Verwaltungsgericht Hannover
Beschl. v. 11.10.2006, Az.: 4 B 6836/06

Erteilung einer Baugenehmigung für die Neuerrichtung und den Betrieb eines Mobilfunksendemastes; Vorliegen unzumutbarer Lärmbelästigungen durch Änderungsarbeiten an einer genehmigten Bauanlage; Verschandelung des Ortsbildes durch einen Mobilfunkmast; Befürchtung einer gesundheitsgefährdenden Strahlenbelastung durch eine Mobilfunkanlage

Bibliographie

Gericht
VG Hannover
Datum
11.10.2006
Aktenzeichen
4 B 6836/06
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2006, 29856
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGHANNO:2006:1011.4B6836.06.0A

Verfahrensgegenstand

Anfechtung einer Baugenehmigung
Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO

In der Verwaltungsrechtssache
hat das Verwaltungsgericht Hannover - 4. Kammer -
am 11. Oktober 2006
beschlossen:

Tenor:

Der Antrag wird abgelehnt.

Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind erstattungsfähig.

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 5000 EUR festgesetzt.

Gründe

1

I.

Die Antragstellerin wendet sich gegen die der Beigeladenen erteilte Genehmigung für die Neuerrichtung und den Betrieb eines Mobilfunksendemastes.

2

Die Antragstellerin ist Eigentümerin eines mit einem Reihenhaus bebauten Grundstücks im Stadtgebiet der Antragsgegnerin. Westlich schließt sich ein Sportplatzgrundstück, an. Der Bebauungsplan Nr. ... der Antragsgegnerin weist dieses Grundstück als öffentliche Grünfläche mit der Zweckbestimmung Sportplatz aus. Unter dem 20.12.2005, ergänzt am 5.5.2006, erteilte die Antragsgegnerin der Beigeladenen unter Befreiung von den Festsetzungen des Bebauungsplanes eine Baugenehmigung für die Errichtung einer Mobilfunkmastes mit umzäunten Freiflächen für Technik auf dem Sportplatzgelände ca. 20m von der Südostecke des Vereinsheims entfernt. Die Anlage besteht aus einem ca. 35m hohen kombinierten Flutlicht- und Mobilfunkmast mit Antennen im Kopfbereich und einem Technikcontainer. Gemäß der Standortbescheinigung der Bundesnetzagentur vom 11.4.2005 ist ein standortbezogener Sicherheitsabstand zu der Anlage von 10,41m zu wahren . Der Mast soll zum Grundstück der Antragstellerin einen Mindestabstand von ca. 100m einhalten. Ursprünglich sollte der Mast mittels einer Rammrohrgründung aufgestellt werden. Zu diesem Zweck sollte ein Stahlrohr ca. 12m in den Boden gerammt werden. Dazu wurden eine statische Berechnung und ein Baugrundgutachten erstellt, die keine Gefährdungen für die Nachbarhäuser darlegten. Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die genehmigten Bauvorlagen verwiesen.

3

Nachdem Ende September 2006 bei den Rammarbeiten das Stahlrohr ca. 7m in den Erdboden getrieben worden war, traten Schäden an dem Haus der Antragstellerin des Parallelverfahrens 4 B 6849 / 06 sowie an weiteren Häusern auf, woraufhin die Rammarbeiten eingestellt wurden. Die Beigeladene plant nunmehr unter Verwendung des bereits teilweise eingerammten Rohres eine andere Gründung des Mastes ohne weitere Rammarbeiten, hat zu diesem Zweck einen Statiker beauftragt und strebt eine entsprechende Änderung der erteilten Baugenehmigung an.

4

Am 5.10.2006 hat die Antragstellerin um Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nachgesucht. Sie macht geltend, bei den Rammarbeiten sei es zu unzumutbaren Lärmbelästigungen gekommen. Der Mobilfunkmast werde das Ortsbild verschandeln; dabei ständen Alternativstandorte auf den umliegenden Äckern zur Verfügung. Von der installierten Mobilfunkanlage sei eine gesundheitsgefährdende Strahlenbelastung zu befürchten. Zudem würden die Grundstückspreise sinken.

5

Am 10.10.2006 erhob die Antragstellerin Widerspruch und wandte sich gegen die schon begonnenen Arbeiten am Sportplatz.

6

Sie beantragt sinngemäß,

die aufschiebende Wirkung ihres Widerspruchs vom 10.10.2006 gegen die Baugenehmigung vom 20.12.2005 anzuordnen.

