Verwaltungsgericht Lüneburg
Beschl. v. 12.06.2020, Az.: 1 B 33/20
Antrag auf Neuerteilung der Fahrerlaubnis; Fahrerlaubnisentziehung; Rechtskraft
Bibliographie
- Gericht
- VG Lüneburg
- Datum
- 12.06.2020
- Aktenzeichen
- 1 B 33/20
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2020, 72025
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 20 Abs 4 FeV
- § 4 Abs 10 StVG
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Die Anordnung der aufschiebenden Wirkung einer Klage gegen die Entziehung einer Fahrerlaubnis ist nicht allein deshalb gerechtfertigt, weil die Fahrerlaubnisbehörde es ablehnt, einen vor Eintritt der Rechtskraft der Fahrerlaubnisentziehung gestellten Antrag auf Neuerteilung der Fahrerlaubnis zu bearbeiten.
Gründe
I.
Der Antragsteller begehrt vorläufigen Rechtsschutz gegen die Entziehung seiner Fahrerlaubnis.
Der Antragsgegner entzog dem Antragsteller durch Bescheid vom 8. November 2019 die Fahrerlaubnis für alle Klassen. Zur Begründung führte er zusammengefasst aus: Der Antragsteller sei zum Führen von Kraftfahrzeugen ungeeignet, weil im Fahreignungsregister Zuwiderhandlungen eingetragen seien, die mit acht Punkte zu bewerten seien. Er - der Antragsteller - sei vor der Entziehung der Fahrerlaubnis auch ermahnt und nachfolgend verwarnt worden.
Gegen diesen Bescheid hat der Antragsteller am 11. November 2019 Klage erhoben (1 A 98/19) und um vorläufigen Rechtsschutz nachgesucht.
Die Kammer hat den Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gegen die Entziehung der Fahrerlaubnis durch Beschluss vom 23. Dezember 2019 - 1 B 39/19 - abgelehnt und dabei maßgeblich darauf abgestellt, dass der angefochtene Bescheid im maßgeblichen Zeitpunkt seines Erlasses rechtmäßig ergangen sei. Hinsichtlich der Begründung im Einzelnen wird auf die Gründe dieses Beschlusses verwiesen.
Das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht - 12. Senat - hat die dagegen erhobene Beschwerde des Antragstellers durch Beschluss vom 3. März 2020 - 12 ME 6/20 - zurückgewiesen.
Am 10. Juni 2020 hat der Antragsteller erneut um vorläufigen Rechtsschutz gegen die Entziehung seiner Fahrerlaubnis nachgesucht. Zur Begründung macht er im Wesentlichen geltend: Er habe parallel zum Klageverfahren gegen die Entziehung der Fahrerlaubnis beim Antragsgegner einen Antrag auf Neuerteilung der Fahrerlaubnis gestellt. Indem der Antragsgegner aber die Bearbeitung seines - des Antragstellers - Antrags auf Neuerteilung einer Fahrerlaubnis zu Unrecht verweigere, versuche dieser ihn zur Rücknahme der Klage (gegen die Entziehung der Fahrerlaubnis) zu zwingen. Erst danach sei der Antragsgegner bereit, den Antrag auf Neuerteilung der Fahrerlaubnis zu bearbeiten und zu bescheiden. Da eine Entscheidung über diese Klage noch nicht vorliege, wäre er faktisch zur Klagerücknahme gezwungen, um zeitnah eine neue Fahrerlaubnis zu erhalten. Eine gesetzliche Grundlage für ein solches Vorgehen sei jedoch nicht gegeben. Nach Ablauf der Sperrfrist von sechs Monaten sei die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.
Der Antragsteller beantragt,
die sofortige Vollziehung der Fahrerlaubnisentziehungsverfügung des Antragsgegners vom 8. November 2019 auszusetzen und die aufschiebende Wirkung herzustellen.
II.
Der (erneute) Antrag des Antragstellers auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gegen die Entziehung seiner Fahrerlaubnis ist gemäß § 122 Abs. 1, § 88 VwGO sachgerecht als Antrag nach § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO auszulegen, den vorläufigen Rechtsschutz versagenden Beschluss der Kammer vom 23. Dezember 2019 - 1 B 39/19 - zu ändern und die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Entziehung der Fahrerlaubnis wiederherzustellen.
Der so verstandene Antrag des Antragstellers bleibt ohne Erfolg. Über diesen Antrag entscheidet der Einzelrichter als Gericht in der Hauptsache (vgl. Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand: Juli 2019, § 80 Rn. 487; Bader/Funke-Kaiser/Stuhlfauth/von Albedyl, VwGO, 7. Aufl. 2018, § 6 Rn. 14, § 80 Rn. 85; Kopp/Schenke, VwGO, 24. Aufl. 2018, § 80 Rn. 142; a. A. Eyermann, VwGO 15. Aufl. 2019, § 80 Rn. 80), weil der Rechtsstreit in der Hauptsache durch Beschluss der Kammer vom 9. März 2020 - 1 A 98/19 - dem Berichterstatter zur Entscheidung als Einzelrichter übertragen worden ist.
Gemäß § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO kann jeder Beteiligte die Änderung oder Aufhebung eines Beschlusses über einen Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO wegen veränderter Umstände beantragen. Daneben kann das Gericht der Hauptsache nach § 80 Abs. 7 Satz 1 VwGO jederzeit von Amts wegen einen Beschluss über die Anordnung oder Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ändern oder aufheben. Insoweit ist der Antrag des Antragstellers gleichzeitig als Anregung an das Gericht zu verstehen, den Beschluss der Kammer vom 23. Dezember 2019 von Amts wegen zu ändern.
