverbot; Duldung; Geburtstermin; Schwangerschaft
Bibliographie
- Gericht
- VG Lüneburg
- Datum
- 31.01.2019
- Aktenzeichen
- 8 B 206/18
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2019, 70059
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 34a Abs 2 S 1 AsylVfG
- § 60a Abs 2 AufenthG
- § 3 MuSchG
- § 6 MuSchG
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Während der nach dem Mutterschutzgesetz bestehenden Schutzfristen ist die Abschiebung einer Schutzsuchenden vorübergehend rechtlich unmöglich.
Gründe
I.
Die schwangere Antragstellerin ist nigerianische Staatsgehörige, reiste am 2. September 2018 über Italien, wo sie bereits einen Asylantrag gestellt hatte, in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 4. September 2019 einen weiteren Asylantrag.
Die Antragsgegnerin ersuchte die italienischen Behörden am 18. Oktober 2018 um Wiederaufnahme der Antragstellerin. Nachdem die italienischen Behörden hierauf nicht reagierten, lehnte die Antragsgegnerin den Asylantrag der Antragstellerin mit Bescheid vom 12. November 2018 ab, stellte fest, dass Abschiebungsverbote nicht vorliegen und ordnete ihre Abschiebung nach Italien an. Italien sei für die Durchführung des Asylverfahrens der Antragstellerin zuständig und dort bestünden auch keine systemischen Mängel im Asylverfahren oder den Aufnahmebedingungen.
Gegen diesen Bescheid hat die Antragstellerin am 21. November 2018 Klage erhoben und um einstweiligen Rechtsschutz nachgesucht. In Italien bestünden für Dublin-Rückkehrer systemische Mängel.
II.
Der Antragstellerin, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht aufbringen kann, ist auf ihren Antrag hin Prozesskostenhilfe zu bewilligen. Die Rechtsverfolgung bietet hinreichende Aussicht auf Erfolg und erscheint nicht mutwillig, § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 ZPO.
Der gegen die Abschiebungsanordnung gerichtete Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz (§ 34a Abs. 2 Satz 1 AsylG) ist zulässig und begründet.
Gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 1 VwGO kann das Gericht der Hauptsache in den Fällen, in denen das Entfallen der grundsätzlich gemäß § 80 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 VwGO gegebenen aufschiebenden Wirkung einer Anfechtungsklage - wie hier gem. § 75 Abs. 1 Satz 1 AsylG - durch Bundesgesetz vorgeschriebenen ist (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO), auf Antrag die aufschiebende Wirkung anordnen, wenn die im Rahmen des Verfahrens des vorläufigen Rechtsschutzes vorzunehmende Interessenabwägung ergibt, dass das Interesse des Antragstellers, von der Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsakts bis zur endgültigen Entscheidung über seine Rechtmäßigkeit ver-schont zu bleiben, das öffentliche Interesse an dessen sofortiger Vollziehung überwiegt. Zu berücksichtigen ist dabei allerdings, dass das öffentliche Vollzugsinteresse bereits durch den gesetzlich angeordneten Ausschluss der aufschiebenden Wirkung erhebli-ches Gewicht erhält (vgl. BVerwG, Beschl. v. 07.08.2014 - 9 VR 2.14 -, juris Rn. 3, und Beschl. v. 13.06.2007 - 6 VR 5.07 -, NVwZ 2007, 1207 [1209]; Bay. VGH, Beschl. v. 09.08.2018 - 15 CS 18.1285 -, juris Rn. 33). Insbesondere wenn die mit dem Hauptan-trag erhobene Anfechtungsklage voraussichtlich keinen Erfolg haben wird, besteht kein Anlass von der gesetzlich bestimmten Regel der sofortigen Vollziehbarkeit abzugehen (vgl. BVerwG, Beschl. v. 30.09.2008 - 7 VR 1.08 -, juris Rn. 6). Ist hingegen die Rechtswidrigkeit der angegriffenen Verfügung offensichtlich, weil sie sich schon bei summarischer Prüfung ergibt, kann das Gericht die aufschiebende Wirkung anordnen (vgl. Nds. OVG, Beschl. v. 06.09.2007 - 5 ME 236/07 -, juris Rn. 11; vgl. zu alledem auch Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Auflage 2018, § 80 Rn. 146 ff.).
