Verwaltungsgericht Hannover
Beschl. v. 02.10.2006, Az.: 6 B 6299/06
Andauern; Erziehungsberechtigter; Förderschulüberweisung; Gesetzesvorbehalt; Schule; Schüler; sonderpädagogischer Förderbedarf; Änderung
Bibliographie
- Gericht
- VG Hannover
- Datum
- 02.10.2006
- Aktenzeichen
- 6 B 6299/06
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2006, 53359
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- Art 20 Abs 3 GG
- Art 6 Abs 2 S 1 GG
- § 68 Abs 1 SchulG ND
- § 2 SonderPädV ND
- § 1 SonderPädV ND
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
1. Für die Überprüfung des Andauerns eines sonderpädagogischen Förderbedarfs muss ein gesetzlich geregeltes Verfahren vorgesehen sein, in dem die Erziehungsberechtigten an der Entscheidungsfindung der Schulbehörde beteiligt werden und ihr Grundrecht aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG zur Geltung bringen können.
2. Für Schülerinnen und Schüler, die bereits sonderpädagogische Förderung erhalten, ist eine erneute Feststellung sonderpädagogischen Förderbedarfs nach Maßgabe der VO-SF durchzuführen, sobald deren persönliche Entwicklung oder neue Erkenntnisse es ernsthaft möglich erscheinen lassen, dass sich der einmal festgestellte sonderpädagogische Förderbedarf in seinem Umfang und seiner Art verändert hat. Entsprechendes gilt, wenn ein Schulformwechsel ansteht, der noch nicht Gegenstand der im Verfahren nach der VO-SF getroffenen Feststellungen war.
Gründe
I.
Der am X.X. 1995 in P. geborene Antragsteller wurde im Schuljahr 2002/2003 nach vorangegangener Zurückstellung vom Schulbesuch und Besuch des Schulkindergartens in die Grundschule Y.-Schule in Hannover eingeschult. Im Schuljahr 2003/2004 beschloss die Klassenkonferenz der Y.-Schule das Verfahren zur Feststellung eines sonderpädagogischen Förderbedarfs des Antragstellers wegen der in der Schule beobachteten Auffälligkeiten im Sozialverhalten des Jungen. Das daraufhin eingeholte Beratungsgutachten der E. Schule, einer Förderschule mit dem Schwerpunkt soziale und emotionale Entwicklung in freier Trägerschaft, vom 16. April 2004 kam zu dem Ergebnis, dass ein besonderer Förderbedarf des Schülers im Bereich der Erziehungshilfe (jetzt: soziale und emotionale Entwicklung) nicht vorlag; vielmehr beruhten die Verhaltensauffälligkeiten des Antragstellers nach der Einschätzung des Gutachters auf ständiger Überforderung im Unterricht und Stigmatisierung an der Grundschule Y.-Schule. Zusammenfassend kam das Gutachten zu dem Ergebnis, dass der Antragsteller wegen seiner großen Lernrückstände und seines langsamen Lerntempos eine kleine Lerngruppe und damit eine Förderung im Bereich der Lernhilfe benötigte.
Die (ehemalige) Bezirksregierung Hannover folgte dem Vorschlag der Förderkommission und stellte mit Bescheid vom 28. Mai 2004 bei dem Antragsteller einen sonderpädagogischen Förderbedarf im Bereich der Lernhilfe fest, der mit einer integrativen Beschulung gedeckt werden könne. Aufgrund der in dem Bescheid getroffenen Beschulungsregelung besuchte der Antragsteller seit dem Schuljahr 2004/2005 die Grundschule F., wo er, zuletzt der Klasse 4c, zieldifferent nach den Richtlinien der Förderschule mit dem Schwerpunkt Lernen unterrichtet worden ist.
Am 20. Mai 2006 fertigte die den Antragsteller im Rahmen des mobilen Dienstes der G. -Schule, einer Förderschule mit dem Schwerpunkt Lernen, fördernde Förderschullehrkraft ein Kurzgutachten an. Das Kurzgutachten kam zu dem Ergebnis, dass bei dem Antragsteller weiterhin ein umfassender sonderpädagogischer Förderbedarf im Bereich des Lernens bestehe. Der Antragsteller zeige insbesondere aufgrund seiner massiven Schwierigkeiten im Lern- und Arbeitsverhalten nur sehr kleine und langsame Lernfortschritte in allen Lernbereichen und sei auf intensive personelle Zuwendung und Förderung angewiesen. Darüber hinaus benötige der Junge weiterhin im sozial-emotionalen Bereich unterstützende Maßnahmen.
