Verwaltungsgericht Oldenburg
Urt. v. 28.07.2010, Az.: 3 A 3189/09

Abschieben; Abschiebungsverbot; Amt; Anspruch; Arzt; Aserbaidschan; Asyl; Asylfolgeverfahren; Behandlung; Depression; Ermessen; Ermessensreduzierung; Folgeantrag; Folgeverfahren; Gefahr; Gesundheit; Krankenhaus; Psychiatrie; Tod; Umzug; Verletzung; Wiederaufgreifen des Verfahrens

Bibliographie

Gericht
VG Oldenburg
Datum
28.07.2010
Aktenzeichen
3 A 3189/09
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2010, 47994
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Für die minderjährige Klägerin ist die grundsätzlich in Aserbaidschan verfügbare ärztliche und therapeutische Behandlung ihrer psychischen Erkrankung nicht finanzierbar. Ohne eine kontinuierliche Therapie droht ihr im Heimatland eine extreme Gefahr für Leben und Gesundheit.

Zu den Voraussetzungen einer Ermessensreduzierung auf Null beim Wiederaufgreifen des Verfahrens nach
§ 51 Abs. 5 VwVfG i.V.m. §§ 48, 49 VwVfG.

Tatbestand:

1

Die 1996 geborene Klägerin ist aserbaidschanische Staatsangehörige und begehrt im Rahmen eines Asylfolgeverfahrens die Feststellung des Vorliegens von Abschiebungsverboten.

2

Die Klägerin durchlief bereits im Jahr 2004 erfolglos ein erstes Asylverfahrens, das durch Urteil des Verwaltungsgerichts … vom 28. November 2005 (Az.: 8 A 376/05) rechtskräftig beendet wurde. Am 13. August 2008 stellte die Klägerin einen auf die Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG beschränkten Antrag auf Wiederaufgreifen des Verfahrens. Zur Begründung trug sie vor: Es seien neue Tatsachen und Beweise vorhanden, die es zuließen, das Verfahren wieder aufzugreifen und die beantragte Feststellung zu treffen. Zur Begründung legte sie verschiedene ärztliche Atteste vor, nach denen bei ihr im März 2007 eine affektive Störung mit einer schweren generalisierenden Angststörung mit depressiver Reaktion und psychosomatischen Beschwerden diagnostiziert worden sei. Aus den ärztlichen Stellungnahmen geht hervor, dass Auslöser der psychischen Beschwerden vermutlich die Veränderung der Wohnsituation durch eine Umverteilung gewesen sei. Suizidgedanken seien zunehmend präsent. Sie sei in kinderpsychiatrischer Behandlung, die zwingend fortgesetzt werden müsse, um einer weiteren Verschlechterung und Chronifizierung der Symptomatik bis hin zur Suizidalität vorzubeugen. Bei einer Rückkehr nach Aserbaidschan hätte sie keine Möglichkeit, die notwendige medizinische Behandlung zu finanzieren. Kontakt zu ihrem Vater oder anderen Verwandten, die sie unterstützen könnten, habe sie im Heimatland nicht. Bei einem Abbruch der Behandlung drohten ihr unmittelbare Gefahren für Leib und Leben.

3

Mit Bescheid vom 23. November 2009 lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) den Antrag auf Abänderung des Bescheides vom 13. September 2005 ab. Zur Begründung führte es aus, die Voraussetzungen für ein Wiederaufgreifen seien nicht gegeben. Es fehle bereits an den Tatbestandsvoraussetzungen des § 51 Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG). Die Klägerin befinde sich bereits seit Mai 2007 in ambulanter Behandlung, so dass der Wiederaufgreifensgrund schon zu einem früheren Zeitpunkt als dem 14. August 2008 hätte geltend gemacht werden können. Auch im Rahmen einer Ermessensentscheidung, ob das Verfahren wieder aufzunehmen sei, seien keine eine Wiederaufnahme rechtfertigenden Aspekte ersichtlich. Dem Vorbringen der Klägerin könne nicht entnommen werden, dass sie an einer Erkrankung leide, die ihren weiteren Aufenthalt in Deutschland erfordere, weil eine entsprechende Behandlung in Aserbaidschan nicht möglich wäre und ohne diese Behandlung eine alsbaldige wesentliche Gesundheitsverschlechterung eintreten würde. Die vorgelegten medizinischen und psychotherapeutischen Stellungnahmen ließen ein gesundheitsbedingtes Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht hinreichend erkennen. Diese gingen zwar von einer entsprechenden kinderpsychotherapeutischen Behandlungsbedürftigkeit aus. Die insoweit nach den Bescheinigungen befürchteten Gefahren für Leben und Gesundheit ergäben sich aber eindeutig nicht aus den im Herkunftsland herrschenden Bedingungen, sondern seien in der als belastend empfundenen Wohnraumsituation nach der Verlegung aus einem familiär geführten Heim in eine größere Einrichtung begründet. Sie seien deshalb als zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot irrelevant. Die vorgetragenen psychischen Störungen stellten vielmehr ein inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis dar, über welches die Ausländerbehörde zu entscheiden habe. Im Übrigen seien in Aserbaidschan medizinische Behandlungsmöglichkeiten bei psychosomatischen Beschwerden und Depressionen vorhanden. Gründe, die eine Abänderung der früheren Entscheidung zu den Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG zuließen, seien nicht erkennbar.

