Verwaltungsgericht Hannover
Urt. v. 07.11.2013, Az.: 2 A 75/13

Selbsteintritt; Wiederaufnahmegrund

Bibliographie

Gericht
VG Hannover
Datum
07.11.2013
Aktenzeichen
2 A 75/13
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2013, 64414
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

1. Die inhaltliche Anhörung des Asylbewerbers zu seinen Fluchtgründen ist keine (konkludente) Ausübung zum Selbsteintrittsrecht.

2. Wenn die Anhörung zum Fluchtweg konkrete Anhaltspunkte für eine anderweitige Asylantragstellung liefert, (hier: Abnahme von Fingerabdrücken in Italien), das BAMFl deshalb mitteilt, es müsste zunächst seine Zuständigkeit überprüfen, es dann den Asylbewerber inhaltlich anhört und das Wiederaufnahmegesuch nach Art. 20 Dublin II VO erst 9 Monate nach der Anhörung stellt, ist von einem konkludenten Selbsteintritt auszugehen.

Tenor:

Die drei Bescheide des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 11.12.2012 werden aufgehoben.

Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Insoweit ist das Urteil vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand:

Der im Jahr H. geborene Kläger zu 1) und die im Jahre I. geborene Klägerin zu 2) sind seit 1992 verheiratet. Die in den Jahren J., K. und L. geborenen Kläger zu 3) bis 5) sind ihre in Syrien geborenen Kinder. Die Familie ist kurdischer Volkszugehörigkeit und syrischer Staatsangehörigkeit. Die Familie reiste im Juli 2011 von Libyen nach Italien (Lampedusa).  Die Kläger zu 3) bis 5) reisten im September 2011 in die Bundesrepublik Deutschland ein und wohnten zunächst bei ihrem Onkel und Vormund. Ihre Eltern folgten ihnen im November 2011, als sie mit dem Pkw über Österreich einreisten. Alle Kläger stellten am 17.11.2011 einen Asylantrag.

Die Kläger zu 1) und 2) wurden zu ihrem Asylbegehren am 17.11.2011 vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) in kurdischer Sprache zur Vorbereitung der Anhörung zu ihren Personalien, ihrem Reiseweg und ihrem Aufenthalt in Italien befragt. Die Kläger brachten hier vor, sie hätten in Italien keinen Asylantrag gestellt. Es seien ihnen nur ihre Fingerabdrücke abgenommen worden. Am Ende der Befragung erhielten sie den Hinweis, das Bundesamt werde aufgrund ihrer Angaben zunächst prüfen, ob Deutschland für eine inhaltliche Prüfung ihres Asylantrages zuständig ist. Am 29.11.2011 wurden die Kläger zu 1) und 2) zu den Gründen ihrer Flucht aus Syrien angehört. Sie erklärten dort übereinstimmend, die Familie habe seit 2004 in Libyen gelebt, wo der Kläger zu 1) als selbstständiger Maurer tätig gewesen sei. Nach dem Aufstand von Kamishli im März des Jahres 2004 seien sie nicht wieder nach Syrien zurückgekehrt, weil der Ehemann von den syrischen Behörden gesucht werde. Im Anschluss an ein Fußballspiel sei es zu Auseinandersetzungen zwischen arabischen und kurdischen Zuschauern gekommen, bei denen auch Personen zu Tode gekommen seien. Bei den anschließenden Demonstrationen der kurdischen Bevölkerung habe er – der Kläger zu 1) – mit zwei weiteren Männern das Denkmal des Vaters des Staatspräsidenten beschädigt.  Zwei Tage später seien seine beiden Begleiter festgenommen worden. Er habe sich daraufhin versteckt gehalten und sei über Damaskus und einem zweimonatigem Aufenthalt in Jordanien nach Libyen gereist. In Jordanien habe er telefonisch von seinem Bruder erfahren, dass einer seiner beiden Begleiter unter der Folter seinen Namen preisgegeben habe.

Nachdem am 16.07.2012 eine Sachstandsanfrage des früheren Prozessbevollmächtigten beim Bundesamt einging, richtete es unter dem 27.08.2012  ein Übernahmeersuchen nach der Dublin-II-Verordnung an Italien. Es hatte einen EURODAC-Treffer ermittelt sowie eine Asylantragstellung der Kläger in Como am 08.08.2011. Das italienische Innenministerium erkannte daraufhin mit Schreiben vom 06.09.2012 die Zuständigkeit  Italiens für die Bearbeitung der Asylanträge gemäß Art. 16 Abs. 1c der Dublin-II-Verordnung an.