Anschließend bat der Schulleiter der Grundschule F. die G. -Schule um die Anfertigung eines Beratungsgutachtens, dass bisher nicht erstellt worden ist.
Vielmehr überwies die Antragsgegnerin den Antragsteller mit Bescheid vom 28. Juni 2006 mit Beginn des Schuljahres 2006/2007 in die G. -Schule als Förderschule mit dem Schwerpunkt Sprache. Zur Begründung führte die Antragsgegnerin aus, dass nach dem sonderpädagogischen Kurzgutachten vom 20. Mai 2006 weiterhin ein sonderpädagogischer Förderbedarf des Antragstellers im Bereich des Lernens bestehe. Die notwendige sonderpädagogische Förderung des Antragstellers könne nicht an einer anderen Schule gewährleistet werden, was die Antragsgegnerin in dem Bescheid nicht näher begründete.
Die allein erziehungsberechtigte Mutter des Antragstellers hat am 27. Juli 2006 im Hauptsacheverfahren 6 A 4547/06 gegen den Bescheid vom 28. Juni 2006 Klage erhoben. Sie hat diese Klage mit Schriftsatz ihres Prozessbevollmächtigten vom 25. September 2006 dahingehend geändert, dass Kläger jenes Verfahrens ihr Sohn, der Antragsteller des vorliegenden Verfahrens, ist. Nachdem die Antragsgegnerin unter dem 30. August 2006 schriftlich die sofortige Vollziehung der Förderschulüberweisung angeordnet hatte, hat der Antragsteller im vorliegenden Verfahren um vorläufigen Rechtsschutz nachgesucht.
Der Antragsteller macht geltend, der Bescheid vom 28. Juni 2006 sei rechtswidrig, weil die Antragsgegnerin bei der Überprüfung des sonderpädagogischen Förderbedarfs nicht das in der Verordnung zur Feststellung sonderpädagogischen Förderbedarfs (VO-SF) vorgeschriebene Verfahren eingehalten habe. Außerdem trage das eingeholte sonderpädagogische Kurzgutachten die getroffenen Feststellungen über ein Fortbestehen des sonderpädagogischen Förderbedarfs nicht. Die darin getroffenen Feststellungen könnten nur einen besonderen Förderbedarf im Bereich des sozialen Verhaltens, aber nicht im Bereich des Lernens begründen. Vielmehr werde in dem Kurzgutachten festgehalten, dass er, der Antragsteller, das Lesen, Schreiben und die Mathematik mit einigen wenigen Unsicherheiten beherrsche und dass diese Unsicherheiten zurückgingen. Aus dem ihm erteilten Zeugnis der Klasse 4 ergebe sich, dass sein nicht den Erwartungen entsprechendes Arbeitsverhalten nicht zu einer Beeinträchtigung der Lernziele führe. Vielmehr lasse sich den Zeugnissen bei den Lernständen ein positiver Trend entnehmen.
Der Antragsteller beantragt,
die aufschiebende Wirkung seiner Klage gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 28. Juni 2006 wiederherzustellen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Die Antragsgegnerin vertritt die Auffassung, das sonderpädagogische Kurzgutachten vom 20. Mai 2006 lasse sehr deutlich erkennen, dass weiterhin ein sonderpädagogischer Förderbedarf im Bereich des Lernens bestehe, so dass es eines erneuten Feststellungsverfahrens trotz des zwischenzeitlich eingetretenen Zeitablaufs von zwei Jahren nicht bedürfe. Die Klassenkonferenz der Klasse 4c habe ausweislich des Konferenzprotokolls vom 14. Juni 2006 eine ausreichende Überprüfung des sonderpädagogischen Förderbedarfs vorgenommen, wobei ausweislich der Anlage zum Protokoll der Fall des Antragstellers ausführlich dargestellt und erörtert worden sei.
II.
