Verwaltungsgericht Hannover
Urt. v. 06.10.2006, Az.: 6 A 9057/05

Abschiebung; Abschiebungshindernis; Abschiebungsverbot; Anerkennung; Asylanerkennung; Asylberechtigung; Aufenthalt; Aufenthaltsbefugnis; Aufenthaltserlaubnis; Aufenthaltstitel; aufschiebende Wirkung; Ausländer; Ausweisung; befristete Aufenthaltsbefugnis; Befristung; Einbürgerung; Flüchtling; Flüchtlingseigenschaft; Irak; Rechtmäßigkeit; Status; Verlängerung; Widerruf; Widerrufsbescheid; Widerspruch

Bibliographie

Gericht
VG Hannover
Datum
06.10.2006
Aktenzeichen
6 A 9057/05
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2006, 53356
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Ein Ausländer, der gegen den Widerruf der Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG (§ 51 Abs. 1 AuslG) bei dem Verwaltungsgericht Klage erhoben hat, hat nach §§ 25 Abs. 2, 8 Abs. 1 AufenthG Anspruch auf Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis.

Tatbestand:

1

Das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge stellte mit Bescheid vom 23.02.1995 fest, dass in der Person des Klägers die Voraussetzungen der §§ 51 Abs. 1 und 53 Abs. 4 AuslG hinsichtlich des Iraks vorliegen.

2

Dem Kläger wurde eine befristete Aufenthaltsbefugnis erteilt, welche fortlaufend verlängert wurde, zuletzt am 10.06.2003 bis zum 09.06.2005, und welche aufgrund § 101 Abs. 2 AufenthG als Aufenthaltserlaubnis gem. § 25 Abs. 2 AufenthG fortgalt.

3

Mit Bescheid vom 05.07.2004 wiederrief das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge die Flüchtlingseigenschaft des Klägers sowie die Feststellung des § 53 Abs. 4 AuslG. Zugleich wurde festgestellt, dass Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG im übrigen nicht vorliegen. Dagegen hat der Kläger Klage erhoben (6 A 36741/04), über die noch nicht entschieden ist.

4

Der Kläger beantragte am 07.06.2005 die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis. Die Beklagte beschied diesen Antrag nicht.

5

Daraufhin hat der Kläger Klage erhoben.

6

Er ist der Auffassung, dass die Voraussetzungen für eine Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis vorliegen. Der Widerrufsbescheid des Bundesamtes dürfe ihm nicht entgegengehalten werden. Aufgrund der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen den Widerrufsbescheid des Bundesamtes sei die Flüchtlingsanerkennung nicht entfallen.

7

Der Kläger beantragt,

8

die Beklagte zu verpflichten, die Aufenthaltserlaubnis des Klägers zu verlängern, hilfsweise über den Antrag auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu entscheiden.

9

Die Beklagte beantragt,

10

die Klage abzuweisen.

11

Sie ist der Auffassung, dass das Widerrufsverfahren des Bundesamtes einer Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis entgegensteht. Zudem beziehe der Kläger Sozialleistungen. Weitere Gründe stünden der Verlängerung nicht entgegen.

Entscheidungsgründe

12

Die Klage ist begründet. Der Kläger hat einen Anspruch auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis nach §§ 25 Abs. 2, 8 Abs. 1 AufenthaltsG. Danach ist einem Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen bzw. zu verlängern, wenn das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge unanfechtbar das Vorliegen der Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG festgestellt hat.

13

Dies ist hier der Fall. Dem Kläger ist unanfechtbar die Flüchtlingseigenschaft durch Bescheid des damaligen Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 23.02.1995 zuerkannt worden. Dieser Status ist bislang nicht weggefallen.

14

Die Rechtsstellung als Flüchtling ist nicht erloschen. Ein Erlöschenstatbestand des § 72 AsylVfG ist nicht erfüllt. Derartiges wird auch von der Beklagten nicht behauptet.

15

Die Rechtsstellung als Flüchtling ist bislang auch nicht unwirksam geworden. Zwar hat das Bundesamt für Migration den Flüchtlingsstatus gem. § 73 AsylVfG widerrufen. Dies führt jedoch bislang nicht zur Unwirksamkeit der Rechtsstellung des Klägers als Flüchtling, da der Kläger gegen den Widerrufsbescheid fristgerecht Klage erhoben hat und dieser Klage gemäß § 75 AsylVfG ausdrücklich aufschiebende Wirkung zukommt.

16

Die Beklagte kann sich nicht auf § 84 AufenthG berufen. Danach lassen Widerspruch und Klage unbeschadet ihrer aufschiebenden Wirkung die Wirksamkeit der Ausweisung und eines sonstigen Verwaltungsaktes, der die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts beendet, unberührt. § 84 AufenthG regelt die Wirkungen von Widerspruch und Klage abweichend von § 80 VwGO für Widersprüche und Klagen gegen Entscheidungen nach dem AufenthG. Die Widerrufsentscheidung des Bundesamtes beruht jedoch nicht auf einer Norm des AufenthG, sondern auf § 73 AsylVfG und fällt somit nicht unter den Anwendungsbereich des § 84 AufenthG. Im Übrigen ist ein Widerruf der Asylanerkennung kein Verwaltungsakt, der die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts beendet.

17

Eine dem § 84 AufenthG entsprechende Norm fehlt im AsylVfG ebenso wie eine Norm, die § 84 AufenthG für anwendbar erklärt.

18

Aus den Regelungen des AsylVfG ergibt sich vielmehr das Gegenteil. § 73 Abs. 2a AsylVfG regelt ausdrücklich nur, dass bis zur Bestandskraft des Widerrufs nach § 73 AsylVfG für Einbürgerungsverfahren die Verbindlichkeit der Entscheidung über den Asylantrag entfällt. Aus dem Umkehrschluss folgt, dass es für alle übrigen Fälle bei der vollen aufschiebenden Wirkung der Klage gem. § 75 AsylVfG bleibt, und somit die Ausländerbehörde weiterhin gem. § 4 AsylVfG an die wirksamen, für den Kläger positiven Entscheidungen gebunden ist. Dies steht auch im Einklang mit §§ 73 Abs. 6, 72 Abs. 2 AsylVfG, wonach der Ausländer seinen Anerkennungsbescheid und seinen Reiseausweis erst unverzüglich nach der Unanfechtbarkeit der asylrechtlichen Widerrufsentscheidung abzugeben hat.

19

Der Bezug von Sozialleistungen steht der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 2 AufenthG nicht entgegen. Ein Versagungsgrund nach § 25 Abs.2 Satz 2, Abs.1 Satz 2 AufenthG liegt nicht vor.