Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 04.11.2021, Az.: L 11 AS 632/20

Leistungen bei endgültiger Festsetzung des Leistungsanspruchs der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II; Formbedürftigkeit eines Widerspruchs; Widerspruchseinlegung mittels einfacher E-Mail

Bibliographie

Gericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Datum
04.11.2021
Aktenzeichen
L 11 AS 632/20
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2021, 50072
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LSGNIHB:2021:1104.L11AS632.20.00

Verfahrensgang

vorgehend
SG Lüneburg - 03.11.2020 - AZ: S 19 AS 305/20

Fundstellen

  • GK 2022, 54-58
  • KomVerw/LSA 2022, 291-294
  • KomVerw/MV 2022, 287-289
  • KomVerw/S 2022, 292-295
  • KomVerw/T 2022, 290-293
  • NWB 2022, 363
  • ZfSH/SGB 2022, 74 (Pressemitteilung)

Amtlicher Leitsatz

Durch eine einfache E-Mail wird die Form des § 84 SGG nicht gewahrt. Erforderlich ist die Verwendung einer qualifizierten elektronischen Signatur, ein Versand gemäß § 5 De-Mail-Gesetz oder die Übermittlung in einem sicheren Verfahren gemäß § 36a Abs 2 Satz 4 Nr 4 SGB I.

Tenor:

Die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Lüneburg vom 3. November 2020 wird zurückgewiesen.

Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Die Kläger wenden sich gegen die vom Beklagten geltend gemachte Erstattung von Leistungen bei endgültiger Festsetzung des Leistungsanspruchs der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) für die Zeit von Juli bis Dezember 2018 und Januar bis März 2019.

2

Die nicht miteinander verheirateten Kläger leben mit den gemeinsamen Töchtern K. und L. in einer Bedarfsgemeinschaft. Die wegen Erzielung von schwankendem Einkommen der Kläger zunächst vorläufige Leistungsbewilligung wurde mit Bescheiden vom 12. und 13. Dezember 2019 abschließend festgesetzt und Erstattungen geltend gemacht. Dabei ergingen für den Zeitraum Juli bis Dezember 2018 und Januar bis März 2019 je ein Bescheid an den Kläger und je ein Bescheid an die Klägerin; letztere enthielten zugleich Festsetzungen von Rückforderungen für die gemeinsamen im Dezember 2016 geborenen Töchter. Die Bescheide enthielten jeweils die Rechtsbehelfsbelehrung, dass innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des Bescheides Widerspruch erhoben werden könne. Satz 3 lautet: „Der Widerspruch ist schriftlich oder zur Niederschrift bei der im Briefkopf genannten Stelle einzulegen.“

3

Mit einer E-Mail vom 30. Dezember 2019 teilten die Kläger mit, dass vor ein paar Tagen vier Briefe gekommen seien, zwei davon an die Klägerin und zwei an den Kläger. Aus den Briefen gehe hervor, dass sie Leistungen zurückzahlen müssten. Es gehe um unterschiedliche Zeiträume und unterschiedlich hohe Beträge. Als erstes wolle man auf diesem Wege Widerspruch einlegen. Im Folgenden wurde um Erläuterung und übersichtliche Begründung sowie eine schnelle Bearbeitung und Antwort gebeten.

4

Der Beklagte bestätigte mit vier Schreiben vom 8. Januar 2020 - je zwei an die Klägerin und an den Kläger - den Eingang des Widerspruchs am 30. Dezember 2019. In den Schreiben wurde erläutert, ein Widerspruch sei zwingend schriftlich oder zur Niederschrift einzureichen. Der per E-Mail übermittelte Widerspruch genüge diesen Formerfordernissen nicht, weil die technischen Voraussetzungen für eine eindeutige Urheberschaft nicht gewährleistet seien. Weiter heißt es: „Bitte reichen Sie deshalb den Widerspruch bis spätestens 22. Januar 2020 in der erforderlichen Form nach oder bestätigen Sie bis dahin schriftlich Ihre Urheberschaft. Ansonsten muss der Widerspruch als unzulässig verworfen werden“.

