Verwaltungsgericht Hannover
Beschl. v. 07.11.2013, Az.: 13 B 6992/13

Abordnung; Austausch von Ermessenserwägungen; Ermessenserwägungen; Lehrer; Nachschieben von Ermessenserwägungen; Schulleiter; Unterrichtsversorgung

Bibliographie

Gericht
VG Hannover
Datum
07.11.2013
Aktenzeichen
13 B 6992/13
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2013, 64274
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Tenor:

Die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragstellerin vom 11.10.2013 gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 12.09.2013 wird wiederhergestellt.

Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 5000,00 EURO festgesetzt.

Gründe

I.

Die Antragstellerin ist Förderschulrektorin an einer Schule in der Region Hannover.

Aus den Verfahren 13 A 6235/3 und 13 B 6236/13 ist dem Gericht bekannt, dass es an dieser Schule Streit zwischen der Antragstellerin und einigen anderen Lehrkräften, u.a. der 2. Konrektorin, gab. Wegen dieses Streites sprach die Antragsgegnerin gegenüber der Antragstellerin zunächst ein vorläufiges Verbot zur Führung der Dienstgeschäfte aus. Nachdem das Gericht die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragstellerin hiergegen angeordnet hatte, hob die Antragsgegnerin das Amtsführungsverbot wieder auf.

Mit Bescheid vom 12.09.2013 ordnete die Antragsgegnerin die Antragstellerin für die Zeit vom 13.09.2013 bis 31.01.2014 aus dienstlichen Gründen an eine andere Schule in einer anderen Stadt der Region Hannover mit voller Stundenzahl ab. Als Begründung wurde angegeben, die Abordnung sei zum Ausgleich der Unterrichtsversorgung unbedingt erforderlich. Nach Abwägung der dienstlichen Gründe „einschließlich der Gründe der Zumutbarkeit“ gegenüber den persönlichen Interessen der Antragstellerin könne von der Abordnung nicht abgesehen werden.

Zum Zeitpunkt der Abordnung war die Antragstellerin selbst zunächst bis 30.09.2013 längerfristig krankgeschrieben, später wurde eine weitere Krankschreibung bis Ende Oktober 2013 vorgelegt. Über den jetzigen Gesundheitszustand der Antragstellerin ist nichts bekannt. In einem weiteren vorgelegten Attest vom 23.09.2013 (Bl. 27 der Gerichtsakte) heißt es lediglich, ein Ende der Dienstunfähigkeit vor dem vollständigen Abschluss der Angelegenheit sei nicht sehr wahrscheinlich.

Die Antragstellerin hat am 11.10.2013 Klage erhoben und gleichzeitig um vorläufigen Rechtsschutz nachgesucht.

Sie trägt vor: Zwar sei an der aufnehmenden Schule eine Lehrkraft langfristig erkrankt. Der Pflichtunterricht sei jedoch dort stets gewährleistet. Es sei nicht sinnvoll, eine selbst längerfristig erkrankte Rektorin zum Ausgleich der Unterrichtsversorgung an eine andere Schule abzuordnen. Offenbar sei von der Antragsgegnerin deshalb dieser Grund nur vorgeschoben.

Im Vorfeld der Abordnung sei ihr, der Antragstellerin, Fehlverhalten vorgeworfen worden. Diese Vorwürfe seien aber nicht zutreffend.

Die Antragstellerin beantragt,

die aufschiebende Wirkung ihrer Klage gegen den Bescheid vom 12.09.2013 anzuordnen.

Die Antragsgegnerin beantragt,

den Antrag abzulehnen.

An der aufnehmenden Schule sei eine Stelle frei und besetzbar. Es bestünde ein öffentliches Interesse, freiwerdende Stellen zu besetzen. Zum Zeitpunkt der Abordnungsverfügung sei die Antragstellerin nur bis 30.09.2013 krankgeschrieben gewesen. Man habe erwartet, dass die Antragstellerin ihren Dienst nach den Herbstferien wieder aufnehme.

In der bisherigen Schule habe es ein innerdienstliches Spannungsverhältnis gegeben. Mit der Abordnung werde der Schulfrieden wieder hergestellt.

Die Kammer hat die Sache mit Beschluss vom 06.11.2013 dem Berichterstatter als Einzelrichter zur Entscheidung übertragen.

Wegen des weiteren Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakten Bezug genommen.

II.

Die Entscheidung ergeht durch den Einzelrichter. Die Kammer hat einen Übertragungsbeschluss gefasst, weil die Voraussetzungen des § 6 Abs. 1 VwGO vorliegen. Da nur die Antragsgegnerin, nicht jedoch die Antragstellerin sich mit einer Entscheidung durch den Berichterstatter einverstanden erklärt hat, war eine Entscheidung nach § 87a Abs. 2 und 3 VwGO nicht möglich.

