Verwaltungsgericht Lüneburg
Beschl. v. 12.11.2007, Az.: 1 B 42/07

Amtsführung; Amtsführungsverbot; Amtsverbot; Anfechtungsklage; aufschiebende Wirkung; Dienstausübung; Dienstfähigkeit; Dienstunfähigkeit; faktische Vollziehung; faktischer Vollzug; Fürsorgepflicht des Dienstherrn; gesundheitliche Gründe; Gesundheitszustand; Lehrerin; Recht auf Amtsführung; sofortige Vollziehung; Suspensiveffekt; Unterrichtsverbot; Versetzung in den Ruhestand; Verwaltungsakt; Vollziehbarkeit; Weisung; Widerspruch; Zuckerkrankheit

Bibliographie

Gericht
VG Lüneburg
Datum
12.11.2007
Aktenzeichen
1 B 42/07
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2007, 71726
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Gründe

I.

1

Die Antragstellerin ist Realschullehrerin und erlitt Anfang 2004 einen Dienstunfall. Im Zuge der aufgrund des Dienstunfalls durchgeführten ärztlichen Untersuchungen wurde bei der Antragstellerin Diabetes Mellitus festgestellt. Seit dem 11. Juli 2006 ist die Antragstellerin durchgängig dienstunfähig erkrankt.

2

Die Antragsgegnerin unterrichtete die Antragstellerin mit Schreiben vom 18. Oktober 2006, dass sie sich zum Zwecke der Überprüfung der Dienstfähigkeit einer amtsärztlichen Untersuchung zu unterziehen habe. In der amtsärztlichen Begutachtung vom 11. Mai 2007 wird festgestellt, dass die Antragstellerin an einer Zuckerkrankheit leide, die bereits zu Spätfolgen im Bereich der Nieren und der Nerven geführt habe. Die Zuckerkrankheit habe zu einer Störung der peripheren Nervenversorgung geführt. Die wesentliche Einschränkung der Mobilität und Gangsicherheit schränke die Antragstellerin in ihrer Tätigkeit als Lehrerin ein. Mit einer Wiederherstellung der Dienstfähigkeit sei nicht zu rechnen.

3

Mit Schreiben vom 22. Mai 2007 stellte die Antragsgegnerin die Dienstunfähigkeit der Antragstellerin fest und leitete das Verfahren zur Versetzung in den Ruhestand ein. Unter Vorlage eines fachinternistisch-diabetologischen Gutachtens vom 12. Juni 2007 nebst Ergänzung vom 16. Juni 2007 erhob die Klägerin hiergegen Einwendungen und legte, nachdem die Amtsärztin in der Stellungnahme vom 9. August 2007 an einer Beurteilung festgehalten hatte, weitere Gutachten vor. Die vorgelegten Gutachten werden derzeit von der Amtsärztin ausgewertet.

4

Die Antragsgegnerin teilte der Prozessbevollmächtigten der Antragstellerin in einem Telefonat am 4. Oktober 2007 mit, dass die Antragstellerin trotz der von ihr vorgelegten ärztlichen Bescheinigungen aufgrund der amtsärztlichen Stellungnahmen vorläufig keinen Unterricht erteilen dürfe.

5

Am 10. Oktober 2007 hat die Antragstellerin Klage gegen die Untersagung der Amtsausübung erhoben (1 A 190/07) und mit Schreiben gleichen Datums der Antragsgegnerin mitgeteilt, dass die erhobene Klage aufschiebende Wirkung habe und die Antragstellerin berechtigt sei, den Dienst aufzunehmen.

6

Mit Schreiben vom 11. Oktober 2007 teilte die Antragsgegnerin mit, dass die Ermittlungen zur Feststellung der Dienstunfähigkeit andauerten. Bis zu einer endgültigen Klärung der Dienstfähigkeit werde an der fernmündlich erteilten Weisung festgehalten, dass die Antragstellerin keinen Unterricht erteilen dürfe. Diese Weisung stelle kein Verbot der Amtsführung dar, vielmehr handele es sich um eine innerdienstliche Maßnahme im Rahmen des Verfahrens zur Versetzung in den Ruhestand. Diese Weisung stelle kein Verwaltungsakt dar, so dass der erhobenen Klage keine aufschiebende Wirkung zukomme.

7

Am 17. Oktober 2007 hat die Antragstellerin vorläufigen Rechtsschutz beantragt. Bei der Weisung, keinen Unterricht erteilen zu dürfen, handele es sich um ein Verbot der Amtsausübung. Dieses sei ein Verwaltungsakt und könne daher mit der Anfechtungsklage, die aufschiebende Wirkung entfalte, angefochten werden.

8

Die Antragstellerin beantragt,

9

festzustellen, dass die von der Antragstellerin am 10. Oktober 2007 erhobene Klage aufschiebende Wirkung hat.

10

hilfsweise,

11

der Antragsgegnerin aufzugeben, die Antragstellerin vorläufig bis zur gerichtlichen Entscheidung der Klage wieder Unterricht erteilen zu lassen.

12

Die Antragsgegnerin beantragt,

13

den Antrag abzulehnen.

14

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge verwiesen.

II.

15

Der Hauptantrag hat Erfolg.