5

Hierauf reagierte die Klägerin am 21. Januar 2020 um 12.00 Uhr erneut per E-Mail mit dem Betreff „Re: Bezüglich der 4 Schreiben (Erstattung von Leistung)“ und erklärte, dass sie gestern ein Schreiben erreicht habe, dass sie wohl schon viel früher hätte erreichen müssen. Dort gehe es darum, dass noch bis zum 20.01.2020 Zeit sei, den Widerspruch schriftlich einzureichen. Dies sei jedoch unmöglich, wenn Post erst am genannten Tag eintreffe. Man wolle einfach wissen, wie es angehen könne, dass sie so viel zurückzahlen müssten, und bitte um eine verständliche Zusammenfassung und erneute Zeit für einen Widerruf.

6

Nachdem der Prozessbevollmächtigte – der die Kläger auch schon in früheren Verfahren vertreten hatte – sich mit Schreiben vom 22. April 2020 gegen Erstattungsbescheide vom 12. Dezember 2019, die bei den Mandanten am 20. Januar 2020 eingegangen seien, wandte und Entscheidung anmahnte, erließ der Beklagte am 27. April 2020 vier Widerspruchsbescheide, mit denen die Widersprüche jeweils als unzulässig verworfen wurden. Die Erhebung eines Widerspruchs per E-Mail entspreche nicht dem Formerfordernis iSd § 84 Abs 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Es könne mangels individueller Signatur nicht zweifelsfrei festgestellt werden, ob die E-Mail mit dem Widerspruch mit Wissen und Wollen des dort angegebenen Absenders versandt worden sei. Daher seien die Kläger mit Schreiben vom 8.Januar 2020 aufgefordert worden, die Widerspruchserhebung schriftlich/handschriftlich zu bestätigen. Nachdem eine Reaktion ausgeblieben sei, könne die Rechtsbehelfserhebung keinen Erfolg haben.

7

Hiergegen haben sich die nun anwaltlich vertretenen Kläger mit insgesamt vier Klagen vom 19. Mai 2020 gewandt. Das Sozialgericht (SG) Lüneburg hat mit Beschluss vom 31. Juli 2020 diese Klagen gemäß § 113 Abs 1 SGG verbunden. Zur Begründung haben die Kläger vorgetragen, aus den Bescheiden vom 12. Dezember 2019 ergebe sich nicht, dass ggf ein Widerspruch nicht per E-Mail zu erfolgen habe. Eine Widerspruchseinlegung per Mail sei nach Kenntnis des Prozessbevollmächtigten sehr wohl möglich. Der lapidare Hinweis „schriftlich oder zur Niederschrift“ sage jedem, der normal bei Verstand sei, dass der Widerspruch per Fax, per Niederschrift, dh persönlich oder auch per E-Mail einzulegen sei.

8

Das SG hat nach Anhörung mit Gerichtsbescheid vom 3. November 2020 die Klagen abgewiesen. Die Klagen seien nicht begründet. Der Beklagte habe zu Recht die Widersprüche der Kläger als unzulässig verworfen. Denn die Einlegung eines Widerspruchs per E-Mail sei nicht zulässig. In den Rechtsmittelbelehrungen werde auch ausdrücklich darauf hingewiesen, dass der Widerspruch „schriftlich oder zur Niederschrift“ einzulegen sei.

9

Zu diesem dem Prozessbevollmächtigen am 16. November 2020 zugestellten Gerichtsbescheid hat dieser zunächst in einem an das SG gerichteten Schreiben vom 17. November 2020 erklärt, er sei fassungslos gewesen, als er den dortigen Beschluss gelesen habe. Das Gericht scheine davon auszugehen, dass sich ein normaler Hilfeempfänger mit der deutschen Rechtsprechung in der Weise auskenne, dass er genaue Kenntnis darüber habe, dass E-Mails als Rechtsmittel nicht möglich seien. Für einen normalen Menschen - so auch für ihn - sei es nicht nachvollziehbar, weshalb Unterschiede zwischen Fax und E-Mail gezogen würden.