Die Antragsgegnerin hat auf die gerichtliche Verfügung vom 24.10.2013 trotz Erinnerung vom 01.11.2013 bislang nicht geantwortet und auch die Verwaltungsvorgänge nicht vorgelegt. Angesichts des Umstandes, dass es sich um ein eilbedürftiges vorläufiges Rechtsschutzverfahren handelt, in dem die Anordnung der aufschiebenden Wirkung begehrt wird und vom Ergebnis auch die weitere Unterrichtsplanung zweier Schulen abhängt, ist es nicht gerechtfertigt, noch länger auf eine Reaktion der Antragsgegnerin zu warten.

Der Antrag ist zulässig.

Nach § 105 Abs. 2 NBG hat die Anfechtungsklage gegen eine Abordnung hat keine aufschiebende Wirkung. Insoweit ist vorläufiger Rechtsschutz über einen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung möglich.

Der Antrag ist auch begründet.

Nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Verwaltungsgericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelf (§ 80 Abs. 1 VwGO) ganz oder teilweise wiederherstellen bzw. in Fällen des § 80 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 VwGO die aufschiebende Wirkung anordnen. Dabei prüft das Gericht zum einen, ob im Fall des § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO die Anordnung der sofortigen Vollziehung ordnungsgemäß nach § 80 Abs. 3 VwGO begründet wurde. Zum anderen trifft das Gericht eine eigene Interessenabwägung zwischen dem privaten Interesse des bzw. der Antragsteller, vorläufig von den Wirkungen des angefochtenen Verwaltungsaktes verschont zu bleiben (Aufschubinteresse) und dem besonderen öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung dieses Verwaltungsaktes (Sofortvollzugsinteresse). Bei dieser Interessenabwägung sind wiederum zunächst die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs des bzw. der Antragsteller in der Hauptsache zu berücksichtigen, soweit diese bei summarischer Prüfung absehbar sind. Bestehen bereits bei summarischer Prüfung ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes (vgl. § 80 Abs. 4 Satz 3 VwGO) und wird der Rechtsbehelf deshalb in der Hauptsache mit überwiegender Wahrscheinlichkeit Erfolg haben, ist dem Antrag regelmäßig stattzugeben, denn ein überwiegendes öffentliches (oder anderes privates) Interesse am sofortigen Vollzug eines offensichtlich rechtswidrigen Verwaltungsaktes kommt nicht in Betracht. Bestehen solche Zweifel nicht, erweist sich also der angegriffene Verwaltungsakt bei summarischer Prüfung als offensichtlich rechtmäßig und wird der Rechtsbehelf in der Hauptsache deshalb mit überwiegender Wahrscheinlichkeit keinen Erfolg haben, so ist der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes in der Regel abzulehnen. Im vorliegenden Fall spricht indes vieles dafür, dass die Abordnungsverfügung rechtswidrig ist.

Ob eine vorherige Anhörung der Antragstellerin und eine Beteiligung des Personalrates gem. § 65 Abs. 1 Nr. 8 NPersVG stattgefunden hat, ist mangels Vorlage der Verwaltungsvorgänge durch die Antragsgegnerin nicht feststellbar. Die Antragstellerin hat jedenfalls keine Verfahrensverstöße gerügt. Letztendlich kommt es aber auf diese Fragen nicht mehr an. Die Abordnungsverfügung wird sich nach der im Eilverfahren gebotenen summarischen Prüfung aller Voraussicht bereits aus den folgenden Gründen als rechtswidrig erweisen.

Zwar kann ein Beamter gem. § 27 Abs. 2 NBG aus dienstlichen Gründen ganz oder teilweise zu einer seinem Amt entsprechenden Tätigkeit abgeordnet werden. Unstreitig entspricht die neue Tätigkeit dem Statusamt der Antragstellerin. Sie hat dies jedenfalls nicht bestritten.

Eine Abordnung zum Ausgleich der Unterrichtsversorgung stellt weiterhin grundsätzlich durchaus einen dienstlichen Grund iSd. § 27 Abs. 2 NBG dar.

Ob eine Abordnung ausgesprochen wird oder nicht liegt im pflichtgemäßen Ermessen des Dienstherrn und ist vom Gericht nur eingeschränkt auf Ermessensfehler hin zu überprüfen. Im Rahmen der Kontrolle dieser Ermessensentscheidung hat das Verwaltungsgericht innerhalb der Grenzen des § 114 VwGO nur zu prüfen, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist. Dazu ist festzustellen, ob die Behörde in ihre Ermessenserwägungen all das eingestellt hat, was nach Lage der Dinge einzustellen ist, ob sie dabei von einem richtig ermittelten Sachverhalt ausgegangen ist und die sodann vorgenommene relative Gewichtung sachgerecht ist. Nicht zu prüfen ist, ob irgendwelche anderen Gesichtspunkte für die getroffene Entscheidung sprechen, so dass sie im Ergebnis aufrechterhalten werden kann. Nach Maßgabe dieses Prüfungsrahmens ist die Abordnungsentscheidung der Antragsgegnerin zu beanstanden.

