Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 18.11.2021, Az.: L 14 U 178/20
Anerkennung einer Berufskrankheit; Begriff der Berufskrankheiten; Theorie der wesentlichen Bedingung für Ursachenzusammenhänge; Erfüllung arbeitstechnischer Voraussetzungen
Bibliographie
- Gericht
- LSG Niedersachsen-Bremen
- Datum
- 18.11.2021
- Aktenzeichen
- L 14 U 178/20
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2021, 68341
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LSGNIHB:2021:1118.L14U178.20.00
Verfahrensgang
- vorgehend
- SG Bremen - 26.05.2020 - AZ: S 29 U 69/19
Rechtsgrundlagen
- § 9 Abs. 1 SGB VII
- Anl. 1 Nr. 2103 BKV
- § 193 SGG
Redaktioneller Leitsatz
Für die Feststellung einer Listen-Berufskrankheit ist erforderlich, dass die Verrichtung einer grundsätzlich versicherten Tätigkeit zu Einwirkungen von Belastungen, Schadstoffen oder ähnlichem auf den Körper geführt hat und diese Einwirkungen eine Krankheit verursacht haben. Dabei müssen die "versicherte Tätigkeit", die "Verrichtung", die "Einwirkungen" und die "Krankheit" im Sinne des Vollbeweises vorliegen – hier im Falle der Anerkennung einer Mondbeinnekrose als Berufskrankheit Nr. 2103 Anl. 1 BKV.
Tenor:
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Bremen vom 26. Mai 2020 aufgehoben und der Bescheid der Beklagten vom 9. Juli 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. November 2013 abgeändert.
Es wird festgestellt, dass bei dem Kläger eine Berufskrankheit nach Ziffer 2103 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung mit der Folge einer Mondbeinnekrose der rechten Hand mit Fragmentierung, Volumenminderung und irregulärer Kontur des Mondbeins, einer Arthrose des Radiokarpalgelenkes und interkarpal rechts, einem erweiterter Gelenkspalt zwischen Kahnbein und Mondbein rechts, einer diskreten Verlagerung des Kopfbeins nach körperwärts einem beginnenden karpalen Kollaps entsprechend, eine deutlich eingeschränkte Handgelenksbeweglichkeit rechts, eine verminderte Grobkraft und Pinchkraft der rechten Hand sowie einer geringen relativen Muskelminderung des rechten Unterarms vorliegt.
Die Beklagte hat dem Kläger die notwendigen außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger begehrt die Anerkennung einer Berufskrankheit (BK) nach der Ziffer 2103 der Anlage zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV).
Mit einer am 16. Juli 2012 erstatteten „Ärztlichen Anzeige bei Verdacht auf eine BK“ teilte Dr. J., Arbeitsmediziner des Berufsgenossenschaftlichen Arbeitsmedizinischen und Sicherheitstechnischen Dienst (BAD) Bremen, der Rechtsvorgängerin der Beklagten (im Folgenden: Beklagte) mit, dass der 1953 geborene Kläger u.a. Schmerzen im rechten Ellenbogengelenk wie bei einer Epicondylitis humeri radialis rechts (= schmerzhafter Reizzustand der Sehnenansätze/Strecker des Handgelenks) und im rechten Handgelenk beim Heben und Tragen und bei Umwendbewegungen angegeben haben. Bezüglich des rechten Handgelenks habe der Verdacht auf eine Lunatum Malazie Stadium I (= Mondbeintod bzw. schrittweises Absterben des Mondbeins) bestanden. Als gefährdende Tätigkeiten seien u.a. Schrauben und Bohren anzusehen, die während dessen Tätigkeit als Fernmeldehandwerker von 1969 bis 2012 bei der Deutschen K. bzw. der Deutschen Bundespost angefallen seien.
Im dem daraufhin eingeleiteten BK-Feststellungsverfahren befragte die Beklagte den Kläger zu dessen beruflichen Lebenslauf und Tätigkeiten (Montagearbeiten bei der Deutschen L. seit 1969) und bat anschließend ihren Präventionsdienst um eine Bewertung zu den arbeitstechnischen Voraussetzungen der BK-Ziffern 2101 und 2103. Dieser führte nach einem ausführlichen persönlichen Gespräch mit dem Kläger in seiner am 14. Januar 2013 erstellten Stellungnahme zusammenfassend aus, dass bei Arbeiten als Fernmeldemonteur im Hinblick auf die BK-Ziffer 2101 keine kurzzeitig durchgeführten völlig ungewohnten Arbeiten durchgeführt würden. In Bezug auf die BK-Ziffer 2103 seien die von dem Kläger ausgeführten Tätigkeiten nicht vergleichbar mit den im Merkblatt beschriebenen Tätigkeiten und Belastungen. Die arbeitstechnischen Voraussetzungen seien jeweils nicht gegeben.
Mit Bescheid vom 9. Juli 2013 lehnte die Beklagte daraufhin die Anerkennung der BK-Ziffern 2101 und 2103 wegen fehlender arbeitstechnischer Voraussetzungen ab.
Hiergegen erhob der Kläger mit Schreiben vom 14. Juli 2013 Widerspruch, den er mit Schreiben vom 23. Juli 2013 zusammenfassend dahingehend begründete, dass die Arbeitsplatzbeschreibung des Präventionsdienstes von einem falschen Bild ausgehe. Er – der Kläger – habe zu Beginn seiner Tätigkeit für Jahre Freileitungen gezogen und Gruben ausgehoben. Insbesondere habe er mit Maschinen, wie etwa Bohrmaschinen ohne modernen Arbeitsschutz, wie etwa Rutschkupplungen, gearbeitet. Es habe damals auch noch keine Akkuschrauber gegeben. Auch beim Aufbauen der seinerzeit sehr schweren Telefonanlagen habe es keine Unterstützung durch Geräte gegeben. Im Amtsbau hätten Zähler getragen und eingebaut werden müssen. Er habe mehrmals die Woche ohne mechanische Hilfe Kabelstränge einziehen müssen. Telefonanlagen hätten abgebaut oder angebracht werden müssen. Insgesamt sei eine große Inanspruchnahme der Handgelenke, aber auch der Sehnen, gegeben gewesen.
Mit Widerspruchsbescheid vom 21. November 2013 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück.