Das Bundesamt entschied daraufhin mit drei Bescheiden vom 11.12.2012, die Asylanträge der Kläger seien unzulässig, und ordnete ihre Abschiebung nach Italien an. In den Bescheiden führt es im Einzelnen aus, dass Italien gegenüber Asylantragstellern den Mindeststandard erfülle und für einen Ausnahmefall vom Konzept der normativen Vergewisserung keine hinreichenden Anhaltspunkte bestünden. Die Bescheide wurden den Klägern am 20.12.2011 durch die Region Hannover als zuständige Ausländerbehörde übergeben. Mit Schreiben vom gleichen Tage teilte die Region den Klägern mit, ihre Rückführung nach Italien sei für den 10.01.2013 um 8.00 Uhr morgens vorgesehen.

Die Kläger haben am 02.01.2013  Klage erhoben und zugleich um vorläufigen Rechtsschutz nachgesucht. Der Einzelrichter hat mit Beschluss vom 07.10.2013 – 2 B 76/13 – die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die drei Bescheide vom 11.12.2012 angeordnet. Auf die Gründe dieses Beschlusses wird zur näheren Sachdarstellung Bezug genommen.

Zur Begründung ihrer Klage bringen die Kläger vor: In Italien seien ihnen lediglich Fingerabdrücke abgenommen worden, einen Asylantrag hätten sie nicht gestellt. Allerdings seien sie in Como aufgefordert worden, ein Schriftstück zu unterschreiben. Dem seien sie nachgekommen, obwohl sie wegen des Fehlens eines Dolmetschers den Inhalt des Papiers nicht verstanden hätten. Die Praxis der Durchführung von Asylverfahren entspreche in Italien nicht den Anforderungen des EU-Rechts, wie sich insbesondere aus dem Gutachten der Flüchtlingsorganisation Borderline-Europe, Menschenrechte ohne Grenzen e.V. – Außenstelle Italien – (Judith Gleitze) aus dem Dezember 2012, erstellt für das VG Braunschweig ergebe. Sie können auch nicht mehr nach Italien abgeschoben werden, weil das Bundesamt sein Übernahmeersuchen an Italien verspätet – nach Ablauf von drei Monaten – gestellt habe. Das Bundesamt habe von dem Italienaufenthalt seit der Anhörung im November 2011 gewusst, das Verfahren entgegen dem Grundgedanken der Dublin-II-Verordnung aber nicht zügig und rasch durchgeführt. Die Kläger zu 2) und 5) litten unter starken psychischen Erkrankungen und würden auch bereits ärztlich behandelt. Eine solche ausreichende ärztliche Behandlung könnten sie in Italien nicht erlangen, zumal ein Asylverfahren dort schon mehr als sechs Monate alt sei. Die Kläger legen ein ärztliches Attest des Facharztes für Allgemeinmedizin Dr. M. vom 28.08.2013 vor, der für die Klägerin zu 2) die Diagnose „Angst und depressive Störung, Verdacht auf posttraumatische Belastungsstörung“ stellt und eine fachpsychologische Therapie für dringend erforderlich hält. Eine inhaltsgleiche Diagnose hat dieser Arzt am 05.07.2013 für den Kläger zu 5) gestellt. Die Klägerin zu 2) hat für den 03.12. einen Termin bei der Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie (Psychotherapie) –N. in Barsinghausen – vereinbart.

Die Kläger beantragen,

die Beklagte unter Aufhebung der drei Bescheide des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 11.12.2012 zu verpflichten, von ihrem Selbsteintrittsrecht Gebrauch zu machen und das Asylverfahren durchzuführen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen,

