Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 19.07.2006, Az.: L 2 KN 17/00
Anlernausbildung; Bergmann; berufliche Qualifikation; Berufsausbildung; Berufserfahrung; Berufserfahrung; Einordnung; Einstufung; Einstufung; Entsprechung; Facharbeiter; Facharbeiterausbildung; Facharbeiterniveau; Fremdrente; Fremdrentenrecht; Fremdrentenzeit; gesetzliche Rentenversicherung; Grundausbildung; Höhe; jüngerer Bergmann; Jüngerer Bergmann unter Tage; langjährige Berufserfahrung; mittlere Berufsausbildung; mlodszy gornik; Polen; polnischer Bergbau; Qualifikation; Qualifikationsgruppe; Qualifikationsgruppe 4; Qualifikationsgruppe 5; Qualifikationsgruppeneinstufung; Qualifikationsniveau; Qualifizierung; Rente; Rentenhöhe; Rentenversicherung; ungelernte Tätigkeit; unter Tage; Wertigkeit
Bibliographie
- Gericht
- LSG Niedersachsen-Bremen
- Datum
- 19.07.2006
- Aktenzeichen
- L 2 KN 17/00
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2006, 53197
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- SG - 02.05.2000 - AZ: S 12 KR 291/97
Rechtsgrundlagen
- § 256b Abs 1 S 1 Halbs 1 SGB 6
- § 256b Abs 1 S 9 SGB 6
- § 256b Abs 1 S 2 SGB 6
- Anl 13 SGB 6
- Anl 14 SGB 6
- § 22 Abs 1 FRG
- § 16 FRG
- § 15 FRG
- § 1 FRG
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Die in Polen zugesprochene Qualifikation eines "Jüngeren Bergmannes unter Tage" (mlodszy gornik) ist nach Maßgabe der Anlage 13 zum SGB VI als Qualifizierung entsprechend einer Facharbeiterausbildung im Sinne der Qualifikationsgruppe 4 zu bewerten.
Tenor:
Das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 2. Mai 2000 wird aufgehoben.
Der Bescheid der Beklagten vom 9. Mai 1996 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 23. Oktober 1996 und des Änderungsbescheides vom 29. April 1998 wird geändert.
Die Beklagte wird verurteilt, die dem Kläger seit dem 01. Mai 1996 gewährte Altersrente mit der Maßgabe neu zu berechnen, dass die dem Grunde nach bereits berücksichtigten Versicherungszeiten im polnischen Bergbau vom 01. Januar 1966 bis zum 11. Juli 1978 nach Maßgabe der Qualifikationsgruppe 4 im Sinne der Anlagen 13 und 14 zum SGB VI bewertet werden.
Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers aus beiden Rechtszügen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die rentenrechtliche Bewertung von in Polen zurückgelegten Versicherungszeiten.
Der 1936 in Polen geborene Kläger arbeitete dort zunächst von 1950 bis 1953 als Landarbeiter und nachfolgend bis zum 21. November 1960 als Arbeiter.
In der Folgezeit ab dem 16. Dezember 1960 bis zu seiner Ausreise in das Bundesgebiet im Sommer 1978 arbeitete der Kläger in der Steinkohlengrube "J. " in K.. Ausweislich der Arbeitsbescheinigung der Steinkohlengrube "J. " vom 11. Juli 1973 war der Kläger in der Anfangszeit vom 16. Dezember 1960 bis zum 31. Dezember 1965 als ungelernter Arbeiter unter Tage und in den nachfolgenden Jahren vom 01. Januar 1966 bis zum 11. Juli 1978 als "Jüngerer Bergmann unter Tage" (" mlodszy górnik ") tätig. Der Höherstufung zum "Jüngeren Bergmann" war der Besuch eines sechsmonatigen Lehrgangs im Zeitraum von Juni bis Dezember 1965 vorausgegangenen, der in dem Steinkohlengrubenbetrieb an täglich jeweils zwei Stunden außerhalb der regulären Arbeitszeit durchgeführt wurde. Der Lehrgang endete mit einer vom Kläger erfolgreich bestandenen Abschlussprüfung.
Die reguläre Ausbildung zu einer bergmännischen Tätigkeit unter Tage erfolgte seinerzeit in Polen in der Form, dass die Absolventen der (anfangs siebenjährigen und später) achtjährigen Grundschule in betrieblichen Berufsfachschulen für Bergleute in einem Zeitraum von drei Jahren für den Beruf eines unter Tage tätigen Bergmanns ausgebildet wurden.