4

Die Klägerin hat am 8. Dezember 2009 Klage gegen den Bescheid vom 23. November 2009 erhoben. Sie trägt vor: Bei einer Rückkehr nach Aserbaidschan könne eine medizinische und ärztliche Behandlung nicht mehr stattfinden mit der Gefahr, dass sich ihre Erkrankung zuspitze und in eine akute Leib- und Lebensgefahr münde. Sie werde die lebensnotwendige medizinische und ärztliche Versorgung nicht erhalten können, da sie nicht über die notwendigen finanziellen Mittel verfüge. Die in der Vergangenheit kostenlose medizinische Versorgung sei in Aserbaidschan weitgehend zusammengebrochen. Die angebotene private Krankenversorgung werde sie sich nicht leisten können.

5

Den Antrag auf Verpflichtung der Beklagten, auch Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 6 AufenthG festzustellen, hat die Klägerin in der mündlichen Verhandlung zurückgenommen.

6

Die Klägerin beantragt nunmehr,

7

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 23. November 2009 zu verpflichten, festzustellen, dass in ihrer Person ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG in Bezug auf Aserbaidschan vorliegt.

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Die Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

10

Sie verteidigt den angefochtenen Bescheid.

11

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe

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Soweit die Klägerin die Klage zurückgenommen hat, ist das Verfahren gemäß § 92 Abs. 3 S. 1 VwGO einzustellen. Im Übrigen ist die zulässige Klage, über die nach Übertragungsbeschluss der Kammer durch die Einzelrichterin entschieden werden konnte, begründet. Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf die Feststellung, dass in ihrer Person in Bezug auf Aserbaidschan die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorliegen. Die Ablehnung dieser Feststellung im angegriffenen Bescheid ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten aus § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG.

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Die Voraussetzungen für die Verpflichtung der Beklagten, den Bescheid vom 13. September 2005 hinsichtlich der Feststellungen zu § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG abzuändern, liegen vor.

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Gemäß § 71 Abs. 1 AsylVfG ist in dem Fall, wenn ein Ausländer nach Rücknahme oder unanfechtbarer Ablehnung seines früheren Asylantrages erneut einen Asylantrag (Folgeantrag) stellt, ein weiteres Asylverfahren nur durchzuführen, wenn die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG vorliegen. Nach § 51 Abs. 1 Nr. 1 und 2 VwVfG hat das Bundesamt auf Antrag des Betroffenen die Pflicht zur erneuten Sachprüfung über die Aufhebung oder Änderung eines unanfechtbaren Verwaltungsaktes, wenn sich die dem Verwaltungsakt zugrunde liegende Sach- oder Rechtslage nachträglich zu Gunsten des Betroffenen geändert hat und/oder neue Beweismittel vorliegen, die eine dem Betroffenen günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würden. Der Antrag ist nur zulässig, wenn der Betroffene ohne grobes Verschulden außerstande war, den Grund für das Wiederaufgreifen in dem früheren Verfahren, insbesondere durch Rechtsbehelf, geltend zu machen und der Antrag innerhalb von drei Monaten ab dem Tag, an dem der Betroffene von dem Grund des Wiederaufgreifens Kenntnis erhalten hat, gestellt wurde (§ 51 Abs. 2 und 3 VwVfG). Die Frist beginnt mit der Kenntnisnahme des Wiederaufgreifensgrundes. Hierfür ist erforderlich, dass dem Betroffenen die Tatsachen, die den Wiederaufgreifensgrund ausfüllen, bekannt sind.

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Liegt schon ein Wiederaufgreifensgrund im Sinne des § 51 Abs. 1 VwVfG nicht vor und/oder ist ein Wiederaufgreifen nach § 51 Abs. 2 oder 3 VwVfG ausgeschlossen, so ist - wie aus der als abschließend zu betrachtenden Verweisung (nur) auf § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG in § 71 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG zu schließen ist - der Asylfolgeantrag, also der Antrag auf Durchführung eines weiteren Asylverfahrens, schon von daher zwingend abzulehnen und demgemäß im verwaltungsgerichtlichen Verfahren eine auf Verpflichtung der Beklagten zur Asyl- oder Flüchtlingsanerkennung im Wege des Asylfolgeverfahrens gerichtete Klage ebenfalls abzuweisen.