weil systemische Mängel im Asylverfahren in Italien nicht ersichtlich seien und dort auch eine hinreichende medizinische Betreuung – auch psychischer Erkrankungen – gewährleistet sei.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte  und die beigezogenen Akten des Bundesamtes verwiesen. Die Kammer hat die Kläger zu 1), 2) und 3) in der mündlichen Verhandlung informatorisch angehört, wegen ihrer Aussage wird auf das Verhandlungsprotokoll Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist als Anfechtungsklage zulässig. Soweit sie über die Anfechtung des Bundesamtsbescheides hinausgehend darauf gerichtet ist, das Bundesamt zur Durchführung eines Asylverfahrens zu verpflichten, kommt diesem Begehren eine rechtlich selbständige Bedeutung nicht zu. Die insoweit beantragte Rechtsfolge ergibt sich im Falle des Erfolgs des Anfechtungsbegehrens unmittelbar aus der gesetzlichen Regelung. Die Kammer hat in ihrem Urteil vom 13.09.2013 – 2 A 4489/12 – bereits entschieden, dass in vorliegender Konstellation allein eine isolierte Anfechtungsklage statthaft ist. Da die Kläger im gerichtlichen Verfahren keinen auf ihre Anerkennung als Flüchtling zielenden Antrag gestellt haben, kann das Klagebegehren im Wege der Auslegung als bloßer Hinweis auf die Rechtslage verstanden werden.

Das Anfechtungsbegehren muss  in der Sache Erfolg haben. Die angefochten drei Bescheide des Bundesamtes vom 11.12.2012 erwiesen sich als rechtswidrig und verletzen deshalb die Kläger ihren Rechten, sodass sie antragsgemäß aufzuheben sind, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.

Die Asylanträge der Kläger sind unzulässig nach Maßgabe des  § 27a AsylVfG, wenn nicht die Bundesrepublik Deutschland sondern ein anderer Staat aufgrund von Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die Durchführung der Asylverfahren zuständig ist. Die in den angegriffenen Bescheiden  des Weiteren verfügte Anordnung der Abschiebung der Kläger nach Italien ist rechtens, wenn feststeht, dass die Abschiebung der Kläger in den anderen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat durchgeführt werden kann, § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG in der hier anwendbaren (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG) Fassung vom 28.08.2013.

Die Abschiebung kann nicht durchgeführt werden, wenn wegen eines inlandsbezogenen Hindernisses Abschiebungsschutz zu gewähren ist. Im Gegensatz zur Abschiebungsandrohung nach § 34 AsylVfG, die das Bundesamt mit der Entscheidung über den Asylantrag erlässt und bei der es nur sog. zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse zu berücksichtigen hat (BVerwGE 105, 323 f., 383 f. [BVerwG 11.11.1997 - BVerwG 9 C 13/96]), muss das Bundesamt bei Erlass der Abschiebungsanordnung feststellen, dass alle Zulässigkeitsvoraussetzungen für eine Abschiebung erfüllt sind und die Abschiebung durchgeführt werden kann. Die Abschiebungsanordnung ist also rechtswidrig, wenn die Abschiebung aus in der Person des Ausländers liegenden Gründen rechtlich oder tatsächlich nicht möglich ist (OVG Hamburg, Beschluss vom 03.12.2010, juris; VGH Mannheim, Beschluss vom 31.05.2011, AuAs 2011, 187; OVG Lüneburg, Beschluss vom 02.05.2012, AuAs 2012, 164). Die geltend gemachten Erkrankungen der Klägerin zu 2) und des Klägers zu 5) ergeben  einen solchen Duldungsgrund nicht. Dazu sind die bisher vorgelegten ärztlichen Atteste zu unsubstantiiert. Um dem Verdacht auf eine PTBS näher nachzugehen, muss sich aus einer ärztlichen Bescheinigung regelmäßig nachvollziehbar ergeben, auf welcher Grundlage ein Facharzt seine Diagnose gestellt hat und wie sich die Krankheit im konkreten Fall darstellt. Dazu gehören etwa Angaben darüber, seit wann und wie häufig sich der Patient in ärztlicher Behandlung befunden hat und ob die von ihm geschilderten Beschwerden durch die erhobenen Befunde bestätigt werden. Des Weiteren soll das Attest Aufschluss über die Schwere der Krankheit, deren Behandlungsbedürftigkeit sowie über den bisherigen Behandlungsverlauf geben. Wird das Vorliegen einer PTBS auf traumatisierende Erlebnisse im Heimatland gestützt und werden die Symptome erst längere Zeit nach der Ausreise aus dem Heimatland vorgetragen, ist regelmäßig auch eine Begründung dafür erforderlich, warum die Erkrankung nicht früher geltend gemacht worden ist (BVerwG, Urteil vom 11.09.2007, NVwZ 2008, 330 [BVerwG 11.09.2007 - BVerwG 10 C 8/07]). Die Kammer sieht in Anwendung dieser Grundsätze keinen Anlass, den geltend gemachten Erkrankungen von Amts wegen näher nachzugehen. Sie berücksichtigt dabei auch, dass sich die Kläger vor ihrer Einreise nach Italien für acht Jahre in Libyen aufgehalten haben.