Hiergegen hat der Kläger am 20. Dezember 2013 Klage beim Sozialgericht (SG) Bremen erhoben. Im erstinstanzlichen Verfahren sind zwischen den Beteiligten die arbeitstechnischen Voraussetzungen beider BKen streitig geblieben. Der Kläger hat auf Anforderung des SG mit Schriftsatz vom 30. April 2015 eine ausführliche Beschreibung der von ihm verrichteten Tätigkeiten zum Verfahren gereicht und darin u.a. Ausführungen zu Arbeiten und Arbeitszeiten in den Jahren 1974 bis 1995 mit Bohrmaschinen ohne Schlag, später mit Schlag und ohne Rutschkupplung gemacht, wobei es oft zum Verdrehen des Handgelenkes gekommen sei. Erst in den 90iger Jahren sei die Abteilung mit Akku-Schrauber und Bohrmaschinen mit Rutschkupplung ausgerüstet worden.
Die Beklagte hat hierzu eine Stellungnahme ihres Präventionsdienstes vom 8. Juni 2015 zum Verfahren gereicht, der zusammengefasst ausgeführt hat, dass die von dem Kläger verwendeten Werkzeuge (einfache Bohrmaschine, später Schlagbohrmaschine, Akku-Schrauber, Bohrmaschine ohne Rutschkupplung) laut Merkblatt zur BK-Ziffer 2103 keine Gefahrenquellen darstellten. Ferner entspreche die Tätigkeit des Klägers als Fernmeldehandwerker nicht den im Merkblatt zur BK-Ziffer 2103 aufgeführten Tätigkeiten.
Der Kläger hat hierzu nochmals dargelegt, dass seinerzeit noch keine Rutschkupplungen vorhanden gewesen seien. Dies habe dazu geführt, dass – sofern sich der Bohrer festgesetzt habe, was in Betondecken sehr häufig geschehen sei – es zu einer ruckartigen Krafteinwirkung auf das Hand-Arm-Schulter-System gekommen sei. Die fehlenden Rutschkupplungen hätten zu starken Übertragungen der Schwingungen geführt. So habe er Durchbrüche in Stockwerke nach oben durchführen müssen und deshalb tagelang Bohrungen durch Betondecken und Metallarmierungen ausgeführt.
Das SG hat am 18. April 2016 einen Erörterungstermin durchgeführt, in dem es den Kläger ergänzend zu seinen beruflichen Tätigkeiten befragte. Bezüglich des Inhalts wird auf das Sitzungsprotokoll verwiesen.
Im Anschluss daran hat die Beklagte eine weitere Stellungnahme ihres Präventionsdienstes vom 7. Juli 2016 zum Verfahren gereicht, in der u.a. ausgeführt wird, dass zwei Arbeitskollegen (Herr M. und Herr N.) des Klägers befragt worden seien. Hieraus habe sich ergeben, dass keine zweifelsfreie Ermittlung möglich sei, ob der Kläger während der Bohrarbeiten mit einer gewissen Dauer und Intensität Vibrationsbelastungen ausgesetzt gewesen sei.
Der Kläger hat hiergegen weitere Einwände erhoben und zusammengefasst gerügt, dass der Arbeitskollege M. keine Kenntnis über die Tätigkeiten in den Jahren 1995 bis 1997 hätte, weil dieser erst im Jahr 2004 dazugekommen sei. Der Arbeitskollege N. sei Fernmeldehandwerker und nicht – wie der Kläger – Fernmeldetechniker gewesen. Es seien unterschiedliche Arbeiten ausgeführt worden.
Der Präventionsdienst verblieb in einer weiteren Stellungnahme vom 24. November 2016 bei seiner Einschätzung und verwies auf die zu hohen Belastungsangaben des Klägers bei dessen zurückwirkenden Beschreibungen.
Das SG hat im weiteren Verlauf des erstinstanzlichen Verfahrens dann zunächst von Amts wegen das Sachverständigengutachten des Chirurgen O., P., vom 30. Oktober 2017 (mit ergänzender Stellungnahme vom 8. Januar 2018) eingeholt und diesen in der Beweisanordnung vom 12. April 2017 aufgrund der gegensätzlichen Angaben bzw. Einschätzungen hinsichtlich der arbeitstechnischen Voraussetzungen der BK-Ziffer 2103 durch den Kläger und die Beklagte darauf hingewiesen, dass ggf. eine Alternativbeurteilung zu erfolgen habe, falls sich die Widersprüche nicht klären ließen. Der Sachverständige gelangte zusammengefasst zum Ergebnis, dass der isolierte Verschleiß eines Handgelenks nicht belastungskonform sei. Zudem habe der Kläger keine Verschleißumformungen im Ellenbogengelenk. Der Mondbeintod sei unter keinen Umständen Folge einer Schwingungsbelastung bis 1990. Die Beschwerden seien erst im Jahr 2012 und damit zu spät aufgetreten, insofern bestehe kein Ursachenzusammenhang mit einer Exposition im Jahr 1990. Hinsichtlich der BK-Ziffer 2101 enthalten das Gutachten sowie die hierzu ergangene ergänzende Stellungnahme keine Ausführungen.
Auf Antrag des Klägers nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hat das SG anschließend das Sachverständigengutachten des Prof. Dr. Q. /PD Dr. R., Zentrum für Chirurgie der Medizinischen Hochschule S., vom 7. Mai 2019 eingeholt mit röntgenologischem Zusatzgutachten des PD Dr. T. vom 28. Januar 2019. Diese führten im Wesentlichen aus, dass eine BK-Ziffer 2103 anzunehmen sei. Das wiederkehrende Verkanten der Bohrmaschine im Mauerwerk in extremer Stellung des Handgelenks sei als ursächlich für die Entwicklung der Mondbeinnekrose anzusehen. Auch die Tatsache, dass der Kläger aufgrund von Schmerzen erst spät vorstellig geworden sei, schließe den Beginn der Mondbeinnekrose zu früherer Zeit nicht aus. Aus der eigenen langjährigen klinischen Tätigkeit seien Fälle bekannt, bei denen im Rahmen von radiologischen Zufallsbefunden fortgeschrittene arthrotische Veränderungen der Handgelenke mit teils destruierender Handgelenksanatomie diagnostiziert worden seien, ohne dass die Patienten jemals Schmerzen entwickelt hätten. Hinsichtlich der BK-Ziffer 2101 enthält das Gutachten keine Ausführungen.