Der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage ist gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1, 2. Alt. i.V.m. Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO zulässig. .....
Der Antrag ist auch begründet.
Im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO trifft das Gericht eine Abwägung zwischen dem Interesse des Antragstellers, vorläufig von den Wirkungen des angefochtenen Verwaltungsaktes verschont zu bleiben, und dem Interesse an der sofortigen Vollziehung dieses Verwaltungsaktes. Dabei darf das Verwaltungsgericht die absehbaren Erfolgsaussichten des in der Hauptsache eingelegten Rechtsbehelfs berücksichtigen. Bestehen nach dieser summarischen Prüfung ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes, ist dem Antrag stattzugeben, da nach den Art. 19 Abs. 4 und 20 Abs. 3 Grundgesetz (GG) ein überwiegendes Interesse an der sofortigen Vollziehung eines offensichtlich rechtswidrigen Verwaltungsaktes nicht vorliegen kann (vgl. § 80 Abs. 4 Satz 3 VwGO).
Es bestehen ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der mit dem Bescheid der Antragsgegnerin vom 28. Juni 2006 verfügten Überweisung des Schülers in die darin genannte Förderschule mit dem Schwerpunkt Lernen.
Rechtsgrundlage für eine Überweisung in die genannte Förderschule ist § 68 Abs. 2 Satz 1 Niedersächsisches Schulgesetz (NSchG). Danach entscheidet die Schulbehörde, ob wegen den Vorliegens eines sonderpädagogischen Förderbedarfs (§ 14 Abs. 1 Satz 2 NSchG) nach § 68 Abs. 1 Satz 1 NSchG eine Verpflichtung der Schülerin oder des Schülers zum Besuch der geeigneten Förderschule besteht, welche Förderschule zu besuchen ist und ob die notwendige Förderung auch in einer Schule einer anderen Schulform gewährleistet ist. Im Rahmen dieser Entscheidung ist die Forderung des Gesetzgebers in § 4 NSchG zu berücksichtigen, wonach Schülerinnen und Schüler, die einer sonderpädagogischen Förderung bedürfen, an allen Schulen gemeinsam mit anderen Schülerinnen und Schülern erzogen und unterrichtet werden sollen, wenn auf diese Weise dem individuellen Förderbedarf der Schülerinnen und Schüler entsprochen werden kann und soweit es die organisatorischen, personellen und sächlichen Gegebenheiten erlauben.
Die im Hauptsacheverfahren angefochtene Entscheidung der Antragsgegnerin, dass der Antragsteller zum Zweck seiner sonderpädagogischen Förderung eine Förderschule zu besuchen hat, ist nach dem gegenwärtigen Sachstand rechtswidrig, weil die Antragsgegnerin keinerlei Gründe dafür angegeben hat, dass und warum der Antragsteller seine Schullaufbahn nicht im Rahmen einer solchen integrativen Beschulung an einer Regelschule des Sekundarbereichs I fortsetzen kann. In den vergangenen beiden Schuljahren ist der Antragsteller als im Sinne von § 4 NSchG integrationsgeeignet angesehen und im Einvernehmen mit seiner erziehungsberechtigten Mutter (Protokoll der Förderkommission vom 13.5.2004, Bl. 51, 52 Beiakte A) zieldifferent unterrichtet worden. Auch lässt sich der Begründung der im Hauptsacheverfahren erhobenen Klage nichts dafür entnehmen, dass die Mutter des Klägers grundsätzlich das Vorliegen eines sonderpädagogischen Förderbedarfs ihres Sohnes bestreitet. Vielmehr geht es ihr ersichtlich um die Rechtmäßigkeit des Feststellungsverfahrens und die Richtigkeit des dabei erzielten Ergebnisses hinsichtlich der Art und der Bedeutung eines in der Antragsbegründung hervorgehobenen Förderbedarfs ihres Sohnes im Bereich seiner sozialen Entwicklung.