Die Klage muss jedoch Erfolg haben, weil die Asylanträge der Kläger zulässig sind.

Die Zuständigkeit Italiens ist für die Durchführung des Asylverfahrens gemäß Art. 10 Abs. 1 Satz 1 Dublin II VO zunächst einmal begründet worden. Die gemäß Art. 5 Abs. 1 Dublin II VO vorrangig zu prüfenden Zuständigkeitskriterien nach Art. 6 bis 9 dieser Verordnung sind nicht einschlägig. Nach ihren Angaben reisten die Kläger aus Libyen kommend auf dem Seeweg nach Italien (Lampedusa) ein. Das italienische Innenministerium hat bestätigt, dass die Kläger in Italien einen Asylantrag gestellt haben. Die Kläger haben dies zunächst abgestritten, schließlich aber doch eingeräumt, dass sie etwas unterschrieben hätten, was sie nicht verstanden haben. An der Asylantragstellung hat die Kammer aufgrund der italienischen Urkunden keine Zweifel. Italien hat sich gemäß Art. 6 Abs. 1 Buchstabe c Dublin II VO ausdrücklich für die Wiederaufnahme zuständig erklärt.

Die Zuständigkeit für die Bescheidung der Anträge ist nicht gemäß § 17 Abs. 1 Satz 2 Dublin II VO auf die Beklagte übergegangen. Nach dieser Vorschrift hat der Mitgliedsstaat, in dem ein Asylantrag gestellt wurde und der einen anderen Mitgliedstaat für die Prüfung des Antrags für zuständig hält, diesen in jedem Fall innerhalb von drei Monaten nach Einreichung des Antrages zu ersuchen, den Asylbewerber aufzunehmen. Bei Überschreitung der Frist geht die Zuständigkeit auf den ersuchenden Staat über. Die Kläger haben ihre Asylanträge in Deutschland am 17.11.2011 gestellt, das Übernahmeersuchen des Bundesamtes aber erst am 27.08.2012 an Italien gerichtet, mithin erst neun Monate später. Art. 17 Abs. 1 Dublin II VO ist hier jedoch nicht einschlägig. Denn die dort genannte Dreimonatsfrist gilt ausdrücklich nur im Rahmen des Aufnahmeverfahrens, nicht aber in Fällen des Wiederaufnahmeverfahrens. Die Dublin II VO unterscheidet gerade in Art. 16 Abs. 1 zwischen der Überstellung des Asylsuchenden in einem Aufnahmeverfahren gemäß den Artikel 17 bis 19 der VO einerseits und einer Überstellung des Asylsuchenden im Wiederaufnahmeverfahren gemäß Art. 20 der VO andererseits. Durch Art. 16 Dublin II VO wird der Anwendungsbereich der nachfolgenden Art. 17 bis 20 der VO bestimmt. Aus den dort für Aufnahme- und Wiederaufnahmeverfahren vorgesehenen unterschiedlichen Rechtsfolgen ergibt sich, dass für das Wiederaufnahmeverfahren eine Übernahmeersuchensfrist in der VO nicht ausdrücklich vorgesehen ist. Art. 20 der VO nennt eine solche Frist nicht und nimmt auch nicht die Regelung in Art. 17 Abs. 1 der VO Bezug.