7

Die Antragsgegnerin beantragt,

den Antrag abzulehnen.

8

Sie verteidigt die angefochtene Baugenehmigung. Die bei den Rammarbeiten aufgetretene Lärmbelästigung stelle ausschließlich eine zivilrechtliche Frage dar. Zwar sei ein Mobilfunkmast optisch gewöhnungsbedürftig, aber der Bewahrung einer guten Aussicht komme kein ausschlaggebendes Gewicht zu und es bestehe auch kein Anspruch auf die Beibehaltung eines bestimmten Ortsbildes. Was die mögliche Strahlenbelastung betreffe, so würden die Grenzwerte der 26. Verordnung zum BImSchG schon durch den großen Abstand des klägerischen Grundstücks zu dem Mast, der den erforderlichen Sicherheitsabstand um ein Mehrfaches übertreffe, bei weitem unterschritten. Eine etwaige Wertminderung des Grundstücks sei hinzunehmen und erreiche jedenfalls nicht die Grenzen einer Enteignung.

9

Die Beigeladene beantragt ebenfalls,

den Antrag abzulehnen.

10

Sie unterstützt das Vorbringen der Antragsgegnerin und macht ergänzend geltend, dass nach Abschluss der Rammarbeiten mit keinen weiteren Lärmbelästigungen mehr zu rechnen sei. Der Ersatz etwaiger Schäden an den Häusern in der Umgebung sei zivilrechtlich zu klären. Das Vorhaben sei nicht rücksichtslos und ihm komme keine erdrückende Wirkung zu. Mit den schon vorhandenen Flutlichtmasten seien bereits städtebauliche Hochpunkte vorhanden, weshalb ein Abstand von ca. 100m des Mastes zum Grundstück der Antragstellerin ausreichend sei.

11

Wegen des weiteren Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.

12

II.

Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes ist gemäß §§ 80 Abs. 6; 80a Abs. 3 S. 2 VwGO zulässig. Die Antragstellerin ist zumindest im Hinblick auf die von ihr befürchtete Belastung durch Strahlen sowie hinsichtlich der Wahrung des Gebietscharakters antragsbefugt. Nachdem sie am 10.10.2006 bei der Antragsgegnerin Widerspruch erhoben hat, kann dahinstehen, ob ein Antrag gemäß §§ 80; 80a VwGO auch schon vor Erhebung eines Rechtsbehelfs in der Hauptsache zulässig ist. Zwar ist über den in dem Schreiben der Antragstellerin vom 10.10.2006 zu erblickenden Antrag auf Aussetzung der Vollziehung gemäß §§ 80 Abs. 6 S. 1; 80a Abs. 3 S. 2 VwGO noch nicht entschieden worden; es wurde aber bereits mit der Errichtung des Mobilfunkmastes begonnen, was allgemein als Beginn der Vollstreckung i.S.d. § 80 Abs. 6 S. 2 VwGO angesehen wird.

13

Das Rechtsschutzbegehren hat aber in der Sache keinen Erfolg.

14

Nach §§ 80 Abs. 5 S. 1; 80a Abs. 3 S. 2 VwGO kann das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen, wenn das Interesse des Nachbarn, von der Vollziehung der angegriffenen Baugenehmigung verschont zu bleiben, das Interesse des Bauherrn an ihrer Ausnutzung überwiegt. Im Rahmen der vorzunehmenden Interessenabwägung ist das Risiko des Nachbarn, die Folgen der Verwirklichung der angegriffenen Maßnahme trotz möglichen späteren Erfolges in der Hauptsache dulden zu müssen, mit dem Risiko des Bauherrn abzuwägen, die Verwirklichung des Vorhabens trotz möglicher späterer Klageabweisung aufschieben zu müssen. Bei der zwischen beiden Folgeabschätzungen vorzunehmenden Abwägung spielt die Erfolgsaussicht des eingelegten Rechtsbehelfs in der Regel eine entscheidende Rolle. Bei der im vorläufigen Rechtsschutzverfahren gebotenen summarischen Prüfung lässt sich hier absehen, dass der von der Antragstellerin eingelegte Rechtsbehelf keinen Erfolg haben wird.

