Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Beschl. v. 13.07.2006, Az.: L 8 B 171/06 AS RG
Anhörungsfehler; Anhörungsrüge; Beendigung; Darlegungslast; Endentscheidung; Entscheidung; Instanz; Kausalität; Prozesskostenhilfe; Prozesskostenhilfeantrag; Prozesskostenhilfeverfahren; rechtliches Gehör; sozialgerichtliche Verfahren; Statthaftigkeit; Unzulässigkeit; vorausgehende Entscheidung; Zulässigkeit
Bibliographie
- Gericht
- LSG Niedersachsen-Bremen
- Datum
- 13.07.2006
- Aktenzeichen
- L 8 B 171/06 AS RG
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2006, 53198
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- SG - 06.06.2006 - AZ: S 48 AS 307/06 ER
Rechtsgrundlagen
- § 178a Abs 1 S 1 SGG
- § 178a Abs 1 S 2 SGG
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
1. Eine Entscheidung über einen PKH-Antrag ist jedenfalls in sozialgerichtlichen Verfahren "eine der Endentscheidung vorausgehende Entscheidung"; eine Anhörungsrüge nach § 178a SGG findet deshalb insoweit nicht statt (anders LSG Niedersachsen-Bremen - L 5 B 1/06
V RG - Beschluss vom 19.5.06).
2. In der Begründung einer Anhörungsrüge ist schlüssig auszuführen, inwiefern der behauptete Verstoß des Gerichts sich auf dessen Entscheidung ausgewirkt haben kann, der Anhörungsfehler für die Entscheidung also rechtlich kausal gewesen sein soll.
Tenor:
Die Anhörungsrüge der Antragsteller im Hinblick auf den Senatsbeschluss vom 6.Juni 2006 - L 8 B 103/06 AS - wird als unzulässig verworfen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
I.
Der Senat hat mit unanfechtbarem Beschluss vom 6.Juni 2006 - L 8 B 103/06 AS - die Beschwerde der Antragsteller gegen die Versagung von Prozesskostenhilfe (PKH) durch das Sozialgericht (SG) Oldenburg zurückgewiesen. PKH wurde beantragt zur Durchführung des Verfahrens S 48 AS 307/06ER, mit dem die Antragsteller im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes begehren, ihnen „Leistungen nach dem SGB II unter Berücksichtigung von angemessenen Unterkunftskosten nach Maßgabe der aktuellen Rechtsprechung des LSG Niedersachsen-Bremen zu gewähren“.
Nach Zustellung des Beschlusses vom 6. Juni 2006 hat der Prozessbevollmächtigte der Antragsteller mit Schriftsatz vom 20.Juni 2006 eine Anhörungsrüge gegen diesen Beschluss angebracht. Zur Begründung trägt er vor, das Landessozialgericht sei seiner Pflicht zu einer Aufklärung und abschließenden Sachverhaltsermittlung nicht nachgekommen.
II.
Die Anhörungsrüge ist unzulässig.
Gemäß § 178a Abs. 1 Sätze 1 und 2 SGG ist auf die Rüge das Verfahren fortzuführen, wenn ein Rechtsmittel oder ein anderer Rechtsbehelf gegen die mit der Rüge angegriffene Entscheidung nicht gegeben ist und das Gericht den Anspruch auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat. Gegen eine der Endentscheidung vorausgehende Entscheidung findet die Rüge nicht statt.
Eine Entscheidung über einen PKH-Antrag ist jedenfalls in sozialgerichtlichen Verfahren eine solche der Endentscheidung vorausgehende Entscheidung.
Sinn und Zweck der Anhörungsrüge ist es, dem Betroffenen die Fortführung eines rechtskräftig abgeschlossenen Rechtsstreits zu bieten, damit bei einer festgestellten Beschneidung des rechtlichen Gehörs der Betroffene das nicht zur Kenntnis genommene Anliegen dem Gericht unterbreiten kann, um dieses womöglich doch noch zu einer positiven Entscheidung zu veranlassen. Die Sicherstellung umfassenden Rechtsschutzes durch Kontrolle gerichtlicher Entscheidungen (s. hierzu auch Beschluss des BVerfG vom 30.April 2003 - 1PBvU 1/02 - BVerfGE 107, 395) bedeutet jedoch nicht, dass jeder nicht - mehr - anfechtbare Beschluss auf Anhörungsrüge zu überprüfen ist, sondern nur diejenigen Entscheidungen, die ein Ersuchen um gerichtliche Entscheidung rechtskräftig beendet haben. Deshalb wird in Literatur und Rechtsprechung auch nicht in Frage gestellt, dass rechtskräftig beendete Verfahren im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzes ebenso einer Überprüfung durch Anhörungsrüge zugänglich sind wie Urteile und Beschlüsse in Hauptsacheverfahren.
Ein Antrag auf Bewilligung von PKH ist kein Selbstzweck. Bei der PKH handelt es sich vielmehr um eine Leistung der staatlichen Daseinsfürsorge. Sie stellt als Bestandteil der Rechtschutzgewährung eine Einrichtung der Sozialhilfe im Bereich der Rechtspflege für die rechtsuchenden Bürger dar, die ihre verfassungsrechtliche Legitimation im Gebot des sozialen Rechtsstaates und im allgemeinen Gleichheitssatz findet (BGH vom 26. Oktober 1989,BGHZ 109, 163, 168; siehe auch BVerfGE 9, 256). Eine nicht mehr mit Rechtsmitteln angreifbare Ablehnung eines PKH-Antrags hindert im sozialgerichtlichen Verfahren den Rechtssuchenden nicht an der Weiterführung des eigentlichen Rechtsstreits. Jedenfalls gilt dies bei Verfahren vor den Instanzgerichten, für die kein Anwaltszwang besteht. Hinzu kommt, dass auch nach Ablehnung eines PKH-Antrags grundsätzlich ein neuer Antrag gestellt werden kann, ohne dass ein Verstoß gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör gerügt werden muss (so auch OLG Frankfurt, Beschluss vom 15. Dezember 2005 - 24 U 204/05 - OLGR Frankfurt 2006, 310; vgl auch BFH Beschluss vom 16. Februar 2006 - VIIS 2/06 -).