Unter diesen Umständen trifft die Antragsgegnerin nach den verfahrensrechtlichen Vorgaben, die das Bundesverfassungsgericht den Schulbehörden in seinem Beschluss vom 8. Oktober 1997 - 1 BvR 9/97 - (BVerfGE 96, 288 ff. = DVBl. 1998 S. 131, 134) zum Verbot der Benachteiligung Behinderter gemacht hat, eine gesteigerte Begründungpflicht. Die Begründung der Förderschulüberweisung muss danach substantiiert erkennen lassen, dass und warum sich aus individuellen Gründen oder wegen organisatorischer, personeller oder sächlicher Schwierigkeiten eine integrative Beschulung des Kindes nicht ermöglichen lässt. Diese gesteigerte Begründungspflicht besteht nicht nur in den Fällen der Förderschulüberweisung von körperlich oder geistig Behinderten, sondern auch dann, wenn der sonderpädagogische Förderbedarf durch die Folgen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Beeinträchtigung ausgelöst wird (BVerfG, a.a.O.). Dass dieses bei dem Antragsteller der Fall ist, lässt sich schon deshalb nicht ausschließen, weil bisher keine Feststellungen zu der Ursache der das Lernverhalten des Antragstellers beeinflussenden Verhaltensauffälligkeiten vorliegen.
Der Bescheid der Antragsgegnerin vom 28. Juni 2006 stellt aber nur fest, dass die sonderpädagogische Förderung des Antragstellers nicht an einer anderen Schule gewährleistet werden könne, ohne dass er insoweit eine substanzielle Begründung enthielte. Das in dem Bescheid in Bezug genommene sonderpädagogische Kurzgutachten, von dem nicht bekannt ist, ob es der Erziehungsberechtigten des Antragstellers zugänglich gemacht worden ist, verhält sich zur Frage einer (weiteren) Integrationsfähigkeit und -möglichkeit an einer weiterführenden Schule ebenfalls nicht. Dasselbe gilt für die Erwägungen der Klassenkonferenz vom 14. Juni 2006, die sich offensichtlich nur mit dem Fortbestehen eines sonderpädagogischen Förderbedarfs, nicht aber mit dessen zukünftiger Deckung befasst hat.
Der Bescheid der Antragsgegnerin vom 28. Juni 2006 ist ferner offensichtlich rechtswidrig, weil die Antragsgegnerin das der Förderschulüberweisung vorangehende Verfahren nicht eingehalten hat. Der Antragsteller rügt zu Recht, dass die Antragsgegnerin vor der erneuten Feststellung eines sonderpädagogischen Förderbedarfs im Bereich des Lernens und der Überweisung des Antragstellers an eine Förderschule verpflichtet gewesen wäre, das in § 2 VO-SF vorgeschriebene Feststellungsverfahren durchzuführen und die in diesem Verfahren getroffenen Feststellungen, Bewertungen und Empfehlungen nach § 3 VO-SF zur Grundlage ihrer Entscheidung zu machen.
Die Kammer nimmt auf die Gründe des von den Beteiligten zitierten Beschlusses des Einzelrichters vom 29. August 2006 im Verfahren 6 B 3734/06 Bezug und weist darauf hin, dass das NSchG und die nach § 60 Abs. 1 NSchG erlassene VO-SF keine ausdrücklichen Regelungen dazu enthalten, wann, unter welchen Voraussetzungen und in welchem Verfahren die einmal getroffene Feststellung eines sonderpädagogischen Förderbedarfs sowie die daran anknüpfende Beschulungsentscheidung der Schulbehörde in einem Verwaltungsverfahren zu überprüfen sind. Dies begegnet vor dem Hintergrund des in Art. 20 Abs. 3 Grundgesetz (GG) verankerten Grundsatzes vom Vorbehalt des Gesetzes durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken. Das Prinzip der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung verpflichtet den Gesetzgeber, im Bereich der Grundrechtsausübung die der staatlichen Gestaltung offenliegende Rechtssphäre selbst abzugrenzen und nicht dem Ermessen der Verwaltungsbehörde zu überlassen. Das gilt auch für die Regelung der wesentlichen Rechtsgrundsätze, nach denen sich die Abgrenzung zwischen dem staatlichen Bildungsauftrag aus Art. 7 Abs. 1 GG und dem Erziehungsrecht der Eltern aus Art. 6 Abs. 2 GG in Bezug