10

Mit Schreiben vom 18. November 2020 haben die anwaltlich vertretenen Kläger Berufung eingelegt. Zur Begründung wiederholen sie sinngemäß das an das SG gerichtete Schreiben. Die Kläger hätten mit ihrer E-Mail vom 21. Januar 2020 rechtzeitig Widerspruch gegen die Bescheide vom 12. Dezember 2019 eingelegt. Ein „normaler Mensch“ verstehe unter schriftlich auch den elektronischen Datenverkehr, wie Fax, E-Mail, Einschreiben usw. Der Prozessbevollmächtigte verweist darauf, dass die Jobcenter mit ihm regelmäßig elektronischen Datenverkehr führen würden. Es dürfe daher kein Unterschied gemacht werden zwischen einer E-Mail und einem Fax oder einem einfachen Widerspruchsschreiben. Wenn der Beklagte meine, E-Mails seien nicht zulässig, so müsste dies in den Rechtsmittelbelehrungen en détail aufgeführt werden. E-Mails gehörten zur ganz normalen täglichen Kommunikation. Der Beklagte habe die zwar per E-Mail, aber dennoch rechtzeitig eingereichten Widersprüche zur Kenntnis genommen. Es komme auf den Zugang der Willenserklärung an, nicht auf die Art und Weise des Zugangs.

11

Die Kläger beantragen,

12

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Lüneburg vom 3. November 2020 sowie die Bescheide des Beklagten vom 12./13. Dezember 2019 in Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 27. April 2020 aufzuheben und neu zu bescheiden.

13

Der Beklagte beantragt nach seinem schriftlichen Vorbringen,

14

die Berufung zurückzuweisen.

15

Er tritt dem Vorbringen der Kläger entgegen. Die Widersprüche seien nicht formgerecht eingereicht worden. Die E-Mail habe nicht dem Formerfordernis entsprochen. Zudem seien die Kläger mit Schreiben vom 8. Januar 2020 ausdrücklich darauf hingewiesen worden, dass die E-Mail nicht den Formvorschriften entspreche und es sei eine Frist bis zum 22. Januar 2020 gesetzt worden, um die nötige Form nachzuholen. Dieses Schreiben hätten die Kläger auch erhalten. Ein formgerechter Widerspruch sei jedoch nicht eingereicht worden. Dem Bevollmächtigten sei zeitgleich mit dem angefochtenen Widerspruchsbescheid am 27. April 2020 mitgeteilt worden, dass sein Schreiben als Antrag nach § 44 SGB X ausgelegt werde. Ein entsprechender Bescheid sei am 29. April 2020 ergangen. Gegen diesen sei kein Widerspruch erhoben worden.

16

Außer den Gerichtsakten haben die vom Beklagten übersandten elektronischen Verwaltungsvorgänge vorgelegen und waren Gegenstand der Verhandlung und Entscheidungsfindung. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des übrigen Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Akten ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

17

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig.

18

Sie ist jedoch nicht begründet. Das SG hat im Ergebnis zutreffend die Klage abgewiesen.

19

Denn die Kläger haben den Widerspruch nicht in der gesetzlich vorgeschriebenen Form erhoben (1.). Ihnen war auch keine Wiedereinsetzung zu gewähren (2.).

1.

20

Der Widerspruch ist gem § 84 SGG in der seit 1. Januar 2018 geltenden Fassung binnen eines Monats, nachdem der Verwaltungsakt bekannt gegeben worden ist, schriftlich, in elektronischer Form nach § 36a Abs 2 des Ersten Buches Sozialgesetzbuch - SGB I - (in der seit 1. November 2019 geltenden Fassung) oder zur Niederschrift bei der Stelle einzureichen, die den Verwaltungsakt erlassen hat. § 36a Abs 2 Sätze 1-3 SGB I lauten: Eine durch Rechtsvorschrift angeordnete Schriftform kann, soweit nicht durch Rechtsvorschrift etwas anderes bestimmt ist, durch die elektronische Form ersetzt werden. Der elektronischen Form genügt ein elektronisches Dokument, das mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehen ist.

21

Der per E-Mail eingelegte Widerspruch der Kläger vom 30. Dezember 2019 war nicht mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehen.