Die entgegenstehende Rechtsauffassung des 5.Senats des LSG Niedersachsen-Bremen (Beschluss vom 19.Mai 2006 - L5B 1/06VRG -) wird vom erkennenden Senat nicht geteilt. Danach soll es sich bei einer nicht mehr anfechtbaren PKH-Entscheidung um eine Endentscheidung im Sinne von § 178a Abs. 1 SGG handeln, die einer Anhörungsrüge zugänglich sei. Auch Zöller (ZPO-Kommentar 25.Auflage §321a Rdnr. 3) und Berchtold (in Hennig SGG Loseblattkommentar § 178a RdNr 55 ff) scheinen dies ohne weitere Begründung anzunehmen. Aus dem Wortlaut der durch das Anhörungsrügengesetz vom 9.Dezember 2004 (BGBl I S 3220) in die Prozessordnungen eingefügten Vorschriften folgt dies jedoch nicht. Der Begriff „Endentscheidung“ findet sich vielmehr an anderer Stelle nur im Zusammenhang mit Hauptsacheentscheidungen (beispielsweise in der Zivilprozessordnung - ZPO - §§ 30, 301, 321; siehe auch §94 Patentgesetz ua), der Begriff „vorausgehende Entscheidung“ nirgends.
Auch aus dem Beschluss des BVerfG vom 30. April 2003 (aaO) kann nicht hergeleitet werden, dass PKH-Entscheidungen einer Anhörungsrüge zugänglich sein sollen. Das mit der Anhörungsrüge geltend zu machende weitere Vorbringen kann bei rechtskräftig abgelehnten PKH-Anträgen im Rahmen des unabhängig davon weiter anhängigen Hauptsacheverfahrens in den Rechtsstreit eingeführt werden, so dass dem Justizgewährungsanspruch hinreichend Rechnung getragen wird (vgl hierzu Orientierungssatz 2b. des Beschlusses des BVerfG vom 30. April 2003 (aaO).
Unabhängig davon ist die Anhörungsrüge auch deswegen unzulässig, weil die Antragsteller nicht formgerecht (§178a Abs. 2 Satz 6 SGG) dargelegt haben, dass der Senat den Anspruch auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat.In der Begründung einer Anhörungsrüge ist schlüssig auszuführen, inwiefern der behauptete Verstoß des Gerichts sich auf dessen Entscheidung ausgewirkt haben kann, der Anhörungsfehler für die Entscheidung also rechtlich kausal gewesen sein soll (BSG Beschluss vom 16.Februar 2006 - B 9 aV 47/05B -, zur Veröffentlichung in SozR 4 vorgesehen). Das ist hier nicht hinreichend geschehen.
Mit dem Schriftsatz vom 20. Juni 2006 hat der Prozessbevollmächtigte der Antragsteller im Wesentlichen unter Hinweis auf Rechtsprechung anderer Gerichte und Senate des LSG darzulegen versucht, dass die hier streitige PKH-Entscheidung an Rechtsfehlern leidet. Diese Einwände richten sich gegen die inhaltliche Richtigkeit des Senatsbeschlusses. Ein derartiges Anliegen ist im Rahmen der Anhörungsrüge nicht statthaft. Dadurch kann das hinter §178 a SGG stehende Ziel nicht erreicht werden, die belastende Entscheidung zugunsten der Betroffenen deswegen zu ändern, weil entscheidungserhebliches Vorbringen nicht zur Kenntnis genommen worden ist. Aus der (vom Prozessbevollmächtigten behaupteten) Abweichung von der Spruchpraxis anderer Gerichte folgt im Übrigen weder ein Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz noch handelt es sich in einem solchen Fall um eine Überraschungsentscheidung.
Soweit in dem Schriftsatz vom 20. Juni 2006 behauptet werden soll, der Senat habe einen früheren Schriftsatz vom 3.April 2006 nicht zur Kenntnis genommen, ist dies unzutreffend. So setzt sich der hier streitige Beschluss vom 6.Juni 2006 ausdrücklich mit der im Schriftsatz vom 20. Juni 2006 angeführten Entscheidung des 9.Senats ( - L 9 AS 1/06ER - ) auseinander. Den Anforderungen des §178a SGG an die Darlegungslast, inwiefern der Anhörungsfehler für die Entscheidung rechtlich kausal gewesen sein kann, wäre allenfalls dann Rechnung getragen, wenn in dem Schriftsatz vom 3.April 2006 auf den Einzelfall bezogene Ausführungen zum Vorliegen eines Anordnungsgrundes gemacht worden wären. Tatsächlich hat sich dieser Schriftsatz auf die Wiedergabe von Rechtsansichten zu der Frage beschränkt, wann die Glaubhaftmachung eines Anordnungsgrundes entbehrlich ist, obwohl der Prozessbevollmächtigte der Antragsteller sowohl vom SG als auch vom Berichterstatter darauf hingewiesen worden war, dass im vorliegenden Fall Ausführungen zum Anordnungsgrund erforderlich sind.
Außergerichtliche Kosten sind in entsprechender Anwendung des § 193 SGG nicht zu erstatten.
Der Beschluss ist gemäß §178 a Abs. 4 Satz 3 SGG unanfechtbar.