Dabei dient das Verfahren nach § 80 Abs. 7 VwGO nicht in der Art eines Rechtsmittelverfahrens der Überprüfung, ob die vorangegangene Entscheidung formell und materiell richtig ist. Es eröffnet vielmehr die Möglichkeit, einer nachträglichen Änderung der Sach- und Rechtslage Rechnung zu tragen. Prüfungsmaßstab für die Entscheidung ist daher allein, ob nach der jetzigen Sach- und Rechtslage die Anordnung oder Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage geboten ist (vgl. BVerwG, Beschl. v. 10.3.2011 - 8 VR 2/11 -, juris Rn. 8).
Das ist hier nicht der Fall.
Unverändert überwiegt das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung der Entziehung der Fahrerlaubnis des Antragstellers dessen Interesse, hiervon verschont zu bleiben. Die gegen die Entziehung der Fahrerlaubnis gerichtete Klage wird ohne Erfolg bleiben, weil der angefochtene Bescheid rechtmäßig erging. Der Antragsgegner entzog dem Antragsteller zu Recht die Fahrerlaubnis nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 StVG. Maßgeblich für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer Fahrerlaubnisentziehung ist die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung (st. Rspr. BVerwG, Urt. vom 26.1.2017 - 2 C 21/15 -, juris Rn. 11 m. w. N.). Zur Begründung im Einzelnen verweist der Einzelrichter auf die Beschlüsse der Kammer vom 23. Dezember 2019 - 1 B 39/19 - und des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts - 12. Senat - vom 3. März 2020 - 12 ME 6/20 -.
Das vom Antragsteller für seinen jetzigen Antrag vorgetragene Vorbringen rechtfertigt eine Änderung des vorläufigen Rechtsschutz versagenden Beschlusses der Kammer nicht. Die angeführte Weigerung des Antragsgegners, einen Antrag des Antragstellers auf Neuerteilung einer Fahrerlaubnis vor rechtskräftigem Abschluss des Verfahrens auf Entziehung der Fahrerlaubnis nicht zu bearbeiten, berührt schon in der Sache nicht die Frage der Geeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen und damit die Rechtmäßigkeit der Entziehung der Fahrerlaubnis. Unabhängig davon sind diese Umstände erst nach Erlass dieser Verfügung eingetreten. Sie sind daher mit Blick auf den maßgeblichen Zeitpunkt für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Fahrerlaubnisentziehung auch in zeitlicher Hinsicht nicht entscheidungserheblich.
Zur Vermeidung weiterer Rechtsstreitigkeiten zwischen den Beteiligten merkt der Einzelrichter an, dass den Regelungen in § 4 Abs. 10 StVG und § 20 Abs. 4 FeV nicht zu entnehmen ist, dass vor Eintritt der Rechtskraft einer Fahrerlaubnisentziehung ein Verfahren auf Neuerteilung der Fahrerlaubnis nicht eingeleitet werden kann. Den genannten Vorschriften kann ein Antragshindernis allein in zeitlicher Hinsicht entnommen werden. Ein Antragsteller kann mit Blick auf die Gesamtdauer eines gegebenenfalls über mehrere Instanzen geführten verwaltungsgerichtlichen Verfahrens und unter Berücksichtigung dessen, dass währenddessen regelmäßig die Sperrfrist aufgrund der Fahrerlaubnisentziehung abgelaufen ist, ein berechtigtes Interesse daran haben, dass bei Vorliegen der Voraussetzungen die Fahrerlaubnis zeitnah neu erteilt wird. So soll gerade durch die Regelung in § 20 Abs. 4 FeV ermöglicht werden, bereits vor Ablauf der Sperrfrist eine Wiedererteilung der Fahrerlaubnis zu beantragen. Damit soll dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Rechnung tragen werden (vgl. Freymann/Wellner, Straßenverkehrsrecht, Stand: 2019, § 20 FeV Rn. 41). Lediglich in zeitlicher Hinweis sieht § 20 Abs. 4 FeV eine Antragssperre vor, dass nicht früher als sechs Monate vor Ablauf der Sperrfrist die Wiedererteilung der Fahrerlaubnis beantragt werden kann. Insoweit knüpft diese Fristbestimmung nicht an den Eintritt der Rechtskraft der Entziehung der Fahrerlaubnis an. Hiervon ist die Frage zu unterscheiden, ob eine Fahrerlaubnis bereits vor Eintritt der Rechtskraft einer Fahrerlaubnisentziehung neu erteilt werden kann. Bejahendenfalls wäre es möglich, dass bei Neuerteilung einer Fahrerlaubnis und einer nachfolgenden Aufhebung einer früheren Fahrerlaubnisentziehung der Betroffene über mehrere Fahrerlaubnisse (gleicher Klassen) verfügt. Die Erteilung mehrerer inhaltsgleicher Fahrerlaubnisse ist im Straßenverkehrsgesetz und in der Fahrerlaubnisverordnung aber nicht vorgesehen.
Der Kläger hat die Kosten des Abänderungsverfahrens nach § 154 Abs. 1 VwGO zu tragen.
Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf §§ 52 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG und orientiert sich an dem Streitwert des dem Änderungsverfahren zugrunde liegenden Verfahrens (vgl. Niedersächsisches OVG, Beschl. v. 26.11.2019 - 12 ME 197/19 -, juris Rn. 13).