Die Zuständigkeit für die Durchführung des Asylverfahrens ist auch nicht gemäß Art. 20 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 Buchstabe d Satz 2 Dublin II VO auf die Beklagte übergegangen. Danach erfolgt die Überstellung des Asylsuchenden von dem Mitgliedsstaat, in dem der zweite Asylantrag gestellt wurde (Bundesrepublik Deutschland) in dem Mitgliedstaat, der die Wiederaufnahme akzeptiert (Italien), gemäß den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften des ersuchenden Mitgliedsstaats nach Abstimmung zwischen den beteiligten Mitgliedsstaaten, sobald dies materiell möglich ist und spätestens innerhalb einer Frist von sechs Monaten nach der Annahme des Antrags auf Wiederaufnahme oder der Entscheidung über den Rechtsbehelf, wenn dieser aufschiebende Wirkung hat. Wird die Überstellung nicht innerhalb der Frist von sechs Monaten durchgeführt, geht die Zuständigkeit gemäß Art. 20 Abs. 2 Satz 1 Dublin II VO auf den Mitgliedsstaat über, in der der zweite Asylantrag eingereicht wurde. Im vorliegenden Fall hat Italien das Wiederaufnahmegesuch unter dem 06.09.2012 ausdrücklich angenommen. Seitdem sind zwar mehr als sechs Monate verstrichen. Dies führt jedoch nicht zu einer Zuständigkeit der Beklagten für die Durchführung des Asylverfahrens. Die Überstellungsfrist beginnt nämlich frühestens mit der Entscheidung im Hauptsacheverfahren über den Rechtsbehelf des Asylsuchenden gegen die Entscheidung des Bundesamtes, den Asylantrag wegen der Zuständigkeit eines anderen Mitgliedstaates nicht zu prüfen, sofern der Rechtsbehelf aufschiebende Wirkung hat (vgl. EuGH, Urteil vom 29.01.2009 – C 19/08 – juris; Nds.OVG, Beschluss vom 02.08.2012 – 4 MC 133/12 – juris Rdnr. 14). Der von den Klägern eingelegte Rechtsbehelf der Klage hatte aufschiebende Wirkung im Sinne des Art. 20 Abs. 1 Buchstabe d Dublin II VO. Die Kammer hat nämlich durch ihren Einzelrichter im Beschluss vom 07.01.2013 – 2 B 76/13 – die aufschiebende Wirkung der vorliegenden Klage gegen die drei Bescheide des Bundesamtes vom 11.12.2012 angeordnet, die hier streitbefangen sind. Die Rechtsfolge  der aufschiebenden Wirkung ist damit eingetreten, auch wenn zum Zeitpunkt der damaligen Eilentscheidung das nationale geschriebene Recht einen Rechtsbehelf mit aufschiebender Wirkung nicht vorgesehen hatte (§ 34 AsylVfG a. F.).

Eine Pflicht  der Beklagten, die Asylanträge der Kläger in eigener Zuständigkeit zu prüfen und zu entscheiden, ergibt sich auch nicht aus Art. 3 Abs. 2 Dublin II VO. Diese Vorschrift verpflichtet die Beklagte nicht zur Ausübung des eigenen Prüfungsrechts im Wege des sog. Selbsteintritts. Nach der genannten Norm kann jeder Mitgliedsstaat einen von einem Drittstaatsangehörigen eingereichten Asylantrag prüfen, auch wenn er nach den in dieser Verordnung festgelegten Kriterien nicht für die Prüfung zuständig ist. Ob er von dieser Befugnis Gebrauch macht, steht grundsätzlich in seinem pflichtgemäß auszuübenden Ermessen. Eine Reduzierung des Ermessens der Beklagten auf null ist nicht erkennbar. Der durch die Dublin II VO geschaffenen Zuständigkeitsregelung zwecks Verwirklichung eines gemeinsamen europäischen Asylsystems, wie es Art. 78 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union – AEUV – vorschwebt, liegt die Annahme zugrunde, in allen Mitgliedstaaten sei die Anwendung der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention sichergestellt. Eine Durchbrechung dieses sog. Konzepts der normativen Vergewisserung aufgrund einer Reduzierung des Ermessens eines Mitgliedsstaats nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II VO auf null kommt deshalb nur dann in Betracht, wenn sich aufgrund konkreter Tatsachen aufdrängt, dass der Asylbewerber von einem Sonderfall betroffen ist, der von dem vorgenannten Konzept nicht aufgefangen wird. Nach der Rechtsprechung des EuGH (Urteil vom 21.12.2011 – C 411/10 und C 493/10 – juris) ist von einem solchen Ausnahmefall nur dann auszugehen, wenn es ernstzunehmende und durch Tatsachen gestützte Gründe dafür gibt, dass in dem Mitgliedsstaat, in den abgeschoben werden soll, in verfahrensrechtlicher oder materieller Hinsicht nach aktuellen Erkenntnissen kein hinreichender Schutz gewährt wird. Dafür reicht aber nicht jeder Verstoß gegen die GFK oder die EMRK oder gegen die Richtlinie über die Mindestnormen aus. Erforderlich ist vielmehr, dass das Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber im zuständigen Mitgliedsstaat systemische, dem ersuchenden Mitgliedsstaat nicht unbekannte Mängel aufweisen, die für den Asylbewerber eine tatsächliche Gefahr begründen, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK, der mit Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union übereinstimmt, ausgesetzt zu sein. Die Kammer hat bereits im genannten Urteil vom 13.09.2013 in Auswertung der zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemachten Erkenntnismittel entschieden, dass diese Voraussetzungen hinsichtlich Italiens nicht vorliegen. Dafür spricht auch die neuere, im dortigen Verfahren noch nicht berücksichtigte Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 21.01.2013 an das OVG Magdeburg.