Nach dem erfolgreichen Abschluss dieser dreijährigen Berufsfachschule wurde ein Absolvent zu Beginn seiner beruflichen Tätigkeit als "Jüngerer Bergmann" im Bergbau unter Tage eingesetzt. Nach einer mindestens sechsmonatigen Dienstzeit konnte die betriebliche Qualifikationskommission dem Absolventen die Qualifikation eines "Bergmanns unter Tage" zusprechen.
Neben dieser direkten Ausbildung bestand auch für ungelernte Bergbauarbeiter (mit abgeschlossener Grundschulausbildung) die Möglichkeit, die Qualifikationen zunächst eines "Jüngeren Bergmanns" und später eines "Bergmanns unter Tage" zu erwerben: Der Erwerb der Qualifikation eines "Jüngeren Bergmanns" setzte eine mindestens dreijährige Dienstzeit unter Tage und den erfolgreichen Abschluss eines entsprechenden Weiterbildungskursus voraus. Nach mindestens zwei weiteren Jahren in der Tätigkeit eines "Jüngeren Bergmanns" kam in solchen Fällen der Erwerb der Qualifikation eines "Bergmanns unter Tage" in Betracht.
Seit dem 04. September 1978 hat der Kläger seinen ständigen Aufenthalt im Bundesgebiet; ihm ist ein Ausweis für Vertriebene und Flüchtlinge A ausgestellt worden.
Mit Bescheid vom 09. Mai 1996 in der Fassung des (dem Kläger am 31. Oktober 1996 zugestellten) Widerspruchsbescheides vom 23. Oktober 1996 (geändert durch Bescheid vom 29. April 1998 wegen Wegfall einer Minderung durch Versorgungsausgleich) gewährte die Beklagte dem Kläger Altersrente wegen Arbeitslosigkeit ab 01. Mai 1996. Dabei bewertete sie die vorstehend aufgeführte Tätigkeit im Bergbau vom 16. Dezember 1960 bis zum 11. Juli 1978 einheitlich nach Maßgabe der Qualifikationsgruppe 5 der Anlage 14 (Bereich 01) zum SGB VI (vgl. Anlage 10 des Rentenbescheides).
Mit der am 27. November 1996 erhobenen Klage hat der Kläger geltend gemacht, dass seine Tätigkeit im polnischen Bergbau jedenfalls für den Zeitraum vom 17. Dezember 1970 bis zum 11. Juli 1978 der Qualifikationsgruppe IV der Anlage 14 zum SGB VI zuweisen sei.
Mit Urteil vom 02. Mai 2000, dem Kläger zugestellt am 14. August 2000, hat das Sozialgericht die Klage insbesondere mit der Begründung abgewiesen, dass keine Unterlagen für eine besondere berufliche Qualifikation des Klägers vorgelegt worden seien.
Mit der am 05. September 2000 eingelegten Berufung begehrt der Kläger weiterhin eine höhere Bewertung polnischer Versicherungszeiten, und zwar des Zeitraumes vom 01. Januar 1966 bis zum 11. Juli 1978 (vgl. Schriftsatz vom 19. Oktober 2000), nach Maßgabe der Qualifikationsgruppe 4 der Anlagen 13 und 14 zum SGB VI. Er habe in Polen im Bergbau eine Berufsausbildung abgeschlossen; jedenfalls sei ihm die Qualifikationsgruppe 4 ab dem 10. Jahr seiner Tätigkeit unter Tage zuzubilligen.
Der Kläger entnimmt ferner einem von der Beklagten mit Schriftsatz vom 04. August 2004 vorgelegten Schema zur Hauptberufs- und Qualifikationsgruppeneinstufung im polnischen Bergbau, dass auch ohne förmliche Ausbildung und ohne Ablegung der Prüfung zum Bergmann vor der betrieblichen Qualifikationskommission nach Erfüllung der Mindesteinarbeitungszeit als Füller und Lehrbergmann und nach vollwertiger Verrichtung "der Tätigkeit" in den ersten 6 Berufsjahren eine Einstufung in die Qualifikationsgruppe 4 geboten sei.
