Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 08.09.2009, Az.: 32 Ss 103/09
Passversagung durch den Heimatstaat bei Weigerung der Wehrdienstableistung als fehlender Rechtfertigungsgrund für den ausländerrechtlichen Verstoß
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 08.09.2009
- Aktenzeichen
- 32 Ss 103/09
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2009, 24565
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGCE:2009:0908.32SS103.09.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Hannover - 02.04.2009 - AZ: 2343 Js 103365/05
Rechtsgrundlagen
- § 48 Abs. 2 AufenthG
- § 95 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG
Fundstellen
- NStZ 2010, 173-174
- NStZ-RR 2010, 298-299
Amtlicher Leitsatz
Macht der Heimatstaat die Passerteilung von der Ableistung des Wehrdienstes abhängig, ist dies für den Antragsteller grundsätzlich eine zumutbare Bemühung im Sinne von § 48 Abs. 2 AufenthG. Eine entsprechende Weigerung führt daher zur Strafbarkeit nach§ 95 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG (Aufgabe von OLG Celle, Beschluss v. 25.7.2005, 22 Ss 26/05, veröffentlicht u.a. in StraFo 2005, 434).
Tenor:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil der 5. kleinen Strafkammer des Landgerichts Hannover vom 2. April 2009 wird als unbegründet verworfen (§ 349 Abs. 2 StPO).
Der Angeklagte hat die Kosten des Revisionsverfahrens zu tragen.
Gründe
I.
Die 5. kleine Strafkammer des Landgerichts Hannover hat den Angeklagten wegen eines Verstoßes gegen das Ausländergesetz und dasAufenthaltsgesetz zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt und gleichzeitig ausgesprochen, dass davon ein Monat und zwei Wochen als verbüßt gelten. Nach den Feststellungen war eine Abschiebung des Angeklagten in die Türkei nicht möglich, weil er nicht im Besitz eines türkischen Passes war. Allerdings war es dem Angeklagten seit dem 23. Dezember 2004 möglich, beim türkischen Innenministerium den Antrag zu stellen, erneut einen Pass zu erhalten. Der Angeklagte war im Dezember 1991 in die Bundesrepublik eingereist und 1994 als Asylberechtigter anerkannt worden. Im Jahr 1996 wurde der Angeklagte vom Landgericht Hannover wegen gemeinschaftlichen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt, die er voll verbüßt hat. 1999 wurde der Angeklagte von der Ausländerbehörde ausgewiesen. Im Jahr 2003 bürgerte die Türkei den Angeklagten wegen Nichtableistung seines Wehrdienstes in der Türkei aus. Voraussetzung für den Erhalt eines neuen Passes wäre, so die Feststellungen, dass der Angeklagte sich zur Ableistung des Militärdienstes verpflichtet. Seine Klage auf Ausstellung eines Reiseausweises lehnte das Verwaltungsgericht Hannover mit Urteil vom 2. November 2005 ab, da ein Wiedereinbürgerungsantrag des Angeklagten nicht von vornherein aussichtslos und auch zumutbar erscheine. Dass er nicht bereit sei, Wehrdienst in der Türkei zu leisten, vermöge zu keiner anderen Beurteilung zu führen. Die Asylberechtigung des Angeklagten wurde mit Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 22. August 2005 widerrufen. Der Angeklagte ist sodann in der Folgezeit mehrfach von der Ausländerbehörde der Stadt H. aufgefordert worden, sich einen türkischen Pass zu beschaffen, was er jeweils abgelehnt habe.
Gegen dieses Urteil wendet der Angeklagte sich mit seiner Revision, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt. Der Angeklagte habe erst durch die Verlesung des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge in der Hauptverhandlung erfahren, dass seine Asylberechtigung widerrufen wurde. Deshalb sei sein auf den Nachweis der fehlenden Zustellung des Bescheides abzielender Beweisantrag zu Unrecht zurückgewiesen worden und seien weitere Feststellungen zum subjektiven Tatbestand erforderlich gewesen.
II.
Die zulässig erhobene Revision erweist sich als unbegründet.
1. Zur Sachrüge
Die vom Landgericht getroffenen Feststellungen tragen die Verurteilung wegen eines Verstoßes gegen § 95 Abs. 1 Nr. 1 Aufenthaltsgesetz bzw. § 92 Abs. 1 Nr. 2 Ausländergesetz. Für einen Verstoß gegen diese Vorschriften ist von entscheidender Bedeutung, ob es dem Ausländer gem. § 48 Abs. 2 Aufenthaltsgesetz (bzw. nach alter Rechtslage: § 39 Abs. 1 Ausländergesetz) zumutbar ist, einen Pass zu erlangen. Der Senat hat im Jahre 2005 in einem vergleichbaren Fall entschieden, dass einem Ausländer die Erlangung eines Passes nicht zumutbar sei, wenn der Heimatstaat die Passerteilung von sachfremden Gesichtspunkten abhängig mache, und die Frage der Ableistung des Wehrdienstes als solchen sachfremden Gesichtspunkt anerkannt (vgl. dazu OLG Celle, Beschluss vom 25. Juli 2005, 22 Ss 26/05, StraFo 2005, 434). An dieser Rechtsprechung hält der Senat nicht fest.