15

Die Anfechtung einer Baugenehmigung durch einen Nachbarn kann nur dann zum Erfolg führen, wenn die Genehmigung rechtswidrig ist und der Nachbar dadurch in seinen Rechten verletzt wird. Die Zulassung des Bauvorhabens durch die Bauaufsicht verletzt einen Nachbarn dann in seinen Rechten, wenn sie mit Vorschriften nicht vereinbar ist, die - zumindest auch - die Funktion haben, nachbarliche Rechte zu schützen. Das ist hier nicht der Fall; die Baugenehmigung verletzt derartig nachbarschützende Vorschriften nicht.

16

Was die von der Antragstellerin beklagten Lärmbelästigungen angeht, so handelt es sich um eine vorübergehende Beeinträchtigung, deren Unzumutbarkeit die Antragsgegnerin zudem nicht von vornherein einschätzen konnte. Zwar hat die Antragsgegnerin bei der Erteilung der Baugenehmigung ins Auge gefasst, dass die erforderliche Mastgründung mittels einer Ramme erfolgen wird. Ob aber dabei Beurteilungspegel, etwa nach der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum Schutz gegen Baulärm - Geräuschimmissionen - vom 19.08.1970 (Beil. zum BAnz. Nr. 160) - AAV-Baulärm - überschritten und damit die Anwohner unzumutbar belastet werden, war eine zu Beginn der Baumaßnahmen offene Frage. Im Übrigen ist absehbar, dass aus faktischen Gründen keine weiteren Rammarbeiten stattfinden werden. Wie die bisherigen Rammarbeiten gezeigt haben, ist der Untergrund für eine Rammgründung über eine Tiefe von 7m hinaus offenbar nicht geeignet, und die Beigeladene strebt eine Änderung der Baugenehmigung mit einer anderen Gründung unter Verzicht auf weitere Rammarbeiten an. Es ist nicht ersichtlich, dass im Hinblick auf die Rammarbeiten der Antragstellerin noch Beeinträchtigungen drohen, die mit einem Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes abgewehrt werden könnten.

17

Im Hinblick auf die an dem Haus der anderen Antragstellerin des Parallelverfahrens 4 B 6849/06 sowie an weiteren Häusern aufgetretenen Schäden kann zwar im Rahmen der im Eilverfahren gebotenen summarischen Prüfung nicht gänzlich ausgeschlossen werden, dass die Baugenehmigung Vorschriften des öffentlichen Baurechts nicht entspricht, soweit sie auch die Rammgründung zum Gegenstand der Genehmigung gemacht hat. Denn mit dem öffentlichen Baurecht stehen solche Baumaßnahmen nicht im Einklang, deren Ausführung zwingend und für einen verständigen Betrachter vorhersehbar Rechtsgüter der Nachbarn beschädigen wird - ungeachtet der Tatsache, dass die Baugenehmigung ansonsten unbeschadet privater Rechte Dritter ergeht. Indes ist - wie bereits dargelegt - nicht mit weiteren Rammarbeiten zu rechnen, weshalb auch insofern keine Beeinträchtigungen drohen, die mit einem Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes noch abgewendet werden könnten. Im Übrigen hat auch die Antragstellerin dieses Verfahrens keine Beschädigungen ihres Hauses glaubhaft gemacht.

18

Soweit die Antragstellerin eine Verschandelung des Ortsbildes rügt, ist ihr zuzugeben, dass der neu zu errichtende Mast die bisherigen Flutlichtmasten an Höhe übertreffen und wegen seiner Ausführung auch deutlicher sichtbar sein wird. Indes ist ihr mit der Beigeladenen entgegen zu halten, dass bereits die vorhandenen Masten auf dem Sportplatz hervorgehobene optische Bezugspunkte darstellen. Letztlich vermag diese vermeintliche oder tatsächliche Beeinträchtigung des Ortsbildes dem Antrag in diesem Verfahren aber schon deshalb nicht zum Erfolg zu verhelfen, weil § 1 Abs. 3 NBauO und die anderen Vorschriften der Bauordnung über das Verunstaltungsverbot ausschließlich im öffentlichen Interesse und nicht im Interesse eines einzelnen Nachbarn bestehen und deshalb als nicht drittschützende Bestimmungen nicht von der Antragstellerin ins Feld geführt werden können.