Allerdings kann sich die Antragstellerin nicht mit Erfolg auf ihre Erkrankung berufen, die einer Abordnung entgegengestanden haben soll. Zwar macht es keinen Sinn, eine längerfristig erkrankte Lehrkraft zur Vertretung einer anderen langfristig erkrankten Lehrkraft abzuordnen. Nach eigenem Vortrag der Antragstellerin war sie seinerzeit jedoch nur bis 30.09.2013 krankgeschrieben. Die Antragsgegnerin hat vorgetragen, sie sei bei ihrer Entscheidung davon ausgegangen, dass jedenfalls nach Ende der Herbstferien die Antragstellerin ihren Dienst an der neuen Schule antreten werde. Dies ist ihr nicht zu widerlegen. Da auf den Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage abzustellen ist, kommt es auf die weitere Krankheitsentwicklung der Antragstellerin nach Erlass der Verfügung hier nicht mehr entscheidend an.

Die Antragsgegnerin hat auf die Nachfrage des Gerichts vom 24.10.2013 - trotz Erinnerung vom 01.11.2013 - bislang nicht dargelegt, in welchem Umfang genau die Unterrichtsversorgung an der aufnehmenden Schule nicht gewährleistet war. Allerdings hat die Antragstellerin selbst in ihrer Klage- und Antragsschrift eingeräumt, dass an der aufnehmenden Schule tatsächlich eine dortige Lehrkraft längerfristig ausgefallen war.

Gleichwohl hätte es weitere Ermessenserwägungen bedurft, weshalb ausgerechnet die Antragstellerin mit voller Stundenzahl abgeordnet wird. Eine besondere Begründung war schon deshalb zu erwarten, weil es sich bei der Antragstellerin um eine Schulleiterin handelt. Es dürfte eher nicht die Regel sein, dass Schulleiter selbst - und dann auch noch mit voller Stundenzahl - an eine andere Schule zum Ausgleich der Unterrichtsversorgung abgeordnet werden. Es ist aus der Verfügung vom 12.09.2013 nicht erkennbar, welche Gründe für eine Auswahl der Antragstellerin gesprochen haben. Von daher erschließt sich dem Gericht nicht, woher Antragsgegnerin die tatsächliche Grundlage ihrer Ermessenserwägungen entnommen hat.

Die Stellungnahme der Antragsgegnerin zum Antrag legt allerdings aber auch die Vermutung nahe, dass die in der angefochtenen Verfügung angegeben Gründe (Ausgleich der Unterrichtsversorgung) nur - wie schon die Antragstellerin meint - vorgeschoben waren. Denn in ihrer Stellungnahme vom 22.10.2013 rechtfertigt die Antragsgegnerin die Abordnung mit an der Stammschule der Antragstellerin aufgetretenen innerdienstlichen Spannungen.

Zwar ist es auch der Rechtsprechung der Kammer möglich, dass zur Vermeidung weiterer innerdienstlicher Auseinandersetzungen der Dienstherr deshalb einen der beteiligten Beamten abordnen oder versetzen kann, wobei es nicht unbedingt darauf ankommt, von wem ursprünglich diese Spannungen ausgegangen sind bzw. wer „Schuld hat“. Hierzu bedarf es aber umfangreicher Ermessenserwägungen.

Von innerdienstlichen Spannungen war im Bescheid vom 12.09.2013 noch nicht die Rede. Die Abordnung bekommt durch die Rechtfertigung der Antragsgegnerin im Schriftsatz vom 22.10.2013 einen völlig anderen Charakter. Es sind ganz andere Ermessenserwägungen anzustellen, wenn es darum geht, einen an innerdienstlichen Spannungen beteiligten Beamten zur Vermeidung weiterer Auseinandersetzungen abzuordnen, als wenn ein Beamter zum Ausgleich einer Unterrichtsfehlversorgung
vorübergehend an einer anderen Schule eingesetzt wird.

Ob überhaupt und falls ja, welche Ermessenserwägungen von der Antragsgegnerin hinsichtlich der Frage einer Abordnung wegen innerdienstlicher Spannungen angestellt wurden, ist nicht erkennbar. Sie ergeben sich entgegen § 39 Abs. 1 Satz 3 VwVfG nicht aus der Abordnungsverfügung. Das Gericht vertritt in diesem Zusammenhang auch die Auffassung, das - weil sich der Charakter der Abordnungsverfügung vollkommen ändern würde - kein Fall der „Ergänzung“ iSd § 114 Satz 2 VwGO vorliegt, sondern ein unzulässiger Austausch der Gründe (zur Frage der Rechtmäßigkeit des Austausches von Gründen s.a. VG Aachen, Beschl. v. 13.02.2013 - 3 L 477/12 -, zit. n. juris, dort Rdnr. 65; sowie Sächsisches OVG, Beschl. v. 19.10.2012 . 2 A 762/11, zit. n. juris, Rdnr. 8).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 63 Abs. 2 Satz 1 und 53 Abs. 2, 52 Abs. 2 GKG. Da die Abordnung nur bis zum 31.01.2013 ausgesprochen wurde, nimmt die Entscheidung im Eilverfahren die Hauptsache jedenfalls zum überwiegenden Teil vorweg. Mit einer Entscheidung über die Klage selbst ist nicht vor Ablauf des derzeitigen Schulhalbjahres zu rechnen. Dies rechtfertigt es, den Streitwert nicht im Hinblick auf die Vorläufigkeit dieser Entscheidung zu reduzieren.