Das SG hat die Klage – nach Einholung entsprechender Einverständniserklärungen der Beteiligten - mit Urteil ohne mündliche Verhandlung vom 26. Mai 2020 abgewiesen und sich im Rahmen der Begründung im Wesentlichen auf die gutachterliche Einschätzung des Sachverständigen O. bezogen. Hinsichtlich der BK-Ziffer 2101 fehle es bereits am Nachweis einer Sehnenerkrankung im Sinne der BK, denn eine solche sei weder durch das Gutachten des Sachverständigen O. noch durch das Gutachten von Prof. Dr. Q. /PD Dr. R. belegt. Darüber hinaus fehle es an den arbeitstechnischen Voraussetzungen der BK-Ziffer. Hinsichtlich der BK-Ziffer 2103 bestehe kein Ursachenzusammenhang zwischen der Mondbeinnekrose und den beruflichen Belastungen des Klägers.
Gegen das ihm am 2. Juni 2020 zugestellte Urteil hat der Kläger am 30. Juni 2020 Berufung eingelegt, mit der er sein Begehren auf Feststellung einer BK-Ziffer 2103 unter Bezugnahme auf die gutachterliche Einschätzung von Prof. Dr. Q. /PD Dr. R. fortführt. Der Kläger hat das weitere Attest des Orthopäden U. vom 16. November 2021 vorgelegt, wonach in der Zeit der Behandlung vom 10. November 2008 bis 28. August 2017 keine Behandlungstherapie mit Kortison stattgefunden habe.
Der Kläger beantragt,
1. das Urteil des Sozialgerichts Bremen vom 26. Mai 2020 aufzuheben sowie der Bescheid der Beklagten vom 9. Juli 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. November 2013 abzuändern sowie,
2. festzustellen, dass bei ihm eine Berufskrankheit nach Ziffer 2103 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung mit der Folge einer Mondbein-Nekrose rechts mit Fragmentierung, einer Volumenminderung und irregulärer Kontur des Mondbeins, einer Arthrose des Radiokarpalgelenkes und interkarpal rechts, einem erweiterten Gelenkspalt zwischen Kahnbein und Mondbein rechts, einer diskreten Verlagerung des Kopfbeins nach körperwärts einem beginnenden karpalen Kollaps entsprechend, eine deutlich eingeschränkte Handgelenksbeweglichkeit rechts, eine verminderte Grobkraft und Pinchkraft der rechten Hand, eine geringe relative Muskelminderung des rechten Unterarms vorliegt.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend und bezieht sich auf die gutachterliche Stellungnahme von Prof. Dr. V. /Dr. W. vom 04.11.2021. Ergänzend führt sie aus, dass sich der gerichtliche Sachverständige Dipl.-Ing. X. nicht hinreichend mit den Vibrationsschäden und andererseits mit den aseptischen Nekrosen durch Drucklufthämmer auseinandergesetzt habe.
Der Senat hat im vorbereitenden Verfahren am 19. April 2021 durch seinen Berichterstatter einen Erörterungstermin durchgeführt, in dem die vorher von Amts wegen mit einer Gutachtenerstattung nach Aktenlage beauftragten Sachverständigen Herr Dipl.-Ing. X., Ingenieurbüro für Vibration am Arbeitsplatz, Y., und Herr Dr. Z., Berufsgenossenschaftliches AA., ihre am 31. März 2021 und 1. April 2021 schriftlich erstellten Sachverständigengutachten mündlich erläutert und den Beteiligten für Rückfragen zur Verfügung gestanden hat.
Der technische Sachverständige Dipl.-Ing. X. ist in seiner „gutachterlichen Stellungnahme zur Schwingungsbelastung auf das Hand-Arm-System“ zusammenfassend zum Ergebnis gelangt, dass die arbeitstechnischen Voraussetzungen für das Entstehen einer Erkrankung im Sinne der BK-Ziffer 2103 vorlägen. In den Zeiträumen von 1984 bis 2012 sei der Kläger über mehrere Jahre Belastungen oberhalb des Auslösewertes von 2,5 m/s in Höhe einer frequenzbewerteten täglichen Schwingungsdosis (Beurteilungsbeschleunigung) a (8) mit 3,3 m/s ausgesetzt gewesen. Ergänzend hat der Sachverständige im Rahmen des Erörterungstermins angegeben, dass bei Arbeiten mit der Schlagbohrmaschine (höhere Frequenzanteile) aus dem Frequenzbereich von unter 50 Hz noch Anteile in Höhe von ca. über 50 Prozent hinzukämen. Die Anteile seien durchaus im relevanten Bereich.
Der medizinische Sachverständige Dr. Z. ist aufgrund der zusätzlichen Angaben des technischen Sachverständigen im Erörterungstermin zusammengefasst zum Ergebnis gelangt, dass aufgrund des zeitlichen Verlaufs der Erkrankung eine BK nach der Ziffer 2103 anzunehmen sei. Eine zusätzliche röntgenologische Untersuchung des rechten Ellenbogens des Klägers werde angeraten, um eine abschließende Beurteilung der BK-Folgen vornehmen zu können.
Der Senat hat dementsprechend die Anfertigung einer Röntgenaufnahme des rechten Ellenbogens und des rechten Speichenköpfchens durch den Radiologen Dr. AB., AC., veranlasst. Nach Auswertung der Röntgenaufnahme ist der Sachverständige Dr. Z. in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 14. Mai 2021 zum Ergebnis gelangt, dass der Kläger einer sehr langjährigen Schwingungsexposition von insgesamt 28 Jahren ausgesetzt gewesen sei und der zeitliche Verlauf der Entwicklung der Mondbeinnekrose zu einer berufsbedingten Verursachung passe. Die Mondbeinnekrose gehöre zu den Sonderformen der BK-Ziffer 2103 und könne auch auftreten, ohne dass eine Arthrose des Ellenbogengelenks vorliege. Die Mondbeinnekrose rechts sei deshalb belastungskonform in Bezug auf die Belastungen im Sinne der BK-Ziffer 2103. Zwar bestehe bei dem Kläger im Bereich des Mondbeins eine Konkurrenzursache in Form eines deutlichen Überlappens an der Radiuskante zum Ellenbogengelenk bzw. ulnokarpalen Komplexes. Dieser Ursachenfaktor sei aber zu schwach ausgeprägt, um die beruflichen Belastungen aus der Rolle einer wesentlichen Teilursache zu verdrängen. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) sei ab dem Zeitpunkt der Begutachtung durch den Chirurgen O. am 31. August 2017 mit 20 v.H. einzuschätzen.
