Verwaltungsgericht Oldenburg
Beschl. v. 05.07.2010, Az.: 11 B 1324/10

Ablauf; Abschiebung; Ausweisung; Berechnung; Sperrfrist

Bibliographie

Gericht
VG Oldenburg
Datum
05.07.2010
Aktenzeichen
11 B 1324/10
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2010, 47983
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Der Lauf einer gem. § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG festgesetzten Sperrfrist von Ausweisung und Abschiebung beginnt mit der erstmaligen Ausreise. Reist der Ausländer vor Ablauf der Frist wieder in die Bundesrepublik Deutschland ein, werden die Zeiten des Aufenthalts in der Bundesrepublik Deutschland bei der Berechnung, ob die Frist verstrichen ist, nicht mitgezählt (im Anschluss an OVG Lüneburg, Urteil vom 24. April 2008 - 11 LB 15/08 - juris).

Gründe

1

Die Antragstellerin beantragt, der Antragsgegnerin im Wege einer einstweiligen Anordnung zu untersagen, sie in ihr Heimatland abzuschieben. Dieses nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO zu beurteilende Begehren bleibt ohne Erfolg.

2

Maßgeblich hierfür ist, dass die Antragstellerin ein Abschiebungsverbot daraus ableitet, dass ihr wegen der Heirat mit dem deutschen Staatsangehörigen R. am 29. Dezember 2009 bzw. der früheren inzwischen geschiedenen Ehe mit Herrn H. ein Anspruch auf eine Aufenthaltserlaubnis aus familiären Gründen nach den §§ 28, 31 AufenthG zustehe.

3

Die Antragsgegnerin hat mit den Ziff. 3 und 4 des Bescheides vom 3. Mai 2010, zugestellt am 7. Mai 2010, die Erteilung eines solchen Aufenthaltstitels unter Hinweis auf die Sperrwirkung der Ausweisungsverfügung des Landkreises W. vom 30. November 2000 und der nachfolgenden Abschiebung der Antragstellerin vom 7. März 2001 (§ 11 Abs. 1 Satz 2 AufenthG) abgelehnt und die Abschiebung in die Ukraine angedroht. Diese Teile der Verfügung vom 3. Mai 2010 hat die Antragstellerin mit ihrer Klage (11 A 1323/10) jedoch gerade nicht angefochten (vgl. S. 2 und 7 der Klage- und Antragsschrift vom 21. Mai 2010), so dass sie nach Ablauf der einmonatigen Klagefrist (§ 74 VwGO) bestandskräftig geworden sind. Da mithin zwischen den Beteiligten unanfechtbar feststeht, dass die Antragstellerin kein Aufenthaltsrecht hat und sie einen erforderlichen weiteren Antrag (§ 81 Abs. 1 AufenthG) auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis für die Zukunft bisher nicht gestellt hat, ist auch kein Raum für einen diesbezüglichen Eilrechtsschutz.

4

Da die Antragstellerin allerdings jederzeit einen erneuten Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus familiären Gründen stellen könnte, weist das Gericht zur Vermeidung weiterer Rechtsstreitigkeiten auf Folgendes hin:

5

Die Annahme der Antragsgegnerin, dass derzeit ein Anspruch der Antragstellerin auf eine Aufenthaltserlaubnis aus familiären Gründen wegen der Sperrwirkung der Ausweisung und Abschiebung der Antragstellerin (§ 11 Abs. 1 Satz 2 AufenthG) nicht besteht, trifft zu.

6

In der Ausweisungsverfügung des Landkreises W. vom 30. November 2000 ist eine Sperrfrist von zwei Jahren festgesetzt worden. Die Antragsgegnerin hat in Ziff. 2 des Bescheides vom 3. Mai 2010 die Sperrfrist für die Abschiebung vom 7. März 2001 auf vier Jahre mit der Möglichkeit, zwei Jahre vor Ablauf der Frist eine Verkürzung zu beantragen, bestimmt.

7

Zwar gehen die Beteiligten zu Recht übereinstimmend davon aus, dass die Fristen mit der ersten Ausreise der Antragstellerin am 7. März 2001 zu laufen begonnen haben. Sie sind aber noch nicht verstrichen. Denn die Zeiten, in denen sich die Antragstellerin seither in der Bundesrepublik Deutschland aufgehalten hat, werden hierbei nicht mitgerechnet. In § 11 Abs. 1 Satz 4 AufenthG ist nur der Beginn der Sperrfrist geregelt. Ihr Ende ist mithin durch Auslegung der Vorschrift zu bestimmen. Nach Sinn und Zweck können danach die Zeiten von Aufenthalten in der Bundesrepublik Deutschland nicht berücksichtigt werden. Denn die in § 11 Abs. 1 Sätzen 1 und 2 AufenthG vorgesehene Sperrwirkung von Ausweisung und Abschiebung dient gerade dazu, weitere Verstöße gegen die öffentliche Sicherheit durch die in der Regel befristete (vgl. Satz 3 der Vorschrift) Fernhaltung des Ausländers aus der Bundesrepublik Deutschland zu verhindern (vgl. etwa BVerwG, Urteil vom 11. August 2000 - 1 C 5.00 - BVerwGE 111, 369 <372>). Hält sich der Ausländer in der Bundesrepublik Deutschland auf, kann mithin der Zweck des Einreise- und Aufenthaltsverbots nicht erreicht werden. Diesem würde es zudem in gravierender Weise widersprechen, wenn die Einreise entgegen der Sperre des § 11 Abs. 1 Satz 2 AufenthG auch noch dadurch privilegiert würde, dass die sich anschließenden Zeiten des Aufenthalts in der Bundesrepublik Deutschland bei der Fristberechnung berücksichtigt werden (vgl. ebenso ohne nähere Begründung OVG Lüneburg, Urteil vom 24. April 2008 - 11 LB 15/08 - <juris, Rn. 95>). Der gegenteiligen Ansicht des Verwaltungsgerichts Karlsruhe (Beschluss vom 6. November 2002 - 5 K 3674/02 - InfAuslR 2003, 150) folgt die Kammer daher nicht.