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Auch hinsichtlich der begehrten Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG kann in eine erneute Sachprüfung zunächst nur dann eingetreten werden, wenn die Voraussetzungen des § 51 VwVfG vorliegen (vgl. BVerwG, Urteil vom 21. März 2000 - 9 C 41.99 - juris).

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Die Voraussetzungen für einen - vorrangig - zu prüfenden Anspruch auf Wiederaufgreifen des Verfahrens gemäß § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG sind nicht gegeben. Die Klägerin beruft sich mit der von ihr geltend gemachten Erkrankung sinngemäß auf eine Änderung der Sachlage "zu ihren Gunsten" im Sinne des § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG. Nach den von ihr eingereichten Unterlagen (vgl. z.B. die Ausführungen in der Stellungnahme des Krankenhauses vom 1. August 2008) wurden bei ihr bereits im März 2007 eine depressive Störung, eine Angststörung und psychosomatische Beschwerden festgestellt. Mit einem Bericht vom 2. November 2007 teilte die Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie Frau J. mit, dass eine kinderpsychologische Behandlung dringend angeraten sei - möglicherweise auch stationär -, um einer weiteren Verschlechterung des Zustands entgegen zu wirken. Gleiches forderte Herr S. (Facharzt für Allgemeinmedizin) mit Attest vom 14. November 2007. Ab dem 14. Januar 2008 wurde die Klägerin im Rahmen einer Krisenintervention regelmäßig psychotherapeutisch in der Institutsambulanz im Kinderhospital ... behandelt. Auch aus der amtsärztlichen Stellungnahme der Frau Dr. B. aus dem Gesundheitsamt des Landkreises ... vom 7. Februar 2008 geht hervor, dass eine Behandlung bereits in Form wöchentlicher Therapiesitzungen begonnen habe und diese kontinuierlich gewährleistet werden müsse. Spätestens ab Ausstellung dieser letztgenannten Bescheinigung hatte die Klägerin daher im Sinne des § 51 Abs. 3 Satz 2 VwVfG Kenntnis von dem nunmehr in Anspruch genommenen Wiederaufgreifensgrund. Sie hätte ihn demnach binnen drei Monaten geltend machen müssen. Tatsächlich ist der Wiederaufgreifensantrag jedoch viel später, nämlich erst im August 2008 und damit nach Ablauf der 3-Monats-Frist, beim Bundesamt eingereicht worden. Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass dem Wiederaufgreifensantrag eine aktuelle Stellungnahme zum Gesundheitszustand der Klägerin beigefügt war, nämlich die bereits angeführte Stellungnahme des Krankenhauses vom 1. August 2008 von dem Psychologischen Psychotherapeuten Herrn Dr. E. sowie dem Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie Herrn S.. Die dortigen Ausführungen vertiefen die zuvor genannten ärztlichen Berichte, beinhalten jedoch keine darüber hinausgehenden, substantiell neuen Tatsachen, sondern lassen lediglich erkennen, dass die begonnene Behandlung der Klägerin nach deren Umzug nunmehr im Krankenhaus fortgesetzt wird.

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Ebenso wenig kann ein Anspruch auf Wiederaufgreifen erfolgreich auf § 51 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG, d. h. auf das Vorliegen eines neuen Beweismittels, gestützt werden. Ein Beweismittel fällt nur dann in den Anwendungsbereich des § 51 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG, wenn es sich auf den im ersten Verfahren geltend gemachten Sachverhalt bezieht (vgl. Kopp/Ramsauer, VwVfG, § 51 Rn. 32 ff.). Dies ist vorliegend jedoch nicht der Fall, da von der Klägerin in ihrem vorhergehenden Asylerstverfahren keine krankheitsbedingten Abschiebungsverbote geltend gemacht worden sind.