auf die Wahl der Schullaufbahn eines Kindes vollziehen soll (vgl. BVerfGE 34, 165, 192 = NJW 1973 S. 133 ff.). Auch bei der Entscheidung, welchen schulischen Werdegang ein Kind nehmen soll, genießt weder die verfassungsrechtliche Zuweisung des Bildungsauftrags an den Staat in Art. 7 Abs. 1 GG noch das Grundrecht der Eltern aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG auf Pflege und Erziehung ihrer Kinder von vornherein einen Vorrang. Das bedingt nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 34, 165 ff. [BVerfG 06.12.1972 - 1 BvR 95/71], BVerfGE 96, 288 ff.), dass die Schulgesetze hinsichtlich der für die Schullaufbahn bedeutsamen Einstufung von Kindern Verfahren vorsehen müssen, in denen die Erziehungsberechtigten der Schülerinnen und Schülern an der Entscheidungsfindung beteiligt werden und ihr Grundrecht aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG zur Geltung bringen können. Diese von Verfassung wegen geforderte Rücksichtnahme der Schulverwaltung auf die Bildungsvorstellungen der Eltern gewährleistet das von einer Objektivierung der Feststellungen und einer Beteiligung der Eltern geprägte Verfahren nach der VO-SF (BVerfGE 96, 288 ff. = NJW 1998 S. 131 [BVerfG 08.10.1997 - 1 BvR 9/97] [133 f.]).
Dieses Verfahren ist aber nach § 1 Nr. 1 VO-SF nur vorgesehen, wenn die erstmalige Feststellung eines sonderpädagogischen Förderbedarfs getroffen werden soll, obwohl die allgemeine gesetzliche Regelung des § 68 Abs. 1 und 2 NSchG insoweit nicht zwischen erstmaliger und wiederholter Feststellung des sonderpädagogischen Förderbedarfs unterscheidet. Ergänzend sieht die VO-SF in § 1 Nr. 2 eine (nochmalige) Feststellung des sonderpädagogischen Förderbedarfs nur dann vor, wenn eine bereits eingeleitete sonderpädagogische Förderung nicht mehr als ausreichend erscheint. Für den Fall, dass Anlass besteht, die einmal getroffene Feststellung eines sonderpädagogischen Förderbedarfs und die daran anknüpfende Beschulungsregelung zu überprüfen, weil entweder der Förderbedarf entfallen sein oder sich verändert haben könnte, sieht § 1 VO-SF ein Verfahren nicht vor. Vielmehr ist die Überprüfung in diesen Fällen ausschließlich nach Maßgabe einer Verwaltungsvorschrift in Nr. 17 der Ergänzenden Bestimmungen zur VO-SF (Erlass des MK vom 6.11.1997, SVBl. S. 385, - Erg. Best. VO-SF -) vorgesehen. Findet, wie im Fall des Antragstellers, nach erfolgter Feststellung eines sonderpädagogischen Förderbedarfs die sonderpädagogische Förderung des Kindes im Rahmen einer integrativen Beschulung an der Regelschule statt, bestimmt Nr. 17 der Erg. Best. VO-SF lediglich, dass die sonderpädagogische Förderung von der Klassenkonferenz spätestens alle zwei Jahre daraufhin zu überprüfen ist, ob sie weiterhin notwendig ist. Außerdem ist über das Ergebnis dieser Überprüfung der Schulbehörde zu berichten. Ein durch Rechtsnorm vorgeschriebenes Verfahren, in welchem die widerstreitenden Interessen der Schulbehörde einerseits und der Eltern andererseits im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (a.a.O.) ausgeglichen werden könnten, ist dagegen nicht vorgesehen.
Vielmehr ist den Schulen und Schulbehörden nur durch Nr. 2 der Erg. Best. VO-SF vorgeschrieben, eine erneute Feststellung sonderpädagogischen Förderbedarfs bei Schülerinnen und Schülern, die bereits Förderung aufgrund einer solchen Feststellung erhalten, durchzuführen, wenn die persönliche Entwicklung und neue Erkenntnisse sonderpädagogische Förderung in verändertem Umfang oder Beeinträchtigungen in unterschiedlichen Bereichen eine differenzierte Förderung in anderen Schulformen gem. § 5 Abs. 2 NSchG oder in anderen Sonderschultypen gem. Nr. 8.1 der Ergänzenden Bestimmungen zur Schulpflicht und zum Rechtsverhältnis zur Schule vom 29. 8. 1995 (SVBl. S. 223) notwendig erscheinen lassen.