Der Kläger beantragt,
1. das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 02. Mai 2000 aufzuheben und den Bescheid der Beklagten vom 9. Mai 1996 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 23. Oktober 1996 und des Änderungsbescheides vom 29. April 1998 zu ändern und
2. die Beklagte zu verurteilen, die ihm seit dem 01. Mai 1996 gewährte Altersrente mit der Maßgabe neu zu berechnen, dass die dem Grunde nach bereits berücksichtigten Versicherungszeiten im polnischen Bergbau vom 01. Januar 1966 bis zum 11. Juli 1978 nach Maßgabe der Qualifikationsgruppe 4 im Sinne der Anlagen 13 und 14 zum SGB VI bewertet werden.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte weist darauf hin, dass in der früheren DDR eine Ausbildung zum Facharbeiter mindestens zwei Jahre gedauert habe. Hieran anknüpfend seien Berufe, die in einer schulischen Einrichtung mit einer Ausbildungsdauer von regelmäßig mindestens zwei Jahren zu erlernen seien, der Qualifikationsgruppe 4 im Sinne der Anlagen 13 und 14 zum SGB VI zuzuordnen (Bl. 92). Im polnischen Bergbau sei lediglich der Bergmann nach erfolgreichem Abschluss der Prüfung vor der betrieblichen Qualifikationskommission als Facharbeiter anzusehen.
Die tatsächlich langjährig vom Kläger unter Tage ausgeübte Tätigkeit rechtfertige - auch nach Maßgabe des dem Schriftsatz vom 04. August 2004 beigefügten Schemas - keine Höherstufung in die Qualifikationsgruppe 4, da diese Tätigkeit nicht auf Facharbeiterniveau ausgeübt worden sei.
Der Senat hat Auskünfte der GmbH für Umstrukturierung der Bergwerke in L. vom 06. Dezember 2005 und - durch Vermittlung der Versicherungsanstalt ZUS in M. als der zuständigen polnischen Verbindungsstelle - des stellvertretenden Direktors des Kohlebergwerks S.A. Bergbau "N. " O. Ciciel vom 22. Mai 2006 und des stellvertretenden Direktors für Arbeitsangelegenheiten des TRYMBULAK SQ.lebR ."Bobrek-Zentrum" Tadeusz Trymbulak vom 29. Mai 2006 eingeholt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und auf den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung ist begründet. Der Kläger hat einen Anspruch darauf, dass die Beklagte die ihm seit dem 01. Mai 1996 gewährte Altersrente mit der Maßgabe neu berechnet, dass die (nur hinsichtlich ihrer Wertigkeit) streitigen Versicherungszeiten im polnischen Bergbau vom 01. Januar 1966 bis zum 11. Juli 1978 nach Maßgabe der Qualifikationsgruppe 4 (an Stelle der von der Beklagten herangezogenen Qualifikationsgruppe 5) in Anwendung der Anlage 13 und der Tabelle 1 der Anlage 14 zum SGB VI bewertet werden.
Der zum Personenkreis des § 1 Fremdrentengesetz (FRG) gehörende Kläger hat nach Maßgabe der §§ 15, 16 FRG und überdies auch nach Maßgabe des deutsch-polnischen Sozialversicherungsabkommens (vgl. Art 4 Abs. 2 des im vorliegenden Fall weiterhin anwendbaren DPSVA 75) einen Anspruch darauf, dass bei der Berechnung der ihm zuerkannten Altersrente auch die polnischen Versicherungs- und Beitragszeiten berücksichtigt werden. Dabei sind nach § 22 Abs. 1 S. 1 FRG (zur Anwendung dieser Vorschrift im Rahmen des DPSVA 75 vgl. Art 2 Abs. 1 des Zustimmungsgesetzes zum DPSVA 75 vom 12. März 1976, BGBl II 393, in der Fassung durch Art 20 Nr. 2 und 3 des Rentenreformgesetzes 1992 vom 18. Dezember 1989 BGBl I 2261) Entgeltpunkte in Anwendung von § 256b Abs. 1 S. 1 erster Halbsatz, Satz 2 und 9 SGB VI zu ermitteln.
Die in Bezug genommene Regelung des § 256b Abs. 1 S. 1 erster Halbsatz SGB VI hat folgenden Inhalt: Für (glaubhaft gemachte) Pflichtbeitragszeiten nach dem 31. Dezember 1949 werden zur Ermittlung von Entgeltpunkten als Beitragsbemessungsgrundlage für ein Kalenderjahr einer Vollzeitbeschäftigung die Durchschnittsverdienste berücksichtigt, die sich 1. nach Einstufung der Beschäftigung in eine der in Anlage 13 genannten Qualifikationsgruppen und 2. nach Zuordnung der Beschäftigung zu einem der in Anlage 14 genannten Bereiche für dieses Kalenderjahr ergeben.