19

Soweit die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG, wie ausgeführt, nicht vorliegen, hat das Bundesamt gemäß § 51 Abs. 5 VwVfG i. V. m. §§ 48, 49 VwVfG nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden, ob die bestandskräftige frühere Entscheidung zu § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG zurückgenommen oder widerrufen wird. Insoweit hat der Asylantragsteller Anspruch auf eine fehlerfreie Ermessensentscheidung (vgl. BVerwG, Urteil vom 20. Oktober 2004 - 1 C 15.03 - juris). Das Gericht ist gehalten, die Sache nach Möglichkeit spruchreif zu machen; im Übrigen auch dann, wenn es an einer behördlichen Ermessensentscheidung fehlt (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO, § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG; vgl. Bayerischer VGH, Urteil vom 11. November 2009 - 14 B 08.30321 - juris). Eine solche abschließende Entscheidung kommt in Betracht, wenn dem Bundesamt im Einzelfall hinsichtlich der Änderung der bestandskräftigen negativen Feststellung zu § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG kein Ermessensspielraum eröffnet ist (vgl. BVerwG vom 20. Oktober 2004 a.a.O. sowie Urteil vom 17. Oktober 2006 - 1 C 18.05 - juris). Ein Anspruch auf ein Wiederaufgreifen besteht also dann, wenn das Ermessen der Behörde auf Null reduziert ist. Diese Ermessensreduzierung ist im Rahmen eines Asylfolgeantrags jedenfalls dann gegeben, wenn der Betroffene bei einer Abschiebung einer extremen individuellen Gefahrensituation ausgesetzt würde und das Absehen von einer Abschiebung daher verfassungsrechtlich dringend geboten ist (BVerwG vom 17. Oktober 2006 und 20. Oktober 2004 a. a. O.) Anderenfalls ist die Klage abzuweisen, es sei denn, die ablehnende Bundesamtsentscheidung erweist sich als ermessensfehlerhaft, so dass ein Bescheidungsurteil ergehen muss.

20

Nach einer neueren, erst vereinzelt vertretenen Auslegung soll das Ermessen des Bundesamts nicht erst bei Vorliegen einer extremen Gefahrenlage auf Null reduziert sein, sondern bereits dann ein Anspruch auf Wiederaufgreifen bestehen, wenn die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG gegeben sind, da diese Vorschrift im Gegensatz zu § 53 Abs. 6 AuslG als Soll-Vorschrift formuliert sei und daher regelmäßig ein Absehen von der Abschiebung geboten sei (vgl. VG Stuttgart, Urteil vom 17. November 2008 - A 11 K 4571/07 - juris sowie Hessischer VGH, Urteil vom 28. Januar 2009 - 6 A 1867/07.A - juris).

21

Hier kann eine Entscheidung dieser Diskussion offen bleiben. Denn in Bezug auf die Klägerin ist die Beklagte hier zur Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu verpflichten, weil sich die Klägerin krankheitsbedingt bei einer Rückkehr nach Aserbaidschan in einer extremen individuellen Gefahrensituation befinden würde und deshalb vorliegend das Ermessen des Bundesamts zu Gunsten der Klägerin auf Null reduziert ist.

22

Die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG liegen für die Klägerin in Bezug auf Aserbaidschan vor.

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§ 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG fordert für die Feststellung eines Abschiebungsverbotes aufgrund einer Erkrankung, dass sich die vorhandene Erkrankung des Ausländers aufgrund zielstaatsbezogener Umstände in einer Weise verschlimmert, die zu einer erheblichen konkreten Gefahr für Leib oder Leben führt, d. h. dass eine wesentliche Verschlimmerung der Krankheit alsbald nach der Rückkehr des Ausländers droht. Die Gefahr muss mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit bestehen. Als erheblich ist die Gefahr dann anzusehen, wenn sich der Gesundheitszustand des Betroffenen wesentlich oder gar lebensbedrohlich verschlechtern würde, als konkret, wenn die Verschlechterung alsbald nach seiner Rückkehr in den Heimatstaat eintreten würde (vgl. BVerwG, Urteil vom 29. Juli 1999 - 9 C 2.99 - juris m.w.N.; Nds. Oberverwaltungsgericht, Urteil vom 12. September 2007 - 8 LB 210/05 - juris).

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Bedarf der Betroffene zur Abwendung einer im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG erheblichen Gefahr einer notwendigen ärztlichen Behandlung oder Medikation und ist diese in dem Zielstaat der Abschiebung wegen des geringen Versorgungsstandes generell nicht verfügbar, so führt dies zum Vorliegen der Voraussetzungen der bezeichneten Vorschrift. Ein zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot kann sich darüber hinaus nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. etwa Urteil vom 29. Oktober 2002 - 1 C 1.02 - juris) trotz an sich verfügbarer medikamentöser und ärztlicher Behandlung aber auch aus sonstigen Umständen im Zielstaat ergeben, die dazu führen, dass der betroffene Ausländer diese medizinische Versorgung tatsächlich nicht erlangen kann. Denn eine zielstaatsbezogene Gefahr für Leib und Leben besteht auch dann, wenn die notwendige Behandlung oder Medikation zwar allgemein zur Verfügung steht, dem betroffenen Ausländer individuell jedoch aus finanziellen oder sonstigen Gründen nicht zugänglich ist (Nds. Oberverwaltungsgericht, Urteil vom 12. September 2007 - 8 LB 210/05 - juris).