Dieses Ergebnis gilt auch in Ansehung der geltend gemachten Erkrankungen der Klägerin zu 2) und des Klägers zu 5). Das Auswärtige Amt (aaO) führt insoweit aus, eine ärztliche Versorgung sei im Allgemeinen auch gewährleistet, soweit es um die Behandlung von psychischen bzw. traumatischen Erkrankungen geht. Eine kostenfreie medizinische Versorgung stehe auch Personen zu, die nicht in einer staatlichen Unterkunft untergebracht sind. Die Notambulanz ist für alle Personen in Italien kostenfrei. Dies gilt auch für Asylbewerber während des Asylverfahrens. Die in Italien bestehenden Probleme sind keine systemischen Mängel, die als landesweite strukturelle Missstände charakterisiert werden könnten.

Im Einzelfall kann unabhängig von der Lage in Italien aus individuellen, in der Person des Asylsuchenden liegenden Gründen Abweichendes geboten sein, wenn diese Gründe von vornherein von dem dargelegten Konzept der normativen Vergewisserung nicht erfasst sind. Von Überstellungen in einen anderen Mitgliedsstaat ist etwa dann abzusehen, wenn der betroffene Asylsuchende zu den in Art. 17 Abs. 1 der Richtlinie 2003/9/EG des Rates vom 27.01.2003 zur Festlegung von Mindestnormen für die Aufnahme von Asylbewerbern in den Mitgliedstaaten zählt. Dazu muss der Betroffene nach einer Prüfung seines Einzelfalles seiner Situation als besonders hilfebedürftig anerkannt worden sein und zu der besonders schutzbedürftigen Personengruppe der Minderjährigen, Behinderten, älteren Menschen, Schwangeren oder Alleinerziehenden mit minderjährigen Kindern gehören oder aber Folter, Vergewaltigung oder sonstige schwere Formen psychischer, physischer oder sexueller Gewalt erlitten haben. Für solche beachtlichen Gründe gibt der Vortrag der Kläger nichts her.