Wie das Verwaltungsgericht bereits im Beschluss vom 29. August 2006 - 6 B 3734/06 - ausgeführt hat, macht es die Bedeutung dieser Vorschriften zur Gewährleistung eines verfassungskonformen Überprüfungsverfahrens erforderlich, dass die verfahrensrechtlichen Regelungen über die erstmalige Feststellung eines sonderpädagogischen Förderbedarfs angewandt werden, sobald die persönliche Entwicklung und neue Erkenntnisse es ernsthaft möglich erscheinen lassen, dass sich der einmal festgestellte sonderpädagogische Förderbedarf in seinem Umfang und seiner Art verändert haben könnte oder aber ein Schulformwechsel ansteht, der noch nicht Gegenstand der im Verfahren nach der VO-SF getroffenen Feststellungen war.
Das gilt auch für die Überprüfung des sonderpädagogischen Förderbedarfs des Antragstellers.
Seit der Feststellung des sonderpädagogischen Förderbedarfs sind zwei Jahre vergangen. Die Kammer hält daran fest, dass es sich dabei grundsätzlich um einen Zeitraum handelt, der angesichts des Fortschreitens der persönlichen Entwicklung eines Grundschulkindes in der Regel auch Veränderungen der Entwicklung im Lern- und Leistungsstand und bei dem Schwerpunkt eines Förderbedarfs mit sich bringen kann. Insbesondere stellt sich die Frage, ob und mit welcher Maßgabe sowie in welchem zeitlichem Umfang ein ehemaliger Grundschüler nach Übergang in eine Regelschule des Sekundarbereichs I so gefördert werden kann, dass seinem besonderen pädagogischen Förderbedarf im Bereich des Lernens Rechnung getragen wird. Hierzu verhält sich das sonderpädagogische Kurzgutachten vom 20. Mai 2006 nicht. Vielmehr kommt das Kurzgutachten nur zu dem Vorschlag, den Antragsteller an eine Förderschule mit dem Schwerpunkt Lernen zu überweisen, ohne Aussagen dazu zu treffen, dass nunmehr die individuellen Voraussetzungen für eine integrative Förderung nicht mehr gegeben wären. Schließlich verhalten sich weder das Gutachten noch der angefochtene Bescheid im Einzelnen zu der Frage, ob der Schwerpunkt eines besonderen pädagogischen Förderbedarfs des Antragstellers noch im Bereich des Lernens liegt oder jetzt möglicherweise im Bereich der emotionalen und sozialen Entwicklung zu suchen ist. Schließlich waren es die Auffälligkeiten des Antragstellers in seinem Sozialverhalten, welche die Grundschule im Jahre 2004 veranlassten, den sonderpädagogischen Förderbedarf feststellen zu lassen. Es kommt hinzu, dass in der Niederschrift der Klassenkonferenz der Klasse 3 c der Grundschule F. vom 31.Mai 2005 festgehalten worden ist, dass der Antragsteller zwar beim Lernen „ganz gute Fortschritte“ mache und seine integrative Beschulung gute Fortschritte mache, er aber in seinem Verhalten eine Gefahr für andere Schülerinnen und Schüler darstelle, wenn er nicht stets die Kontrolle durch die Lehrkräfte spüre. Zugleich folgt aus dem Konferenzprotokoll, dass der Antragsteller stets die Kontrolle der Lehrkräfte hinsichtlich seines Arbeitsverhaltens spüren müsse. Auch in dem Kurzgutachten vom 20. Mai 2006 wird festgehalten, dass der Antragsteller „massive Probleme im Arbeits- und Lernverhalten“ zeige und „grundsätzlich zur Arbeit angetrieben“ werden müsse. Auch diese Ausführungen machen deutlich, dass Anlass dazu bestehen dürfte, der Frage des Schwerpunkts des sonderpädagogischen Förderbedarfs des Antragstellers und der Art der notwendigen Förderung in einem neuen Feststellungsverfahren unter Beteiligung der Erziehungsberechtigten des Schülers nachzugehen.