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Die im Rahmen eines Antrags auf Wiederaufgreifen für eine Ermessensreduzierung auf Null erforderliche extreme Gefahrenlage wird dahin umschrieben, dass eine Abschiebung in diesem Falle bedeutet, den Ausländer gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen auszuliefern (vgl. BVerwG, Urteil vom 17. Oktober 2006 - 1 C 18.05 - juris). Damit sind nicht nur Art und Intensität der drohenden Rechtsgutsverletzungen, sondern auch die Unmittelbarkeit der Gefahr und ihr hoher Wahrscheinlichkeitsgrad angesprochen. Die die Anwendung dieser Vorschrift rechtfertigende extreme Gefahrenlage besteht allerdings nicht nur dann, wenn Tod oder schwerste Verletzungen sofort, gewissermaßen noch am Tag der Ankunft im Abschiebezielstaat, eintreten. Sie besteht beispielsweise auch dann, wenn der Ausländer mangels jeglicher Lebensgrundlage dem baldigen sicheren Hungertod ausgeliefert werden würde (vgl. BVerwG, Beschluss vom 26. Januar 1999 - 9 B 617.98 - juris) oder alsbald an einer Krankheit sterben würde, da er keine Existenzmöglichkeit finden würde (vgl. BVerwG, Urteil vom 2. September 1997 - 9 C 40.96 - juris). Nicht ausreichend ist indes ein in unbestimmter zeitlicher Ferne liegender Termin (vgl. BVerwG, Urteil vom 27. April 1998 - 9 C 13.97 - juris). Die extreme allgemeine Gefahrenlage muss landesweit bestehen oder für den Ausländer ist eine Rückkehr nicht zumutbar, weil er die sicheren Landesteile nicht erreichen kann, ohne auf dem Wege dorthin einer extremen Leibes- oder Lebensgefahr ausgesetzt zu sein.

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Nach den vorliegenden ärztlichen Attesten und Stellungnahmen, den aktuellen Erkenntnismitteln und den Aussagen der Mutter der Klägerin in der mündlichen Verhandlung steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass eine Rückkehr nach Aserbaidschan für die psychisch erkrankte Klägerin zeitnah zu einer erheblichen Verschlechterung ihres Gesundheitszustands und damit für sie „sehenden Auges“ zu einer extremen individuellen Gefahrensituation führen würde.

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Bereits im März 2007 wurden bei der Klägerin eine depressive Störung, eine Angststörung und begleitende psychosomatische Beschwerden diagnostiziert. Im April 2007 wurde die Klägerin wegen Thoraxschmerzen in das Klinikum ... eingeliefert, das eine intensive psychologische Weiterbetreuung wegen starker psychischer Belastung empfahl (Befund vom 12. April 2007). In einer ärztlichen Stellungnahme vom 14. Mai 2007 berichtet die Kinder- und Jugendpsychiaterin Frau Dr. A. von täglichen Kopfschmerzen der Klägerin sowie Schlafstörungen und empfahl dringend eine Veränderung der Wohnsituation. Eine Chronifizierung der schon längere Zeit bestehenden psychosomatischen Beschwerden sei ansonsten zu befürchten und ein stationärer Aufenthalt dann eventuell notwendig. Frau J., Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie, diagnostizierte in ihrer Stellungnahme vom 2. November 2007 ebenfalls eine emotionale Störung mit Depression und psychosomatischen Beschwerden, Spannungskopfschmerzen und psychogenem Augenzwinkern und riet dringend zu einer kinderpsychologischen Behandlung, ggf. auch stationär. Auch das Kinderhospital ... hielt eine stationäre kinderpsychiatrische Behandlung für erforderlich (Bericht vom 11. Dezember 2007). Die stationäre Unterbringung wurde anscheinend zunächst von der Mutter der Klägerin abgelehnt, so dass monatlich mehrfache ambulante psychotherapeutische Behandlungen im Kinderhospital ... im Zeitraum vom 14. Januar bis 13. März 2008 stattfanden.

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Nach dem aktuellen Attest der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie des Krankenhauses vom 7. Juli 2010, ausgestellt von dem Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie Herrn S. und dem Psychologischen Psychotherapeuten Herrn Dr. E., liegen bei der Klägerin eine schwere kindliche Depression und eine Angststörung vor, die von psychosomatischen Beschwerden begleitet werden. Es sei eine zunehmende Verschlechterung der Symptomatik erkennbar, ein Chronifizierungsprozess sei bereits fortgeschritten, Suizidgedanken seien zunehmend präsent. Die Klägerin höre häufig Stimmen im Kopf, die Gefahr eines beginnenden psychotischen Prozesses sei derzeit nicht auszuschließen. Durch die soziale Isolation sowie des verunsichernden Status als geduldete Asylbewerberin sei sie in ihrer sozialen und emotionalen Entwicklung höchst gefährdet und dadurch von einer seelischen Behinderung bedroht. Die dringend erforderliche kinderpsychiatrische Behandlung werde in der Institutsambulanz ambulant gewährleistet. Die weitere Fortsetzung der Behandlung sei unabdingbar, um eine weitere Verschlechterung bzw. Chronifizierung der Symptomatik bis hin zur Suizidalität abzuwenden.