Das Bundesamt hat jedoch das Selbstantrittsrecht aus Art. 3 Abs. 2 Dublin II VO bereits ausgeübt und durfte deshalb als zuständige Behörde die Asylanträge nicht als unzulässig behandeln. Wie ein Selbsteintritt auszuüben ist, wird durch die VO nicht vorgegeben. Maßgeblich kann daher nur sein, dass das Bundesamt seine Entschließung in irgendeiner verlässlichen Art und Weise nach außen erkennbar werden lässt. Es ist nicht ausgeschlossen, dass sich die Ausübung des Selbsteintrittsrechts auch konkludent aus den Umständen ergeben kann. So soll regelmäßig mit Beginn einer inhaltlichen Anhörung des Asylbewerbers zu den eigentlichen Fluchtgründen das Selbsteintrittsrecht ausgeübt worden sein (GK-Funke Kaiser, § 27a AsylVfG Randziffer 148), während das bloße Anhören zum Reiseweg oder zu Voraufenthalten in anderen Staaten dagegen nicht als Ausübung des Selbsteintrittsrechts verstanden werden kann, da diese Frage typischerweise zur Klärung gerade der Zuständigkeit dienen. Im vorliegenden Fall sind die Kläger zu 1) und 2) am 17.11.2011 zur Vorbereitung der Anhörung nach § 25 AsylVfG befragt worden. In dieser Befragung ging es allein um die Familien- und Personenstandsverhältnisse, Wohnort in Syrien und den Aufenthalt in Italien sowie den Reiseweg. Am 29.11.2011erfolgte die Anhörung zu den eigentlichen Fluchtgründen und den Geschehen in der Heimat der Kläger. Diese zweigeteilte Anhörung führt zur Überzeugung der Kammer jedoch allein noch nicht dazu, dass von einem Selbsteintritt des Bundesamtes ausgegangen werden kann. Schließlich gibt es gute Gründe der Verfahrensgestaltung und -ökonomie, vorbereitend zur eigentlichen Anhörung Fragen zur Person und zum Reiseweg vorzuziehen. Geht das Bundesamt so vor, macht es noch nicht in einer nach außen verlautbarten Weise deutlich, dass es sich für die Prüfung des Asylantrages zuständig hält. Davon kann insbesondere in den Fällen nicht ausgegangen werden, in denen die Anhörung zum Reiseweg keine Anhaltspunkte für eine anderweitige Asylantragstellung gewinnt.  Für die Annahme eines - auch konkludenten - Selbsteintritts sind für den Antragsteller erkennbare Umstände unverzichtbar, weil die Verfahrenshandlung aus der Sicht des Asylbewerbers ausgelegt werden muss. Es gelten insoweit die allgemeinen Auslegungsregeln für Willenserklärungen, vgl. §§ 133,157 BGB.

Im vorliegenden Einzelfall ist die Kammer zu der Überzeugung gelangt, dass das Bundesamt das Verfahren so betrieben hat, dass die Kläger davon ausgehen dürften, es werde ihre Anträge in der Sache prüfen. Maßgeblich für diese Einschätzung sind zwei Aspekte, die zusammengenommen ein Vertrauen der Kläger in eine sachliche Bescheidung begründen,

Am Ende der Anhörung vom 17.11.2011 ist an beide Kläger unabhängig voneinander der Hinweis ergangen, dass „aufgrund ihrer gemachten Angaben das Bundesamt nunmehr zunächst die Frage überprüfen wird, ob Deutschland für eine inhaltliche Prüfung des Asylantrages zuständig ist“. Diese Anhörung hatte, weil die Kläger geschildert hatten, ihnen seien in Italien Fingerabdrücke abgenommen worden, eindeutige Hinweise auch auf eine Asylantragstellung ergeben. Am 29.11.2011 sind dann die Kläger ohne weitere Erklärung inhaltlich zu ihren Asylgründen gemäß § 25 AsylVfG befragt worden. Sie wurden aufgefordert, alle Fakten und Ereignisse zu schildern, die die Verfolgungsfurcht begründen sowie einer Abschiebung in ihren Heimatstaat entgegenstehen. Erst nachdem der damalige Prozessbevollmächtigte unter dem11.07.2012 nachfragte, wann mit einer Sachentscheidung gerechnet werden könne, hat das Bundesamt am 27.08.2012 ein Übernahmeersuchen an Italien gerichtet. Am gleichen Tage wurde dem früheren Prozessbevollmächtigten erstmals mitgeteilt, der Asylantrag werde nunmehr in Dublin-Referat des Bundesamtes bearbeitet und ein Übernahmeersuchen an Italien gestellt werden. Die durch den Hinweis an die Kläger geweckte Erwartung der zunächst erfolgenden Zuständigkeitsprüfung, die ohne weitere Erklärung folgende inhaltliche Befragung in Zusammenhang mit einer anschließenden Untätigkeit von neun Monaten bilden in ihrer Gesamtheit für die Kläger einen Vertrauenstatbestand, weil sie im Zeitpunkt der Sachstandsanfrage ihres Bevollmächtigten davon ausgehen durften, ihre Antrage in der Sache geprüft und entschieden zu bekommen. Folglich hat sich das Selbsteintrittsrecht der Beklagten zu einer Pflicht zum Selbsteintritt verdichtet.