Für die demnach vorzunehmende Zuordnung der ausübten Beschäftigungen zu (insgesamt fünf) Qualifikationsgruppen enthält die Anlage 13 zum SGB VI folgende Vorgaben:
Definition der Qualifikationsgruppen
Versicherte sind in eine der nachstehenden Qualifikationsgruppen einzustufen, wenn sie deren Qualifikationsmerkmale erfüllen und eine entsprechende Tätigkeit ausgeübt haben. Haben Versicherte auf Grund langjähriger Berufserfahrung Fähigkeiten erworben, die üblicherweise denen von Versicherten einer höheren Qualifikationsgruppe entsprechen, sind sie in diese Qualifikationsgruppe einzustufen.
Qualifikationsgruppe 1
Hochschulabsolventen
1. Personen, die in Form eines Direkt-, Fern-, Abend- oder externen Studiums an einer Universität, Hochschule, Ingenieurhochschule, Akademie oder an einem Institut mit Hochschulcharakter ein Diplom erworben oder ein Staatsexamen abgelegt haben.
2. Personen, denen auf Grund gesetzlicher Bestimmungen oder wissenschaftlicher Leistungen ein wissenschaftlicher Grad oder Titel zuerkannt worden ist (z.B. Attestation im Bereich Volksbildung, Dr. h. c., Professor).
3. Inhaber gleichwertiger Abschlusszeugnisse staatlich anerkannter höherer Schulen und Universitäten.
Hierzu zählen nicht Teilnehmer an einem verkürzten Sonderstudium (z.B. Teilstudium), das nicht mit dem Erwerb eines Diploms oder Staatsexamens abschloss.
Qualifikationsgruppe 2
Fachschulabsolventen
1. Personen, die an einer Ingenieur- oder Fachschule in einer beliebigen Studienform oder extern den Fachschulabschluss entsprechend den geltenden Rechtsvorschriften erworben haben und denen eine Berufsbezeichnung der Fachschulausbildung erteilt worden ist.
2. Personen, denen auf Grund gesetzlicher Bestimmungen im Beitrittsgebiet der Fachschulabschluss bzw. eine Berufsbezeichnung der Fachschulausbildung zuerkannt worden ist.
3. Personen, die an staatlich anerkannten mittleren und höheren Fachschulen außerhalb des Beitrittsgebiets eine Ausbildung abgeschlossen haben, die der Anforderung des Fachschulabschlusses im Beitrittsgebiet entsprach, und ein entsprechendes Zeugnis besitzen.
4. Technische Fachkräfte, die berechtigt die Berufsbezeichnung "Techniker" führten, sowie Fachkräfte, die berechtigt eine dem "Techniker" gleichwertige Berufsbezeichnung entsprechend der Systematik der Berufe im Beitrittsgebiet (z.B. Topograph, Grubensteiger) führten.
Hierzu zählen nicht Teilnehmer an einem Fachschulstudium, das nicht zum Fachschulabschluss führte, und Meister, auch wenn die Ausbildung an einer Ingenieur- oder Fachschule erfolgte.
Qualifikationsgruppe 3
Meister
Personen, die einen urkundlichen Nachweis über eine abgeschlossene Qualifikation als Meister bzw. als Meister des Handwerks besitzen bzw. denen auf Grund langjähriger Berufserfahrung entsprechend den gesetzlichen Bestimmungen im Beitrittsgebiet die Qualifikation als Meister zuerkannt wurde.
Hierzu zählen nicht in Meisterfunktion eingesetzte oder den Begriff "Meister" als Tätigkeitsbezeichnung führende Personen, die einen Meisterabschluss nicht haben (z.B. Platzmeister, Wagenmeister).
Qualifikationsgruppe 4
Facharbeiter
Personen, die über die Berufsausbildung oder im Rahmen der Erwachsenenqualifizierung nach abgeschlossener Ausbildung in einem Ausbildungsberuf die Facharbeiterprüfung bestanden haben und im Besitz eines Facharbeiterzeugnisses (Facharbeiterbrief) sind oder denen auf Grund langjähriger Berufserfahrung entsprechend den gesetzlichen Bestimmungen im Beitrittsgebiet die Facharbeiterqualifikation zuerkannt worden ist.