29

Im Rahmen ihrer informatorischen Anhörung in der mündlichen Verhandlung gab die Mutter der Klägerin an, dass diese deshalb bislang nicht stationär aufgenommen worden sei, da der behandelnde Therapeut zur Zeit davon abrate. Die Klägerin sei äußerst fixiert auf sie - ihre Mutter -, und halte sich wenn möglich immer in ihrer Nähe auf. Sie verlasse die Wohnung alleine nicht und benötige die Sicherheit der Anwesenheit der Mutter. Aus diesem Grund halte der Therapeut eine vorübergehende Trennung von Mutter und Tochter zwecks eines stationären Aufenthalts zur Zeit für die Klägerin wegen der Auslösung weiteren Stresses nicht für angezeigt.

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Die aktuelle Therapie besteht nach den Angaben der Mutter der Klägerin darin, dass diese regelmäßig mindestens einmal im Monat ins Krankenhaus zur Gesprächtherapie mit Herrn Dr. E. fahre, je nach den terminlichen Kapazitäten der Klinik auch häufiger. Die Therapieeinheiten dauerten jeweils eine gute Stunde und bestünden aus Gesprächen der Klägerin mit dem Therapeuten, wobei sie als Mutter der Klägerin ebenfalls anwesend sei. In den Stunden weine die Klägerin viel, sie sehe den Therapeuten jedoch als Vertrauensperson an und könne sich diesem gegenüber öffnen, was sich darin zeige, dass sie diesem etwa von Vorfällen in der Schule erzählen könne, von denen sie als Mutter bislang nichts gewusst habe. Die Therapie erleichtere auch den Kontakt zwischen Mutter und Tochter, sei jedoch in erster Linie wichtig für die Klägerin. Eine Gruppen- bzw. Maltherapie habe diese abgelehnt.

31

Neben diesen Terminen im Krankenhaus müsse die Klägerin häufiger zum Hausarzt, da sie oft Kopfschmerzen habe und unter Magenproblemen leide. Gegen die Kopfschmerzen bekomme sie Ibuprofen, die Magenbeschwerden würden mit einem Pulver behandelt.

32

Nach den angeführten ärztlichen Stellungnahmen und aufgrund der Äußerungen der Mutter der Klägerin in der mündlichen Verhandlung ist das Gericht davon überzeugt, dass die Klägerin zur Abwendung einer weiteren Chronifizierung ihrer psychischen Beschwerden und vor allem zur Abwehr möglicher Suizidabsichten zwingend einer weiteren Behandlung bedarf.

33

Psychische Erkrankungen sind in Aserbaidschan zwar grundsätzlich behandelbar (vgl. etwa Auskunft des TransKaukasus-Instituts vom 26. Oktober 2007 sowie Auskunft der Botschaft ... an das Bundesamt vom 26. November 2009). Krankenhäuser ebenso wie Kinderkrankenhäuser und psychiatrische Einrichtungen befinden sich überwiegend in der Hauptstadt, in den daneben in acht Städten vorhandenen psychoneurologischen Versorgungseinrichtungen besteht auch eine ambulante Behandlungsmöglichkeit, in ... auch für Kinder (vgl. Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 28. September 2009 sowie Auskunft des TransKaukasus-Instituts vom 26. Oktober 2007).

34

Allerdings hat das Gericht erhebliche Zweifel, ob diese Behandlungsmöglichkeit der Klägerin in ausreichendem Umfang zugänglich wäre. Das Gesundheitssystem in Aserbaidschan ist in einem schlechten Zustand. Es besteht kein funktionierendes staatliches Krankenversicherungssystem; eine kostenlose medizinische Versorgung gibt es nur noch formell (vgl. Auskunft der Botschaft ... an das Bundesamt vom 26. November 2009 sowie VG Minden, Urteil vom 19. November 2008 - 11 K 2420/08 A - V.n.b. und VG Freiburg, Urteil vom 28. August 2007 - A 4 K 100/06 - V.n.b.). Neben der staatlichen Gesundheitsversorgung bildet sich ausweislich des Lageberichts des Auswärtigen Amtes derzeit ein privater medizinischer Sektor heraus, der gegen Barzahlung medizinische Leistungen auf annähernd europäischen Standard bietet und mit privaten Krankenversicherungen kooperiert. Der größte Teil der Bevölkerung kann sich eine solche medizinische Versorgung jedoch nicht leisten (Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 28. September 2009). Durch die starke Beteiligung der Patienten an den Gesundheitskosten durch direkte Zahlungen besteht die Gefahr des Ausschlusses des ärmsten Teils der Bevölkerung vom Zugang zum Gesundheitssystem (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe vom 8. Juni 2006: Ärztliche Versorgung in Aserbaidschan).