Mit Schriftsatz vom 30. September 2021 hat die Beklagte zunächst Einwände gegen die gutachterliche Einschätzung des Sachverständigen Dr. Z. erhoben und mit weiterem Schriftsatz vom 19. Oktober 2021 dann auch gegen die Einschätzung des Sachverständigen Dipl. Ing. X..
Der Senat hat daraufhin die ergänzenden Stellungnahmen des Dr. Z. vom 18. Oktober 2021 und des Dipl.-Ing. X. vom 8. November 2021 eingeholt, die ihre Einschätzungen nochmals bekräftigt haben.
Die Beklagte hat zur gutachterlichen Einschätzung des Dr. Z. erneut Einwände durch Vorlage einer gutachterlichen Stellungnahme von Prof. Dr. V. /Dr. W. vom 4. November 2021 erhoben.
Dem Senat hat außer der Prozessakte die den Kläger betreffende Verwaltungsakte der Beklagten vorgelegen. Alle Akten sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der Entscheidungsfindung gewesen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Sachvortrags der Beteiligten wird hierauf ergänzend Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die gemäß §§ 143 f. SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist zulässig.
Das mit einer zulässigen kombinierten Anfechtungs- und Feststellungsklage nach den §§ 54, 55 Abs. 1 Nr. 3 SGG auf die BK-Ziffer 2103 beschränkte Rechtsmittel ist auch begründet und hat in der Sache Erfolg. Das Urteil des SG Bremen vom 26. Mai 2020 war aufzuheben und der Bescheid der Beklagten vom 9. Juli 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. November 2013 waren abzuändern, denn diese sind rechtswidrig und verletzen den Kläger insoweit in seinen Rechten, als die Feststellung einer BK-Ziffer 2103 abgelehnt worden ist. Der Kläger hat nämlich einen Anspruch auf Feststellung, dass die von ihm geltend gemachten Gesundheitsstörungen (Mondbeinnekrose rechts mit Fragmentierung, Volumenminderung und irregulärer Kontur des Mondbeins, Arthrose des Radiokarpalgelenkes und interkarpal rechts, erweiterter Gelenkspalt zwischen Kahnbein und Mondbein rechts, diskrete Verlagerung des Kopfbeins nach körperwärts einem beginnenden karpalen Kollaps entsprechend, deutlich eingeschränkte Handgelenksbeweglichkeit rechts, verminderte Grobkraft und Pinchkraft der rechten Hand, geringe relative Muskelminderung des rechten Unterarms) Folgen einer BK nach der Ziffer 2103 der Anlage 1 zur BKV sind.
Nach § 9 Abs. 1 Satz 1 SGB VII sind BKen nur diejenigen Krankheiten, die durch die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrats als solche bezeichnet sind (so genannte Listen-BK) und die der Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit erleidet. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats ist für die Feststellung einer Listen-BK (Versicherungsfall) erforderlich, dass die Verrichtung einer grundsätzlich versicherten Tätigkeit (sachlicher Zusammenhang) zu Einwirkungen von Belastungen, Schadstoffen oder ähnlichem auf den Körper geführt hat (Einwirkungskausalität) und diese Einwirkungen eine Krankheit verursacht haben (haftungsbegründende Kausalität). Dabei müssen die "versicherte Tätigkeit", die "Verrichtung", die "Einwirkungen" und die "Krankheit" im Sinne des Vollbeweises - also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit - vorliegen. Für die nach der Theorie der wesentlichen Bedingung zu beurteilenden Ursachenzusammenhänge genügt indes die hinreichende Wahrscheinlichkeit, allerdings nicht die bloße Möglichkeit (BSG, Urteil vom 16. März 2021 – Az.: B 2 U 11/19 R – Rn. 12 m.w.N. – zitiert nach juris). Dass die berufsbedingte Erkrankung ggf. den Leistungsfall auslösende Folgen nach sich zieht (haftungsausfüllende Kausalität), ist keine Voraussetzung einer Listen-BK, wohl aber für eine Leistung (Leistungsfall – BSG a.a.O.).
Die vorliegend umstrittene BK-Ziffer 2103 hat der Verordnungsgeber in der Anlage zur BKV wie folgt bezeichnet: "Erkrankungen durch Erschütterung bei Arbeit mit Druckluftwerkzeugen oder gleichartig wirkenden Werkzeugen oder Maschinen". Ihre Voraussetzungen sind in diesem Rechtsstreit wie folgt erfüllt:
Zur vollen Überzeugung des Senats steht fest, dass der Kläger nach Absolvierung einer Ausbildung als Fernmeldehandwerker in der Zeit vom 1. September 1969 bis 31. August 1972 bei der Deutschen AD. (Tochtergesellschaft der AE.) bzw. deren Vorgängerin, der Deutschen AF., laufend dort tätig war (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII). Ab dem 25. Mai 2012 übte der Kläger aufgrund seiner Arbeitsunfähigkeit diese Tätigkeiten nicht mehr aus. Dies geht aus den Angaben des Klägers zu dessen beruflichen Lebenslauf vom 5. August 2012 hervor, die von der Deutschen AD. am 15. November 2012 bzw. 1. Oktober 2012 sowie den Ermittlungsergebnissen des Präventionsdienstes im Rahmen eines am 14. Januar 2013 erfolgten Gesprächs mit dem Kläger sowie einem Vertreter der Arbeitgeberin bestätigt worden sind (Stellungnahme Arbeitsplatzexposition vom 14. Januar 2013).