19

Es drängt sich für die Kammer zwar nicht auf, dass der Mobilfunkmast ausschließlich an dem vorgesehenen Standort und nirgendwo sonst errichtet werden kann, indes führt allein die Möglichkeit von Alternativstandorten nicht zur Rechtswidrigkeit der Baugenehmigung für den von der Beigeladenen ausgewählten Standort. Anderenfalls könnte eine für einen solchen Ausweichstandort erteilte Baugenehmigung dann wieder unter Hinweis auf den in diesem Verfahren in Streit stehenden Standort angegriffen werden. Vielmehr steht es der Beigeladenen im Rahmen der öffentlich-rechtlichen Vorschriften frei, einen Standort für den Mobilfunkmast auszuwählen.

20

Was die von der Antragsgegnerin der Beigeladenen erteilte Befreiung gemäß § 31 Abs. 2 BauGB von den Festsetzungen des Bebauungsplans betrifft, so ist die Festsetzung als Sportplatz-/ Grünfläche hinsichtlich der Antragstellerin nicht drittschützend, weshalb auch die Befreiung von der Antragstellerin nicht angegriffen werden kann.

21

Von dem Vorhaben gehen schließlich auch keine negativen Strahlenbelastungen zu Lasten der Antragstellerin aus. Nach der Rechtsprechung des OVG Lüneburg (vgl. z.B. Beschl. v. 19.1.2001 - 1 O 2761/00 -, BauR 2001, 1250 = NuR 2001, 341; Beschl. v. 10.9.2003 - 1 LA 43/03 - V.n.b.; Beschl. v. 2.2.2004 - 1 ME 317/03 -, V.n.b.), welche in Übereinstimmung steht mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. Beschl. v. 28.2.2002 - 1 BvR 1676/01 -, NJW 2002, 638) sowie des Bundesgerichtshofs (vgl. Urt. v. 13.2.2004 - V ZR 217 und 218/03 -, NJW 2004, 1317 = NVwZ 2004, 1019 = ZMR 2004, 415) und der die Kammer folgt, ist bei der - hier gesicherten - Einhaltung der Grenz- und Richtwerte der 26. BImSchV in aller Regel ein nachbarlicher Abwehranspruch ausgeschlossen. Es mag zwar unverändert Forschungsvorhaben geben, welche der Frage auf den Grund gehen wollen, ob von Mobilfunkanlagen am Ende doch negative athermische Wirkungen zu Lasten der Nachbarschaft ausgehen. In dem für die Gewährung von Nachbarschutz erforderlichen Umfang wissenschaftlich gesichert sind diese Erkenntnisse indes nicht. Auch Art. 2 Abs. 2 GG fordert nicht, mit den Mitteln der Justiz der derzeit wissenschaftlich nicht weiter aufzuklärenden Frage nachzugehen, ob wirklich ernstliche Gesundheitsbeeinträchtigungen durch solche Anlagen drohen.

22

Die befürchtete Wertminderung ihres Hausgrundstücks hat die Antragstellerin bereits nicht im Sinne des § 294 ZPO; § 173 S. 1 VwGO glaubhaft gemacht. Im Übrigen besteht für sie kein Anspruch darauf, dass die einmal vorhandenen wertbildenden Faktoren der Umgebung ihres Hausgrundstücks unverändert bestehen bleiben und sie einen einmal gegebenen Lagevorteil weiterhin ausnutzen kann. In Anbetracht der bisherigen planerischen Festsetzung des Standorts des Mobilfunkmasten als Sportplatz ist für die Kammer auch nicht erkennbar, dass die Aufstellung eines kombinierten Flutlicht- und Mobilfunkmasten den Charakter des Gebiets in der Weise veränderte, dass ein Anspruch der Antragstellerin auf Gebietserhaltung hier eingriffe. Für eine enteignende Wirkung der Aufstellung des Mobilfunkmasten ist nichts dargetan.

23

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1, § 162 Abs. 3 VwGO. Es entspricht der Billigkeit, auch die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen für erstattungsfähig zu erklären, denn diese hat einen Antrag gestellt und ist damit ein eigenes Kostenrisiko eingegangen.

Streitwertbeschluss:

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 5000 EUR festgesetzt.

Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 53 Abs. 3 Nr. 2, § 52 Abs. 1 Satz 1 GKG. Das Gericht bewertet die von der Antragstellerin geltend gemachte Beeinträchtigung ihres Hausgrundstücks mit 10.000 EUR. Dieser Wert ist für das Eilverfahren zu halbieren.

Behrens
Kleine-Tebbe
Dr. Schmidt