In § 5 Abs. 2 Nr. 3 Aufenthaltsverordnung ist normiert, dass die Erfüllung der Wehrpflicht, sofern sie nicht aus zwingenden Gründen unzumutbar ist, als grundsätzlich zumutbare Bemühung anzusehen ist, einen Pass zu erlangen. Auch in der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung ist anerkannt, dass die Ableistung der Wehrpflicht zu den zumutbaren Pflichten eines Ausländers gehört, um einen Pass zu erlangen (vgl. dazu OVG Lüneburg, Beschluss vom 27. August 2002, 11 PA 284/02, zitiert nach JURIS; Verwaltungsgericht des Saarlandes, Urteil vom 3. April 2006, 6 K 51/05, Verwaltungsgericht Stade, Urteil vom 3. August 2006, 4 A 1493/04). Dabei ist u. a. von Bedeutung, dass ein völkerrechtlich anerkanntes Menschenrecht auf Wehrdienst-/Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen nicht universell anerkannt ist und auch nicht aus Art. 9 EMRK abgeleitet werden kann (vgl. dazu OVG Hamburg, NVwZ-RR 1999, 342). Der Senat schließt sich nunmehr dieser verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung an. Verwaltungsrechtlich ist es grundsätzlich nicht als sachfremd anzusehen, wenn ein Staat die Passerteilung von der Erfüllung zumutbarer staatsbürgerlicher Pflichten abhängig macht und ist die Wehrpflicht als eine solche zumutbare staatsbürgerliche Pflicht anzusehen. Dies könnte anders zu beurteilen sein, wenn im konkreten Fall der Erfüllung der Wehrpflicht unzumutbare Hinderungsgründe entgegenstünden, wie z. B. die Annahme politischer Verfolgung wegen der vorausgehenden Wehrdienstverweigerung. Dafür sind aber keine Anhaltspunkte erkennbar, weder allgemeiner Art (vgl. dazu OVG Lüneburg, a. a. O.), noch ist dies konkret für die Person des Angeklagten behauptet worden.
Auch eine Asylberechtigung eines Ausländers lässt die Beantragung eines Passes in seinem Heimatland nicht unzumutbar erscheinen, wenn er trotz seiner Asylberechtigung wegen begangener Straftaten ausgewiesen wurde, so wie es hier erfolgt ist. Daher ist es auch unerheblich, ob der Widerruf der Asylberechtigung hier rechtskräftig und dem Angeklagten bekannt war. Entscheidend ist insoweit, auch für den subjektiven Tatbestand, allein, dass dem Angeklagten die rechtskräftige Ausweisungsverfügung bekannt war. Diese Verfügung aus dem Jahre 1999 war dem Angeklagten indessen bekannt.
2. Zur Verfahrensrüge
Auch die Verfahrensrüge erweist sich als erfolglos. Die Kammer hat den Beweisantrag des Angeklagten zu recht als bedeutungslos zurückgewiesen. Insoweit wird zunächst auf die zutreffenden Ausführungen der Generalstaatsanwaltschaft verwiesen. Soweit der Revisionsführer mit der Revisionsbegründung erstmals darauf hinweist, dass die Kammer die unter Beweis gestellte Tatsache im Hinblick auf Vorsatz und Irrtum hätte würdigen müssen, bestand dazu nach dem sich aus den Urteilsgründen ergebenden übrigen Ergebnis der Beweisaufnahme kein Anlass. Vielmehr hatte der Angeklagte auf den Hinweis der Angestellten der Ausländerbehörde, Strafanzeige zu erstatten, geantwortet, dass "bei ihm sowieso nichts zu holen sei und er sich keinen Pass besorge". Dies spricht nicht für einen fehlenden Vorsatz oder fehlendes Unrechtsbewusstsein, sondern für einen bewussten Verstoß gegen seine Passpflicht. Gerade hinsichtlich des möglichen Vorliegens eines Verbotsirrtums gilt, dass für die Kammer nur dann Anlass besteht, diese Frage zum Gegenstand der Beweisaufnahme zu machen, wenn dazu ein konkreter Anlass besteht, also wenn der Angeklagte sich substantiiert entsprechend einlässt oder die Umstände des Einzelfalls sonst einen solchen Irrtum nahelegen (Leipziger Kommentar-Vogel, StGB, § 17 Rn 10). Solche Umstände waren hier nicht erkennbar. Dass der Angeklagte der (irrigen) Auffassung gewesen sein könnte, sein (vermeintlicher) Status als anerkannter Asylbewerber lasse die Passbeschaffung unzumutbar werden, war für die Kammer auch aus der Formulierung des Beweisantrages, der keine Begründung enthielt, nicht erkennbar. Jedenfalls hätte es aber eines entsprechenden Hinweises des Angeklagten bedurft, dass der Antrag so verstanden werden sollte, nachdem die Kammer den Antrag ersichtlich nur auf den objektiven Status des Angeklagten bezogen hatte und diesen als unerheblich angesehen hatte (zur Hinweispflicht des Angeklagten bei Missverständnissen vgl. nur BGH StV 2009, 62; BGH StV 2001, 436, BGH NStZ-RR 2008, 382).
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 StPO.