In diesem Zusammenhang geht der Senat entgegen der Einschätzung des Präventionsdienstes der Beklagten auch davon aus, dass der Kläger in der Zeit vom 1. September 1984 bis 30. September 1992 sowie vom 1. Oktober 1992 bis 24. Mai 2012 den von der BK-Ziffer 2103 erfassten Einwirkungen durch „Erschütterungen bei Arbeit mit Druckluftwerkzeugen oder gleichartig wirkenden Werkzeugen oder Maschinen“ ausgesetzt gewesen ist, die arbeitstechnischen Voraussetzungen demnach erfüllt sind. Dies geht zur vollen Überzeugung des Senats aus der gutachterlichen Stellungnahme des Dipl.-Ing. X., ehemaliger Leiter der Abteilung Arbeitsgestaltung, Physikalische Einwirkungen des Instituts für Arbeitsschutz (IFA), Sankt Augustin, zu den „Schwingungsbelastungen auf das Hand-Arm-System“ vom 31. März 2021, dessen Ausführungen im Schreiben vom 22. Dezember 2020 sowie dessen ergänzenden Ausführungen im Erörterungstermin vom 19. April 2021 hervor, der auch eine von ihm angeforderte und ausgewertete Stellungnahme des Präventionsdienstes vom 22. Februar 2021 zu den von dem Kläger verwendeten Geräten (u.a. Bezeichnung, Gewicht) zu Grunde liegt. Unter Berücksichtigung dieser Auswertungen hat der Sachverständige Dipl.-Ing. X. für den Senat zunächst plausibel und nachvollziehbar dargelegt, dass die Vorgaben des Merkblatts der BK-Ziffer 2103 im Hinblick auf die dort aufgeführten Werkzeuge, die Vibrationen erzeugen und über die Handgriffe auf das Hand-Arm-Schulter-System übertragen, lediglich beispielhaft sind und keinen Anspruch auf Vollständigkeit haben (Stellungnahme vom 22. Dezember 2020 und gutachterliche Stellungnahme vom 31. März 2021). Das BSG hat zur Verwertbarkeit dieser Merkblätter wiederholt darauf hingewiesen, dass diese zwar eine wichtige, aber nicht unbedingt ausreichende Informationsquelle darstellen und ihnen keine rechtliche Verbindlichkeit zukommt, jedoch gegen diese Feststellungen als aktueller wissenschaftlicher Erkenntnisstand im Hinblick auf weitere einschlägige Publikationen keine Bedenken bestehen (BSG, Urteil vom 2. April 2009 – Az.: B 2 U 9/08 R – Rn. 16 konkret zur BK-Ziffer 2103 m.w.N. – zitiert nach juris). Insofern hat der Sachverständige Dipl.-Ing. X. auch unter Berücksichtigung des aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstandes (siehe hierzu die Vorgaben des BSG zur BK-Ziffer 2103 – a.a.O – Rn. 20, 21 – zitiert nach juris), und zwar der seit 2001 gültigen ISO 5349-1, welche die Grundlage zur Beurteilung für die Gefährdung des Hand-Arm-Systems durch Vibrationen bildet und als Europäische Norm veröffentlicht ist, der VDI 2057-2, die den aktuellen Stand der Beurteilung der Gesundheitsgefährdung durch Vibrationseinwirkungen beschreibt und die Zusammenhänge des geltenden Regelwerks erläutert und Hinweise zur Ermittlung der Belastung der Schwingungsbelastungen auf das Hand-Arm-System und die retrospektive Beurteilung dieser Belastung hinsichtlich der Beanspruchung des Menschen enthält, sowie des ISO-Reports ISO/TR (Veröffentlichung der Erkenntnisse der internationalen Hand-Arm-Vibrations-Tagung 2011 in Ottawa über den Einfluss der Frequenzbewertung), zunächst nachvollziehbar für den Senat dargelegt, dass aufgrund der Formulierung des Merkblatts zur BK-Ziffer 2103 ein grundsätzlicher Ausschluss von Arbeitsgeräten in der Gefährdungsanalyse nicht erfolgen kann. So liegt die Schlagfrequenz von Bohrhämmern bei ca. 50 Hz, so dass tieffrequente Anteile nicht ausgeschlossen werden können. Schlagbohrmaschinen besitzen zwar eine höhere Schlagfrequenz, allerdings treten hier aufgrund der gleichzeitigen Drehbewegung, der Interaktion des Bohrers und den Eigenfrequenzen der Maschine bzw. Griffe auch wesentliche Vibrationen im unteren Frequenzbereich auf. Die Nachermittlungen des Präventionsdienstes der Beklagten haben ergeben, dass der Kläger nach 1992 als Arbeitsgeräte Bohrhämmer der Firma AG. und Firma AH. in Benutzung hatte, was nach Einschätzung des Sachverständigen auch plausibel für die Durchführung von Bohrarbeiten im Mauerwerk oder an Betondecken für Bohrungen für das Anbringen von Kabelrosten oder Halterungen ist, weil diese wesentlich effektiver arbeiten. Der Sachverständige hat – weil keine genauen Angaben zu den verwendeten Arbeitsgeräten zur Verfügung standen – eine Abschätzung der Schwingungsbelastungen für die Zeiträume 1. September 1984 bis 30. September 1992 (Einsatzzeiten für Bohrarbeiten mit 40 Prozent der Arbeitszeit) und vom 1. Oktober 1992 bis 24. Mai 2012 (Einsatzzeit für Bohrarbeiten mit 50 bis 60 Prozent der Arbeitszeit) vorgenommen. Weil aufgrund interner Studien der Hersteller bekannt ist, dass der Anteil der Exposition bei ca. 20 Prozent der Nutzungsdauer liegt, was sich mit den DIN CEN/TR deckt, die Hinweise zur Abschätzung der Expositionsdauer gibt und als Orientierung für den „intensiven Einsatz von Bohrhämmern im Handwerk“ eine Expositionsdauer von ca. 0,5h angibt. Aus der Nutzungsdauer von 40 Prozent der 8h Arbeitszeit (= 3,2h) hat der Sachverständige eine Expositionsdauer von 0,64h (=38,4 Minuten) errechnet. Dies entspricht ebenfalls der Größenordnung der Einschätzung des Präventionsdienstes der Beklagten (Stellungnahme vom 8. Juni 2015 - 22,5 Minuten). Bei einer Nutzungsdauer von 50 Prozent hat der Sachverständige eine Expositionsdauer von 0,8h (= 48 Minuten) errechnet. Auf Grundlage dieser täglichen Schwingungsdosis (= Beurteilungsbeschleunigung a ) hat der Sachverständige eine Belastung