35

Die grundsätzlich verfügbare ärztliche bzw. therapeutische Behandlung könnte sich die Klägerin mit überwiegender Wahrscheinlichkeit nicht leisten.

36

Die Klägerin ist minderjährig und auf die finanzielle Unterstützung durch ihre Mutter angewiesen. Die Mutter der Klägerin erklärte in der mündlichen Verhandlung, sie habe die Schule in Aserbaidschan ohne Abschluss verlassen und habe keine Ausbildung; sie sei vor ihrer Flucht Hausfrau gewesen. In ihrer Anhörung im Asylerstverfahren schilderte sie zwar, sie habe in einem eigenen Laden gearbeitet, der 2003 geschlossen worden sei. Allerdings ergibt sich hieraus kein zwingender Widerspruch zu den - durchweg schlüssigen und glaubhaften - Angaben in der mündlichen Verhandlung, keine Ausbildung zu haben, so dass das Gericht überzeugt ist, dass die Mutter der Klägerin als alleinstehende, alleinerziehende Frau ohne familiäre Kontakte nur äußerst schwer eine Tätigkeit aufnehmen könnte, die ihren und den Lebensunterhalt der Klägerin sichern könnte.

37

Es ist auch nicht davon auszugehen, dass andere Verwandte die Klägerin finanziell so unterstützen könnten, dass eine angemessene Behandlung bzw. die Sicherung des Existenzminimums überhaupt möglich wäre. Zu ihrem Vater hat die Klägerin keinen Kontakt, die einzigen Verwandten, die nach dem Vortrag der Mutter der Klägerin noch in Aserbaidschan leben, seien die Großmutter und ein Onkel. Die Großmutter sei bereits Rentnerin und beziehe eine Rente von etwa 40 Euro, von der sie auch noch den asthmakranken Onkel unterstützen müsse, der nicht erwerbsfähig sei. Da das Familieneigenheim vor der Ausreise nach Deutschland verkauft worden sei, müssten Großmutter und Onkel nun auf sehr beengtem Raum bei entfernten Verwandten leben. Es bestehen inzwischen in Aserbaidschan zwar gesetzliche Regelungen zur Beantragung von Sozialhilfe und Pensionen. Die Sozialhilfe beträgt 50 Aserische Manat (AZN) monatlich (Auskunft der Botschaft der Bundesrepublik Deutschland ... an das VG Köln vom 2. Dezember 2009; 1 Manat entspricht ca. 1,20 Euro). Dieser Betrag deckt indes schon nicht das Existenzminimum, da sich die ärmeren Bevölkerungsgruppen bei einem Mindestgehalt von 140 AZN pro Monat und ähnlichen Lebenshaltungskosten wie in Deutschland bereits sehr einschränken müssen (vgl. Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 28. September 2009). Die Klägerin müsste darüber hinaus für die nach den ärztlichen Stellungnahmen unabdingbare Fortsetzung ihrer Therapie die anfallenden Behandlungskosten aufbringen. Selbst wenn sie nur einmal monatlich behandelt würde, wären dafür je psychotherapeutischer Sitzung zwischen 17 und 20 Euro aufzubringen (Auskunft der Botschaft ... an das Bundesamt vom 26. November 2009). Da dieser Betrag etwa 1/3 der bestenfalls gewährten Sozialhilfe darstellen würde, könnte die Klägerin diesen nicht aufbringen, ohne im Übrigen ihre Existenz zu gefährden, da sie von der Sozialhilfe daneben sämtliche Lebenshaltungskosten begleichen müsste, was nach den o.g. Ausführungen ausgeschlossen erscheint. Staatliche oder sonstige Aufnahmeeinrichtungen für Rückkehrer gibt es nicht (vgl. Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 28. September 2009).