22

Nach § 36a Abs 2 Satz 4 Nr 2 und 4 SGB I kann die Schriftform auch ersetzt werden bei Anträgen und Anzeigen durch Versendung eines elektronischen Dokuments an die Behörde mit der Versandart nach § 5 Absatz 5 des De-Mail-Gesetzes. Nummer 4 dieser Vorschrift setzt der Schriftform sonstige sichere Verfahren gleich, die durch Rechtsverordnung der Bundesregierung mit Zustimmung des Bundesrates festgelegt werden, welche den Datenübermittler (Absender der Daten) authentifizieren und die Integrität des elektronisch übermittelten Datensatzes sowie die Barrierefreiheit gewährleisten; der IT-Planungsrat gibt Empfehlungen zu geeigneten Verfahren ab.

23

Schon aus der Formulierung in § 36a Abs 2 SGB I ergibt sich, dass eine einfache E-Mail nicht der Schriftform entspricht. Durch die Erwähnung der elektronischen Form nach § 36a Abs 2 SGB I in § 84 SGG (in der seit 1. Januar 2018 geltenden Fassung) ist deutlich, dass auch nach dem SGG nicht die einfache E-Mail ausreicht, sondern dass die Erfordernisse einer qualifizierten elektronischen Signatur erfüllt sein müssen. Dies entspricht dem Sinn der Regelung des § 84 Abs 1 SGG, dass nämlich nur solche an die Behörde gerichtete Schreiben als Widerspruch gewertet werden, aus denen sich klar ergibt, dass sie von dem Betreffenden willentlich in den Verkehr gebracht worden sind. Es ist daher auch allgemeine Meinung, dass durch die einfache E-Mail die Form nicht gewahrt ist (vgl B. Schmidt in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Auflage 2020, § 84 Rn 3 mwN der Rechtsprechung; Becker in Roos/Wahrendorf/Müller, BeckOGK, Stand 1.8.2021, § 84 SGG, Rn 9).

24

Innerhalb der Monatsfrist des § 84 Abs 1 SGG, also bis zum 16. Januar 2020, ist nur eine einfache E-Mail ohne qualifizierte Signatur bei dem Beklagten eingegangen, durch die die Form des § 84 SGG nicht gewahrt wurde. Die Kläger haben den Widerspruch innerhalb der Frist auch nicht in einem in § 36a Abs 2 Satz 4 Nr 2 oder 4 SGB I vorgeschriebenen Verfahren übersandt, so dass durch ihre E-Mail auch die Schriftform nicht ersetzt wurde.

25

Auch in der Folgezeit – zB nach dem Hinweis des Beklagten im Schreiben vom 8. Januar 2020, den Klägern zugegangen am 20. Januar 2020 – ist kein formgerechter Widerspruch eingegangen.

26

Etwas anderes gilt auch nicht etwa deshalb, weil die vom Beklagten den Bescheiden vom 12. und 13. Dezember 2019 beigefügten Rechtsbehelfsbelehrungen nicht den Hinweis auf § 84 Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 36a Abs 2 SGB I – Möglichkeit der Einlegung in elektronischer Form - enthielten. Da ein formgerechter Widerspruch in der Zeit bis zum 15. oder 16. Dezember 2020 (= ein Jahr nach Zugang der Bescheide vom 12. bzw 13. Dezember 2019 gemäß § 37 Abs 2 SGB X) nicht eingegangen ist, kann der Senat offenlassen, ob wegen der fehlenden Belehrung über die Möglichkeit der Einlegung des Widerspruchs in elektronischer Form (§ 84 Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 36a Abs 2 SGB I) für den Widerspruch die Monatsfrist nach § 84 Abs 1 SGG oder die Jahresfrist nach § 66 Abs 2 Satz 1 1. Halbsatz SGG gilt (vgl zum Meinungsstand: Jung in: Roos/Wahrendorf/Müller, BeckOGK 1.8.2021, SGG § 66 Rn 17f; BSG, Beschluss vom 7. Dezember 2017 – B 5 R 246/17 B -; LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 9. September 2021 – L 13 AS 345/21 B ER -). In keinem dieser Zeiträume (ein Monat bzw ein Jahr seit Bescheiderlass) wurden formgerechte Widersprüche durch die Kläger selbst oder ihren Prozessbevollmächtigten eingelegt. Der Prozessbevollmächtigte mahnte im April 2020 lediglich eine Entscheidung über den nur per einfacher E-Mail eingelegten Widerspruch an, ohne nun namens und im Auftrag der Kläger vorsorglich Widerspruch in der gesetzlichen Form einzulegen. Auch der weitere Vortrag hat sich inhaltlich darauf beschränkt, die im Dezember 2019 per Mail eingereichten Widersprüche entsprächen den gesetzlichen Vorgaben und seien daher als zulässig und fristgerecht zu bescheiden. Darin vermag der Senat keine Einlegung eines Widerspruchs zu sehen.