von a mit 3,3 m/s errechnet und hierzu erklärend dargelegt, dass der Kläger damit in den Zeiträumen von 1984 bis 2021 über mehrere Jahre einer Belastung oberhalb des Auslösewertes von a 2,5 m/s ausgesetzt gewesen ist. Diesen Belastungswert legt auch der Senat zu Grunde, denn der Sachverständige hat zu dessen Berechnung plausibel dargelegt, dass auch durch weitere Nachermittlungen keine wesentliche Verbesserung der Berechnung eintritt. Da nach den Ausführungen des Sachverständigen längere Einwirkungen – wie im Falle des Klägers über 28 Jahre – von hohen Schwingungsbelastungen (in der Regel mehr als zwei Jahre) pathologische Veränderungen an Gelenken und Knochen des Hand-Arm-Systems verursachen können, sind zur vollen Überzeugung des Senats die arbeitstechnischen Voraussetzungen der BK-Ziffer 2103 erfüllt. Auch die Einwände der Beklagten in ihrem Schriftsatz vom 19. Oktober 2021, in dem sie auf die Angaben des Klägers im Termin zur mündlichen Verhandlung des SG am 18. April 2016 verwiesen hat, wonach der Umstand gutachterlich nicht ausreichend berücksichtigt worden sei, dass der Kläger angegeben habe, häufig in den Wintermonaten gebohrt habe, nicht jedoch im Sommer, und auch die Nichtberücksichtigung von Pausen, vermochten den Senat nicht zu überzeugen. Der Sachverständige Dipl.-Ing. X. hat hierzu in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 8. November 2021 für den Senat plausibel und nachvollziehbar dargelegt, dass seine gutachterliche Einschätzung auch unter Berücksichtigung der bereits im Verwaltungsverfahren gemachten Angaben des Klägers erfolgt ist. Sowohl aus dessen dort gemachten Expositionsangaben, als auch denen im gesamten Klage- und Berufungsverfahren, hat der Sachverständige eine Expositionseinschätzung vorgenommen, und hierbei nicht nur die angegebenen Pausen- und Wechselzeiten berücksichtigt, sondern deren Plausibilität geprüft. Dabei hat der Sachverständige seiner Berechnungsgrundlage sogar den vom TAD berechneten geringeren Expositionswert herangezogen und ist zum Ergebnis gelangt, dass die arbeitstechnischen Voraussetzungen erfüllt sind. Auch wenn dabei die von dem Kläger angegebene Exposition täglich nicht gleich hoch gewesen ist oder an manchen Tagen keine Exposition bestanden hat, so ist nach den für den Senat einleuchtenden Einschätzungen jedenfalls über viele Jahre hinweg von einer hohen Vibrationseinwirkung auszugehen. Dabei bildet die VDI 2057-2 die Basis für eine regelmäßige Exposition 5 Tage in der Woche mit 44 Wochen im Jahr, also 220 Tage pro Jahr. Ein Anhaltswert für eine hohe Exposition über mehrere Jahre hinweg ist nach den Ausführungen des Sachverständigen auch erfüllt, wenn der Auslösewert an 440 Tagen überschritten wurde, was im Falle des Klägers zutrifft. Hat der Sachverständige damit eine für den Senat nachvollziehbare Expositionseinschätzung anhand der Angaben des Klägers sowie unter Berücksichtigung der Plausibilität vorgenommen, überzeugt den Senat auch die von der Beklagten zum Verfahren gereichte Stellungnahme von Prof. Dr. V. /Dr. W. vom 4. November 2021 nicht. Denn die Einschätzung/Überprüfung der arbeitstechnischen Voraussetzungen obliegt allein dem Technischen Sachverständigen.
Der Senat sieht auch die arbeitsmedizinischen Voraussetzungen der BK-Ziffer 2103 als erfüllt an. Diese betreffen zwei Aspekte der Anerkennungsvoraussetzungen: Zum einen das Vorliegen der tatbestandlich vorausgesetzten Krankheit, zum anderen das Vorliegen eines Schadensbildes, welches mit der rechtlich-wesentlichen Verursachung dieser Krankheit durch die beruflichen Einwirkungen zumindest in Einklang steht (BSG, Urteil vom 16. März 2021 – Az.: B 2 U 11/19 R – Rn. 33 m.w.N.).
Insofern steht zunächst zur vollen Überzeugung des Senats fest, dass der Kläger an einer von der BK-Ziffer 2103 erfassten Erkrankung leidet. Die bei ihm diagnostizierte Mondbeinnekrose rechts, die durch die kernspintomographische Untersuchung des Instituts für Radiologie und Nuklearmedizin Bremerhaven vom 30. April 2012 erstmals gesichert und am 8. August 2012 in der Roland-Klinik Bremen operativ behandelt worden ist, ist im Merkblatt zur BK-Ziffer 2103 ausdrücklich als typische Erkrankung erfasst („aseptische Nekrose des Os lunatum (Synonyme: Mondbeinnekrose….)“).
Die bei ihm diagnostizierte Mondbeinnekrose sowie die daraus folgenden und im Tenor bezeichneten Gesundheitsstörungen sind nach Auffassung des Senats auch mit hinreichender Wahrscheinlichkeit rechtlich wesentlich Folge der vollbeweislich festgestellten Schwingungsbelastungen. Für den Ursachenzusammenhang zwischen Einwirkung und Erkrankung gilt im Berufskrankheitenrecht - wie auch sonst in der gesetzlichen Unfallversicherung - die Theorie der wesentlichen Bedingung, die zunächst auf der naturwissenschaftlich-philosophischen Bedingungstheorie beruht. Steht die versicherte Tätigkeit als eine der Ursachen der Erkrankung fest, muss sich auf der zweiten Stufe der Prüfung die Einwirkung rechtlich unter Würdigung auch aller auf der ersten Stufe festgestellten mitwirkenden unversicherten Ursachen als die Realisierung einer in den Schutzbereich des jeweils erfüllten Versicherungstatbestandes fallenden Gefahr darstellen. Die Wesentlichkeit der Ursache ist zusätzlich und eigenständig nach Maßgabe des Schutzzwecks der jeweils begründeten Versicherung rechtlich zu beurteilen (BSG, Urteil vom 16. März 2021 – Az.: B 2 U 11/19 R – Rn. 26 m.w.N. – zitiert nach juris).