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Sollte die Klägerin in Aserbaidschan die notwendige Therapie nicht fortsetzen können, würde sich ihr psychisches Leiden mit Sicherheit verstärken und sie in die Gefahr einer schweren psychischen Krise bringen. In einer solchen Situation bestünde die Gefahr der Eigengefährdung durch Suizidgedanken, die ausweislich der Stellungnahme des Krankenhauses vom 7. Juli 2010 nach Ansicht der behandelnden Ärzte bereits jetzt zunehmend präsent sind. Ohne die Fortsetzung der Therapie droht eine erhebliche Verschlechterung und Chronifizierung des psychischen Zustands der Klägerin; überdies steht nach der genannten Stellungnahme zu befürchten, dass eine Entwurzelung der Klägerin aus ihrem jetzigem Umfeld zu einer Retraumatisierung und weiter verstärkten Symptomatik führen wird. Da nach Auffassung der behandelnden Ärzte bzw. Therapeuten die Therapie unabdingbar ist und sogar nach der Einschätzung der Amtsärztin des Landkreises ..., Frau Dr. B., eine kontinuierliche Behandlung im Heimatland gewährleistet werden müsse, würden die aufgezeigten Gesundheitsgefahren auch mit einem hohen Grad an Wahrscheinlichkeit unmittelbar, d.h. ohne wesentliche Zwischenschritte nach der Ankunft im Heimatland eintreten.

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Angesichts der oben dargestellten gravierenden Gesundheitsgefahren aufgrund der schweren psychischen Erkrankungen der Klägerin, die im Falle ihrer Rückkehr in ihr Heimatland mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit Suizidalhandlungen oder zumindest eine massive Zuspitzung des psychischen Zustands auslösen würden, was dort auch nicht verhindert werden könnte, sind die Anforderungen an die Feststellung einer extremen Gefahr, die zu einer Ermessensreduzierung des Bundesamts führt, erfüllt (vgl. BVerwG, Urteil vom Urteil vom 12. Juli 2001 - 1 C 5.01 - juris).

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Offen bleiben kann daher, ob die Klägerin überhaupt hinreichend stabilisiert werden könnte, um die hiesige Umgebung zu verlassen und die Therapie in Aserbaidschan fortzusetzen. Zumindest die Amtsärztin Frau Dr. B. des Landkreises ... ging von einer grundsätzlichen Möglichkeit der Rückführung nach Aserbaidschan unter der Bedingung der dortigen kontinuierlichen Weiterbehandlung aus (Stellungnahme der Frau Dr. B. vom 7. Februar 2008). Aufgrund des Alters der Klägerin und des seit Jahren bestehenden Bezugs zu den hiesigen Therapeuten ist es nach Auffassung des Gerichts aber überaus zweifelhaft, ob eine - unterstellte - Möglichkeit der Weiterbehandlung in ihrem Heimatland überhaupt erfolgversprechend sein könnte oder ihr dieser Wechsel aufgrund des Verlassens des gewohnten, für sie sicheren Therapieumfeldes zumutbar wäre (zu dem Aspekt der Zumutbarkeit vgl. VG Arnsberg, Urteil vom 13. November 2008 - 6 K 1942/07.A). Überdies wäre die auch nach Auffassung der Amtsärztin erforderliche kontinuierliche Weiterbehandlung nicht mit hinreichender Sicherheit anzunehmen. Dies gilt gerade deshalb, weil die Klägerin nach den Angaben ihrer Mutter in der mündlichen Verhandlung nicht fließend Aserbaidschanisch spricht und sie aus diesem Grund zwangsläufig nicht sofort an eine Gesprächstherapie anknüpfen könnte, da für diese das Verstehen der Sprache des Therapeuten Voraussetzung ist. Zwar könnte die Mutter der Klägerin dolmetschen; dies erscheint jedoch angesichts des Zieles einer Gesprächstherapie, nämlich der möglichst reibungslosen Kommunikation des Therapeuten mit dem Patienten, eher hinderlich.

41

Der Feststellung eines zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbotes steht nicht entgegen, dass sich die psychischen Probleme der Klägerin wohl teilweise aufgrund ihres unsicheren ausländerrechtlichen Status und der Lebenssituation in Deutschland ergeben. Denn durch die Auflösung dieses Zustands in Deutschland durch die Rückreise in ihr Heimatland würde sich die psychische Labilität der Klägerin aller Wahrscheinlichkeit nach in dem ausgeführten Umfang weiter verstärken, so dass das Eintreten einer extremen Gefahr im Heimatland unabhängig von der Ursache der Erkrankung festgestellt werden muss.

42

Bei dieser Sachlage steht der Beklagten daher keine andere Entscheidungsmöglichkeit als die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG mehr offen.

43

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 155 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 VwGO, 83 b AsylVfG. Die Klägerin hatte zunächst die Feststellung sämtlicher Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG beantragt und bis auf den Antrag nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG die übrigen Klageanträge zurückgenommen. Die hälftige Kostenteilung erscheint nach Wertung des Verhältnisses der europarechtlichen und nationalen Abschiebungsverbote, die das Bundesverwaltungsgericht vornimmt (vgl. Beschluss vom 29. Juni 2009 - 10 B 60.08. u.a. - juris Rn. 9), angemessen.

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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 167 VwGO i.V.m. 708 Nr. 11 ZPO.