16

Der Feststellungsantrag ist zulässig. Die Antragsgegnerin geht vorliegend von der Vollziehbarkeit der mündlich erteilten Weisung aus. In den Fällen sog. faktischer Vollziehung, d.h. wenn die Behörde einem Rechtsbehelf keine aufschiebende Wirkung beimisst, kann das Gericht analog § 80 Abs. 5 VwGO feststellen, dass der Rechtsbehelf aufschiebende Wirkung hat (zur Situation des sog. faktischen Vollzugs vgl. Kopp, VwGO, § 80 Rn 181).

17

Die Voraussetzungen für die beantragte Feststellung liegen vor. Die an die Antragstellerin mündlich erteilte Weisung stellt ein Verbot der Amtsführung im Sinne des § 67 Abs. 1 NBG dar (1). Die dagegen erhobene Klage hat gemäß § 80 Abs. 1 VwGO aufschiebende Wirkung (2.).

18

(1.) Nach § 67 Abs. 1 Satz 1 NBG kann die oberste Dienstbehörde oder die von ihr bestimmte Behörde einem Beamten aus zwingenden dienstlichen Gründen die Führung der Dienstgeschäfte verbieten. Diese Vorschrift legt fest, unter welchen Voraussetzungen einem Beamten die Führung seiner Dienstgeschäfte (vorübergehend) untersagt werden kann. Auch der (schlechte) Gesundheitszustand bzw. Zweifel an der Dienstfähigkeit eines Beamten können einen zwingenden Grund im Sinne dieser Vorschrift darstellen (vgl. OVG Lüneburg, Beschluss vom 3.3.1989 - 2 B 95/88 - ZBR 1990, 160). Kommt der Dienstherr zu der Auffassung, dass der Beamte aus gesundheitlichen Gründen nicht in der Lage ist, die mit seinem Aufgabenbereich verbundenen Dienstgeschäfte zu erfüllen, kann daher ein Verbot der Amtsführung auf Grundlage des § 67 Abs. 1 NBG parallel zur Durchführung eines Verfahrens zur Versetzung in den Ruhestand wegen Dienstunfähigkeit ausgesprochen werden. Ein Automatismus zwischen der Einleitung des Pensionierungsverfahrens und der Anordnung eines Amtsführungsverbots besteht jedoch nicht (vgl. VG Augsburg, Beschluss vom 2.11.2006 - Au 2 S 06.1102, juris). Vielmehr hat der Dienstherr darzulegen, dass mit Blick auf den Gesundheitszustand des Beamten eine Fortführung der Amtsgeschäfte - vor Abschluss des Verfahrens nach § 55 NBG - unzumutbar ist. Dieses ist bislang durch die Antragsgegnerin nicht erfolgt.

19

Eine andere Rechtsgrundlage für die ausgesprochene Weisung - wie etwa der Rückgriff auf die allgemeine Fürsorgepflicht (§ 87 NBG) - kommt insoweit nicht in Betracht. Denn ein Beamter hat nicht nur eine Pflicht zur Dienstleistung, sondern aufgrund seiner Ernennung auch ein Recht auf amtsangemessene Beschäftigung. Dieses Recht zur Amtsführung kann dem Beamten daher nur im Rahmen ausdrücklicher und eng begrenzter Regelungen entzogen werden (vgl. Sommer, NBG, § 67 Rn 1). Entsprechende gesetzliche Regelungen sind im Entlassungsverfahren für Beamte auf Probe oder Widerruf (§ 41a NBG), im Disziplinarverfahren im Wege der vorläufigen Diensterhebung (§ 38 NDiszG) und - wie hier - im Wege des Verbots der Amtsführung (§ 67 NBG) vorgesehen. Ein Rückgriff auf das allgemeine Gebot der Fürsorgepflicht (§ 87 NBG) ist insoweit jedoch nicht möglich, da anderenfalls die speziellen Einzelvorschriften umgangen würden (zum Verhältnis der allgemeinen Fürsorgepflicht gegenüber gesetzlichen Einzelregelungen vgl. Plog/Wiedow/Lemhöfer/Bayer, BBG, § 79 Rn 5).

20

(2.) Die fernmündlich erklärte Untersagung der Dienstgeschäfte als Maßnahme nach § 67 Abs. 1 NBG ist ein Verwaltungsakt (vgl. Plog/Wiedow/Lemhöfer/Bayer, BBG, § 60 Rn 9). Eine bestimmte Form für das Amtsverbot ist gesetzlich nicht vorgesehen, d.h. es kann grundsätzlich auch - wie hier - mündlich erlassen werden (§ 37 Abs. 2 Satz 1 VwVfG). Soll das Verbot der Amtsführung im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten nach § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO für sofort vollziehbar erklärt werden, hat dieses jedoch nach § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO grundsätzlich schriftlich zu erfolgen. Die schriftliche Anordnung der sofortigen Vollziehung ist hier nicht erfolgt. Folglich kommt der von der Antragstellerin erhobenen Klage gegen die mündlich erklärte Untersagung der Dienstgeschäfte (1 A 190/07) nach § 80 Abs. 1 VwGO aufschiebende Wirkung zu.

21

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf §§ 53 Abs. 3, 52 Abs. 1 und 2 GKG.