Hierzu zählen nicht Personen, die im Rahmen der Berufsausbildung oder der Erwachsenenqualifizierung auf Teilgebieten eines Ausbildungsberufes entsprechend der Systematik der Ausbildungsberufe im Beitrittsgebiet ausgebildet worden sind.
Qualifikationsgruppe 5
Angelernte und ungelernte Tätigkeiten
1. Personen, die in der Berufsausbildung oder im Rahmen der Erwachsenenqualifizierung eine Ausbildung auf Teilgebieten eines Ausbildungsberufes abgeschlossen haben und im Besitz eines entsprechenden Zeugnisses sind.
2. Personen, die in einer produktionstechnischen oder anderen speziellen Schulung für eine bestimmte Tätigkeit angelernt worden sind.
3. Personen ohne Ausbildung oder spezielle Schulung für die ausgeübte Tätigkeit.
Auch wenn § 22 Abs. 1 FRG idF des RÜG von einer unmittelbaren "Anwendung" des § 256b Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 SGB VI und damit auch der Qualifikationsgruppenmerkmale der Anlage 13 zum SGB VI spricht, kann mit Blick auf Sachverhalte in Vertreibungsgebieten letztlich nur eine analoge Anwendung erfolgen. Die Bestimmung der maßgeblichen Qualifikationsgruppe der Anlage 13 zum SGB VI erfolgt deshalb ausgehend von der im Herkunftsgebiet erworbenen beruflichen Ausbildung und Qualifikation unter Beachtung des dort geltenden beruflichen, schulischen und universitären Bildungssystems. Sodann ist zu fragen, welcher Qualifikationsgruppe - übertragen auf die Verhältnisse in der DDR - diese berufliche Ausbildung und Qualifikation materiell entspricht. Dabei kann es dienlich sein - weil z. T. die Merkmale der jeweiligen Qualifikationsgruppe entsprechend formuliert sind - diese Merkmale in dem Sinn zu lesen, dass an Stelle der DDR das jeweilige Herkunftsland eingesetzt wird (BSG, U. v. 12.11.2003 - B 8 KN 2/03 R - SozR 4-5050 § 22 Nr. 3 m. w. N.).
Der erläuterte Tatbestand hat zum einen die Erfüllung von (formellen) Qualifikationsmerkmalen i. S. einer der fünf Qualifikationsgruppen zur Voraussetzung, zum anderen wird die tatsächliche Ausübung einer diesen Merkmalen entsprechenden Tätigkeit verlangt. Die Tatbestandsvoraussetzungen werden durch die Bezugnahme auf die Anlagen 13 und 14, die inkorporierte "Untertatbestände" sind, konkretisiert (BSG, U. v. 24. Juli 2003 - B 4 RA 61/02 R - SozR 4-2600 § 256b Nr. 2).
Dabei kennt das Gesetz neben der Regelausbildung - bestehend aus Vollzeitberufsschule und/oder Lehre am Arbeitsplatz (vgl. BSG, U. v. 14. Mai 2003 - B 4 RA 26/02 R - SozR 4-2600 § 256b Nr. 1) - zwei weitere Zugangsmöglichkeiten zur Qualifikationsgruppe 4: Zum einen kann einem Arbeitnehmer "auf Grund langjähriger Berufserfahrung" entsprechend den gesetzlichen Bestimmungen im Vertreibungsgebiet die Facharbeiterqualifikation (förmlich) zuerkannt werden (vgl. die Legaldefinition des Facharbeiters, dort Absatz 1); zum anderen genügt auch der faktische Erwerb von gleichwertigen Fähigkeiten "auf Grund langjähriger Berufserfahrung" und die tatsächliche Ausübung einer dem höheren (durch langjährige Berufserfahrung erworbenen) Qualifikationsniveau entsprechenden Tätigkeit (vgl. Satz 2 der Anlage 13).