Unter Berücksichtigung dieser rechtlichen Vorgaben kann der Senat unter Auswertung des Sachverständigengutachtens des Dr. Z. vom 1. April 2021 sowie dessen hierzu am 14. Mai 2021 und 8. Oktober 2021 erstatteten ergänzenden Stellungnahmen zunächst feststellen, dass als Ursachen im Sinne der Bedingungstheorie für die Mondbeinnekrose die festgestellten Schwingungsbelastungen in Betracht kommen. Hierzu hat der Sachverständige Dr. Z. für den Senat plausibel und nachvollziehbar dargelegt, dass der zeitliche Verlauf der Entwicklung der Mondbeinnekrose grundsätzlich zu einer berufsbedingten Verursachung passt. Die Mondbeinnekrose gehört zu den Sonderformen der BK-Ziffer 2103, die grundsätzlich auch auftreten kann, ohne dass eine Arthrose des Ellenbogengelenks vorliegt. Als Konkurrenzursache für die Entstehung der Mondbeinnekrose hat der Sachverständige ein deutliches Überlappen des Mondbeins an der Radiuskante zum Ellenkopf bzw. ulnokarpalen Komplex aufgefunden, die als vorbestehend anzusehen ist, weil sich diese bereits in der MRT-Aufnahme vom 30. April 2012 dargestellt hat, d.h. bevor die Mondbeinnekrose zu Formveränderungen des Mondbeins geführt hat. Diese Konkurrenzursache hat der Senat auf Grundlage der Einschätzungen des Sachverständigen Dr. Z. jedoch nicht als rechtlich wesentlich für das Entstehen der Mondbeinnekrose angesehen. Denn hierzu hat er für den Senat nachvollziehbar und einleuchtend dargelegt, dass bei dem Kläger gerade keine Ulna-Minusvariante vorliegt. Eine solche würde nämlich die Entwicklung einer Mondbeinnekrose in besonderem Maße prädisponieren. Der Sachverständige hat den Konkurrenzfaktor als zu schwach ausgeprägt angesehen, um die beruflichen Belastungen als der Rolle der wesentlichen Teilursachen zu verdrängen. Unter ausführlicher Würdigung der vorgenannten Gesamtumstände der für und gegen die arbeitsmedizinischen Aspekte sprechenden Umstände sieht der Senat im Ergebnis die versicherte Tätigkeit des Klägers als Fernmeldehandwerker mit einer sehr langjährigen Exposition mit Schwingungsbelastungen von insgesamt 28 Jahren mit einem errechneten Expositionswertes von a 3,3 m/s oberhalb des Auslösewertes von a 2,5 m/s ohne rechtlich erhebliche bzw. ausschließende Konkurrenzursachen als wesentlich für das Entstehen der BK-Ziffer 2103 an. Zu berücksichtigen ist ferner, dass im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung der Versicherte in dem gesundheitlichen Zustand geschützt wird, in dem er mit einem gefährdenden Stoff bzw. einer gefährdenden Einwirkung konfrontiert wird. Wenn - wie vorliegend - ein naturwissenschaftlicher Kausalzusammenhang zwischen einer beruflichen Einwirkung und einer Erkrankung festgestellt wurde, kann die rechtliche Wesentlichkeit dieser Einwirkung mithin nicht bereits deshalb verneint werden, weil eine außerberufliche Einwirkung ebenfalls geeignet war, die Erkrankung des Versicherten hervorzurufen (BSG, Urteil vom 30. März 2017 – Az.: B 2 U 6/15 R – Rn. 27 – zitiert nach juris). Dies ist im Falle des Klägers ohnehin nicht der Fall, weil die festgestellte Konkurrenzursache nicht als rechtlich wesentlich für das Entstehen der Mondbeinnekrose anzusehen ist. Auch die gegen die Einschätzung des Sachverständigen Dr. Z. mit Schriftsatz vom 30. September 2021 erhobenen Einwände der Beklagten vermochten den Senat nicht zu überzeugen. Insoweit die Beklagte geltend macht, dass es im Falle des Klägers zu keinen übermäßigen Resonanzschwingungen hätte kommen können, weil sich das Ellenbogengelenk als völlig unauffällig dargestellt habe, hat der Sachverständige demgegenüber für den Senat nachvollziehbar dargelegt, dass überhaupt nur ein kleiner Teil der Exponierten eine Arthrose im Ellenbogengelenk entwickeln und dies bei BKen auch nicht ungewöhnlich ist, weil es sich bei den meisten BKen – wie auch der BK-Ziffer 2103 – um ein multifaktorielles Geschehen handelt und zusätzlich zur berufsbedingten Einwirkung noch eine individuelle Anfälligkeit gegenüber der berufsbedingten Einwirkung vorliegt, damit es zu einer Erkrankung kommt. Insoweit die Beklagte auf die Kommentierung zur BK-Ziffer 2103 verweist und der Auffassung ist, dass im Falle des Klägers kein belastungskonformes Schadensbild vorliege, weil sich im Ellenbogengelenk keine Arthrose gebildet habe, hat der Sachverständige auch hierzu für den Senat plausibel und nachvollziehbar dargelegt, dass dies für die Sonderform der Mondbeinnekrose nicht gilt, weil es sich dabei nicht um eine Arthrose, sondern um eine völlig andere Erkrankung mit einer völlig anderen Pathophysiologie (Absterben eines Knochens, nämlich des Mondbeins, aufgrund einer Störung der Durchblutung) handelt. Epidemiologisch gibt es keine Evidenz, dass berufsbedingte Mondbeinnekrosen durch Belastungen im Sinne der BK-Ziffer 2103 nur gemeinsam mit Arthrosen im Ellenbogengelenk auftreten.