Das Wiederaufnahmeverfahren nach Art. 20 Dublin II VO kennt zwar eine Ausschlussfrist für die Stellung des Wiederaufnahmegesuchs nicht. Die Dreimonatsfrist des Art. 17 Abs. 2 der VO gilt hier wie ausgeführt nicht. Dennoch ergeben sich aus der Dublin II VO Anhaltspunkte dafür, dass die Stellung des Gesuchs nicht beliebig hinausgezögert werden darf. Der vierte Erwägungsgrund der Verordnung verweist darauf, dass insbesondere eine rasche Bestimmung des zuständigen Mitgliedsstaates ermöglicht werden soll, um den effektiven Zugang zu den Verfahren zur Bestimmung der Flüchtlingseigenschaft zu gewährleisten und das Ziel einer zügigen Bearbeitung der Asylanträge nicht zu gefährden. Der 15. Erwägungsgrund stellt klar, dass die Verordnung im Einklang mit den Grundrechten und Grundzügen, die insbesondere mit der Charta der Grundrechte der Europäischen Union anerkannt werden im Einklang steht, und dass sie insbesondere darauf abzieht, die uneingeschränkte Wahrung des in Art. 18 verankerten Rechts auf Asyl zu gewähren. Der EuGH (4. Kammer) hat schon in seinem Urteil vom 29.01.2009, (NJW 2009, 639) auf die Bedeutung und die Notwendigkeit einer zügigen Bearbeitung von Asylverfahren nach der Dublin II VO hingewiesen. In seinem Urteil vom 21.12.2011 - C 411/10 - NVwZ 2012, 413) hat der EuGH den Mitgliedsstaat, in dem sich der Asylbewerber befindet, verpflichtet, darauf zu achten, dass eine Situation, in der dessen Grundrechte verletzt werden, nicht durch ein unangemessen langes Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedsstaates verschlimmert wird. Erforderlichenfalls müsse er den Antrag nach den Modalitäten des Art. 3 Abs. 2 der Dublin II VO selbst prüfen (Randziffer 98). Aus diesen Bestimmungen kann ein Vertrauensschutz für Asylsuchende im Hinblick auf die Dauer des Verfahrens zur Prüfung der Zuständigkeit abgeleitet werden. Auf der anderen Seite ist das Bundesamt in der Pflicht, die Ungewissheit der Kläger im Bezug darauf, ob sie ein Verbleiben im Bundesgebiet erwarten können, alsbald zu beenden. Jedenfalls Ende August 2012, als das Bundesamt ihrem Prozessbevollmächtigten von dem Übernahmeersuchen an Italien unterrichtete, also neun Monate, nachdem die Kläger zu ihrem Asylbegehren nach dem Hinweis auf eine anstehende Zuständigkeitsprüfung  inhaltlich befragt worden sind, geht die Kammer von einem im Wege der Auslegung nach außen verlautbarten Willen aus, die Begehren inhaltlich zu bescheiden. Die hier nicht anwendbaren, aber dem Beschleunigungsgrundsatz Rechnung tragenden Fristen der Dublin II VO sind zu diesem Zeitpunkt bei Weitem überschritten. Als Maßstab dessen, was ein „unangemessen langes Verfahren“ im Sinne der genannten EuGH-Entscheidung ist, kann auch die Verordnung Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.06.2013 (Dublin III VO) Amtsblatt L 180 S. 31 f. gelten. Unmittelbar gilt diese Verordnung gemäß ihrem Art. 49 Abs. 2 allerdings erst für Anträge auf internationalen Schutz und für alle Gesuche um Aufnahme oder Wiederaufnahme von Antragstellern, die ab dem 1. Tag des sechsten Monats nach ihrem Inkrafttreten gestellt werden. In Zukunft sieht Art. 23 Abs. 2 Dublin III VO vor, dass ein Wiederaufnahmegesuch sobald wie möglich zu stellen ist, auf jedem Fall aber innerhalb von zwei Monaten nach der EURO-DAC Treffermeldung. Weil die Neufassung der Dublin VO in ihrem Art. 21 Abs. 1 die Dauer der Frist für die Stellung eines Aufnahmegesuchs unverändert bei drei Monaten belässt, kann hieraus der Schluss gezogen werden, dass schon nach der Intention der alten Rechts eine zügige Entscheidung über die Frage herbeizuführen ist, in welchem Mitgliedsland der Europäischen Union ein Asylverfahren letztlich zu betreiben ist.

Als Unterlegene hat die Beklagte die Verfahrenskosten gemäß § 154 Abs. 1 VwGO zu tragen. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylVfG nicht erhoben.