Die Anlage 13 zum SGB VI definiert bezüglich beider Zugangsmöglichkeiten das Tatbestandsmerkmal der "langjährigen Berufserfahrung" nicht. Da diese Regelung die Grundsätze fortschreibt, die die Ausgestaltung der früheren Leistungsgruppen zum FRG geprägt haben, kann auf die hierzu ergangene höchstrichterliche Rechtsprechung zurückgegriffen werden. Eine "langjährige" Berufserfahrung ist anzunehmen, wenn der höherwertige Beruf während eines Zeitraumes ausgeübt wurde, der ausreicht, um die theoretischen und praktischen Fähigkeiten für eine vollwertige Berufsausübung auch ohne formelle Ausbildung zu vermitteln. Hierfür kommt es jeweils auf den ausgeübten Beruf an (BSG, U. v. 24. Juli 2003 - B 4 RA 61/02 R - SozR 4-2600 § 256b Nr. 2). Langjährigkeit kann jedenfalls regelmäßig nicht vor dem Zeitpunkt angenommen werden, zu dem der Versicherte solange mit Arbeiten eines Facharbeiters betraut war, wie es der Regelausbildung für einen Facharbeiter im jeweiligen Zeitraum entsprach (BSG, U. v. 14. Mai 2003 - B 4 RA 26/02 R - SozR 4-2600 § 256b Nr. 1).
Mit Blick auf Polen ist hinsichtlich der erforderlichen Einstufung nach Maßgaben der Anlagen 13 und 14 zum SGB VI im Ausgangspunkt festzuhalten, dass die Ausbildung zum Meister als "mittlere Berufsausbildung" bewertet wurde. Unterhalb dieser Ebene waren - jeweils in abgestufter Folge - die "Grundausbildung" (= Facharbeiterausbildung), die Anlernausbildung sowie die ungelernten Tätigkeiten angesiedelt (BSG, U. v. 24. Juli 2003 - B 4 RA 61/02 R - aaO).
Im vorliegenden Fall ist die dem Kläger Ende 1965 auf Grund langjähriger Berufserfahrung entsprechend den Bestimmungen im Herkunftsland (im Sinne der gesetzlichen Legaldefinition des Facharbeiters in der Anlage 13 zum SGB VI, dort Abs. 1 zweite Alt.) zugesprochene Qualifikation eines "Jüngeren Bergmannes unter Tage" ( mlodszy górnik ) bereits als Zuerkennung der Qualifikation im Sinne einer "Grundausbildung", d.h. einer Facharbeiterausbildung im Sinne der Qualifikationsgruppe 4, zu qualifizieren.
Bei der erforderlichen Einordnung ist zu berücksichtigen, dass während der beruflichen Tätigkeit des Klägers in Polen für Bergleute zwei Qualifikationsniveaus vorgesehen waren (neben der im vorliegenden Zusammenhang nicht relevanten Tätigkeit ungelernter Hilfskräfte und höherwertigen Spezialqualifikationen namentlich auf der Technikerebene). Bergleute waren zunächst als "Jüngerer Bergmann unter Tage" tätig. Erst nach hinreichender praktischer Erfahrung in dieser Tätigkeit (von mindestens sechs Monaten bei Absolventen der dreijährigen Berufsfachschule und mindestens zwei Jahren bei sonstigen Bewerbern) und nach Überprüfung der Kenntnisse durch die betriebliche Qualifikationskommission konnten sie zum "Bergmann unter Tage" hochgestuft werden.
Bezüglich der - vom Kläger allerdings nicht erworbenen - Qualifikationsstufe eines "Bergmanns unter Tage" steht zwischen den Beteiligten außer Streit, dass es sich um eine Facharbeiterqualifikation handelt, was in Anbetracht der erheblichen Ausbildungsdauer auch auf der Hand liegt.