Bei Anwendung dieser Maßstäbe überwiegt derzeit das Interesse der Antragstellerin an einem Verbleib in der Bundesrepublik Deutschland gegenüber dem öffentlichen Interesse an einer sofortigen Vollziehung der Abschiebungsanordnung, da ihre Klage nach der insoweit maßgeblichen Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (vgl. § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG; vgl. auch BVerwG, Beschl. v. 05.03.2018 - 1 B 155.17 -, juris Rn. 13 zu OVG Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 13.10.2017 - 11 A 78/17.A -, juris Rn. 48) bei summarischer Prüfung Aussicht auf Erfolg bietet.
Das Bundesamt hat in Ziffer 3 des angefochtenen Bescheids aller Voraussicht nach rechtswidrig die Abschiebung der Antragstellerin angeordnet. Rechtsgrundlage für die Abschiebungsanordnung ist § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG (i.d.F.v. 31.07.2016). Hiernach ordnet das Bundesamt, sofern ein Ausländer in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG) abgeschoben werden soll, die Abschiebung in diesen Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann.
Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Derzeit steht nicht fest, dass die Abschiebung der Antragstellerin durchgeführt werden kann.
Eine Abschiebungsanordnung nach § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG setzt voraus, dass „fest-steht“, dass die Abschiebung durchgeführt werden kann. Das Bundesamt hat deshalb in den Fällen, in denen der Schutzsuchende in einem für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat abgeschoben werden soll, vor Erlass einer Abschiebungsanordnung auch zu prüfen, ob Abschiebungsverbote oder Duldungsgründe vorliegen. Damit sind sowohl zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse als auch der Abschiebung entgegenstehende inlandsbezogene Vollzugshindernisse gemeint.
Eine Abschiebung der Antragstellerin ist derzeit aufgrund des Stadiums ihrer Schwangerschaft rechtlich unmöglich. Denn auch wenn eine Risikoschwangerschaft nicht besteht, ist - wie auch die Antragsgegnerin in ihrem Bescheid zutreffend ausführt - eine Frau unter Berücksichtigung der gesetzlichen Schutzvorschriften der §§ 3, 6 Mutterschutzgesetz (MuSchG) sechs Wochen vor der Entbindung und acht bzw. bei Früh- und Mehrlingsgeburten zwölf Wochen nach der Entbindung als reiseunfähig anzusehen (vgl. VG München, Beschl. v. 23.08.2018 - M 26 S 18.52227 -, juris Rn. 8; VG Würzburg, Urt. v. 13.09.2017 - W 8 K 17.50316 -, juris Rn. 20; Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 12. Aufl. 2018, AufenthG § 60a Rn. 23; vgl. auch Bay. VGH, Beschl. v. 10.08.2015 - 10 CE 15.1341 -, juris Rn. 8; OVG Sachsen-Anhalt, Beschl. v. 10.12.2014 - 2 M 127/14 -, juris Rn. 10). Hierdurch sollen Gefahren für Mutter und Kind aufgrund der mit einer zwangsweisen Aufenthaltsbeendigung verbundenen physischen und psychischen Belastung vermieden werden (vgl. VG Düsseldorf, Beschl. v. 30.06.2017 - 8 L 203/17.A -, juris Rn. 15).
Nach dem von der Antragstellerin in Ablichtung vorgelegten Mutterpass wurde der 5. Februar 2019 als Geburtstermin errechnet, so dass sie sich aktuell im gesetzlichen Mutterschutz befindet. Aufgrund des damit verbundenen vorübergehenden inlandsbezogenen Abschiebungshindernisses (§ 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG) ist die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsanordnung anzuordnen.
Sofern nach Ablauf der gesetzlichen Mutterschutzfristen eine Abschiebung der Antragstellerin wieder in Betracht kommt, bleibt es der Antragsgegnerin unbenommen, dann einen Antrag gem. § 80 Abs. 7 VwGO zu stellen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1 VwGO, 83b AsylG.
Dieser Beschluss ist gemäß § 80 AsylG unanfechtbar.