8

Die Antragstellerin hat sich nach dem weitgehend überstimmenden Vortrag der Beteiligten und den Erkenntnissen, die sich aus den Einreise- und Ausreisestempeln in ihrem Pass ergeben, in der Zeit von 13. September 2001 bis zum 21. August 2003 mehrfach mit Besuchsvisa in der Bundesrepublik Deutschland aufgehalten. Seit dem 7. September 2003 lebt sie dauerhaft hier. Insgesamt lebte sie in dieser Zeit daher lediglich 642 Tage außerhalb der Bundesrepublik Deutschland.

9

Soweit die Antragstellerin (vgl. Schriftsatz vom 22. Juni 2010) weitere Ausreisezeiten in den Jahren 2004 bis 2008 benennt, ist für die Kammer schon fraglich, ob diese überhaupt berücksichtigt werden könnten, weil die Antragstellerin in dieser Zeit ihren Lebensmittelpunkt in der Bundesrepublik Deutschland hatte und sich daher lediglich besuchsweise in ihrem Heimatland aufhielt. Darüber hinaus hat sie für die Jahre 2004 und 2005 anhand ausländischer Ein- bzw. Ausreisestempel lediglich 23 weitere Tage konkret benannt, an denen sie sich außerhalb der Bundesrepublik Deutschland befunden haben soll. Für die Ausreisen in den Jahren 2007 und 2008 vermochte die insoweit darlegungspflichtige Antragstellerin nicht anzugeben, wann sie wieder in die Bundesrepublik Deutschland gekommen ist.

10

Ist danach davon auszugehen, dass noch nicht einmal die bestandskräftig im Ausweisungsbescheid vom 30. November 2000 festgesetzte Sperrfrist von zwei Jahren verstrichen ist, käme es für ein einstweiliges Rechtsschutzverfahren nicht darauf an, ob die im Bescheid vom 3. Mai 2010 für die Abschiebung vorgesehene Sperrfrist in jeder Hinsicht ermessensfehlerfrei bestimmt worden ist. Das Gericht weist allerdings ergänzend darauf hin, dass insoweit jedenfalls keine Frist festgesetzt werden musste, die eine erneute Ausreise der Antragstellerin entbehrlich macht. Dies ergibt sich schon daraus, dass sie ab September 2001 mehrfach entgegen der durch Ausweisung und Abschiebung entstandenen Einreise- und Aufenthaltssperre eingereist ist und ihr diese auch bekannt sein musste. Denn im Bescheid des Landkreises W. vom 30. November 2000 ist sie hierauf ausdrücklich hingewiesen worden (S. 4). Da sie inzwischen ihren Geburtsnamen R. wieder angenommen hatte, konnte sie auch nicht berechtigt davon ausgehen, dass in den Verfahren auf Erteilung der verschiedenen Besuchervisa eine diesbezügliche Prüfung ihrer Einreiseberechtigung erfolgt. In dem beim Landkreis O. am 12. November 2003 gestellten Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis hat die Antragstellerin zudem wahrheitswidrig ausdrücklich angegeben, dass sie nicht aus der Bundesrepublik Deutschland ausgewiesen und abgeschoben worden sei, so dass sie die ihr am 2. Februar 2004 und am 24. Januar 2005 erteilten Aufenthaltserlaubnisse auf Grund einer Täuschung erlangt hat. Am 24. Januar 2005 hat sie außerdem gegenüber dem Landkreis A. wahrheitswidrig erklärt, dass sie mit ihrem damaligen Ehemann, Herrn H., noch in ehelicher Lebensgemeinschaft verbunden sei. Tatsächlich ergibt sich aus Aussagen des früheren Ehemannes, die für das verwaltungsgerichtliche Verfahren verwertbar bleiben, dass man nach der Eheschließung im November 2003 lediglich zwei bis vier Monate in einer gemeinsamen Wohnung gelebt hat (Beschuldigtenvernehmungen der Polizeiinspektion Oldenburg-Stadt/Ammerland vom 21. und 29. Juni 2006).

11

Ob die Rücknahme der Aufenthaltserlaubnisse vom 2. Februar 2004 und 24. Januar 2005 rechtmäßig ist, bedarf im vorliegenden einstweiligen Rechtsschutzverfahren keiner gerichtlichen Beurteilung.