Hingegen beurteilen die Beteiligten unterschiedlich, ob die vom Kläger Ende 1965 erworbene Qualifikation als "Jüngerer Bergmannes unter Tage" ihrerseits bereits eine Facharbeiterqualifikation beinhaltete oder im Ergebnis nur eine Qualifikation auf Anlernebene darstellte. Die erläuterte - sich auf den Normalfall der Regelausbildung beziehende - gesetzliche Definition (Legaldefinition des Facharbeiters in der Anlage 13 zum SGB VI, dort Abs. 1 erste Alt.), wonach der Facharbeiter nach abgeschlossener Ausbildung in einem Ausbildungsberuf die Facharbeiterprüfung bestanden haben und im Besitz eines Facharbeiterzeugnisses (Facharbeiterbrief) sein muss, hilft im vorliegenden Zusammenhang nicht entscheidend weiter. Allerdings steht aus der Sicht des Senates aufgrund der glaubhaften Angaben des Klägers und der vorgelegten Arbeitgeberbescheinigungen außer Zweifel, dass der Kläger aufgrund fünfjähriger Berufserfahrung und des Besuches eines berufsbegleitenden sechsmonatigen Weiterbildungslehrganges die Prüfung zum "Jüngeren Bergmannes unter Tage" erfolgreich abgeschlossen und dafür auch ein offizielles Zeugnis erhalten hat. Die erläuterten gesetzlichen Vorgaben lassen aber offen, nach welchen Kriterien im einzelnen zwischen einer Facharbeiterprüfung und einer Prüfung in einem Anlernberuf und daran anknüpfend zwischen einem Facharbeiterzeugnis und einem Zeugnis in einem Anlernberuf sowie zwischen einem Ausbildungsberuf und einem Anlernberuf zu unterscheiden sein soll.
Soweit in der Literatur darauf hingewiesen wird, das Merkmal eines Facharbeiters in der früheren DDR eine umfassende Berufsausbildung gewesen sei, die es ihm ermöglicht habe, komplizierte Tätigkeiten zu verrichten (vgl. Müller, Die Qual mit den Qualifikationsgruppen DAngVers 1995, 354, 364), hilft dies letztlich auch nicht wesentlich weiter. Auch ausgehend von diesem Ansatz bleibt die genaue Grenzziehung zwischen einer "umfassenden" und einer sonstigen Berufsausbildung bzw. zwischen einer "komplizierten" und einer "unkomplizierten" Tätigkeit unklar. Bezeichnenderweise wird in der Literatur eingeräumt, dass die Anwendung der erläuterten gesetzlichen Kriterien mit besonderen Schwierigkeiten verbunden sei, soweit ein Beruf mit unterschiedlichen Qualifikationen ausgeübt werden könne (Müller, aaO, S. 354).
Jedenfalls darf als Erfordernis einer "umfassenden" Berufsausbildung nicht dahingehend missverstanden werden, dass bei mehreren Qualifikationsstufen nur die jeweils höchste eine Facharbeiterqualifikation beinhalte. Dies macht schon die Möglichkeit einer zusätzlichen Weiterbildung nach Erlangung des Facharbeiterstatus - etwa zur Ausübung von bestimmten Tätigkeiten mit besonderen Anforderungen oder auch zum Erwerb der (in der Anlage 13 zum SGB VI der Qualifikationsgruppe 3 zugewiesenen) Technikerqualifikation - deutlich.
Auch im Hinblick auf die nach Art. 3 Abs. 1 GG anzustrebende gleichwertige Behandlung der in unterschiedlichen Berufsfeldern erworbenen Qualifikationen kann es nicht entscheidend darauf ankommen, ob in dem jeweiligen Berufsbild noch eine höherwertige Berufsqualifikation erworben werden kann. Entscheidend muss vielmehr sein, ob das tatsächlich erworbene Qualifikationsniveau hinsichtlich der Breite und der Intensität der Ausbildung den Vergleich mit anderen anerkannten Facharbeiterberufen standhält. Dementsprechend kommt es nicht darauf an, ob in Polen für das Qualifikationsniveau eines "Jüngeren Bergmanns" die Bezeichnung "Facharbeiter" verwandt wurde, ausschlaggebend ist vielmehr, ob das Niveau materiell dem einer Facharbeiterausbildung im Sinn des früheren DDR-Rechts entsprach (BSG, U. v. 24. Juli 2003 - B 4 RA 61/02 R - aaO zur entsprechenden Problematik bei der Meisterqualifikation).
Entscheidendes Gewicht kommt dabei der Ausbildungsdauer zu. In der früheren DDR, auf deren Verhältnisse die erläuterte Regelung des § 256b SGB VI abstellt, dauerte eine anerkannte Facharbeiterausbildung im Rahmen der Regelausbildung je nach Ausbildungsberuf und schulischer Vorbildung zwischen eineinhalb und vier Jahren (vgl. Müller, aaO, S. 364). Hieran anknüpfend überzeugt es im Ansatz, wenn die Beklagte die Auffassung vertritt, dass Berufe jedenfalls dann der Qualifikationsgruppe 4 zuzuordnen sind, wenn sie - ausgehend von dem Zeitbedarf bei einer Regelausbildung - mit einer Ausbildungsdauer von regelmäßig mindestens zwei Jahren zu erlernen sind.