2.

27

Den Klägern ist auch keine Wiedereinsetzung nach § 67 SGG zu gewähren.

28

Gem § 67 Abs 1 SGG ist demjenigen, der ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Verfahrensfrist einzuhalten, auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Gem § 67 Abs 2 SGG ist der Antrag binnen eines Monats nach Wegfall des Hindernisses zu stellen. Innerhalb der Antragsfrist ist die versäumte Rechtshandlung nachzuholen. Ist dies geschehen, kann die Wiedereinsetzung auch ohne Antrag gewährt werden.

29

Vorliegend fehlt es jedoch sowohl am Antrag als auch – wie oben dargelegt – an der erneuten Einlegung des Widerspruchs.

30

Geht man von einer einmonatigen Widerspruchsfrist aus, könnte eine Wiedereinsetzung zwar grundsätzlich unter dem Gesichtspunkt in Betracht kommen, dass die Kläger bei fehlender Belehrung nach § 84 Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 36a Abs 2 SGB I auf ihren bereits am 30. Dezember 2019 beim Beklagten eingegangenen Widerspruch erst nach Ablauf der Widerspruchsfrist - nämlich mit Schreiben vom 8. Januar 2020, welches bei den Klägern nach ihrem Vortrag erst am 20. Januar 2020 eingegangen ist - auf den Formmangel ihres Widerspruchs hingewiesen wurden. Da die Kläger jedoch auch nachdem sie über den Formmangel durch das bei Ihnen am 20. Januar 2020 eingegangene Schreiben des Beklagten informiert wurden, die erforderliche Verfahrenshandlung (formgerechter Widerspruch) nicht innerhalb der Monatsfrist nach § 67 Abs 2 Satze 3 SGG nachgeholt haben, kommt bei Annahme der einmonatigen Frist keine Wiedereinsetzung in Betracht.

31

Geht man von einer Widerspruchsfrist von einem Jahr wegen der Annahme einer unvollständigen und damit unzutreffenden Rechtsmittelbelehrung aus, waren die Kläger nicht iSd § 67 Abs 1 SGG ohne Verschulden an der Einhaltung der Frist gehindert. Denn sie waren bereits mit Schreiben vom 8. Januar 2020, das ihnen nach ihrem Vortrag am 20. Januar 2020 zugegangen ist, über den Formmangel ihres Widerspruchs (einfache E-Mail) informiert und gleichzeitig aufgefordert worden, einen formgerechten Widerspruch nachzuholen. Hierzu hatten sie – wegen der einjährigen Widerspruchsfrist bei Annahme einer unzutreffenden Rechtsmittelbelehrung – noch bis zum 15. bzw 16. Dezember 2020, also fast 11 Monate Zeit. Dass sie dies gleichwohl nicht getan haben, war nicht „unverschuldet“ iSd § 67 Abs 1 SGG, sondern von den Klägern zu vertreten. Wiedereinsetzung kann nach einer Untätigkeit von mehr als 11 Monaten nicht gewährt werden. Zudem liegt nach wie vor keine Nachholung der erforderlichen Handlung (formgerechter Widerspruch) und auch kein Wiedereinsetzungsantrag vor.

32

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

33

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs 2 SGG) liegen nicht vor.