Die von der Beklagten vorgelegte Stellungnahme von Prof. Dr. V. /Dr. W. vom 4. November 2021 hingegen vermochte den Senat nicht zu überzeugen
Diese Stellungnahme übersieht zunächst, dass von den Gerichten bei der Beurteilung von BKen jeweils der im Entscheidungszeitpunkt aktuelle Stand der medizinischen Wissenschaft zugrunde zu legen ist (siehe hierzu BSG, Urteil vom 16. März 2021 – Az.: B 2 U 11/19 R – Rn. 34 und Urteil vom 17. Dezember 2015 – Az.: B 2 U 11/14 R – Rn. 16 – jeweils zitiert nach juris). Als aktueller Erkenntnisstand sind solche durch Forschung und praktische Erfahrung gewonnenen Erkenntnisse anzusehen, die von der großen Mehrheit der auf dem betreffenden Gebiet tätigen Fachwissenschaftler anerkannt werden, über die also, von vereinzelten nicht ins Gewicht fallenden Gegenstimmen abgesehen, Konsens besteht. Die heranzuziehenden Quellen, Fachbücher, Standardwerke, Merkblätter des zuständigen Ministeriums, Begründungen des Sachverständigenbeirats, Konsensempfehlungen etc. hat das Gericht eigenständig kritisch zu würdigen und auf ihre Aktualität hin – ggf. durch Sachverständige - zu überprüfen (siehe hierzu BSG, Urteil vom 16. März 2021 – Az.: B 2 U 11/19 R – Rn. 34 und Urteil vom 17. Dezember 2015 – Az.: B 2 U 11/14 R – Rn. 16 – jeweils zitiert nach juris). Insoweit Prof. Dr. V. /Dr. W. hierzu anzweifeln, dass ein Zusammenhang zwischen Vibrationsexposition und Lunatumnekrose einer genaueren wissenschaftlichen Untersuchung nicht standhielte und hierzu auf eine Habilitationsschrift des PD Dr. AI. aus dem Jahr 2015 mit dem Titel „Kritische Auseinandersetzung mit dem Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis der Ätiopathogenese der Kienböck-Erkrankung unter besonderer Berücksichtigung Evidenz basierter Daten“ aus dem eigenen Hause (Berufsgenossenschaftliche Unfallklinik Tübingen) verweisen, ergibt sich hieraus keine andere rechtliche Beurteilung für das vorliegende Verfahren. Denn Anhaltspunkte dafür, dass inzwischen neuere wissenschaftliche Erkenntnisse vorliegen, nach denen eine Mondbeinnekrose nicht durch Vibrationsbelastungen verursacht werden kann und dementsprechend als anerkennungsfähiges Krankheitsbild aus dem Schutzbereich der BK-Ziffer 2103 ausscheidet, ergeben sich hieraus gerade nicht. Einzelne Gegenstimmen sind nämlich nicht geeignet, einen einmal gebildeten wissenschaftlichen Erkenntnisstand zu erschüttern, solange nicht die Mehrheit der Fachwissenschaftler den Erkenntnisstand aufkündigt (so BSG, Urteil vom 17. Dezember 2015 – Az.: B 2 U 11/14 R – Rn. 18 – zitiert nach juris). So folgt aus dem Merkblatt zur BK-Ziffer 2103 (abgedruckt unter Mehrtens/Brandenburg, BKV, M 2103, Seite 1 bis 7) gerade, dass die Mondbeinnekrose zum typischen Krankheitsbild der BK zählt (siehe unter II. Pathophysiologie – Mondbeinnekrose stellt eine Sonderform der vibrationsinduzierten Schädigung dar; siehe ferner unter III. Krankheitsbilder und Diagnosen – die Mondbeinnekrose ist ausdrücklich als Krankheitsbild aufgeführt). Als einzige Quelle dafür, dass diese wissenschaftliche Erkenntnis veraltet sein könnte, ist die Stellungnahme von Prof. Dr. V. /Dr. W. vom 4. November 2021 mit dem Verweis auf die Habilitationsschrift des PD Dr. AI. aus dem Jahr 2015 anzusehen. Der Sachverständige Dr. Z. hingegen hat seine gutachterliche Einschätzung völlig zutreffend auf Grundlage der aktuellen wissenschaftlichen Lehrmeinung zur BK-Ziffer 2103 vorgenommen. Eine Änderung des in dem Merkblatt zur BK-Ziffer 2013 manifestierten Erkenntnisstands konnte der Senat deshalb aus der Stellungnahme von Prof. Dr. V. /Dr. W. damit nicht ableiten. Dies ist jedenfalls so lange der Fall, solange nicht weitere Ermittlungen des Sachverständigenbeirats hierzu zur bestehenden BK-Ziffer 2103 aufgenommen und abgeschlossen werden (aktuell befindet sich im Beratungsstadium der BK-Ziffer 2103 die Einbeziehung von Handgelenksarthrose und aseptische Knochennekrose - BMAS - Ärztlicher Sachverständigenbeirat "Berufskrankheiten" – siehe auch Bieresborn – „Berufskrankheiten: Kausalität, Dosismodelle und Konsensempfehlungen – Teil I“ in SGb 2016, Seite 310, 315). Weitere Ermittlungserfordernisse ergeben sich aus der Stellungnahme für den Senat nicht, denn die sachverständige Einschätzung des Dr. Z. ist für den Senat für die Beurteilung des Ursachenzusammenhangs erschöpfend und berücksichtigt umfassend die Kausalitätsanforderungen in der gesetzlichen Unfallversicherung, einschließlich der konkurrierenden Ursachen, die ebenfalls ausführlich gewürdigt sind. Insoweit Prof. Dr. V. /Dr. W. unter Bezugnahme auf einen Behandlungsbericht des Orthopäden U. vom 24. Februar 2011 ausführen, dass die Frage nach einer stattgehabten Cortisoneinnahme noch zu klären sei, weil diesbezüglich ein (konkurrierender) Zusammenhang mit Knochennekrosen bestehe, ergibt sich zunächst bereits aus dem von den Ärzten in Bezug genommenen Bericht selbst kein entsprechender Hinweis. Zum anderen hat aber auch der Orthopäde U. in seinem von dem Kläger vorgelegten Attest vom 16. November 2021 mitgeteilt, keine Behandlungstherapie mit Kortison durchgeführt zu haben, so dass schlussendlich auch dieser Einwand nicht durchgreift.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 1 und Abs. 2 SGG liegen nicht vor.