Dieses Zweijahreskriterium erfüllte im Ergebnis auch die polnische Ausbildung zum "Jüngeren Bergmann unter Tage". Allerdings ist bei der Anwendung dieses Kriteriums dem Umstand Rechnung zu tragen, dass es keine Regelausbildung im klassischen Sinne zur eigenständigen Erlangung der Qualifikation eines "Jüngeren Bergmannes unter Tage" in Polen gab. Für Absolventen der Berufsfachschule stelle eine entsprechende Qualifikation nur ein - vielfach lediglich 6 Monate umfassendes - Zwischenstadium auf dem Weg zu der von ihnen letztlich angestrebten Qualifikation eines "Bergmannes unter Tage" dar. Ansonsten konnte die Qualifikation eines "Jüngeren Bergmannes unter Tage" nur durch langjährige - mindestens dreijährige - Tätigkeit als Ungelernter und durch eine erfolgreiche Teilnahme an einem sechsmonatigen berufsbegleitenden Qualifizierungslehrgang erworben werden.
Dementsprechend mag es nicht allein ausschlaggebend sein, dass die Absolventen der Berufsfachschule erst nach dreijährigem Schulbesuch die Qualifikation eines "Jüngeren Bergmannes unter Tage" erlangt haben. Die Kürze der nachfolgend von ihnen für eine - prüfungsabhängige - Höherstufung zum "Bergmann unter Tage" nachzuweisende Mindesttätigkeitsdauer von nur sechs Monaten (vgl. insbesondere die vom Senat eingeholte Auskunft des stellvertretenden Direktors für Arbeitsangelegenheiten des Steinkohle S.s "Bobrek-Zentrum" Tadeusz Trymbulak vom 29. Mai 2006) legt die Annahme zumindest nahe, dass im Rahmen des dreijährigen Berufsfachschulbesuchs auch theoretische Kenntnisse vermittelt worden sind, die erst für die Qualifikationsstufe "Bergmann unter Tage" erforderlich waren.
Gleichwohl machen die erläuterten Anforderungen an den Erwerb der Qualifikation eines "Jüngeren Bergmannes unter Tage" deutlich, dass im Ergebnis bereits diese Qualifikationsstufe Facharbeiterniveau aufwies. Mit dem Erwerb dieser Qualifikation hatte der Beschäftigte bereits wesentliche Teilbereiche der Qualifikation eines "Bergmanns unter Tage" erworben. Deren Gewicht zeigt sich daran, dass Nichtabsolventen der Berufsfachschule erst nach dreijähriger praktischer Tätigkeit unter Tage die Qualifikation zum "Jüngeren Bergmann unter Tage" erwerben konnten. Wollten sie sich anschließend auch noch zum "Bergmann unter Tage" höher qualifizieren, waren lediglich noch zwei weitere Jahre Berufserfahrung erforderlich.
Setzt man diese erforderlichen Mindestzeiten einer praktischen Berufserfahrung (zu denen jeweils noch der erfolgreiche Abschluss der Weiterqualifizierungsprüfung hinzukommen musste) von drei und zwei Jahren zueinander in Relation (im Sinne eines Verhältnisses von 60 % zu 40 %) und teilt entsprechend gedanklich die Mindestausbildungsdauer für einen "Bergmann unter Tage" im Rahmen der Regelausbildung (d.h. für Absolventen der Berufsfachschule) von 3,5 Jahren (drei Jahre Schulbesuch zuzüglich mindestens 6 Monate Berufspraxis) auf, ergibt sich eine auf den Erwerb der Qualifikation "Jüngerer Bergmann unter Tage" entfallende anteilige Ausbildungsdauer von etwas mehr als zwei Jahren (3,5 Jahre * 0,6).
Dies macht deutlich, dass der Kläger mit der erfolgreichen Ablegung der Prüfung zum "Jüngeren Bergmann unter Tage" bereits eine rechtlich als Facharbeiter im Sinne der Anlage 13 zum SGB VI zu bewertende Qualifikation erworben hat, wobei aus Sicht des Senates auch keine Zweifel daran anzumelden sind, dass er ab 1966 entsprechend dieser Qualifikation im Bergbau tatsächlich eingesetzt worden ist.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG; Gründe, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs. 2 SGG), sind nicht gegeben.